Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen meines verehrten Herrn Vorredners ist von dem Standpunkt der Abgeordneten aus, die aus den hungerleidenden Ländern unserer Republik stammen, nur noch wenig hinzuzufügen. Ich hätte gewünscht, daß das Haus besser besetzt wäre, um diese Ansprache aus der Landesebene heraus zu hören, die meines Erachtens allerdings an den Nerv unseres gesamten föderativen Staatssystems rührt und die in einem praktischen Fall nicht nur jeden einzelnen Mitbürger angeht, sondern insbesondere die Konstruktion unseres gesamten Staatsbetriebes tatsächlich in all ihrer Problematik hier — ich möchte beinahe sagen: abschließend — dargelegt hat, soweit es sich um „arm" und „reich" handelt. Dieses Gesetz hier ist ein für den normalen Abgeordneten außerordentsich langweiliges Gesetz, weil es scheinbar technische Bestimmungen enthält, ein Ausführungsgesetz zum Grundgesetz, das eben nun einmal gemacht werden muß. Es ist aber in seiner Wirkung ein meines Erachtens tatsächlich entscheidendes Gesetz, nämlich die Probe, ob das Grundgesetz sich in der Praxis des Lebens auch bewährt.
Darf ich dazu einige Bemerkungen machen. Die erste Frage, die sich die Ausschüsse vorlegen müssen, ist eine Rechtsfrage. Das Gesetz muß daher unter allen Umständen auch dem Rechtsausschuß trotz seiner Überlastung zugewiesen werden. Es ist nämlich die Frage, ob es zulässig ist, unter Zuhilfenahme des völlig unverständlichen Schlagworts „Interessenquote" von der Grundgesetzbestimmung des Art. 120 abzuweichen.
Wenn es dort heißt, daß der Bund unter anderem diese Kriegsfolgelasten trägt — „trägt" steht wörtlich da — und daß der Gesetzgebung nur eine „nähere Bestimmung" vorbehalten ist, kann, so meine ich als Jurist, nicht davon die Rede sein, daß die nähere Bestimmung das Wort „trägt" streicht und sagt: Der Bund trägt die Lasten nur zu drei Viertel, zu sieben Achtel oder zu neun Zehntel, den Rest tragen die Länder. Daß dies nicht jedem ohne weiteres klar ist, liegt daran, daß die Menschen ja da, wo 'Begriffe fehlen oder vernebelt werden sollen, gewohnt sind, ein Wort zu gebrauchen, wie Goethe es gesagt hat: Das Wort stellt zur rechten Zeit sich ein. „Interessenquote" bedeutet, daß man denjenigen, der eine Verwaltung führt, dadurch an Spar-
samkeit interessiert, daß er einen Teil selber mittragen muß. Davon ist nach § 2 hier aber sachlich gar nicht die Rede. Vielmehr ist die Rede davon, daß jemand, dem man eine Last abnimmt, gewisse Anteile selber „aufbringen" muß. In der Begründung, warum das geschehen soll, ist nach dem Beispiel von Gemeinden, die gern ihr Land bemogeln, von „Interessenquote" die Rede. In Wirklichkeit handelt es sich — das ist im Wortlaut der Vorlage sehr deutlich gesagt, und der Herr Bundesfinanzminister hat es heute auch ausgesprochen — um eine Entlastung des Bundes um, wenn ich nicht irre, an die 1,2 Milliarden DM. Das ist der Sinn und Zweck dieser „Interessenquoten", und das widerspricht nun einmal dem Grundgesetz. Jedenfalls käme wiederum eine der verschiedenen Verfassungsstreitigkeiten in Frage, die dann vermutlich zu richterlichem Austrag führen.
Was nun aber die Art der Interessenquote oder des Selbstbehaltes oder der Aufbringungspflicht der Länder anlangt, so habe ich von Schleswig-Holstein aus neben all den Ausführungen meines Herrn Vorredners, die ich generell Wort für Wort unterschreibe, nur auf folgendes hinzuweisen: Nach der Ziffer 2 von § 2 sind die Aufwendungen für die Kriegsfolgenhilfe zu 25% von den Ländern zu tragen. Aufwendungen für die Kriegsfolgenhilfe sind nach § 1 die in den §§ 6 bis 12 des Gesetzes näher bezeichneten Kosten, die durch den Krieg entstanden sind, insbesondere die Fürsorge, wie es in § 6 heißt, für „ortsfremde Kriegsfolgenhilfeempfanger", nämlich Heimatvertriebene, Evakuierte, Zugewanderte, Ausländer und Staatenlose. —
Ich kann mit meinen Ausführungen innerhalb der kurzen Redezeit nicht ganz fertig werden. Ich bitte um Entschuldigung. Ich nehme an, daß nicht Herren aus allen Fraktionen sprechen werden. — Nun nehme ich an, es ist inzwischen dem Bundestag hinreichend bekannt, wie sehr und wie unheimlich das Land Schleswig-Holstein mit Evakuierten und Heimatvertriebenen überbelastet ist, so daß in den Kleinstädten und auf den Dörfern mehr als 50% der Einwohner Vertriebene sind — wir haben das am letzten Wahlsonntag erlebt; für den Einheimischen war das Wahlergebnis keine Überraschung — und daß, wenn die Vertriebenen sich zusammenschließen, eine Riesenpartei entsteht. Da die Vertriebenen in den kleinen Städten und auf dem Lande einem Erwerb nicht nachgehen können, so sind sie eben Fürsorgeempfänger. Diese Fürsorgepflicht soll das Land, das an sich nicht lebensfähig ist, jetzt zu 25% selber tragen. Das wäre, wenn es ein sehr, sehr reiches Land wäre, meines Erachtens eine sehr arge Zumutung. Bei einem Land, das ohnehin ohne Almosenunterstützung anderer Länder nicht leben kann, ist das eine Regelung, deren Sinn und Zweck ich beim besten Willen nicht erkennen kann. Es mag ja sein, daß die Unterstützungsbehörden im einzelnen Fall vielleicht einem armen Flüchtling, der bei ihnen Unterstützung haben will, etwas abknapsen können; aber die allgemeine Armut, die Tatsache, daß Unterstützungen zu zahlen sind, ist doch durch keine Sparmethode des Landes zu beseitigen. Man kann doch, wenn man nichts hat, allerhöchstens die Armen verhungern lassen. Es ist doch undenkbar, ihnen das vorzuenthalten, was ihnen nun einmal nach den Richtsätzen zusteht. Ich wüßte gar nicht, wie durch „Interessenquotensparsamkeit" hier bei der Überbelegung des Landes mit erwerbslosen Flüchtlingen etwas durch sparsame Verwaltung gespart werden sollte.
Deswegen meine ich: das Land Schleswig-Holstein ist durch die Flüchtlinge bis über jedes Vermögen belastet und hat nach dem Grundgesetz einen Anspruch darauf, daß ihm diese Last vom Bund abgenommen wird. Weil es mit Flüchtlingen so überbelastet ist, soll es jetzt aber entgegen dem Grundgesetz auch noch von den Lasten ein Viertel selber tragen. Darin ist kein Sinn und keine Vernunft zu erblicken. Selbst wenn das Grundgesetz es zuließe, dürfte man so etwas überhaupt nicht in Erwägung ziehen.