Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich versuchen, die Beleidigung, die hier gegen einen Minister ausgesprochen worden sein soll, auf ihren Urgrund zurückzuführen. Die Beleidigung liegt der Sache nach darin, daß von ihm behauptet wird, er habe die Männer des 20. Juli verunglimpft. Hätte er es getan, dann wären die kommentarischen Ausführungen über diese seine Handlung vollkommen zutreffen. Aber die Beleidigung liegt ja gerade darin, daß man einem Minister des Koalitionskabinetts nachsagt, er habe in, wie ich sagen muß, frivoler und geradezu skandalöser Weise über die Männer des 20. Juli gesprochen. Es handelt sich also nicht darum, die Männer des 20. Juli zu schützen. Ich möchte behaupten, daß in diesem Hause in keiner Fraktion Abgeordnete fehlen, die mit einzelnen dieser Männer befreundet gewesen sind. Wir sind alle der Ansicht, daß diese Männer historisch etwas Gewaltiges versucht haben, daß sie hoch ehrenwert sind und daß sie — ganz egal, auf welcher Seite, ganz rechts oder ganz links, sie standen — Patrioten waren. Aber daß man einem Minister dieses Koalitionskabinetts nachsagen kann, er stände so zum 20. Juli, wie es hier in der Zeitung des Herrn Bielig zweifellos dargestellt ist, das ist doch gerade die Beleidigung. Deswegen begreife ich Herrn Horlacher, den sonst so hockgeschätzten Kollegen, und seine Erregung nicht. Es handelt sich hier überhaupt nicht darum, daß man die Männer des 20. Juli schützt, sondern darum, daß man dem Koalitionskabinett unter Führung des Herrn Bundeskanzlers Dr. Adenauer nachgesagt hat, es dulde in seinen Reihen Leute, die in dieser Weise über den 20. Juli denken.
Das ist der Punkt, über den wir zu entscheiden haben. Ich sage Ihnen ganz offen, dieser Punkt kann außerhalb jedes Zusammenhangs mit dem nächsten
Punkt, wo es sich um Herrn Dr. Richter von der Reichspartei handelt, gar nicht entschieden werden. Die Fälle liegen beinahe identisch. In beiden Fällen ist Ministern etwas nachgesagt worden, was nicht geduldet werden kann. Ob das nun bei politischer Betrachtung unter den Immunitätsschutz fällt oder nicht, das ist eine Grundsatzfrage. Jedenfalls geht es nicht an, daß man dadurch die Dinge auf ein vollkommen falsches Gleis schiebt, daß man argumentiert, wenn der angegriffene Minister so etwas gesagt hätte, dann wäre Wahrung berechtigter Interessen gegeben gewesen. Daß er es nicht gesagt hat und eine Zeitung trotzdem die Falschmeldung verbreitet, er habe es doch gesagt, darin allein liegt die Beleidigung. Deswegen bitte ich, diese Dinge ohne jede Leidenschaft zu behandeln. Denn darüber sind wir uns im Hause alle einig: Es darf kein Politiker, der heute für Deutschland handelt, eine solche Haltung einnehmen, wie sie Herrn Minister Seebohm vorgeworfen wird. Das ist nach unser aller Auffassung undenkbar, das ist unvertretbar. So etwas darf man einer führenden politischen Persönlichkeit, über die man sonst denken mag, wie man will, nicht in den Mund legen und nachsagen.
Ich bitte doch, diese Sach- und Rechtslage zu beachten, die meines Erachtens die ganze Debatte außerhalb jeder Erregung stellen müßte. Es ist allein die nüchterne rechtliche und politische Frage zu entscheiden: Wieweit wollen wir als Abgeordnete dulden, daß man führende Politiker in einen Zusammenhang bringt, der sie vor der Öffentlichkeit unmöglich macht? Es ist die sehr einfache Frage: Wollen wir in einem solchen Fall die Immunität aufheben? Wenn ja, dann bitte sowohl rechts wie links! Wenn nein, dann bitte auch rechts und links nicht! Diese Frage ist eine Prinzipienfrage. Der Ausschuß mag sie entscheiden. Ich bitte also, dem Antrag des Herrn Dr. von Merkatz zu entsprechen.