Rede von
Willi
Lausen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sehr schade, daß der Herr Bundesfinanzminister Schäffer anläßlich der Einbringung dieser Gesetzesvorlage nicht die ausgezeichnete Chance benutzt hat, sich sowohl den Beifall aller guten Deutschen als auch den Ruhm eines großen Patrioten zu erwerben. Ich meine damit die Chance, in diese Gesetzesvorlage auch Berlin einzubeziehen. Nach meiner Auffassung sollte es selbstverständliche Pflicht aller Deutschen und in erster Linie der Bundesregierung sein, jede Gelegenheit wahrzunehmen, dieser Stadt zu beweisen, daß wir an sie denken. Der scheußliche Zustand, daß Monat für Monat zwischen dieser Stadt Berlin und der Bundesregierung der Zuschuß jeweils ausgehandelt werden muß, ist doch offenbar weder den Berlinern noch, wie ich mich habe informieren lassen, dem Herrn Finanzminister sympathisch. Ich habe gehört, daß er von sich aus bereits
Bemerkungen in der Richtung gemacht habe, es sei tunlich, Aufgaben und Ausgaben hier aufzuteilen. Nun hatte er die Chance, einmal Ernst zu machen. Daß er sie nicht ergriffen hat, bedauern wir. Der heutige Zustand jedenfalls, was Berlin anlangt, wird weder der geschichtlichen Leistung der Berliner gerecht noch entspricht er der Würde des deutschen Volkes.
Und nun gestatten Sie mir ein paar knappe Bemerkungen zu dem politisch interessanten Teil des vorliegenden Gesetzes. Ich glaube, man darf sagen: diese Vorlage ist das Präludium zu einem Gespräch, das uns in den nächsten Wochen und Monaten noch sehr viel Kummer und Sorge machen wird, das Präludium zu dem Gespräch über den horizontalen Finanzausgleich. Dabei sollten wir bedenken, daß wir in kurzer Zeit erkennen werden: die Decke ist zu kurz. Wir sollten ebenso berücksichtigen, daß den Letzten leicht die Hunde beißen, und der Letzte sind in diesem Falle die Gemeinden. Deshalb sollten wir bei allen diesen Auseinandersetzungen, auch bei der jetzigen Vorlage, diejenigen, die nicht in der Lage sind, sich so zäh zur Wehr zu setzen, wie es der Bund und die Länder können, nämlich die Gemeinden, niemals vergessen.
Ein Grundton des uns heute vorliegenden Gesetzes ist vielleicht durch die Worte „übereilte Einkommensteuersenkung" gekennzeichnet. Eine ganze Reihe von Konsequenzen, die sich in dieser Vorlage zeigen, beruht darauf, daß der Herr Bundesfinanzminister sich durch das sehr eifrige Vorwärtstreiben der Einkommensteuersenkung einiger Möglichkeiten selbst beraubt hat. Gewiß, es ist zuzugeben, daß der Finanzausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz das Wort „Interessenquote" zum ersten Mal in der neueren Zeit in die Debatte geworfen hat. Aber ich habe den Eindruck, der Herr Bundesfinanzminister hat dankbaren Herzens nach diesem Strohhalm gegriffen, denn dadurch war er in der Lage, die Spuren, die in die Richtung einer übereilten Einkommensteuersenkung führen, zu verwischen.
Ich darf erklären, daß die Ausführungen des Herrn Bundesratsvertreters an dieser Stelle es mir ersparen, auf eine ganze Reihe von Argumenten einzugehen. Nur eines darf ich sagen: das Argument der Bundesregierung, in der schematischen Art dieser Interessenquote liege ein echter Anreiz zum Sparen, überzeugt uns nicht, denn wenn man ganz vorsichtig abwägen will, werden sich das Für und Wider dabei die Waage halten. Herr Minister Schäffer hat im Bundesrat den Bundestag als den schwarzen Mann hingestellt, der über die Minderheit des Bundesrates bzw. über die individuellen Länderinteressen glatt hinweggehen würde. Dazu möchte ich an dieser Stelle erklären: Meine politischen Freunde sind durchaus nicht gewillt, diesen Dingen neutral gegenüberzustehen, denn in Zusammenhang mit ihnen steht ein rein sozialpolitisches Problem. Wir werden es nicht zulassen, daß dieses sozialpolitische Problem auf die Weise übergangen wird, wie es hier geschehen soll. Was man uns in puncto Interessenquote angeboten hat, ist Grobschmiedearbeit, und ich glaube, wir brauchen gerade hier die Arbeit von Feinmechanikern. Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister und auch die Mehrheit des Bundesrats haben geglaubt, der anderen Seite eine Beruhigungspille geben zu können. Man hat ihnen gesagt, die Unebenheiten, die durch die Anwendung dieser schematischen Interessenquote entstehen, würden durch den schließlichen horizontalen Lastenausgleich ja wieder ausgebügelt. Ich darf bemerken, daß dieses
Argument ein Loch in den ganzen Überlegungen in puncto Pädagogik und in puncto Sparsamkeit bedeutet. Denn wer will noch sparen, wenn man ihm sagt: Zum Schluß wird ja doch alles über den großen Kamm geschoren? Darin liegt also ein sehr zweischneidiges Schwert, wenn man glaubt, dieses Argument anwenden zu können.
Aber auch nach der verfassungsrechtlichen Seite wäre einiges zu sagen. Der Auftrag, der der Regierung und uns erteilt worden ist, ergibt sich aus dem Art. 120. Der Art. 120 sagt klipp und klar aus, wie auch mein Herr Vorredner anführte, daß der Bund die Belastungen auf diesen und jenen Gebieten zu tragen habe. Er sagt gar nichts darüber aus, ob oder wie die einzelnen Länder von diesen Belastungen etwas zu übernehmen haben. Aussage darüber erteilt lediglich der Art. 106 in seinen vier Absätzen. Auch wer sich darauf berufen möchte, daß im Art. 120 steht: „nach näherer Bestimmung eines Bundesgesetzes" usw., wer glaubt, daß damit etwa angedeutet sein könne, durch das Spezialgesetz solle über irgendeine Form von Quotierung etwas ausgesagt werden, befindet sich meiner Auffassung nach auf dem Holzweg. Diese Worte haben nichts weiter zu besagen, als daß ein Auslegungsvorbehalt für Begriffe wie Besatzungslasten, Kriegsfolgelasten usw. gemacht wird. Und diese Auslegung, meine Damen und Herren, ist auch die Auslegung, wie sie uns in den Empfehlungen des Finanzausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz gegeben worden ist.
Ich bin der Meinung, daß gewissenhafte Einhaltung des Grundgesetzes es uns zur Pflicht macht, nach anderen Auswegen zu suchen, als es uns in dem § 2 dieses Gesetzentwurfes angeboten wird. Ich darf zusammenfassend sagen: Bei allem Verständnis, das wir für die Notwendigkeit einer beschleunigten Schaffung ordentlicher Rechnungsgrundlagen für die Aufstellung der Haushalte der Länder und des Bundes haben, bei all diesem Verständnis müssen wir an dieser Stelle unsere ernstesten Bedenken gegen die schematische Anwendung der Interessenquote, wie sie im § 2 des Gesetzes erfolgt ist, in materieller und in verfassungsrechtlicher Hinsicht anmelden.