Rede von
Wilhelm
Mellies
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion stand in der 40. Sitzung des Hohen Hauses am 23. Februar zum erstenmal zur Debatte. In dieser Debatte hat auch der Herr Minister Kaiser das Wort ergriffen, und ich bitte den Herrn Präsidenten, mir zu gestatten, aus dem Schlußteil der Rede des Herrn Ministers vier Sätze vorzulesen. Der Herr Minister hat damals ausgeführt:
Es kommen hier insbesondere Bundesbehörden aus dem Zuständigkeitsbereich des Justiz-, des Finanz- und des Arbeitsministeriums in Betracht, und ich darf hierzu gleich bemerken, daß ich persönlich der Auffassung bin, daß nicht nur das Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung und andere Behörden, die hier aufgeführt sind, nach Berlin gehören, sondern auch noch andere Behörden, und ich insbesondere werde mit Nachdruck dafür eintreten. Nur gebe ich, meine Damen und Herren, noch einmal dem sehr dringenden Wunsche Ausdruck, daß wir uns in dieser ganzen Angelegenheit herüber und hinüber mit größerem Vertrauen begegnen. Wir gestehen dabei der Opposition ganz selbstverständlich durchaus das Recht immer neuer Mahnung und immer neuen Antriebs zu. Nur sollte diese ihre Tätigkeit nicht von erkennbarem Mißtrauen getragen sein.
So sagte der Herr Minister in der 40. Sitzung des Bundestages. Ich glaube, meine Damen und Herren, wenn der Herr Minister heute Rückschau hält, dann wird er angesichts des Ergebnisses, das bis heute vorliegt, im stillen — denn öffentlich darf er es ja nicht tun — der sozialdemokratischen Fraktion recht geben, daß ein gewisses Mißtrauen hier durchaus berechtigt war.
Als in einer der ersten Sitzungen des Berlin-Ausschusses im Herbst vorigen Jahres über diese Frage gesprochen wurde, da hat ein Referent des Ministeriums ausgeführt, die Einwände gegen die Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin nähmen ungeheuer zu, und die Akten darüber häuften sich schon in den Ministerien. Gegenwärtig scheint der Zustand sogar so zu sein, daß man sich nicht nur auf derartige schriftliche Vorstellungen beschränkt, sondern daß sich in den Ministerien ganz offen Fronten gegen die Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin bilden. Der Herr Justizminister kam in Berlin in eine Gehr unangenehme Lage, als er darauf hinweisen mußte, daß er hinsichtlich des Verbleibs der Warenzeichenabteilung des Patentamtes in Berlin gegen die gesamte Front seines Ministeriums stände.
Dabei verwies er dann auch darauf, daß leider der
Patentrechtsausschuß des Bundestags in dieser
Frage einmütig den Beschluß gefaßt hätte, daß die Warenzeichenabteilung beim Patentamt in München bleiben solle. Ich habe nach der Rückkehr aus Berlin sofort mit den Abgeordneten, die dem Patent-rechtsausschuß angehören, Rücksprache genommen und dabei eine interessante Tatsache erfahren. Als dieser Punkt im Patentrechtsausschuß zur Beratung stand, war nicht der Herr Justizminister, sondern Herr Staatssekretär Strauß als Vertreter des Ministers anwesend. Herr Staatssekretär Strauß, der dort den Standpunkt vertrat, daß die Warenzeichenabteilung in München bleiben müßte, hat den Ausschuß mit keinem Wort davon unterrichtet, daß der Herr Justizminister selber eine völlig andere Auffassung vertrete.
Meine Damen und Herren! Wir berühren hier einen Punkt, der außerordentlich ernst ist. Wir erleben ja auch gelegentlich in den Ausschüssen, daß hohe Beamte aus den Ministerien versuchen, ihre Meinung auch dann durchzudrücken, wenn sie sich nicht mit der Meinung des Ministers deckt. Im Frankfurter Wirtschaftsrat ist es bei diesen Dingen häufig zu sehr schweren Zusammenstößen gekommen. Zwar hat der damalige Verwaltungsrat auch versucht, diese Zustände zu unterbinden, aber wir mußten leider feststellen, daß das nicht möglich war. Wir hoffen jedoch, daß das Bundeskabinett derartige Zustände für die Dauer unmöglich machen wird; denn wir haben alle Veranlassung hier den Anfängen zu wehren. Selbstverständlich — und das möchte ich ausdrücklich bei dieser Gelegenheit betonen — ist es Aufgabe der Beamten in den Ministerien, alle Dinge sorgfältig nach der sachlichen Seite zu prüfen und dem Minister entsprechend Vortrag darüber zu halten. Wenn aber der Minister dann eine Entscheidung gefällt hat, ist es Aufgabe der Beamten, diese Entscheidung vor dem Parlament und vor den Ausschüssen des Parlaments zu vertreten.
Es kann nicht in Frage kommen, daß die Herren dann noch versuchen, hier ihre eigene Meinung durchzudrücken; denn wir würden ja zu merkwürdigen Zuständen kommen, wenn man demnächst in den Ausschußverhandlungen immer erst fragen müßte: Vertritt nun der Referent des Ministeriums seine eigene Meinung, oder ist es die Ansicht des Ministers, die er hier vertritt? Wenn einzelne Herren sich nicht daran gewöhnen können, dann müßte ihnen allerdings klargemacht werden, daß in der Verwaltung der Demokratie kein Platz für sie ist.
Meine Damen und Herren, wenn wir hier nicht den Anfängen wehren, könnten wir sehr schnell erleben, daß wir aus dem nationalsozialistischen Führungsstaat in den Führungsstaat der Bürokratie kämen.
Die Verlegung einer Behörde nach Berlin kann natürlich aus sachlichen Gründen sehr umstritten sein. Aber, Herr Minister, ich glaube, es ist erforderlich, auch in diesen Fällen zu einer klaren Entscheidung zu kommen, wenn die politische Notwendigkeit dafür besteht. Denn es ist schon besser, eine umstrittene Entscheidung zu fällen, als in den politischen Dingen etwas zu versäumen. Umstrittene Entscheidungen kann man später immer wieder korrigieren, wenn es erforderlich ist; politische Versäumnisse kann man aber niemals wieder einholen.
Wir sind uns darüber klar, daß auch starke politische Kräfte gegen die Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin sind. Sie treten mit ihrer Meinung zum sehr großen Teil nicht offen hervor, denn sie wissen natürlich ganz genau, daß sie in der deutschen Bevölkerung mit ihrer Haltung sehr wenig Verständnis finden würden, ja daß sie einen großen Entrüstungssturm hervorrufen würden. Desto eifriger sind sie aber zum Teil offenbar hinter den Kulissen tätig. Diesen politischen Kräften soll gesagt sein, daß mit der Entscheidung über Berlin gleichzeitig auch die Entscheidung über Deutschland, ja sehr wahrscheinlich über Europa fällt.
Alle ihre kleinen Pläne und Plänchen, die sie in ihrer politischen Konzeption vielleicht machen, würden über Nacht wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, wenn die Berlin-Frage nicht im deutschen Sinne geregelt werden könnte.
Der Herr Minister hat in der letzten Zeit wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß in dieser Frage endlich einmal Schluß gemacht werden müßte und daß eine Beruhigung eintreten sollte. Der Schluß kann kommen, Herr Minister, wenn das erreicht ist, was notwendig ist, wenn nämlich eine Reihe repräsentativer Bundesbehörden nach Berlin verlegt ist.
Sie haben darauf hingewiesen, daß das Bundesverwaltungsgericht jetzt in Berlin tätig sein soll. Wir sind allerdings der Auffassung, daß das Bundesverwaltungsgericht nicht die einzige repräsentative Behörde sein kann und sein darf, die nach dort verlegt wird, so sehr wir auch die Bedeutung der Verlegung des Bundesverwaltungsgerichts nach Berlin zu schätzen wissen.
Der Herr Berichterstatter hat ja auch zum Ausdruck gebracht, daß der Berlin-Ausschuß die bisher getroffenen Entscheidungen als verheißungsvollen Anfang ansieht. Der Herr Minister hat dann vorhin ausgeführt, die Bundesregierung sei sich darin einig, daß diese Maßnahmen keinen Abschluß bedeuteten. Meine Damen und Herren, in diesen Formulierungen liegt doch ein sehr bedeutsamer Unterschied.
Ich möchte Ihnen sagen, Herr Minister, daß wir den Anfang und nicht den Abschluß sehen.
Namens meiner Fraktion möchte ich Ihnen ganz offen erklären: eine Beruhigung in dieser Frage kann erst dann eintreten, wenn das von uns aufgezeigte Ziel erreicht ist. Ich möchte hinzufügen: diese Beruhigung darf im Interesse Deutschlands und im Interesse Europas auch nicht eher eintreten. Es wird Aufgabe der Bundesregierung sein, die weiteren Beschlüsse zu fassen und für ihre Durchführung zu sorgen.
Der Herr Berichterstatter hat schon mit Nachdruck betont, daß auch der Berlin-Ausschuß der Auffassung ist, daß es sich hier um eine politische Aufgabe handelt. Wir müssen die Bundesregierung bitten, bei ihren Entschließungen immer zu beachten, daß es bei diesen Entscheidungen nicht nur um Berlin geht — übertreibend, Herr Minister, möchte ich sogar sagen. daß es nicht einmal in erster Linie um Berlin geht —, sondern daß es sich in erster Linie darum handelt, durch diese Maßnahmen dem deutschen Volk und der Welt zu zeigen, daß vom Bundesparlament und von der Bundesregierung alles geschieht, um ein einiges Deutschland mit der Hauptstadt Berlin möglichst schnell zu schaffen.