Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Der Herr Abgeordnete Löbe hat im Namen der Fraktionen eine Erklärung vorgelegt, von der er eingangs erwähnte, daß sie ohne Beteiligung der kommunistischen Fraktion zustande gekommen sei. Ich stelle dazu fest, daß die kommunistische Fraktion vorher überhaupt nicht gefragt worden ist, ob sie sich an einer derartigen Erklärung beteiligen will und wie sie sich zu einer derartigen Erklärung stellt. Der Herr Abgeordnete Löbe ist offensichtlich von der Erkenntnis ausgegangen, daß man unsere Fraktion nicht dazu benutzen kann, um sich als Instrument einer noch über den Rahmen des bisher Üblichen hinausgehenden Hetze gegen die Sowjetunion mißbrauchen zu lassen. Wenn das seine Erkenntnis war — und ich traue ihm soviel politische Erkenntnis zu —, dann hat er sich tatsächlich nicht geirrt.
Wir haben am 27. Januar einen Auftakt zu der heutigen Erklärung erlebt. Im übrigen möchte ich vorausschicken, um das ja nicht zu vergessen, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers sich in etwa von dem Inhalt Ihrer gemeinschaftlichen Erklärung dadurch unterscheidet, daß der Herr Bundeskanzler heute zum ersten Mal die Sowjetunion direkt angesprochen und sie direkt ersucht hat, gewisse Auskünfte zu geben. Er hat sich dabei eines Tones bedient, der normalerweise unter Regierungen nicht gerade üblich ist; aber das ist sein Privatvergnügen.
Sie, Herr Kollege Löbe, haben sich in Ihrer Resolution ausschließlich an die alten Instanzen gewendet, an die bisher auch solche Appelle gerichtet worden sind, an die UNO, an die „Demokratie" usw., an die „Menschlichkeit" und an all diese Begriffe, die so schwer zu fassen und so schlecht auf einen einheitlichen Nenner zu bringen sind.
Der Herr Bundeskanzler hat sich hier hingestellt und die Richtigkeit der TASS-Meldung bezweifelt. Ich kenne diese TASS-Meldung aus der „Welt". Er hat gesagt: sie entspricht keinesfalls — so wörtlich — den Tatsachen. Lr bezweifelt also die Richtigkeit der in dieser Meldung enthaltenen Zahlen. Er sagt, daß zwischen den offiziellen Meldungen in der Periode von 1947 bis 1950, hinter denen offizielle sowjetrussische Regierungsstellen stehen, kein Zahlenunterschied besteht. Er geht dann auf eine TASS-Meldung aus dem Jahre 1945 zurück, die bekanntlich — das sollten Sie, Herr Kollege Löbe, wissen, der Sie die bittere Aufgabe übernommen haben, hier die Gesamtheit der Fraktionen zu verkörpern, die hinter Ihrer Resolution stehen — schon seit Jahr und Tag von offizieller sowjetrussischer Stelle als falsch bezeichnet worden ist. Hier wird wieder einmal mehr ein Spiel mit Zahlen getrieben. Hier wird mit Zahlen operiert, die keine Spur von innerer Wahrhaftigkeit tragen. Uns wird zugemutet, daß wir diese Zahlen als glaubwürdigere Zahlen als die offiziellen Zahlen der Sowjetunion anerkennen. Zahlen! Noch den Wahlkampf im Jahre 1947 hat die CDU mit einem großen Plakat bestritten, auf dem zu lesen war: 7 Millionen Kriegsgefangene werden in der Sowjetunion zurückgehalten. Das war die Überschrift.
Ich will nun nicht den ganzen Prozess enthüllen, den dieses Zahlenspiel in der Periode von 1947 bis 1950 hier durchgemacht hat. Ich halte mich an amtliche Zahlen der Deutschen Bundesrepublik. Vor mir liegt ein Schreiben des Bundesministers für Arbeit an den Vorsitzenden des Ausschusses des Bundestags für Kriegsopfer und Kriegsgefangene, den Herrn Bundestagsabgeordneten Leddin, vom 1. Dezember 1949. Diesem Schreiben ist eine Originalaufstellung beigegeben. Aus dieser Aufstellung ergibt sich, daß die verschiedenen zuständigen Länderminister der Länder der Bundesrepublik am 1. September 1949 noch die Rückkehr von 244 500 Heimkehrern erwartet haben. Es ist interessant, nachzulesen, wie in dem Schreiben vom 1. Dezember 1949 der Herr Bundesarbeitsminister das Dilemma zwischen den verschiedenen in der Öffentlichkeit herumschwirrenden Zahlen zu klären sucht. Er sagt in dem Schreiben:
Die Schätzungen der Länder liegen wesentlich niedriger als die Schätzungen des Statistischen Amtes des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und der Arbeitsgemeinschaft für Kriegsgefangenenfragen in Frankfurt. Die Länder sind bei den Schätzungen offenbar von den Auskünften ausgegangen, die Heimkehrer über die Kriegsgefangenenlager in Rußland und ihre Belegung gegeben haben, während das Statistische Amt bei seinen Schätzungen offenbar auch allgemeine Überlegungen berücksichtigt hat.
Was waren das für „allgemeine Überlegungen"? Das
warenÜberlegungen, die aus Ihren propagandistischen Bedürfnissen einer verstärkten Hetze gegen
die Sowjetunion resultieren. So liegen die Dinge.
Dann haben wir am 27. Januar 1950 die Debatte hier im Hause erlebt, und zwar im Anschluß an einen Antrag meiner Fraktion, in dem die Bundesregierung ersucht wurde, von der Hohen Kommission die Herausgabe der Totenlisten zu fordern. Der Herr Bundeskanzler -hat damals gesagt, daß sich ein Teil der Akten — und zwar nannte er damals 100 000, wenn ich mich nicht irre; ich will mich aber auf die Zahl nicht festbeißen — in russischer Verwahrung befinde. Heute sagt er: Das Großteil dieses Materials befindet sich in den Händen der Russen, die es nicht herausgeben. Wir haben damals am 27. Januar 1950 gesagt, daß das gesamte Material sich seit Jahr und Tag in der Hand der westlichen alliierten Dienststellen befindet. Vor mir liegt die Fotokopie eines Schreibens, das der Hohe Kom-
missar der Vereinigten Staaten für Deutschland am 15. März dieses Jahres an einen Herrn Fritz Fehrmann in Langen-Hessen gerichtet hat. Dieses Schreiben, das ich hier mit einer notariellen Beglaubigung über die Richtigkeit des Inhalts vorzuzeigen in der Lage bin, hat, ins Deutsche übersetzt, folgenden Inhalt:
Sehr geehrter Herr Fehrmann!
Herr McCloy hat mich gebeten, Ihnen auf Ihr Auskunftsersuchen über ehemalige deutsche Soldaten zu antworten, die- als vermißt gemeldet worden sind. Obwohl Herr McCloy dem Wunsche von Millionen Deutscher Verstandnis entgegenbringt, die nahere Auskunft über ihre Vater, Brüder und Söhne erlangen wollen, muß er Ihnen mitteilen, daß solche Listen, wie Sie sie erwähnen, schon lange in die Zuständigkeit der deutschen Bundesregierung übergegangen sind.
Am besten können Sie in dieser Angelegenheit von Ihrer Bundesregierung Auskunft erhalten. Sie sollten Anfragen über ehemalige deutsche Soldaten, die in militärischen Organisationen wie der französischen Fremdenlegion dienen, an die Regierungen der betreffenden Länder richten.
Also ein Hinweis darauf, daß die Zahlen über die in der Fremdenlegion gefallenen deutschen Fremdenlegionare nicht an unsere Bundesregierung gemeldet werden, sondern daß sie über die zuständigen Landesstellen zu erfahren sind, in diesem Fall über die zuständige französische Militärstelle in Berlin. Ich habe am 27. Januar 1950 hier ausgesprochen, daß diese französische Dienststelle in Berlin Verluste, die heute innerhalb der Fremdenlegion im Kampf in Indochina, in Vietnam vorkommen, als deutsche Kriegsverluste meldet, daß diese also die Fiktion aufrechterhält, als seien die heute Verstorbenen im Zuge des zweiten Weltkrieges verstorben.
Aber, Herr Konrad Adenauer, hier in dem Brief steht noch etwas mehr. Hier steht noch, daß Sie dieses Material in die Hand bekommen haben. — Er wußte von der Frage, die kommt. Er hat es vorgezogen, sich der Beantwortung der Frage zu entziehen. Sie war ihm angekündigt. Dieser Brief ist von uns in der Presse veröffentlicht worden, und ich habe dafür gesorgt, daß er vorher erfährt, daß ich heute diesen Brief hier auswerten werde, um zu beweisen, daß sich dieses Material über die Gefallenen seit Jahr und Tag im Besitze sogar unserer eigenen Bundesregierung befindet.
Ich gehe einen Schritt weiter. Vor einigen Wochen haben wir auf Betreiben der Bundesregierung und mit Billigung der Mehrheit des Bundestages hier die Durchführung von statistischen Erhebungen über die Zahl der von ihren Angehörigen noch als vermißt betrachteten ehemaligen Kriegsteilnehmer erlebt. Bei dieser Erhebung hat sich nach einer Meldung in der „Neuen Zeitung", in diesem deutsch-amerikanischen Organ, ergeben, daß 114 000 Kriegsgefangene noch von ihren eigenen Angehörigen als vermißt angesehen werden. Diese Zahl wurde nun nachher entsprechend umfrisiert. Man rechnete zu diesem Ergebnis, das auf Rückfragen der Angehörigen zurückgeht, kühl und kalt die 1,5 Millionen Gefallener hinzu, deren Tod nachgewiesen werden könnte, wenn die Alliierten bzw. die Bundesregierung dieses Material herausgäben.
Wo sind die Verlustlisten, Herr Konrad Adenauer, die nach einem Schreiben von McCloy in Ihre Kompetenz übergegangen sind?
Sie haben hier in diesem Hause am 27. Januar ausgesprochen:
Lassen Sie mich weiter ein Wort an die gesamte Weltöffentlichkeit richten. Hier handelt es sich um solche Vergehen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, daß die gesamte Öffentlichkeit sich dagegen empören muß.
Und die Öffentlichkeit, wenigstens in diesem Hause hier, hat sich empört. Die Fraktionen sind von ihren Plätzen aufgestanden, nachdem sie eine gemeinschaftliche Resulution, wie auch heute, zur Verlesung und zur Annahme gebracht haben.
Aber, meine Herren, in der Zwischenzeit haben wir in diesem Hause auch noch etwas anderes erlebt, nämlich den Kampf um eine ausreichende und gerechte Versorgung der Kriegsopfer. Da haben Sie bisher restlos versagt. Wir haben den Kampf um die Regelung der Bezüge der Heimkehrer erlebt. Darf ich Sie daran erinnern, wie hier vor einigen Tagen gestritten worden ist um die Formulierung „bis zu 250 DM Übergangshilfe"? Darf ich Sie daran erinnern, daß mit der Zustimmung der gesamten Mehrheit des Hauses, außer unserer Fraktion, die Hergabe dieser 250 DM Übergangshilfe vom Vorliegen der Bedürftigkeit abhängig gemacht worden ist?
So erklärt sich der Zustand, so erklärt sich auch unsere Behauptung, will ich sagen, daß Ihnen dieser sogenannte, von Ihnen scheinbar ehrlich geführte Kampf um die Herausgabe und die Freilassung der nach Ihrer Version noch in russischer Gefangenschaft befindlichen Kriegsgefangenen nichts anderes ist als ein Instrument der Hetze gegen die Sowjetunion.
Ich komme zum Schluß. Wir haben vor einigen Wochen erfahren, daß der Kampf gegen die Sowjetunion, damit also der Kampf gegen die Kräfte des Friedens einen neuen Auftrieb erhalten soll. Herr Truman hat die „Wahrheitskampagne" eingeleitet. Alle Dreckschleudern in der gesamten Welt sind mit neuem Material versorgt worden, um diese Hetze systematisch zu steigern. Unser Vizekanzler, Herr Blücher, hat in dasselbe Horn hineingetutet. Auch er hat zur Eröffnung dieser Kampagne der Wahrheit gegen die Sowjetunion aufgerufen.
Warum das? Sie wissen ganz genau, daß unser deutsches Volk den Frieden will. Sie wissen ganz genau, daß unser deutsches Volk es ablehnt, daß von Regierungsstellen und von Parteien die Hetze gegen die Sowjetunion weiter getrieben und verstärkt wird. Sie haben erfahren, wie das Volk über die Aktion der Unterschriftensammlung für den Frieden denkt. Ihnen wird bange vor den in Westdeutschland wachsenden Kräften des Friedens und darum müssen Sie alle Kanäle aufmachen, um eine verstärkte Hetze gegen die Sowjetunion durchzuführen. Das ist auch der Zweck, der hinter dieser heutigen Aktion steht. Es kommt Ihnen darauf an, mit psychologischen Mitteln Widerstand gegen die in Westdeutschland wachsenden Kräfte zu schaffen, die den Frieden wollen. Sie müssen diesen Kampf führen, weil Ihr politisches Tun und Arbeiten und Wirken darauf hinausläuft, die Jugend Westdeutschlands in den vom USA-Monopolkapital gewollten und systematisch vorbereiteten neuen Krieg einzuschalten.
Sie wollen diese Hetze, — —