Rede von
Jakob
Kaiser
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung weiß es voll und ganz zu würdigen, daß der Berlin-Ausschuß dem Bundestag den in Drucksache Nr. 825 enhaltenen Bericht zur Beschlußfassung vorgelegt hat. Die Bundesregierung ist mit dem Berlin-Ausschuß darin einig, daß die bisherigen Maßnahmen in bezug auf die Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin keinen Abschluß bedeuten. Bei der Vervollständigung des Aufbaues von Bundesbehörden soll und wird stets gewissenhaft geprüft werden, welche Möglichkeiten bestehen, weitere Bundesbehörden in Berlin zu errichten. bzw. nach Berlin zu verlegen.
Ich brauche persönlich kaum noch einmal zu betonen, meine Damen und Herren, welche politische Bedeutung die Bundesregierung dieser ganzen Frage beimißt. Das geht schon aus dem Kabinettsbeschluß vom 24. März hervor, den der Herr Berichterstatter eben erwähnte. In diesem Beschluß wurde eindeutig und für die Regierung verpflichtend zum Ausdruck gebracht, daß zeitbedingte Erschwerungen des Verkehrs niemals als Hindernis für die Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin angesehen werden können und dürfen. Dieser Grundsatz, meine Damen und Herren, gilt selbstverständlich auch weiterhin.
Wenn von allen Seiten des Hauses immer wieder auf beschleunigte Entscheidung über die Verlegung weiterer Dienststellen und weiterer Bundesbehörden nach Berlin gedrängt wird, so darf dabei —
und diese Bitte möchte ich an das Hohe Haus richten — das eine nicht übersehen werden: In vielen Bereichen der Bundesverwaltung kann über den Sitz der Behörden erst dann verhandelt werden, wenn die Entscheidung über Art und Aufbau dieser Bundesverwaltungen gefallen ist. Die Bundesregierung weiß, daß die Liste der Dienststellen bzw. Bundesbehörden, die nach dem Kabinettsbeschluß vom 24. März ihren Sitz in Berlin haben sollen und haben werden, viele Wünsche und Erwartungen insbesondere der Bevölkerung von Berlin unerfüllt gelassen hat.
Aber, meine Damen und Herren, es wäre auf der anderen Seite ungerecht, zumindest nicht ganz gerecht, die schon ergangenen Entscheidungen in ihrer Bedeutung allzusehr zu verkleinern. Ich glaube, es ist für die so dringliche und so wichtige harmonische Zusammenarbeit und für die Verbindung zwischen Berlin und Bonn von großer Bedeutung, daß inzwischen nicht nur der Bevollmächtigte der Bundesrepublik in Berlin wirkt, sondern daß auch schon Vertreter von sieben Bundesministerien in Berlin amtieren und — das kann ich ausdrücklich versichern — weitere in Kürze folgen werden.
Im übrigen hat — und das darf ich in dieser Stunde zum Ausdruck bringen — die Bundesregierung mit wirklicher Genugtuung die schöne und sinnvolle Geste verzeichnet, die anläßlich des Besuches des Bundeskanzlers in Berlin und der Einweihung des Bundeshauses gemacht wurde, indem Magistrat und Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin einstimmig die Kaiserallee, in der das Bundeshaus liegt, in „Bundesallee" umbenannt haben. Ich nicht zuletzt habe mich darüber aufrichtig gefreut, auch wenn dadurch, wie das so nett und so neckisch in Berlin bemerkt worden ist, mein Name etwas geschmälert wurde.
Meine Damen und Herren, ich brauche wohl nicht im einzelnen auf die sachliche und personelle Bedeutung der einzelnen Bundesdienststellen und Bundesbehörden einzugehen, die in dem Kabinettsbeschluß vom 24. März aufgeführt sind. Lassen Sie mich von den Behörden, die bisher in Berlin zur Wirkung gekommen sind, nur eine hervorheben, und zwar das Bundesverwaltungsgericht. Mit der Entscheidung über den Sitz des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin ist die Verbundenheit der Bundesrepublik mit Berlin in ganz besonderer und in politisch bedeutsamer Weise zum Ausdruck gebracht worden. Das Bundesverwaltungsgericht übt hoheitliche Funktionen aus, die den rechtsstaatlichen Charakter unserer Bundesrepublik eindeutig widerspiegeln. Die Tatsache, daß in der Bundesrepublik jeder Verwaltungsakt durch unabhängige Gerichte nachgeprüft zu werden vermag, wird durch das Bundesverwaltungsgericht auf Berliner Boden demonstriert. Das ist eine Demonstration, meine Damen und Herren, die der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik den Unterschied zwischen einer freien Demokratie und einer Zwangsherrschaft klar vor Augen
führt.
Daß bei weiteren Entscheidungen über den Sitz von Bundesbehörden das Für und Wider jeweils genau abgewogen werden muß, versteht sich von selbst. Ich bitte aber den Bundestag, von einem überzeugt zu bleiben: die Bundesregierung wird sich bei jeder einschlägigen Entscheidung heute wie morgen der politischen Bedeutung der Stadt
Berlin bewußt sein. Die Bundesregierung und wir
alle miteinander wissen, was wir der Stadt Berlin
schuldig sind. Wir wissen es mehr noch, meine
Damen und Herren, nach dem einfach bewegenden
Beispiel, das die tapfere Bevölkerung dieser so
hart bedrängten, auf so exponiertem Posten stehenden und wirkenden Stadt am 1. Mai durch
ihre geradezu überwältigende Freiheitskundgebung unserer ganzen deutschen Nation gegeben hat.