Ich glaube, das Hohe Haus hat gewiß nichts dagegen einzuwenden, wenn vom Osten her eine Art von Teildemontage der kommunistischen Fraktion vorgenommen wird.
Ich möchte unseren sonst sehr geschätzten Kollegen
Renner vor dem gleichen Schicksal bewahrt wissen.
Ich verstehe seine Aufregung. Er ist dazu verpflichtet, sich aufzuregen.
Das ist ein ungeschriebenes Gesetz in der kommunnistischen Fraktion. Sie muß im gegebenen Moment, wenn es gerade mit der Linie übereinstimmt, sich entsprechend künstlich engagieren. Aber für uns hier im Parlament hat diese Sache des Abgeordneten Kurt Müller eine sehr ernste Seite. Es ist nämlich auch der Versuch einer Demontage des Bundestages in diesen Vorgängen zu erblicken.
Und dagegen haben wir uns kraft unseres Auftrages und nach dem Grundgesetz mit allen verfügbaren und zulässigen Mitteln zur Wehr zu setzen.
Es ist nicht so, verehrter Herr Kollege Renner, als ob hier ein Verfassungsbruch vorläge,
wenn, soweit eine wirklich rechtsgültige Mandatsniederlegung des Herrn Abgeordneten Kurt Müller nicht feststeht, der Nachfolger von uns nicht akzeptiert wird. Der Verfassungsbruch ist. vielmehr eher gegeben, wenn der Verdacht, wie er in aller Öffentlichkeit erhoben worden ist, gerechtfertigt ist.
— Von wem, das können Sie genau so gut lesen wie ich auch.
— Ach nein, lesen Sie doch bitte, Herr Kollege Renner! Natürlich, in Ihrer Presse steht etwas anderes; das ist ganz klar. Wenn und insoweit die öffentliche Meinung, auf die der Herr Abgeordnete Renner doch sonst so gern und so stark abhebt, den Verdacht äußert, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, dann haben wir die Verpflichtung, zu verhindern, daß dieser Verdacht ignoriert wird. Das hat auch der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität mit seinem Ihnen von dem Herrn Berichterstatter — dem ich hier für seine offenen Darlegungen danken möchte —
unterbreiteten Antrag getan.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch entgegen den Bemerkungen des Herrn Kollegen Renner, die er im Ausschuß gemacht hat, feststellen, daß das Verhalten des Herrn Bundestagspräsidenten in dem Fall des Abgeordneten Kurt Müller absolut seinen Pflichten entsprochen hat und absolut korrekt gewesen ist.
Nun, glaube ich, wäre es aber nützlich, wenn der Herr Abgeordnete Renner — er hat ja eine ihm zur Verfügung stehende Presse und auch sonstige Möglichkeiten — dem Bundestag einige Fragen beantworten wollte. Ich hoffe, daß er damit nicht zu sehr belastet wird.
In dem Gutachten des Schriftsachverständigen der Bonner Universität steht eine negative Feststellung, die positiv zu werten ist. Es steht nämlich darin, daß die Schreibmaschine, die für diese Erklärung verwendet worden ist, nicht mit den Maschinentypen von Briefen der kommunistischen Fraktion im Hause übereinstimmt. Aber die Erklärung ist in ihrer Adressierung „im Hause" datiert. Herr Kollege Renner, es wird Ihnen zweifellos gar keine Mühe machen, eine Vergleichsschrift beizubringen, die uns erlaubt, festzustellen, wo das „im Hause" ist. Es wird Ihnen auch nicht schwerfallen, nachzuweisen, w a n n diese Erklärung des Herrn Abgeordneten Kurt Müller in Tat und Wahrheit zustande gekommen ist. Es wird Ihnen vielleicht sogar möglich sein, dem Hohen Hause, das sich mächtig dafür interessiert, den Weg und das Datum der Reise des Herrn Abgeordneten Kurt Müller in den Ostsektor von Berlin nachzuweisen. Es wird Ihnen vielleicht auch möglich sein, auf Grund Ihres Einflusses dafür zu sorgen, daß das, was in dem Ausschußantrag, der dem Hohen Hause hier heute vorliegt, gesagt ist, zur selbstverständlichen Handlung wird, daß man dem Herrn Kollegen Müller noch einige Bewegungsfreiheit erlaubt, um ihm mindestens im Westsektor von Berlin eine Aussage zu ermöglichen, unter welchen Umständen diese Unterschrift überhaupt zustande gekommen ist. Wir
haben von dem Herrn Berichterstatter gehört, daß der Verdacht der Blankounterschrift vorliegt. Das soll bei der kommunistischen Fraktion auch in anderen Fragen schon zur lieben Gewohnheit geworden sein.
Das geht uns hier nichts an. Jedenfalls können aber Blankounterschriften unter Mandatsverzichten, die Monate vorher als Unterschrift zustande gekommen sind, einen rechtsgültigen Mandatsverzicht unter gar keinen Umständen begründen.
Wir haben nun von den Unfreiheiten im Bereich des Lebens der kommunistischen Fraktion gehört, von dem Postempfang durch einen Bevollmächtigten.
Hoffentlich sind keine Liebesbriefe für Abgeordnete dabei.
Wir haben von dem geschlossenen Diätenempfang auf Grund von Vollmachten für Abgeordnete gehört. Ich möchte dem Herrn Präsidenten empfehlen, dafür zu sorgen, daß die Diäten des noch im Amt befindlichen Herrn Abgeordneten Kurt Müller künftig bis auf weiteres gesperrt werde damit der
Mann, wenn er zurückkommt, wenigstens seine Familie ernähren kann, sofern er noch einmal das Licht der Freiheit erblicken sollte, und damit nicht die kommunistische Fraktion die ihr nicht zustehenden Diäten erhebt. Denn der Nachfolger kann ja noch nicht in das Haus eintreten.
Nun aber eine Bemerkung zu dem, was der Herr Kollege Renner hier in seiner kurzen Rede erklärt hat. Er sprach von dem Untertan und dem Untertanengeist, den er in dem Bericht des Herrn Berichterstatters erblickt. Ach, verehrter Herr Renner, ich glaube, da spielen Sie auf ein Gebiet an, bei dem wir hier mit Ihnen nicht in Idealkonkurrenz treten können und treten wollen. Die Fähigkeit, sich als Untertan zu gebärden und linienfromm und linientreu, heute Heu und morgen Stroh und „Rechtsum", „Linksum", „Kehrt marsch" zu machen, fehlt dem wirklichen Demokraten.
Herr Kollege Fisch weiß ja genau, wie man das macht.
Ich glaube, wir haben im Bundestag eine zwingende Verpflichtung und ein Recht darauf, dafür zu sorgen, daß sowohl die Arbeitsfähigkeit des Hohen Hauses als auch die Rechte und Pflichten der Abgeordneten gesichert werden.
Wenn wir angesichts der Tatsache, daß wir trotz des fortgesetzten europäischen Gesprächs noch keine Souveränität auch nur auf diesem bescheidenen Gebiet haben, an die Hohe Kommission herantreten müssen, so deshalb, weil wir uns die Unterstützung der Hohen Kommission sichern müssen, um zu erreichen, daß dem Herrn Abgeordneten Kurt Müller eine Erklärung auf freiem Boden und nicht gerade in Pieckistan ermöglicht wird. Ich hege Zweifel darüber, ob der gute Wille — der zweifellos bei dem Herrn Kollegen Renner vorausgesetzt werden darf — ausreichen wird, um das Ergebnis zu erzielen. Aber immerhin ist der Versuch die Mühe wert.
— Nein, nein, Sie haben gestern angedeutet, verehrter Herr Kollege Renner, das sei ein Agent und er habe sich strafbare Handlungen zuschulden kommen lassen. Frage: Wann und wo, auf welche Weise und in welcher Art hat der Herr Kurt Müller sich strafbare Handlungen — die in der Ostzone strafbar sind — zuschulden kommen lassen? Wenn es wirklich so wäre, wenn er, wie Sie in der Presse sagen, ein englischer Agent wäre, was geht denn das in bezug auf einen westdeutschen Abgeordneten die Regierung der Ostzone oder gar Moskau an?
Es ist merkwürdig, daß Sie in dem Moment der — was weiß ich — freiwilligen Reise oder Entfernung oder Entführung und der Verhaftung des Herrn Abgeordneten Kurt Müller plötzlich entdecken, daß er ein Mann ist, der strafbare Handlungen begangen hat. Bis dahin war er Ihnen als Kollege und Genosse lieb und wert; er hat Ihnen namhafte Dienste erwiesen, die Sie besser kennen als wir.
Wir haben jedenfalls ein Recht darauf, so zu verfahren, wie der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität Ihnen vorschlägt. Ich unterstütze deshalb den Antrag des Ausschusses namens der sozialdemokratischen Fraktion entschieden.