Rede von
Dr.
Hermann Louis
Brill
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Auch der Gegenstand des Berichts, den ich Ihnen jetzt zu erstatten habe, ist hochpolitisch. Gerade deshalb darf ich nach der vorangegangenen Erregung um nüchterne Aufmerksamkeit bitten.
Der Oberstaatsanwalt in Hildesheim hat sich am 15. Februar dieses Jahres an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestags in Bonn mit der Bitte gewandt, wegen der aus den Anlagen seines Schreibens ersichtlichen mit Strafe bedrohten Handlungen die Genehmigung des Hauses herbeizuführen, den Bundestagsabgeordneten Dr. Franz Richter zur Untersuchung zu ziehen. Die Anlagen zu diesem Schreiben des Oberstaatsanwalts in Hildesheim bestehen aus einem Brief des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 13. Januar 1950, in dem gegen den Bundestagsabgeordneten Herrn Dr. Franz Richter Strafanzeige erstattet wird, die im übrigen juristisch nicht substantiiert ist, und einer Beilage zu diesem Brief, die stenographische Aufzeichnungen enthält,
die vom Ortsverein der Sozialdemokratischen Partei in Hildesheim in einer Versammlung gemacht worden sind, in der Herr Dr. Richter am 10. Dezember 1945 gesprochen hat.
— Verzeihung, 1949.
Die wichtigsten Teile dieser Aufzeichnungen sind folgende:
1. „Ich werfe dem Kultusminister Voigt seit Monaten vor, in den Schulen eine regelrechte Verdummungspolitik zu treiben. Was soll man nun von einem solchen Feigling halten, der sich so etwas gefallen läßt, ohne etwas gegen mich zu unternehmen?"
2. „Wer die Entnazifizierung mitgemacht hat, hat sich völkerrechtlich vergangen und wird dafür einmal zur Verantwortung gezogen."
3. ,,Die heutigen politischen Führer der großen Parteien haben sich in die höchsten Ämter hineingeschlichen, um hier Verräter am deutschen Volk zu werden."
„Deshalb haben sie die Besatzungsmächte gebeten, noch sehr lange hierzubleiben, weil sie den Haß der anständigen Deutschen fürchten."
4. „Man spricht doch heute immer so viel vom Jahre 1933. Ich weiß gar nicht, was da eigentlich geschehen ist."
„Letzten Endes ist es doch durch das ganze widerliche Theater von 1918 bis 1933 entstanden. Minister Albertz ließ Flüchtlinge in Erdlöchern hausen. Damit ist alles gesagt, was einer von diesen Menschen zu halten hat."
5. „Ich habe amtliche Beweise dafür, daß das deutsche Volk den Krieg nur durch Verrat verloren hat."
Und am Rande, meine Damen und Herren, Ausdrücke allgemein politischen Inhalts:
„Bei den Tschechen und Polen sind anständige Menschen nur Ausnahmen." Und schließlich:
„Der Staat Israel hat Wiedergutmachungsansprüche an Deutschland gestellt. Ich
frage: warum laufen denn noch soviele
Mitbürger dieses Staates hier herum?"
Nachdem dieses Schreiben des Herrn Oberstaatsanwalts beim Bundestag eingegangen war und sich bereits in der Prüfung des Ausschusses befand, haben vier niedersächsische Staatsminister, und zwar die Staatsminister Albertz, Borowski, Dr. Hofmeister und Voigt, also der Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, der Minister des Innern, der Minister der Justiz, der zu gleicher Zeit Entnazifizierungsminister ist, und der Kultusminister, Strafantrag gegen den Bundestagsabgeordneten Herrn Franz Richter wegen Beleidigung und übler Nachrede gestellt. Außerdem hat die Geschäftsstelle der Deutschen Partei in Hildesheim stenographische Aufzeichnungen über die Äußerungen des Herrn Dr. Richter angeboten, die angeblich mit denen der Sozialdemokratischen Partei inhaltlich vollkommen übereinstimmen und zur Vervollständigung der Beweismittel dienen können.
Schließlich sind zwei Zeugen zum Beweis der Richtigkeit dieser stenographischen Aufzeichnungen namhaft gemacht worden.
Der Ausschuß für Immunität hat es nicht für seine Aufgabe gehalten, in eine sachliche Würdigung dieses Materials einzutreten. Er hat sich lediglich mit zwei Fragen beschäftigt. Die erste Frage war die: Sind die vorgebrachten Beschuldigungen ernsthafte Beschuldigungen? Diese Frage hat der Ausschuß bejaht. Von einem Abgeordneten aus der Mitte dieses Hauses ist bei der Behandlung dieser Frage ausgeführt worden, die Beschuldigungen seien so ernsthaft, daß er bedauere, daß das gegenwärtige deutsche Strafrecht materiell keine Tatbestände mit ausreichendem Strafrahmen enthalte, um die schweren Beschuldigungen wirklich ahnden zu können.
Die zweite Frage, mit der sich der Ausschuß beschäftigt hat, war: Sind die angebotenen Beweismittel nicht nur Schikane, sondern würden sie, als Beweismittel betrachtet, prozessual zulangen, um einen Prozeß durchzuführen? Auch diese Frage hat der Ausschuß bejaht. Ausführungen zu den Einzelheiten möchte ich nicht machen.
Aus der Bejahung dieser beiden Fragen ist der Ausschuß zu dem Beschluß gekommen, Ihnen zu empfehlen, die Immunität des Bundestagsabgeordneten Dr. Franz Richter aufzuheben. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.