Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich begrüßen es außerordentlich, daß der Herr Berichterstatter dieses Problem aus einem einfachen Rechtsanspruch heraus zu einer Frage entwickelt hat, die uns alle und die ganze Welt aufs tiefste berührt, indem er die Auswertung dieser Archivbestände für die Herstellung eines genauen und wahrheitsgemäßen Überblicks über das tatsächliche Geschehen gefordert hat. Wir stimmen dem Antrag des Ausschusses in dieser Form ohne weiteres und uneingeschränkt zu.
Ich möchte dabei noch einen Hinweis geben. Das Bedenkliche in der gegenwärtigen Situation liegt nicht nur darin, daß irgendwelche illustrierte Zeitschriften, oder was es sein mag, mit etwas merkwürdigen Berichten und Bildern Geschäfte machen. Das Gefährliche der gegenwärtigen Situation liegt vielmehr darin, daß nicht geringe Teile unseres Volkes bereits wieder auf dem Wege sind, sich ein ganz falsches und sehr gefährliches Bild von den Ereignissen der letzten 16 bis 17 Jahre zu machen.
Es ist wohl notwendig, daß sich die ausländischen Regierungen, die sich im Besitz der Archivbestände befinden, darüber klar werden. daß die Zurückhaltung dieser Bestände der Bildung solcher falschen und gefährlichen Vorstellungen Vorschub leistet
und daß sie nichts Besseres tun könnten, als diese Archivbestände auch einer deutschen sachgemäßen wissenschaftlichen und objektiven Auswertung zuzuleiten.
Ich bin nicht der Meinung von Herrn Renner — natürlich nicht! —, daß die Wissenschaftler Deutschlands und das deutsche Volk überhaupt, soweit es in der Lage ist, selbständig zu denken und seine Meinung selbständig zu äußern, heute die Voraussetzungen für eine objektive Prüfung nicht erfüllten. Wir dürfen doch wohl für uns als Volk in Anspruch nehmen, daß wir, jedenfalls zum überwiegenden Teil, aus den Ereignissen der vergangenen Zeit so viel gelernt haben, daß wir diese Dinge sehr nüchtern sehen und nicht in die Versuchung kommen, irgendwelche nationalistische Verfärbungen oder Umfälschungen vorzunehmen. Dazu brauchen wir aber diese Archive, und ich glaube, es wäre höchst erwünscht, wenn die Alliierte Hohe Kommission ihren Regierungen diese Gesichtspunkte übermitteln würde.
Wir beantragen, den Antrag, den der Herr Abgeordnete Renner für die Kommunistische Partei gestellt hat, abzulehnen. Daß der Herr Abgeordnete Renner nicht der Auffassung sein darf, daß die Bundesrepublik Deutschland heute die Funktionen des deutschen Kernlandes legitim wahrnimmt, wissen wir; das brauchte nicht durch diesen Antrag bestätigt zu werden. Wir haben die Absicht, die Bestimmungen unserer Verfassung ernst zu nehmen und entsprechend zu handeln. Wir haben die Absicht, sie auch insofern wahrzunehmen, als wir der Auffassung sind, daß die Bundesrepublik entsprechend ihrem Grundgesetz heute die einzige Stelle ist, die berechtigterweise das ehemalige Reichsvermögen für sich in Anspruch nehmen kann.
Der Vorschlag, eine gemischte Treuhandkommission einzusetzen, würde nur dann erwägenswert sein, wenn wir glauben könnten, daß die sogenannte Deutsche Demokratische Republik auch nur für einen Teil Deutschlands eine unabhängige und rechtmäßige Vertretung sei. Das haben wir zu bestreiten und bestreiten wir mit aller Energie. Wir bestreiten auch, daß es die Möglichkeit geben könnte, unter der Herrschaft der Deutschen Demokratischen Republik objektive wissenschaftliche Forschung zu betreiben. Mir ist nicht bekannt, daß Historiker drüben diese Arbeit aufgegriffen haben. Aber wenn ich mir etwa die Konstruktion des Sicherheitswesens dieser Deutschen Demokratischen Republik und die darin beschäftigten Männer an-
sehe, dann habe ich nicht den Eindruck, daß sie sich sachlich und personell von dem, was einst gewesen ist, sehr wesentlich unterscheiden. Ich glaube, daß es hinsichtlich der historischen Forschung nicht anders ist.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch folgendes sagen. Der Herr Berichterstatter hat sehr sorgfältig dargetan, wo sich die Archivbestände befinden. Es ist der Gesichtspunkt vertreten worden, daß die Archivbestände nach internationaler Auffassung zu dem Gebiet gehören, dem sie sachlich verbunden sind. Wir haben mit Bedauern zur Kenntnis genommen, daß die Alliierte Hohe Kommission durch das am 17. Februar 1950 in ihrem Amtsblatt veröffentlichte Gesetz Nr. 20 zur Änderung der Verordnung Nr. 184 der britischen Militärregierung angeordnet hat, daß die deutschen Behörden den belgischen bzw. niederländischen Behörden alle Archive und Urkunden verwaltungsmäßiger Art auszuliefern haben, welche die überwiesenen Gebiete betreffen. Wir haben bisher die Auffassung vertreten, daß die Auslieferung von Beständen östlicher Staatsarchive an Polen nicht dem in der ganzen Welt vertretenen
Standspunkt entspricht und daß die Auslieferungen von
Archiven aus Gebieten, die nicht durch einen Friedensvertrag oder sonstwie rechtmäßig an Polen abgetreten sind, rechtswidrig ist. Wir bedauern, daß die Vertretung unseres Rechtsstandpunktes durch dieses Gesetz der Alliierten Hohen Kommission nicht gefördert wird, weil hier angeordnet wird, daß Archivbestände für Gebiete, die jedenfalls vor Abschluß eines Friedensvertrages nicht aus der deutschen Staatsangehörigkeit gelöst sind, ausgeliefert werden. Ich beantrage daher, der Ziffer 1 des Antrages des Ausschusses den Satzteil hinzuzufügen: „und die Wegbringung weiterer Archivbestände verhindert wird".