Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller . 10 Minuten bitte!
Müller (KPD), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion hat nichts anderes erwartet als das, was in der eben durch den Herrn Minister Dr. Lukaschek abgegebenen Regierungserklärung zum Ausdruck kam, daß nämlich die in unserm Gesetzentwurf verlangte formelle Zuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit für die Umsiedler — also nicht nur die im Grundgesetz niedergelegte Gleichstellung — für die Regierung und für die im wesentlichen hinter ihr stehenden Parteien Veranlassung ist, politische Geschäfte mit der Verweigerung der Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit zu machen. Der Herr Bundesminister Dr. Lukaschek und wahrscheinlich auch mehrere Mitglieder dieses Hauses werden sich einer historischen Tatsache nur unangenehm erinnern, der nämlich, daß der frühere britische Ministerpräsident Churchill am 27. Oktober 1944 im englischen Unterhaus eine Rede gehalten hat, in der er sagte:
Es steht den Polen frei, ihr Gebiet auf Kosten Deutschlands nach Westen auszudehnen. Dabei müßte die Ausweisung der Deutschen — denn das ist es, was vorgeschlagen wurde: die Ausweisung sämtlicher Deutschen — aus den an Polen fallenden Gebieten im Westen und Norden vorgenommen werden.
Denn eine Ausweisung ist — soweit wir sehen konnten — die Methode, die am zufriedenstellendsten und ausdauerndsten sein wird. Es wird reiner Tisch gemacht werden.
So erklärte Herr Churchill wörtlich in dieser Rede, und er sagte weiter:
Ich fühle mich nicht alarmiert durch die Aussicht auf eine Loslösung von Bevölkerungen, auch nicht einmal durch diese großen Transferierungen, die unter modernen Verhältnissen eher möglich sind, als sie es jemals waren.
Diese Auffassung von Herrn Churchill, die seine Grundlage für die Vorschläge auf der Konferenz von Potsdam gewesen ist, fand ihren Niederschlag in Abschnitt XIII des Potsdamer Abkommens, in dem es wörtlich heißt:
Die Konferenz erzielte folgendes Abkommen über die Ausweisung Deutscher aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn: Die drei Regierungen haben die Frage unter allen Gesichtspunkten beraten und erkennen an, daß die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muß.
Mit diesem Tatbestand, der auf Grund des Potsdamer Abkommens eine Rechtsgrundlage,
eine verbindliche Rechtsgrundlage geschaffen hat,
ergab sich und mußte sich für uns zwangsläufig
ergeben, daß die Umsiedler nicht nur als Gleichberechtigte, sondern auch formell als deutsche
Staatsbürger anerkannt werden. Mit dieser Forderung, die bis heute nicht nur nicht verwirklicht worden ist, sondern deren Erfüllung nach der Regierungserklärung den umgesiedelten Volksdeutschen weiterhin vorenthalten werden soll, wird eine Diffamierung der Umsiedler herbeigeführt, und zwar nicht nur eine Diffamierung hinsichtlich ihrer staatsbürgerlichen Gleichberechtigung, sondern diese Diffamierung hat noch zur Folge, daß die aus diesen Ländern umgesiedelten Volksdeutschen in allen ihren Relationen des Lebens, des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.
Meine Damen und Herren! Ich erinnere an die Tatsache, daß sich die Auswirkungen dieser Diffamierung, des Vorenthaltens der Staatsbürgerschaft, mit einer ganzen Reihe von Beispielen belegen lassen. Während z. B. der Anteil der Umsiedler an der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland 15,9 % beträgt,
beträgt der Anteil der Umsiedler an den Arbeitslosen mindestens 36 %. In Westfalen sind 33,4 % aller Umsiedler Unterstützungsempfänger. 86 % der erwerbstätigen Umsiedler sind als Hilfs- oder Landarbeiter oder berufsfremd eingesetzt. Die Grundvoraussetzung der Anerkennung der deutschen Staatszugehörigkeit für die Umsiedler muß sich naturgemäß infolge dieser Diffamierung auf das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben der Umsiedler selber auswirken.
Lassen Sie mich noch eine andere Tatsache erwähnen! In Bayern sind von 1550 Lehrstühlen an Hochschulen und Universitäten nur 15 von Umsiedlern besetzt.
Von 100 Studenten in Bayern sind im Durchschnitt nur drei Umsiedler.
Wenn wir die Verteilung des Wohnraums auch noch für einen Vergleich heranziehen, sehen wir ebenfalls die Auswirkung der Diffamierung und Degradierung der Umsiedler zu Deutschen zweiter Klasse. Es genügt nur, darauf hinzuweisen, daß auf einen Wohnraum von 12 qm 1,9 Einheimische, da gegen 3,4 Umsiedler entfallen.
Ich hatte letzthin auch Gelegenheit, auf die unglaublich schlechte Lage der Umsiedlerbauern einzugehen. Rund 500 000 Umsiedlerbauern warten auf Grund und Boden. Durch diese Diffamierung und Degradierung zu Menschen zweiter Klasse sind sie bis heute kaum in der Lage, irgendwie Grund und Boden unter die Füße zu bekommen.
Die Mitglieder des Ausschusses wissen ja auch — und hier im Plenum ist ebenfalls wiederholt darüber gesprochen worden —, welcher Kampf urn die Anerkennung der Beamtenrechte, um die Durchsetzung des Anspruches auf Pensionen und Renten geführt werden muß und geführt wird. Das Entscheidende dabei ist immer, daß den Umsiedlern nicht nur die Gleichberechtigung in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung nach dem Grundgesetz formal zugesprochen wird, sondern daß sie auch de jure als deutsche Staatsangehörige anerkannt werden.
Zum Beweis der Richtigkeit dessen, was ich anführe, Herr Minister Lukaschek, möchte ich auf einen Erlaß der Landesregierung Schleswig-Holstein, Ministerium des Innern, vom 18. August 1949 hinweisen: Darin heißt es:
Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist
festzustellen, daß die hier näher bezeichneten
deutschen Volkszugehörigen — Flüchtlinge
oder Vertriebene — nicht deutsche Staatsangehörige geworden sind, vielmehr diesen lediglich insoweit in ihren Rechten und Pflichten
gleichgestellt werden, als das Grundgesetz den
Deutschen solche Rechte und Pflichten verleiht.
Der Experte für staatsrechtliche Fragen beim bayerischen Innenministerium, Dr. Kanein, hat in einem Gutachten, das sich die bayerische Staatsregierung zu eigen gemacht hat, erklärt, daß die Umsiedler nicht deutsche Staatsbürger seien; sie seien nur den deutschen Staatsbürgern gleichgestellt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß angesichts dieser Tatsachen die Erklärung der Regierung, die Herr Minister Dr. Lukaschek abgegeben hat, ein Faustschlag in das Gesicht der Umsiedler ist, die immer und immer wieder gefordert haben, nicht nur eine formale Gleichberechtigung in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung zu erhalten, sondern den Einheimischen effektiv als deutsche Staatsangehörige gleichgestellt zu werden.
Wir wissen, was hinter der Sache steckt. Es ist uns klar: Sie wollen damit ein politisches Geschäft machen. Sie brauchen die Umsiedler im Zuge der großen propagandistischen Vorbereitung, die seitens der Westmächte unter Mithilfe der westdeutschen Separatregierung in dem Kampf gegen den Osten, gegen die Sowjetunion, durchgeführt werden soll. Meine Damen und Herren, ich glaube, die Umsiedler werden es sich sehr wohl überlegen, ob sie sich dazu hergeben.
Ich darf hier noch auf folgendes hinweisen. Ich habe das schon einmal getan. Eine Delegation von Umsiedlern, die verschiedenen Parteirichtungen angehörten, ist vor kurzem in der Deutschen Demokratischen Republik gewesen und hat als Ergebnis ihrer eigenen Feststellungen in einem Bericht schriftlich niedergelegt, daß dort das Umsiedlerproblem nicht mehr vorhanden ist, daß dort die Umsiedler, ob es sich um die Umsiedlerbauern oder um die Umsiedlerjugend handelt, völlig gleichberechtigt mit den Einheimischen leben und an einem Aufbau teilnehmen; und während sie hier
immer tiefer ins Elend hinabstürzen, haben sie dort drüben eine neue Existenz gegründet und bauen an einer neuen, ihnen selbst zukommenden demokratischen Ordnung mit. Ich möchte nur wiederholen, was ich letzthin gesagt habe: es ist der Weg der Deutschen Demokratischen Republik, auf dem allein das Umsiedlerproblem gelöst werden kann.