Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte, ich könnte als
Landwirtschaftsminister so herzhaft und so langandauernd lachen, wie die Mitglieder des Hohen Hauses es eben getan haben. In Wirklichkeit verdüstern sich jetzt meine Züge, wenn ich daran denke — und verschiedene der Herren Vorredner haben mit Recht darauf hingewiesen —, daß die Lage der Landwirtschaft sich in der letzten Zeit doch sehr erheblich verschlechtert hat.
Gestatten Sie mir ein ganz offenes Wort. Wie ist die Einstellung breiter Schichten zur Landwirtschaft? Wenn ich so draußen herumkomme, höre ich — ich darf es einmal ganz trivial ausdrücken —: „Was wollt ihr denn? Ihr habt im Kriege kein Taschentuch verloren!
Ihr habt dann ungeheure Verdienstmöglichkeiten gehabt. Über euch ist die zweite Währungsreform hinweggegangen, wie es immer der Fall ist. Inflationen berühren Ziegelsteine und Scholle nicht. Also. was wollt ihr denn? Ihr seid ja im siebenten Himmel!"
Ich könnte jetzt lange und längste Ausführungen machen, um nachzuweisen, wie oberflächlich diese Einstellung ist. Es sind heute viele Ziffern genannt worden. Ich hoffe, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß ich sehr bald Gelegenheit habe, in einer wirklichen Agrardebatte eine Fernphotographie von dem derzeitigen Zustand der Landwirtschaft und die dazugehörenden Zahlen zu liefern. Nach dem Tage X war die Situation doch ganz klar die: Freiheit für sämtliche übrigen Teile der deutschen Wirtschaft. Dagegen aus gewissen Notwendigkeiten heraus, die ich als Ernährungsminister als letzter verkenne: Beibehaltung eines gewissen Ausnahmerechts für die Landwirtschaft hinsichtlich der Einnahmeseite. Ergebnis: ein ungeheures Klaffen der berühmten Schere, über die man spricht, solange man über Agrarkrisen spricht.
Nun hat einer der Herren gemeint, es sei noch gar nichts geschehen. Verehrter Herr Dr. Schmidt, wenn Sie eine Liste aufstellen, wieviele Gesetze meinen Namen tragen, dann bekomme ich vielleicht Note 3 bis 4! Wenn Sie jetzt aber einmal gerade unsere Arbeit nach ihrem Erfolg hinsichtlich der Schließung der Schere betrachten, dann, glaube ich, darf ich die Brust herausstrecken. Es' ist doch gelungen, diese unbedingt notwendige Voraussetzung — einigermaßen gleiche Verhältnisse zwischen den Agrarpreisen und den Produktionsmittelpreisen — herzustellen. Aber jetzt läuft uns die Geschichte auf der anderen Seite davon!
— Hören Sie mir doch auf mit dem Marshallplan! Wir haben mit dem Marshallplan bereits
viel Gutes für die Landwirtschaft leisten können.
Spielen Sie doch einmal auf einem anderen Klavier! Das wird ja schon bald langweilig!
Jetzt habe ich folgende Meinung: Es ist furchtbar schwer, die Situation der Landwirtschaft von der Preisseite her zu bessern. Wir müssen natürlich unter allen Umständen — da stimme ich allen Rednern von Dr. Horlacher an bis zum
letzten Redner bei — den Milchpreis halten; denn, meine Damen und Herren, der dünne, weiße Strahl, den die fleißige Hand der Bäuerin dem Euter der Kuh entlockt, wird zum breitesten Goldstrom. Ich habe das schon einmal gesagt. Und das, was der Fleiß unserer Kohlenarbeiter aus dem Schoß der Erde holt, ist — rein ziffernmäßig genommen — nicht mehr an Wert als -der der Milch.
Aber wie liegen denn die Dinge? Es hat doch gar keinen Zweck, große Reden zu halten. Wir sind darauf angewiesen, daß die Konsumkraft gleich bleibt. 1,8 Millionen Arbeitslose bedeuten für uns, daß sich die Kaufkraft allein für Lebensmittel im Jahr um 720 Millionen senkt. Denken Sie doch einmal die Sache in der Praxis durch! Brot muß der Arbeitslose nach wie vor kaufen, sonst verhungert er, ebenso Kartoffeln. Hat er Kinder, so braucht er Nährmittel. Folgende Dinge kann er aber nicht mehr in entsprechendem Umfang kaufen: Fleisch, Eier, Milch, Butter, also die gesamten Produkte der Veredelungswirtschaft.
Ich mache in meinem Amt eine große Kurve: rot die Zahlen der Arbeitslosen. blau die Preise für die Veredelungsprodukte. Ebenso steil, wie die Arbeitslosenkurve in die Höhe geht, sinkt die Kurve für die Veredelungsprodukte in die Tiefe. Das sind doch Zusammenhänge, die ganz klar zutage liegen! Das zeigt doch die Verbundenheit aller Teile der deutschen Wirtschaft! Eine entsprechende Agrarpolitik ist infolgedessen eine gute Verbraucherpolitik und umgekehrt. Das wollte ich grundsätzlich dazu sagen.
Meine Damen und Herren! Ich will nur ganz kurz auf einige Fragen antworten, die gestellt wurden. Herr Dr. Horlacher fragte. wo die Zuschüsse aus dem Marshallplan bleiben. 75 Millionen sind vorgesehen! — Schwierigkeiten der Abwicklung? Der ECA-Vertrag vom 15. Dezember 1949 sieht eine gewisse Haftung der Bundesregierung vor. Er ist ohne weiteres erfüllbar hinsichtlich der als Kredite ausgeliehenen ECA-Mittel, dagegen nicht ohne weiteres mehr applizierbar hinsichtlich der 70 Million en. Die Verhandlungen sind aber sehr weit gediehen, und wir können in allernächster Zeit damit rechnen, daß diese 70 Millionen zur Auszahlung kommen. Damit sollen Dinge gefördert werden, auf deren Notwendigkeit heute auch schon hingewiesen wurde, insbesondere die landwirtschaftliche Forschung.
Meine Herren! Ich habe im Jahre 1946 die ersten wirklichen Friedensschwalben hier in Deutschland begrüßen können, die in Gestalt von sechs Professoren von landwirtschaftlichen Universitäten über den großen Teich herüberkamen. Ich habe mir die Mühe gemacht und habe sie auf der ganzen Reise begleitet, die der Besichtigung unserer wissenschaftlichen Institute galt. Deren Urteil lautete zunächst: Na, Kinder, zeigt' einmal das blecherne Spielzeug her, das ihr habt! Es zeigte sich aber steigende Hochachtung vor der deutschen Wissenschaft, je mehr man den Herrschaften zeigen konnte, wie wir in Deutschland auch mit einfachen Mitteln etwas erreichen.
Ich komme eben von einer Sitzung im Zentralausschuß der deutschen Landwirtschaft. Wir haben uns über die so wichtige Frage der Tierernährung auf Grund eines sehr interessanten Referats unterhalten. Ich darf folgendes Beispiel herausstellen: Es sind Milliarden zu sparen, wenn wir in der Tiefernährung vorwärtskommen und neue Erkenntnisse gewinnen. Unser deutscher Professor muß den Versuch mit zwölf weißen Mäusen und zwanzig Meerschweinchen ansetzen. Sein Kollege von drüben macht einen Versuch mit hundert Ochsen und kommt infolgedessen zu viel einwandfreieren und genaueren Resultaten als unser deutscher Professor, der sich mit den weißen Mäusen abplagen muß. Die deutsche Wissenschaft hat unmenschlich viel geleistet, auch im Agrarsektor — angefangen von Justus von Liebig bis Soxhlet usw. —, aber ich muß offen zugeben, daß wir einen Fehler gemacht haben: wir haben die Wissenschaft auch in der Landwirtschaft zu sehr als Selbstzweck betrachtet.
Da haben wir jetzt gelernt und wir hoffen, von den Amerikanern noch viel zu lernen, die z. B. jeden Lehrstuhl auf den landwirtschaftlichen Universitäten doppelt besetzt haben. Nur der eine Professor ist ein Wissenschaftler, der andere ist der Propagandist, der daneben sitzt und schaut, ob sein Kollege am Mikroskop irgend etwas herausbringt, was der Landwirtschaft nützen könnte, und dafür sorgt, daß diese neueste Erkenntnis sich in möglichst rascher und möglichst breiter Form der Landwirtschaft übermitteln läßt.
Da also waren wir rückständig, das muß offen zugestanden werden. Nach dieser Richtung hin soll es besser werden, und damit, Herr Dr. Schmidt, können wir auch eine moderne Beratung aufbauen. Das ist aber leichter gesagt als getan. Meine Herren, unsere Bundesrepublik ist der Agrarstruktur nach ein Bauernland, fast ein Kleinbauernland. Wenn Sie z. B. die Mitte des Bundesgebiets nehmen, das Gebiet, in dem die Franken siedeln, die durch ihre Erbteilung im Laufe der Jahrhunderte eine gewisse Atomisierung des Bodens hervorgerufen haben, dann sehen Sie, daß dort ein landwirtschaftlicher Berater 5000 landwirtschaftliche Betriebe zu betreuen hat.
Das ist auch der Grund dafür, daß Maßnahmen wie z. B. die Verbilligung des Kunstdüngers so schwer durchzuführen "sind. Ich könnte lange reden, um das Problem aufzuzeigen; aber es sind Dinge, über die man sich vielleicht in den kommenden Wochen unterhalten kann. Ich bin der Meinung von Dr. Horlacher, daß das bald geschehen muß. Ja, meine Herren, das sind 600 Millionen. Verbilligen Sie den Kunstdüngemittelbezug um 25 %, dann müssen Sie mit einem Aufwand von 150 Millionen im Jahre rechnen. Das kann nur dann geschehen, wenn' mit einem an Sicherheit grenzenden Grad von Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß sich diese Aufwendung auch wirklich produktionssteigernd auswirkt.
Man hat davon gesprochen — Dr. Schmidt hat es getadelt —, daß man z. B. die Subventionen für Flachsrösten nicht mehr gibt. Im Ernährungsausschuß haben wir uns lange darüber unterhalten, und die Parteien waren es, die erfreulicherweise übereinstimmend zu der Auffassung kamen, daß man mit den kleinen Subventionen aufhören sollte, um alle Mittel, die zur Unterstützung der - Landwirtschaft herangezogen
werden, auf einen Punkt zu massieren, von dem aus man einsetzen kann.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen auf die Tonne nachweisen, daß die geradezu glänzende Ernte, die wir im Jahre 1949 hatten, außer auf die gute Witterung auf die Steigerung in unserem Kunstdüngemittelverbrauch zurückzuführen ist. Ich glaube, man muß der deutschen Landwirtschaft dafür dankbar sein, daß sie trotz der Kapitalnot, unter der sie zu leiden hat, im Jahre 1949 bereits wieder einen Kunstdüngemittelverbrauch gehabt hat, der dem Verbrauch in den Friedensjahren 1938 und 1939, also in der Zeit nach der Göringschen Düngemittelverbilligung, entspricht. Ich weiß, daß große Sorgen dahin geäußert worden sind, daß wir in diesem Frühjahr beim Bezug von Düngemitteln zurückstehen. Es sah auch bedrohlich aus. Am 30. Januar waren wir im Stickstoffbezug um 21 % hinter dem Bezug am gleichen Stichtag des Vorjahres zurück. Bei P2 O5, bei Phosphorsäure. fiel der Bezug um 19 % zurück. Meine Damen und Herren, die Sache ist so gut wie aufgeholt. Nach dem letzten Stand vom 31. März liegen wir bei Stickstoff nur mehr um 6 % und bei Phosphorsäure nur noch um 9 % zurück. Die täglichen Meldungen der Eisenbahn über Verladungen lassen erwarten, daß wir- per 30. April wieder den ungefähren Stand vom Vorjahre haben. Dagegen haben wir unseren Plan hinsichtlich einer weiteren Erhöhung des Kunstdüngemittelverbrauchs nicht voll erreicht.
Herr Dr. Schmidt, wir haben schon Pläne; sie sind ganz genau aufgestellt bis zum Jahre 1952. Es ist auch so, daß die Pläne nicht nur Papier sind. Die Landwirtschaft hat es unter Aufwendung von viel Arbeit und manchen Opfern verstanden — und mit der Angabe einer Zahl nach der Richtung darf ich jetzt zum Schluß kommen, weil diese Zahl vielleicht mehr als lange Darlegungen sagt —, unsere Bodenleistungsnutzung, die nach dem Plan, den wir zusammen mit den Alliierten aufgestellt haben, im Jahre 1952 gleich 103 sein sollte, bereits im Jahre 1949 auf 105 zu bringen. Wir sind also bodennutzungsmäßig bereits um zwei Punkte über unser Planziel, das wir uns für das Jahr 1952 gestellt haben, hinausgekommen. Das muß man auch einmal sagen. Wenn man als Landwirtschaftsminister so das Gefühl hat, daß sich alle immer so gern an einer gewissen angeblichen Inferiorität der Landwirtschaft reiben, und wenn man immer vorgesetzt bekommt, daß man nur in den anderen Teilen der deutschen Wirtschaft die Weisheit mit Löffeln gefressen habe, dann darf man wohl auch einmal auf solche Positiva hinweisen; denn sie sind nicht nur das Ergebnis von Schweiß und von Entbehrungen, sondern auch das Ergebnis -von wohlüberlegtem, denkerischem Arbeiten. Wir wissen alle, daß die Landwirtschaft von heute in ihren Ansprüchen nicht nur von dem Körper, sondern auch von dem Geist ebensoviel verlangt wie jeder andere Wirtschaftszweig. Diesen Erfolg, daß wir jetzt unseren Plan hinsichtlich der Bodenleistungsnutzung um volle zwei Punkte überschritten haben, hier von der Tribüne der deutschen Volksvertretung festzustellen, ist mir als Landwirtschaftsminister ein Herzensbedürfnis.