Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Vertreter meiner Fraktion im Parlamentarischen Rat haben gegen das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Form gestimmt; aber Partei und Fraktion erkennen vorbehaltlos an, daß selbstverständlich das Grundgesetz die einzige Möglichkeit und die Basis für unser gesamtes politisches und staatliches Leben in den Bereichen der Bundesrepublik abgibt und deshalb nun auch außer Streit sein sollte. Wir meinen daher, daß die verehrten Vertreter der Bayernpartei ihrem Antrag zum Art. 102 einen sehr schlechten Dienst erwiesen haben, indem sie ihn mit Ausführungen begründeten, die man gegen jeden Artikel des Grundgesetzes anführen könnte. Denn damit haben sie natürlich die Debatte auf ein staatsrechtliches Gleis geschoben, auf dem die Sonderfrage gar keinen Platz haben sollte. Ich möchte heute zu der Grundsatzfrage nur kurz namens der Mehrheit meiner politischen Freunde Stellung nehmen; denn diese Frage ist keine parteipolitische Frage, sondern, wie schon ausgeführt, eine Frage, die nicht von der ratio, sondern von irgendwelchen tieferen Lebensäußerungen her bestimmt wird und über die jeder mit sich selbst zu Gericht sitzen muß.
Ich möchte nicht, wie ein Teil meiner Vorredner, etwa auf die Grundsätze selbst eingehen. Die sind, wie Herr Kollege Loritz mit Recht ausführte, jedem Juristen von der Schulbank her bekannt, vom dritten Semester her, als er anfing, Strafrecht zu hören.
Es ist darüber auch schwerlich in einem Parlament etwas Neues zu sagen, jedenfalls nichts für den Juristen Neues. Die Tatsache, daß Staaten, solange es diese Gebilde in historischer Zeit gibt, ihre Rechtsbrecher bestraft haben, hat niemals von irgendwelchen Theorien abgehangen, sondern war ein Ordnungsprinzip, das in der Tat im Ursprung wohl religiös begründet war, das aber jedenfalls auch dem Selbstbewußtsein des Staates und seiner Angehörigen immer entsprochen hat. Und wenn man schon die Bibel zitieren will, so braucht man nur an die beiden Worte „Auge um Auge, Zahn um Zahn" oder an das Wort „Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat" zu denken, um festzustellen, daß das Strafprinzip mit dem christlichen Glauben in der Tat bestens vereinbar sein dürfte,
zurückweisen, daß eine Reihe von Vorrednern gesagt hat, eine Hinrichtung sei eine Tötungshandlung.
— Nein, nicht bei den Primitiven, sondern es gibt bekanntlich ein Empfinden, eine allgemeine, nach Sitte und Brauchtum sich richtende innere Einstellung, die klar ist, und wenn hier meine verehrte Vorrednerin Frau Meyer-Laule von einem Kinde, das man habe, ausgegangen ist, das durch irgendwelche Umstände von der natürlichen Lebensbahn abweicht, in die Hände von schlechten Elementen kommt und selbst Verbrecher wird, so möchte ich dem die Gefühle einer Mutter gegenüberstellen, deren Kind durch einen Rohling, durch einen Sittlichkeitsmord aus dem Leben befördert worden ist. Wir wollen auch diese Mutter ansehen und nicht nur jene andere.
— Die Mutter Rathenaus? Ihr Sohn ist das Opfer eines politischen Mordes geworden. Lassen Sie mich darüber folgendes sagen:
Jeder politische Täter glaubt, in höherem Auftrag zu handeln und ist insofern kein gemeiner Mörder. So sehr wir alle den politischen Mord entschieden verneinen, er steht nicht auf einer Basis mit dem Roheits- und Eigennutzverbrechen. So bedauerlich das politische Attentat auch immer sein mag, der Täter ist verblendet durch irgendeine Propaganda, durch eine einseitige Schau ins öffentliche Leben hinein, er glaubt vielleicht gar, eine gute Tat begangen zu haben. Er ist Überzeugungstäter, wie es die Attentäter, die aus Ihren Reihen, meine Herren von der Linken, hervorgegangen sind, Leute wie z. B. Nobiling, zweifellos gewesen sind. Keine Rede davon, daß das gemeine Verbrecher sind, sondern es sind vom Standpunkt des Gegners irregeleitete Missetäter, von ihrem Standpunkt aus gar Märtyrer, die sich irgendeiner Idee opfern. Ob sie falsch, ob sie richtig gehandelt haben, — das kann erst die Geschichte erweisen. Jedenfalls möchte ich kein politisches Verbrechen hier als Ausgangspunkt nehmen. Daß diese unter Umständen nach einer gelungenen Revolution gar straffrei bleiben, ist allgemein anerkannt. Ich rede allein vom gemeinen Rechtsbrecher, vorn entmenschten Übeltäter, um den es sich hier nur handelt. Hoffen wir, daß der politische Mord nicht mehr vorkommt, jedenfalls nicht in unserem Vaterland. Im Ausland kommt er ja hier und da noch vor.
Ich spreche also davon, daß dieses Gefühl, dieses Empfinden, das man beim Gedanken an den Getöteten hat und das nach einer gerechten Sühne schreit, entscheidend ist. Dieses unverbildete Gefühl — meinetwegen sogar der Primitiven, soweit sie einen klaren Verstand und ein klares Empfinden haben—ist meines Erachtens das Ausschlaggebende.
Und nun kommt die Frage: ist demgegenüber gar nichts einzuwenden? Ich sage: Ja! Für uns prinzipielle Bejaher ist der schwerste Umstand, der gegen die Todesstrafe spricht, der Umstand, den Herr Kollege Loritz angedeutet hat, nämlich die Tatsache, daß nun einmal keine Götter auf dem Richterthron sitzen, sondern Menschen, die, wie wir alle, leider ach so sehr dem Irrtum unterworfen sind.
Die Todesstrafe ist tatsächlich die einzige Strafe, bei der es auf Erden eine Berichtigung nicht mehr gibt, wenn sie einmal vollzogen ist. Deswegen eröffnet die Todesstrafe die Möglichkeit des Justizmordes. Das ist nach unserer Auffassung der entscheidendste und bedeutsamste Einwand gegen ihre praktische Verwirklichung im Strafrecht.
Deshalb würden wir allerdings, wenn die Todesstrafe wieder eingeführt werden sollte, die Beachtung zweier Grundsätze fordern. Es ist vielleicht ganz gut, daß man derartige Ideen schon heute einmal in die Debatte wirft, damit man sich das allerzeit überlegen kann, bis es mit der Strafrechtsreform soweit ist. Erstens darf die Todesstrafe niemals als einzige Strafe angedroht sein, sondern nur neben lebenslänglichem oder zeitlichem Zuchthaus als schwerste Tatfolge, und zweitens darf die Todesstrafe nicht verhängt werden, wenn das Gericht nach der Maxime des Reichsgerichts die zugrundeliegenden Tatsachen nur mit „einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" feststellen kann. Wenn auch nur der geringste fernliegende Zweifel daran, daß das todeswürdige Verbrechen begangen wurde, besteht, sollte ein Richter nicht die Todesstrafe aussprechen. Er mag sich überzeugt halten, daß dieser Mann der Täter ist, aber der kleinste Zweifel sollte ihn hindern, eine Strafe zu verhängen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Diese beiden Forderungen als Sicherheit gegen die Möglichkeit, des Justizmordes!
Dann noch ein allgemeines Wort gerade zur Todesstrafe bzw. zum Strafrecht im allgemeinen, zur Todesstrafe aber aus gewissen aktuellen Gründen vielleicht nicht ohne besondere Bedeutung: Tat und Strafe haben eine geheimnisvolle und un-wegdenkbare Beziehung zum Zeitablauf. Eine Todesstrafe, die erst Jahre nach rechtskräftigem Urteil vollstreckt wird, ist eine unmenschliche
Grausamkeit. Eine Todesstrafe ist nur dann gerecht vollstreckt, wenn sie ziemlich bald, spätestens etwa innerhalb eines Monats nach Rechtskraft vollstreckt wird. Man kann den armen Verurteilten — in diesem Falle ist er nämlich wirklich „arm" — unmöglich monate- und jahrelang im Ungewissen über sein Leben lassen.
Abschließend möchte ich noch folgendes sagen.
Wenn Herr Kollege Wagner hier von den Abschrekkungsfaktoren geredet hat, die, wie gesagt, für
mich nicht von entscheidender Bedeutung sind, so
möchte ich darauf hinweisen, daß selbstverständlich
nicht der Strafvollzug, sondern stets nur die Strafandrohung abschreckend ist. Sonst müßten ja dauernd Führungen durch die Zuchthäuser stattfinden.
Sonst müßte ja bei jedem Vollzug einer Geldstrafe
eine gewisse Schar von Zuschauern zugegen sein,
um zu sehen, wie die Strafe abgeführt wird. Daß
man die Todesstrafe heute gottlob nicht mehr als
öffentliches Schauspiel, sondern hinter verschlossenen Kerkermauern vollzieht, buchen wir als einen
Akt der Menschlichkeit; denn das wäre weiß Gott
nicht geeignet, für den Staat besonders zu werben.
Meine sehr geeinten Damen und Herren! ich
hoffe, Sie haben aus meinen Ausführungen entnommen, daß jedenfalls ich und meine Freunde
zur Todesstrafe nicht aus politischen Erwägungen
Stellung nehmen, daß wir ihre Verneiner also nicht
im geringsten anders als ihre Anhänger werten.
Aber die Dinge sind im Fluß, sind schon lange im
Fluß und werden im Fluß bleiben. Auf jeden Fall
hoffe ich, daß wir alle meilenfern sind von jenem
die Staatsmoral untergrabenden Satz, der nach dem
ersten Weltkrieg aufgestellt wurde und der da
lautete: „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig!" Das erkennen wir hoffentlich alle nicht mehr
als wahr an! Welche Konsequenzen man aber aus
dem schlimmsten und fluchwürdigsten Verbrechen
ziehen soll, das ist schließlich eine innere Entscheidung, die uns politisch nicht zu trennen braucht.