Meine Damen und Herren! Ich habe weiter folgende Mitteilungen zu machen.
Der Bundesrat hat in seinen Sitzungen am 23. und
30. Juni 1950 den folgenden Gesetzen zugestimmt: Gesetz über Reichsmarkverbindlichkeiten zwischen Gebietskörperschaften,
Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung des Lohnstops,
Gesetz über eine vorübergehende Erweiterung der Geschäfte der Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken,
Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Bewirtschaftungsnotgesetzes,
Gesetz über die Erhebung von Abgaben auf dem Gebiet der Ernährungswirtschaft,
Gesetz über die Schaffung eines besonderen Arbeitgebers für Hafenarbeiter,
Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat,
Gesetz zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt
und schließlich
Volkszählungsgesetz.
Der Bundesrat hat weiter gemäß den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes den Änderungen zum Gesetz über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet gemäß Art. 78 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 84 Abs. 1 und 5 des Grundgesetzes zugestimmt.
Weiterhin hat der Bundesrat zu den Abänderungsvorschlägen des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Änderung des Soforthilfegesetzes gemäß Art. 77 Abs. 3 des Grundgesetzes keinen Einspruch eingelegt.
Der Herr Bundeskanzler hat in Ausführung des am 25. Januar 1950 gefaßten Beschlusses des Bundestags, Drucksache Nr. 337, unter dem 21. Juni 1950 über die Förderung der bildenden Kunst berichtet. Das Schreiben finden Sie als Drucksache Nr. 1085.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 20. Juni 1950 die Anfrage Nr. 75 der Abgeordneten Strauß, Spies und Genossen betreffend Fortführung der Schulspeisung, Drucksache Nr. 910, beantwortet, und zwar unter Drucksache Nr. 1095.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 26. Juni 1950 die Anfrage Nr. 84 der Abgeordneten Frau Korspeter, Frau Döhring, Priebe, Richter und Fraktion der SPD betreffend Auswirkung der Leistungssteigerungen des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes, Drucksache Nr. 1026, unter Drucksache Nr. 1115 beantwortet.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 24. Juni 1950 die Anfrage Nr. 85 der Abgeordneten Dr. Baade und Genossen, Nr. 1028 der Drucksachen, betreffend Steigerung des Kunstdüngerverbrauchs unter Drucksache Nr. 1116 beantwortet.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 26. Juni 1950 die Anfrage Nr. 86 der Abgeordneten Wirths, Dr. Schäfer und Fraktion der FDP, Nr. 1031 der Drucksachen, betreffend Marinepersonal-Dokumentenzentrale unter Drucksache Nr. 1104 beantwortet.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 29. Juni 1950 die Anfrage Nr. 88 der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen, Nr. 1055 der Drucksachen, betreffend Bekämpfung des Kartoffelkäfers unter Drucksache Nr. 1130 beantwortet.
Ich habe weiter auf folgendes hinzuweisen. In der 72. Sitzung des Bundestages am 23. Juni 1950 ist über den Mündlichen Bericht des Vermittlungsausschusses auf Drucksache Nr. 1074 betreffend den Entwurf eines Gesetzes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet beschlossen worden. Nach Rücksprache im Ältestenrat habe ich insoweit eine redaktionelle Änderung vorgenommen, als in die Ausfertigung des Beschlusses hinter den Worten „oder aus sonstigen" das Wort „zwingenden" eingefügt wurde, da dies auch dem vom Herrn Berichterstatter seinerzeit vorgetragenen Wortlaut seiner Ausführungen entspricht und in der Drucksache Nr. 1074 vergessen worden war. Die Ziffer 2 lautet demgemäß wie folgt:
Diese besondere Erlaubnis darf Personen nicht verweigert werden, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen die in Absatz 1 genannten Gebiete verlassen mußten.
Ich darf das Haus noch um die nachträgliche Zustimmung zu der redaktionellen Abänderung in dieser Verfahrensweise bitten. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist demgemäß beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Bundesbahngesetz .
Ich darf Ihr Einverständnis damit annehmen, daß gemäß dem Vorschlag des Ältestenrats nach § 88 der Geschäftsordnung für die Begründung seitens der Herren Antragsteller 10 Minuten, für die Beantwortung — und insoweit appelliere ich an den Herrn Bundesverkehrsminister — 10 Minuten und für die Aussprache etwa 40 Minuten in Anspruch genommen werden. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Wer von den Herren Antragstellern wünscht die Interpellation zu begründen? — Herr Abgeordneter Jahn für die Herren Interpellanten!
Jahn , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Deutsche Bundesbahn war wiederholt Gegenstand der Diskussion in diesem Hohen Hause. Anlaß dazu gab sowohl die unbefriedigende Finanz- und Betriebslage der Bundesbahn als auch die Notwendigkeit ihres Wiederaufbaus. Immerhin repräsentieren die Anlagen und Betriebsmittel der Deutschen Bundesbahn einen Wert von etwa 11,9 Milliarden Mark. Die Zahl der Beschäftigten beträgt zur Zeit 540 758. Davon sind 347 460 Arbeiter und 193 298 Beamte. Die Deutsche Bundesbahn ist daher nicht nur das größte und wertvollste Vermögen des Bundes, sie ist gleichzeitig als Betrieb sein wichtigster und empfindlichster Nervenstrang in der Wirtschaft und Gesellschaft des Volkes.
Ihre Entwicklung ging über die Bildung der Staatsbahnsysteme der Länder vom Jahre 1879 bis 1920 zur Reichsbahn laut Vertrag des Reiches mit den Ländern vom 11. April 1920. Am 12. Februar 1924 wurde die Deutsche Reichsbahn aus dem Reichshaushalt herausgenommen und als selbständiges Unternehmen in die sogenannte Reichsbahngesellschaft umgebildet. Diese bestand bis 1937. Mit Gesetz vom 10. Februar 1937 wurde dann die Deutsche Reichsbahn geschaffen, das entsprechende Gesetz am 4. Juli 1939 neu gefaßt. Dieses Gesetz gilt mit bestimmten Einschränkungen heute noch. Die Schaffung einer neuen, den heutigen Verhält-
nissen angepaßten gesetzlichen Grundlage für die Deutsche Bundesbahn ist daher dringend erforderlich.
Die Folgen des bisherigen gesetzlichen Schwebezustandes sind eher mit dem Wort „Verkehrschaos" als mit dem Prädikat „Verkehrsordnung" zu bezeichnen. Die Auswirkungen dieses Zustandes spüren wir jeden Tag schmerzvoller. Es gilt demnach, jetzt schon die Voraussetzungen zu schaffen, die Verkehrsbedienung insgesamt so preiswert wie möglich zu gestalten, auseinanderstrebende Tendenzen innerhalb der Verkehrswirtschaft zusammenzufassen, die Verhältnisse der Verkehrsträger in sich, unter sich und zum Staat zu ordnen, die Verkehrsträger zu einer Verkehrsgemeinschaft zusammenzuschließen oder, wie es das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung für Verkehr vom 12. September 1948 bezeichnet, die Verkehrszweige zu koordinieren. Leider bemerken wir von der damals entwickelten Initiative heute so gut wie nichts mehr.
Nun gibt Art. 73 des Grundgesetzes dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Bundeseisenbahnen. Nach Art. 134 wird das Reichsbahnvermögen zum Vermögen des Bundes. Der Bund führt die Bundeseisenbahnen nach Art. 87 in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau. Er übernimmt nach Art. 130 die. bisherigen Verwaltungsorgane des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, also auch dessen Eisenbahnorgane, sowie das Eisenbahnorgan der französischen Zone, nämlich die Betriebsvereinigung der südwestdeutschen Eisenbahnen.
Bei der Verabschiedung eines neuen Bundeseisenbahngesetzes können wir wahrscheinlich nicht daran vorübergehen, daß Deutschland noch besetzt ist. Das Ruhrstatut sieht in Ziffer 10 für die internationale Ruhrbehörde die Vollmacht vor, sicherzustellen, daß die deutschen Behörden nicht irgendwelche künstlichen oder diskriminierenden Transport-, Preis- und Handelspraktiken, Quoten, Tarife und ähnliche behördliche Maßnahmen oder Handelsabmachungen einrichten, durchführen oder gestalten, die Ruhrkohle, Koks oder Stahl in den internationalen Handel ablenken würden. Wie sich diese Verpflichtung gegenüber der Bundesbahn auswirken wird, erscheint ungewiß. Das Besatzungsstatut enthält hinsichtlich der Verkehrsmittel keine besonderen Vorbehalte. Man kann daher vielleicht annehmen, daß die Ausgestaltung des Eisenbahnwesens alleinige Sache der Bundesregierung ist. Immerhin erscheint es zweckmäßig, durch Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren alle Eventualitäten von vornherein zu klären.
Der finanzielle Status der Deutschen Bundesbahn ist nach wie vor ernst. Die Einnahmen sind gegenüber dem Voranschlag für das Wirtschaftsjahr 1950 bereits wieder um 87 Millionen DM zurückgeblieben. Eine entscheidende Wendung in diesem unbefriedigenden Zustand muß baldigst herbeigeführt werden. Voraussetzung hierfür ist, daß die Regierung bei der Beantwortung von Interpellationen wie dieser etwas mehr Eifer an den Tag legt. Nach DPA finden zur Zeit Verhandlungen statt, die die Bereitstellung von ERP-Mitteln für die Deutsche Bundesbahn anstreben. Die Besprechungen haben bisher zu keinem Erfolg geführt. Wie in diesem Zusammenhang verlautet, soll von amerikanischer Seite das mangelnde Interesse der Bundesregierung an der Deutschen Bundesbahn kritisiert worden sein. Zugunsten von politisch interessanteren Verkehrsträgern werde die in staatlicher Regie laufende
Deutsche Bundesbahn vernachlässigt, während es z. B. in Italien gelungen sei, ERP-Mittel in erheblicher Höhe für die italienischen Bahnen zu erhalten. Ich bin der Überzeugung: hätte das Hohe Haus bereits das Bundesbahngesetz verabschieden können, dann hätten wir dieselbe Bereitschaft zur Hergabe von ERP-Mitteln gefunden wie in Italien.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, sowohl den vom Bundesrat bereits verabschiedeten Entwurf eines Bundesbahngesetzes als auch die Vorlage des Wirtschaftsrates vom 20. Mai 1949 umgehend dem Bundestag zuzuleiten. Soweit uns bekannt, haben unter Aufwendung erheblicher Mittel verschiedene Ausschüsse im Auftrage des Herrn Bundesverkehrsministers gleichfalls an einem Entwurf über ein Bundesbahngesetz gearbeitet. Wie verlautet, wird dieser Entwurf gemeinsam mit dem Entwurf des Bundesrates dem Bundestag zugeleitet werden. Es fragt sich nur: wann endlich gedenkt die Regierung den Bundestag in die Lage zu versetzen, dieses so notwendige Gesetz zu behandeln und zu verabschieden? Der Entwurf des Bundesrates wurde bereits am 2. April 1950 dem Herrn Bundeskanzler zugeleitet. Die Interpellation meiner Fraktion Drucksache Nr. 861 trägt das Datum des 26. April 1950.
Inzwischen sind drei wertvolle Monate nutzlos verstrichen, und die Zeit drängt. Die Bundesbahn muß
eine dem Grundgesetz entsprechende und der Forderung nach Mitbestimmung Rechnung tragende gesetzliche Grundlage erhalten, damit sie ihre Aufgaben als größter Verkehrsträger erfüllen und im
Interesse der Gesamtwirtschaft und des Volkes gesunden kann. Ich glaube, im Interesse des Hohen
Hauses zu handeln, wenn ich die bestimmte Erwartung ausspreche, daß die Bundesregierung in Zukunft Interpellationen umgehend beantwortet. Die
bisherige Übung ist des Hohen Hauses unwürdig.