Meine Damen und Herren! Die Regelung der Annahme an Kindes Statt ergibt sich aus 32 Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches, das am 18. August 1896 verabschiedet wurde. In diesen Bestimmungen des Adoptionsrechts entspricht vieles nicht mehr den heutigen Notwendigkeiten und Auffassungen. Eine Reform ist notwendig geworden. Daß Änderungen, die durch den Krieg und die Nachkriegszeit bedingt sind, umgehend erforderlich sind, zeigt sich darin, daß in Württemberg-Hohenzollern und in Rheinland-Pfalz im letzten Jahr eine Erleichterung im Adoptionsrecht durch die Landesgesetzgebung vorgenommen worden ist.
Zur Berechtigung des vorliegenden Gesetzentwurfs ist folgendes zu sagen. Die durch den Krieg und seine Folgeerscheinungen elternlos gewordenen Kinder sollen leichter Aufnahme in einer Familie und besonders in Familien von Verwandten und Bekannten finden. Dies bezweckt der § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Das Schicksal der Kinder, die keine Familie haben, ist oft grausam. Wir sind immer wieder erschüttert, wenn wir durch Rundfunk- oder Zeitungsmeldungen erfahren, daß Kleinkinder, daß Schulkinder ihre Eltern suchen. Wir sind immer wieder erschüttert, wenn wir sehen, daß diese Kinder, die mit die ärmsten in unserer Zeit sind, in Waisenhäusern und in Heimen untergebracht sind, die keineswegs eine Familie ersetzen können. Denn mögen diese Heime noch so gut sein, eine gesunde Familie ist immer das bessere. In einem Heim besteht ein Wechsel der Erzieher, und Eintönigkeit und die Weltfremdheit herrschen dort vor. Das Vertrauen, wie es Kinder in einer Familie zu den Eltern haben, kann in einem Heim nie gegeben sein.
Andere von diesen elternlosen Kindern sind in Pflegeverhältnissen untergebracht. Nun mögen die menschlichen Beziehungen, die zwischen Pflegekindern und Pflegeeltern bestehen, sehr tief sein. Aber die letzten Verpflichtungen werden nicht eingegangen. Denn es bleibt immer die Möglichkeit offen, daß das Pflegekindverhältnis gelöst wird. Es ist deshalb sehr notwendig, daß dort, wo die äußeren Voraussetzungen gegeben sind, die Annahme an Kindes Statt gefördert wird, weil die Adoption sowohl im Interesse des Kindes als auch im Interesse der Annehmenden liegt. Denn durch die Adoption wird eine Ungewißheit im Leben des Kindes beseitigt.
Während früher überwiegend uneheliche Kinder adoptiert wurden, stehen heute die Waisen, die durch den Krieg und die Nachkriegszeit ihre Eltern verloren haben, im Vordergrund. Ihnen gegenüber haben wir alle eine ganz besondere Verpflichtung zu erfüllen. Die Kinder, die keine Eltern mehr haben, haben genau so Anspruch auf Liebe und auf eine wirtschaftliche Versorgung wie jedes eheliche Kind. Wir sollten jede Möglichkeit wahrnehmen, um gerade diesen Kindern das Hineinwachsen in eine Familie zu ermöglichen.
Nach den bisher geltenden Bestimmungen des Adoptionsrechts können Eltern, die selbst Kinder haben, kein fremdes Kind adoptieren. In diesem
Punkt will nun der vorliegende Gesetzentwurf eine Erleichterung bringen.
In § 1 wird festgelegt, daß die Möglichkeit der Befreiung von dem Erfordernis der Kinderlosigkeit erteilt wird. Die Befreiung von dem Alterserfordernis ist schon im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehen.
Da die Adoption eine sehr ernste Angelegenheit ist, können wir sie nicht ernst genug nehmen; denn dieser Adoptionsvertrag entscheidet über menschliche Schicksale. Die Befreiung von dem Erfordernis der Kinderlosigkeit, das in § 1 festgelegt ist, bedeutet keineswegs etwas Neues. Es gibt Länder, in denen das Adoptionsgesetz das Erfordernis der Kinderlosigkeit nicht kennt. Die Erfahrungen dieser Länder sind in jeder Beziehung positiv. Für die Erleichterung der Adoption sprechen auch erzieherische Gründe. Erstens sind jüngere Eltern für die Erziehung der Kinder weit mehr geeignet als Menschen, die schon das 50. Lebensjahr überschritten haben. Zweitens ist es für das Kind weit besser, wenn es kein Einzelkind in der Familie bleibt, sondern Geschwister hat. Dies gilt sowohl für das eheliche als auch für das Adoptivkind.
Bei der Verpflichtung, die die Allgemeinheit gegenüber den Waisenkindern hat, die durch den Verlust ihrer Eltern besonders hart betroffen sind, dürfen die materiellen Interessen bei einer Adoption keineswegs ausschlaggebend sein. Damit aber auch das Wohl der ehelichen Kinder bestmöglich gesichert ist, sieht der § 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs das Anhören der Beteiligten oder ihrer gesetzlichen Vertreter sowie das der zuständigen Jugendämter als zwingend vor. Ich kenne aus eigener Anschauung die sorgsame Arbeit und das Verantwortungsbewußtsein der Jugendämter bei den Vorbereitungen zu einer Adoption. Meistens kennen ja die Jugendämter das Adoptivkind und die Familie des Annehmenden seit Jahren. Sie hatten Gelegenheit, das Hineinwachsen des Kindes in die Familie zu beobachten. Kein Jugendamt wird die Adoption befürworten, wenn die Gesamtverhältnisse nicht günstig sind. In der Praxis wurden die Jugendämter bisher schon von den Gerichten zu den Adoptionsvorhaben gehört. Es ist aber meines Erachtens ein Fortschritt und eine Sicherheit, daß diese Praxis nun gesetzlich verankert wird.
Wir halten den vom Jugendfürsorgeausschuß geforderten Abs. 3 des § 3 nicht für erforderlich. Er erscheint uns sogar schädlich; denn durch das Dazwischentreten eines Pflegers könnte das gute Verhältnis zwischen der Adoptionsfamilie und dem Adoptivkind ungünstig verändert oder gar zerstört werden. Der Pfleger, der ein völlig fremder Mensch sein kann, kennt die inneren Zusammenhänge dieser Adoptionsvoraussetzungen nicht. Es ist zu befürchten, daß er die Interessen der ehelichen Kinder nur von der wirtschaftlichen Seite her wahrnimmt. Wennschon Eltern sich entschlossen haben, zu ihren eigenen Kindern ein fremdes Kind anzunehmen, und wenn die Voraussetzungen für alle Beteiligten günstig sind, dann dürften die im Jugendfürsorgeausschuß vorgetragenen Bedenken bezüglich der Rechte der ehelichen Kinder hinfällig sein, zumal die Vorschriften des § 3 Abs. 1 und 2 die Rechte der ehelichen Kinder ausreichend wahrnehmen.
Die Erleichterung der Adoptionsbestimmungen entspringt einer zeitbedingten Notwendigkeit. Nach den Angaben der Jugendämter gibt es zur Zeit mehr Familien, die Kinder adoptieren wollen, als Adoptivkinder, so daß manche Kreise behaupten, das vorliegende Gesetz sei nicht nötig. Wer die Dinge so sieht, geht an dem eigentlichen Problem vorüber.
Es kommt bei den Kindern, um die wir uns in diesem Gesetz besonders bemühen wollen, darauf an, daß sie zu der richtigen Familie kommen, nämlich zu Verwandten, zu Freunden der verstorbenen Eltern, zu der Pflegefamilie, in der sich das Kind seit Jahren befindet, und nicht wahllos zu einer Familie, die lediglich den bisherigen Anforderungen und Adoptionsvoraussetzungen entspricht. Wir kennen das Leid der Kinder, die keine Eltern und keine Heimat haben. Ihnen die beste Fürsorge angedeihen zu lassen, ist die Pflicht von uns allen. Durch die Erleichterung der Adoption in dem vorliegenden Gesetzentwurf wird vielen heimatlosen Kindern die Möglichkeit gegeben, unter gesunden Lebensbedingungen in einer Familie heranzuwachsen und ein vollwertiges Glied dieser Familie zu werden.
Wir halten den vorliegenden Gesetzentwurf für erforderlich; die sozialdemokratische Fraktion wird deshalb dem Entwurf in der Fassung des Rechtsausschusses zustimmen.