Rede von
Dr.
Georg-August
Zinn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Schneider hat vielleicht die Katze aus dem Sack gelassen, wenn er zur Begründung seiner ablehnenden Haltung ausgeführt hat, daß viele Entnazifizierte draußen stünden, die bis jetzt nicht wieder in die Verwaltung hereingekommen seien und die Anspruch darauf hätten, demnächst wieder ihr altes Amt zu übernehmen. Wir werden uns mit aller Entschiedenheit gegen den Versuch wehren, eine Renazifizierung der Verwaltung mit Mitteln irgendwelcher disziplinärer Maßnahmen zu erreichen. Das ist das eine.
Im übrigen hat der Abgeordnete Schneider völlig übersehen, daß dieses Gesetz keineswegs eine Ergänzung des sogenannten Straffreiheitsgesetzes
vom Dezember 1949 darstellt. Die Tatbestände sind nicht in allen Fällen identisch. Die meisten Disziplinarverfahren umfassen Tatbestände, die strafrechtlich überhaupt nicht faßbar sind.
Die Notwendigkeit eines solchen Straffreiheitsgesetzes für die Zeit des Übergangs ergibt sich schon aus der Tatsache, daß das Disziplinarrecht in der Regel überhaupt keine fest umrissenen Tatbestände kennt, wie wir sie im eigentlichen Strafrecht haben. Sehr weitgehend ist es eine Angelegenheit des Ermessens, darüber zu entscheiden, was als Dienstvergehen anzusehen ist oder nicht. Ich selbst war lange Zeit oberster Disziplinarrichter eines Landes, und dem Disziplinarrecht dieses Landes unterstanden nicht nur die eigentlichen Beamten, sondern auch die Angestellten. Infolgedessen kann ich mir ein Urteil darüber erlauben, ob in jener Zeit der Verwirrung die sogenannten langjährigen Berufsbeamten mehr als etwa die Angestellten oder die neu übernommenen Beamten gegenüber irgendwelchen Versuchungen gefeit gewesen sind. Ich muß sagen, daß das keineswegs in dem hier behaupteten Umfang der Fall gewesen ist, trotz der grundsätzlichen Sauberkeit, die, das muß zugegeben werden, im allgemeinen in der Beamtenschaft vorhanden war. Bereits damals habe ich den Eindruck gehabt, daß die Notwendigkeit besteht, der Unzahl von Disziplinarverfahren, die wir zu erledigen hatten, durch eine gesetzliche Regelung zu begegnen. Eine Reihe von Ländern hat auch von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Es gibt bereits in einigen Ländern Gesetze gleichen und ähnlichen Inhalts. Ich glaube also, daß durchaus Gründe vorhanden sind, um eine Regelung der vorgeschlagenen Art zu treffen.
Es ist auch keineswegs so, als ob dieser Gesetzentwurf nun denjenigen Beamten, bei denen mit Rücksicht auf die Schwere ihres Dienstvergehens die Dienstentlassung ausgesprochen worden ist, einen Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung gewähren will. Ganz im Gegenteil! Wenn Sie den Gesetzentwurf genau durchlesen, werden sie feststellen, daß er in der Mehrzahl der Fälle jene Verfahren umfaßt, bei denen eben nicht auf Dienstentlassung erkannt worden ist. Nur ausnahmsweise kann, wenn die allgemeinen Voraussetzungen des Entwurfs gegeben sind, überprüft werden, ob nicht doch aus Billigkeitsgründen die Wiedereinstellung zweckmäßig oder geboten erscheint oder ob bei einem Ruhestandsbeamten die Zubilligung eines Unterhaltsbeitrags an Stelle des aberkannten Ruhegehalts gewährt werden kann.
Im übrigen aber wundere ich mich über den Gesinnungswechsel, der bei einem Teil des Hauses mit dem Wechsel der Jahreszeiten eingetreten ist.
Der Vertreter der Deutschen Partei hat sich heute mit aller Entschiedenheit gegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen. Aber sein Kollege Ewers hat im Dezember 1949 noch, als damals über das sogenannte eigentliche Straffreiheitsgesetz diskutiert wurde, ausgeführt:
Mir ist es sehr zweifelhaft, ob es richtig ist, Disziplinarvergehen, also Beamtenvergehen von der Amnestie völlig auszuschließen.
Wir haben hier berechtigte und außerordentlich warmherzige Dankeserklärungen gegen-
über unseren unbestechlichen Beamten gehört. Aber es ist auch den braven Beamten in der Vergangenheit in der einen oder anderen Beziehung nicht möglich gewesen, ihren Dienst immer so zu verrichten, wie es gefordert werden mußte. Daß man schlechthin gegenüber jeder kleinen Entgleisung eines Beamten keine Nachsicht üben will, daß man zu Ehren des Beamtenstandes überhaupt jedes kleinste Delikt, das mit irgendwelchen kleinen Strafen geahndet werden müßte, heute noch weiter verfolgen will, das bedaure ich.
Hoffentlich bedauert das der damalige Sprecher der Deutschen Partei auch heute noch.