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ID0105207000

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    Vokabeln: 7
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 52. Sitzung. Bonn, Montag, den 27. März 1950 1873 52. Sitzung Bonn, Montag, den 27. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1874C, 1925C Zur Tagesordnung . . . . . . 1784D, 1892B Erste Beratung des von der Fraktion der Deutschen Partei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung (Drucksache Nr. 609) 1874D Dr. von Merkatz (DP), Antragsteller . . . . . . . . 1875A Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wuermeling, Dr. Nowack (Rheinland-Pfalz) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Bundesbeamtengesetzes (Drucksache Nr. 618) . . . . . . . 1875D Erste Beratung des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedereinführung der Befreiung nichtöffentlicher Schulen und Erziehungsanstalten von der Umsatzsteuer (Drucksache Nr. 656) . . . . . 1876A Dr. Bertram (Z), Antragsteller . . 1876A Erste Beratung des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Reichsleistungsgesetzes, des Leistungspflichtgesetzes im Lande Hessen sowie des Notleistungsgesetzes in WürttembergHohenzollern (Drucksache Nr. 657) . . 1877B Dr. Bertram (Z), Antragsteller . . 1877B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages (Drucksache Nr. 704) 1877D Loritz (WAV) . . . . . . . 1878A Renner (KPD) 1878B Erste Beratung des von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zahlung der Pensionsvorschüsse und Unterhaltsbeihilfen an die im Art. 131 des Grundgesetzes angeführten Personengruppen (Drucksache Nr. 668) . . . 1878D Dr. Nowack (FDP), Antragsteller 1878D Krause (Z) 1879D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet (Drucksachen Nr. 685 und 350) . . . 1879D Brookmann (CDU), Berichterstatter 1879D Frau Korspeter (SPD) 1880D Frau Dr. Brökelschen (CDU) 1882B, 1889D Krause (Z) . . . . . . . . 1884A Kohl (KPD) 1884D Dr. Lukaschek, Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen 1886C Priebe (SPD) 1887C Euler (FDP) . . . 1888B Farke (DP) 1888C Frau Döhring (SPD) 1889A Zweite und dritte Beratung des Gesetzes über die Versorgung der Familienangehörigen von Kriegsgefangenen und Internierten (Drucksachen Nr. 760 und 522) 1890B Langer (FDP), Berichterstatter . . 1890C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Schaffung eines besonderen Arbeitgebers für die unständigen Hafenarbeiter (Hafensonderbetrieb) (Drucksache Nr. 632) . . . . . . . 1891 B Storch, Bundesminister für Arbeit . 1891C Unterbrechung der Sitzung . . 1892A Erste Beratung des von der Fraktion der Bayernpartei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wiedereinführung der Todesstrafe (Drucksache Nr. 619) 1892C Dr. Etzel (Bamberg) (BP), Antragsteller . . . . . . . 1892C, 1919A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 1895D Wagner (SPD) 1896D Dr. Kleindinst (CSU) 1904B Dr. Hammer (FDP) 1905A Dr. Laforet (CSU) 1906B Frau Meyer-Laule (SPD) . . . 1906D Loritz (WAV) 1908A Ewers (DP) 1909C Dr. von Merkatz (DP) 1911B Neumayer (FDP) 1912B Renner (KPD) 1914C Dr. Miessner (DRP) 1917D Dr. Schmid (SPD) 1918B Zur Geschäftsordnung: Euler (FDP) 1913D Schröter (CDU) 1914A Renner (KPD) . . . . . . . 1914 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt (Drucksache Nr. 628) 1921A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter (Drucksache Nr. 699) 1921A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Ausschluß des Umtauschs und der Bareinlösung außer Umlauf gesetzter Postwertzeichen (Drucksache Nr. 711) . . . . . . . 1921B Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof (Drucksachen Nr. 770 und 630) . . . 1921B, 1925A Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP), Berichterstatter . . . . . . . . 1921B Dr. Schneider (FDP) . . . . . . 1921D Euler (FDP) (zur Geschäftsordnung) 1925A Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP und BP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse von Bundestagsabgeordneten aus dem Beamtenverhältnis (Drucksache Nr. 720) 1923B Dr. Kleindinst (CSU), zur Geschäftsordnung . . . . . . 1923C Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Entwurf einer Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) (Drucksache Nr. 745) 1923D Dr. Arndt (SPD), Berichterstatter 1923D Nächste Sitzung 1925C Die Sitzung wird um 10 Uhr 13 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Rede von Alfred Loritz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (WAV)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was heute alles fur und wider die Todesstrafe gesagt worden ist, das ist seit vielen, vielen Hunderen von Jahren von den Juristen durchdacht worden. In jedem einfachen Lehrbuch des Strafprozeßrechtes konnen Sie darüber das Nähere finden. Vielleicht war es nicht nötig, sich wegen all dieser Dinge die Köpfe so zu zerreden, wie das hier tatsachlich geschehen ist. Es ist ja weiß Gott bei der heutigen Debatte schon ziemlich stürmisch zugegangen. ich glaube, daß dazu keinerlei Veranlassung vorlag. Das Problem sollte abseits jeder Polemik untersucht werden.
    Ich möchte mich zu den Theorien für und wider im einzelnen garnicht äußern. Ich möchte nur eines sagen, nachdem immer und immer wieder davon gesprochen wurde, die Gerechtigkeit erfordere die Bestrafung des Mörders mit der Hinrichtung. Ich glaube, ich habe Sie recht verstanden, Herr Dr. Etzel, und möchte Ihnen eines antworten: wenn wir auf dem Boden des Christentums stehen, so können wir überhaupt mit dem Wort „die Gerechtigkeit verlangt dies" keine Bestrafung vornehmen; denn in der Bibel heißt es ganz klar: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!

    (Heiterkeit.)

    Ganz klar und eindeutig!

    (Zurufe von der CDU.)

    — Herr Kollege, es ist sehr nutzlos, darüber zu lachen. Ich bitte Sie, diese Ausführungen mit dem nötigen Ernst entgegenzunehmen, so wie sie auch gemeint sind.

    (Zuruf von der CDU: Diesmal wurde nicht über Sie gelacht!)

    - So, diesmal wurde nicht über mich gelacht; dann nehme ich das dankend zur Kenntnis.
    Mit der Forderung nach Gerechtigkeit können Sie überhaupt kein Urteil begründen, wenn Sie auf dem Boden des Christentums stehen. Eine ganz andere Begründung nur kann vorgebracht werden von den Anhängern der Todesstrafe, nämlich die Begründung mit der abschreckenden Wirkung dieser Strafe. Ich kann meiner sehr verehrten Frau Vorrednerin, deren Ausführungen sehr interessant waren, hier nicht ganz zustimmen, wenn sie meint, durch die Verrohung der letzten Jahre und Jahrzehnte sei eine solche abschreckende Wirkung in Wegfall gekommen. Das stimmt nicht. Ich könnte Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung als Rechtsanwalt sofort das Gegenteil beweisen. So ist es nicht. Daß man heute mit dem Umlegen so freigebig geworden ist — leider! —, das trifft doch immer nur im Verhältnis auf andere zu. Andere sollen umgelegt werden, ja, mit diesen Dingen sind heute leider Millionen sehr oberflächlich geworden. Aber wenn es um das Selbst-Umgelegtwerden geht, ist trotzdem eine abschreckende Wirkung da, wenn der Betreffende weiß: ich riskiere meinen Kopf, wenn ich einen anderen Menschen ums Leben bringe.
    Ich kann Ihnen auf Grund von Besprechungen mit verschiedenen Leuten, die unter Mordverdacht standen und teilweise auch deswegen abgeurteilt
    wurden, ganz klar sagen, daß zweifelsohne gerade auf die primitiven Menschen die Aussicht, hingerichtet zu werden, wenn sie einen Menschen ums Leben bringen, abschreckend wirkt. Darüber gibt es gar keinen Zweifel, und ich glaube, die Rechtsanwälte hier, die schon eine Reihe von Kapitaldelikten zur Verteidigung überantwortet bekommen haben, werden mit mir wohl derselben Auffassung sein.

    (Zuruf von der CDU: Sehr richtig! — Abg. Dr. Greve: Keineswegs.)

    — Ich danke Ihnen für diese Zustimmung, Herr Kollege von der CDU; das interessiert mien sehr. Ich habe schon mit einer Reihe von Kollegen gesprochen, auch hier, die keineswegs unserer Partei angehören, und ich habe eigentlich überall das bestatigt gefunden, was ich selbst als Wahrnehmung so oft gemacht habe. Darüber müßte man weiß Gott sehr ernst debattieren, ohne Hin- und WiderZwischenrufe.
    Gibt es denn etwas anderes, was dem Hingerichtetwerden in seiner abschreckenden Wirkung gleichkommt?

    (Abg. Renner: Vierteilen! Vierteilen!)

    — Herr Kollege Renner, machen Sie doch nicht wieder solche Zwischenrufe!

    (Abg. Renner: Das ist die Logik!)

    — Nein, das ist keine Logik, sondern diese Logik schreibt man mit „eh" in diesem Falle, Herr Kollege Renner. Ich habe nicht gefragt, ob es noch abschreckendere Dinge gibt, sondern ich habe gesagt und gefragt: gibt es etwas, was wir als Ersatz der Todesstrafe dann anwenden können und was ebenso abschreckend auf die Mordgesellen wirken wird wie die Aussicht, hingerichtet zu werden?

    (Sehr richtig! bei der WAV.)

    Da möchte ich Ihnen eines sagen: Ich glaube nicht, daß die Aussicht, eingesperrt zu werden, sei es auch lebenslänglich, Leute, die zum Morde neigen, im entscheidenden Moment davon abhalten wird, einen Mord zu begehen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Das glaube ich nicht. Diese Sorte Menschen, mit denen jeder Strafverteidiger schon zu tun gehabt hat, wird nur durch eine ganz massive Drohung zurückgehalten.

    (Abg. Dr. Schmid: Aber trotzdem, trotzdem haben die Leute doch gemordet, Herr Loritz!)

    — Ich weiß es, Herr Professor. Das ist vollkommen richtig. Aber umgekehrt wissen Sie nicht und weiß ich nicht, wieviele Menschen davon abgehalten worden sind, einen Mord zu begehen. Wenn man die Psychologie dieser Leute kennt, dann muß man sagen: ein sehr großer Teil wird nur durch die Aussicht darauf, hingerichtet zu werden, davon abgehalten, andere Menschen zu ermorden.
    Wir möchten — wir werden einen diesbezüglichen Antrag im Ausschuß stellen lassen —, daß der Herr Bundesjustizminister uns statistische Zahlen vorlegt, und zwar erstens: wie hat sich die Abschaffung der Todesstrafe bei uns auf diese Kapitaldelikte ausgewirkt, zweitens: wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus, wo in der jüngsten Zeit die Todesstrafe abgeschafft worden ist? Ich denke an die Schweiz, wo verschiedene Kantone gerade in der allerletzten Zeit die Todesstrafe abgeschafft haben, und an verschiedene andere Länder. Vielleicht könnte man daraus einiges entnehmen. Aber ich bin sicher, ein großer Teil der Mörder , der Menschen, die einen Mord begehen wollen, wird


    (Loritz)

    im letzten Moment dadurch aufgehalten und gehemmt, daß sie wissen, sie werden selbst ihren Kopf verlieren!
    Nun zu einer ganz anderen Frage: sollen wir im jetzigen Augenblick die Todesstrafe wieder einführen, was wir nur durch verfassungsänderndes Gesetz können? Sollten wir das jetzt tun? Da möchte ich Ihnen eines gleich sagen: mir graut es davor, wenn ich das befürworten müßte. Mir graut es davor, solange unsere Strafprozeßordnung noch so wenig entwickelt ist, solange es leider gewisse Gerichte gibt, die meines Erachtens bei der Beurteilung der Strafrechtsfälle etwas vorschnell vorgehen. Ich will mich nicht noch drastischer ausdrücken. Solange es das gibt, graut es mir davor, die Wiedereinführung der Todesstrafe zu empfehlen. Das ist nicht etwa erst seit gestern und heute so.
    Ich kann mich noch sehr wohl erinnern, als ich als junger Rechtsanwalt eine Mordsache zu bearbeiten hatte, in der auf Grund eines anscheinend lückenlosen Indizienbeweises eine Ehefrau zum Tode verurteilt wurde und ihr Geliebter zu einer sehr langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt werden sollte. Es war dies ein Fall in Niederbayern. Die Ehefrau hatte des öfteren vor Zeugen, die die erregten Auseinandersetzungen_ zwischen den Ehegatten mit angehört hatten — die Ehe war zerruttet —, erklärt: du, Kerl, dich werde ich nochmal hinüberbefördern! Wenn dich nur der Teufel holen würde, usw. usw. Gerade aus diesen Dingen wurde vom Schwurgericht Passau der Schluß gezogen, daß hier die Frau von Anfang an eine Mordabsicht gehabt hätte. Es kam ein unglücklicher Zufall hinzu. Der Ehemann ist plötzlich gestorben. Obwohl Professor Friedrich von Müller als Sachverständiger, eine allererste Kapazität, sagte, die Erscheinungen beim Tode seien so gewesen, daß er, Professor Friedrich von Müller, auf Paratyphus geschlossen hätte, hat sich das Gericht auf das Urteil des Gerichtsmediziners, eines Obermedizinalrats Soundso, gestützt und die Frau verurteilt. Die Strafe ist dann später umgewandelt worden, wenn ich mich nicht irre, aber immerhin! Wenn ich mir all diese Dinge durch den Kopf gehen lasse — ich hatte den Mann zu verteidigen, der wegen Beihilfe angeklagt war; er wurde freigesprochen, nebenbei bemerkt—,

    (Heiterkeit)

    dann muß ich sagen: bei einem so unvollkommenen Strafprozeßrecht, wie wir es noch haben, möchte ich davor zurückschrecken, die Wiedereinführung der Todesstrafe im jetzigen Moment zu befürworten. Immerhin, der Herr Bundesjustizminister möge dem Ausschuß rasch statistisches Material an die Hand geben!
    Besonders bedauerlich erscheint es mir allerdings, wenn ausgerechnet diese Sache zum Anlaß genommen wird, einen Abänderungsantrag zur Bundesverfassung jetzt zu stellen. Da gäbe es noch andere Dinge: Wie einer meiner Herren Vorredner sagte, die Geschichte mit dem konstruktiven Mißtrauensvotum zum Beispiel. Na, einen derartigen Abänderungsantrag würden auch wir unterstützen,

    (Heiterkeit)

    weil wir wissen, daß sehr viel Scherben oder noch viel mehr Scherben entstehen können, als sie so schon entstanden sind durch die Verunmöglichung von Mißtrauensvoten.
    Ich möchte aber nicht befürworten, jetzt ausgerechnet die Frage ob Todesstrafe oder nicht, wo die Meinungen sogar in den Kreisen der Juristen und der Verteidiger geteilt sind, zum Anlaß zu nehmen, gegen unsere Verfassung Sturm zu laufen und hier
    eine Debatte heraufzubeschwören, die heute manchmal so aussah, als würden sich einige gegenseitig in die Haare geraten.

    (Zurufe: Na, Na!)

    So schaute das von den hinteren Bänken gesehen aus, diese sehr erhitzten gegenseitigen Zwischenrufe und so fort!
    Darf ich Ihnen nochmals zusammenfassend sagen: Ich selbst bin an sich ein Befürworter der Todesstrafe für Mord. Ich bin aber nicht in der Lage, heute schon, noch dazu, nachdem nicht genügendes statistisches Material vorliegt, und wo die Zusammensetzung der Gerichte so oft noch sehr ungenügend ist, einer entsprechenden Abänderung unserer Verfassung das Wort zu reden. Das ist es, was ich namens der WAV Ihnen zu diesem Problem sagen möchte!

    (Beifall bei der WAV.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewers.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans Ewers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Vertreter meiner Fraktion im Parlamentarischen Rat haben gegen das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Form gestimmt; aber Partei und Fraktion erkennen vorbehaltlos an, daß selbstverständlich das Grundgesetz die einzige Möglichkeit und die Basis für unser gesamtes politisches und staatliches Leben in den Bereichen der Bundesrepublik abgibt und deshalb nun auch außer Streit sein sollte. Wir meinen daher, daß die verehrten Vertreter der Bayernpartei ihrem Antrag zum Art. 102 einen sehr schlechten Dienst erwiesen haben, indem sie ihn mit Ausführungen begründeten, die man gegen jeden Artikel des Grundgesetzes anführen könnte. Denn damit haben sie natürlich die Debatte auf ein staatsrechtliches Gleis geschoben, auf dem die Sonderfrage gar keinen Platz haben sollte. Ich möchte heute zu der Grundsatzfrage nur kurz namens der Mehrheit meiner politischen Freunde Stellung nehmen; denn diese Frage ist keine parteipolitische Frage, sondern, wie schon ausgeführt, eine Frage, die nicht von der ratio, sondern von irgendwelchen tieferen Lebensäußerungen her bestimmt wird und über die jeder mit sich selbst zu Gericht sitzen muß.
    Ich möchte nicht, wie ein Teil meiner Vorredner, etwa auf die Grundsätze selbst eingehen. Die sind, wie Herr Kollege Loritz mit Recht ausführte, jedem Juristen von der Schulbank her bekannt, vom dritten Semester her, als er anfing, Strafrecht zu hören.

    (Abg. Dr. Schmid: Seitdem hat sich einiges geändert!)

    Es ist darüber auch schwerlich in einem Parlament etwas Neues zu sagen, jedenfalls nichts für den Juristen Neues. Die Tatsache, daß Staaten, solange es diese Gebilde in historischer Zeit gibt, ihre Rechtsbrecher bestraft haben, hat niemals von irgendwelchen Theorien abgehangen, sondern war ein Ordnungsprinzip, das in der Tat im Ursprung wohl religiös begründet war, das aber jedenfalls auch dem Selbstbewußtsein des Staates und seiner Angehörigen immer entsprochen hat. Und wenn man schon die Bibel zitieren will, so braucht man nur an die beiden Worte „Auge um Auge, Zahn um Zahn" oder an das Wort „Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat" zu denken, um festzustellen, daß das Strafprinzip mit dem christlichen Glauben in der Tat bestens vereinbar sein dürfte,


    (Ewers worüber aber letzten Endes nicht das Parlament, sondern allein die Kirchen zu entscheiden haben. Des weiteren muß ich allerdings als Rechtswahrer Mit demselben Recht könnte man sagen: eine Gefangensetzung ist eine Freiheitsberaubung, oder eine Beschlagnahme des Vermögens ist ein Diebstahl. Davon kann nicht die Rede sein. Denn der Strafvollzug ist in der Tat nicht mit bürgerlichen Rechtsbegriffen zu messen. Nicht nur das, was dem Individuum ansteht, steht dem Richter oder der Staatsgewalt selbst zu. Derartige Vergleichsetzungen verschieben die Debatte auf eine ganz unrichtige Ebene. Nun lassen Sie mich mit einigen wenigen Sätzen die Gedanken und Bedenken, die meine Freunde, soweit sie auf meiner Seite stehen, haben, zur Todesstrafe aussprechen. Es ist nicht alles das, was seit der Aufklärungszeit an Strafgrundtheorien aufgestellt worden ist, nicht die Besserungs-, nicht die Abschreckungsund nicht die Schutztheorie, die in erster Linie hier irgendwelches Material für die innere Entscheidung geben können, sondern es ist lediglich eben das, was die Staaten seit jeher geübt haben, die Vergeltungsmaxime, die eine Stützung letzten Endes für dieses letzte Strafmittel sein kann. Diese Maxime lebt nach unserer Meinung in allen tüchtigen, aufrechten, den Staat bejahenden Bürgern jeder Klasse und jedes Standes, soweit sie nicht von Theorien über den Staat, über die Justiz oder der Philosophie angekränkelt sind. (Abg. Dr. Schmid: Schauen Sie nur die Mutter von Rathenau an!)


    (Abg. Dr. Schmid: Der Ausdruck ist fatal!) zurückweisen, daß eine Reihe von Vorrednern gesagt hat, eine Hinrichtung sei eine Tötungshandlung.


    (Zuruf links: Ach!)


    (Sehr gut!)


    (Abg. Dr. Schmid: Also bei den Primitiven!) — Nein, nicht bei den Primitiven, sondern es gibt bekanntlich ein Empfinden, eine allgemeine, nach Sitte und Brauchtum sich richtende innere Einstellung, die klar ist, und wenn hier meine verehrte Vorrednerin Frau Meyer-Laule von einem Kinde, das man habe, ausgegangen ist, das durch irgendwelche Umstände von der natürlichen Lebensbahn abweicht, in die Hände von schlechten Elementen kommt und selbst Verbrecher wird, so möchte ich dem die Gefühle einer Mutter gegenüberstellen, deren Kind durch einen Rohling, durch einen Sittlichkeitsmord aus dem Leben befördert worden ist. Wir wollen auch diese Mutter ansehen und nicht nur jene andere.

    — Die Mutter Rathenaus? Ihr Sohn ist das Opfer eines politischen Mordes geworden. Lassen Sie mich darüber folgendes sagen:

    (Abg. Dr. Schmid: Der ist aber genau so tot!) Jeder politische Täter glaubt, in höherem Auftrag zu handeln und ist insofern kein gemeiner Mörder. So sehr wir alle den politischen Mord entschieden verneinen, er steht nicht auf einer Basis mit dem Roheits- und Eigennutzverbrechen. So bedauerlich das politische Attentat auch immer sein mag, der Täter ist verblendet durch irgendeine Propaganda, durch eine einseitige Schau ins öffentliche Leben hinein, er glaubt vielleicht gar, eine gute Tat begangen zu haben. Er ist Überzeugungstäter, wie es die Attentäter, die aus Ihren Reihen, meine Herren von der Linken, hervorgegangen sind, Leute wie z. B. Nobiling, zweifellos gewesen sind. Keine Rede davon, daß das gemeine Verbrecher sind, sondern es sind vom Standpunkt des Gegners irregeleitete Missetäter, von ihrem Standpunkt aus gar Märtyrer, die sich irgendeiner Idee opfern. Ob sie falsch, ob sie richtig gehandelt haben, — das kann erst die Geschichte erweisen. Jedenfalls möchte ich kein politisches Verbrechen hier als Ausgangspunkt nehmen. Daß diese unter Umständen nach einer gelungenen Revolution gar straffrei bleiben, ist allgemein anerkannt. Ich rede allein vom gemeinen Rechtsbrecher, vorn entmenschten Übeltäter, um den es sich hier nur handelt. Hoffen wir, daß der politische Mord nicht mehr vorkommt, jedenfalls nicht in unserem Vaterland. Im Ausland kommt er ja hier und da noch vor.


    (Zuruf links: Der kommt nur dann vor, wenn man ihn verherrlicht!)

    Ich spreche also davon, daß dieses Gefühl, dieses Empfinden, das man beim Gedanken an den Getöteten hat und das nach einer gerechten Sühne schreit, entscheidend ist. Dieses unverbildete Gefühl — meinetwegen sogar der Primitiven, soweit sie einen klaren Verstand und ein klares Empfinden haben—ist meines Erachtens das Ausschlaggebende.
    Und nun kommt die Frage: ist demgegenüber gar nichts einzuwenden? Ich sage: Ja! Für uns prinzipielle Bejaher ist der schwerste Umstand, der gegen die Todesstrafe spricht, der Umstand, den Herr Kollege Loritz angedeutet hat, nämlich die Tatsache, daß nun einmal keine Götter auf dem Richterthron sitzen, sondern Menschen, die, wie wir alle, leider ach so sehr dem Irrtum unterworfen sind.

    (Zuruf: Na also!)

    Die Todesstrafe ist tatsächlich die einzige Strafe, bei der es auf Erden eine Berichtigung nicht mehr gibt, wenn sie einmal vollzogen ist. Deswegen eröffnet die Todesstrafe die Möglichkeit des Justizmordes. Das ist nach unserer Auffassung der entscheidendste und bedeutsamste Einwand gegen ihre praktische Verwirklichung im Strafrecht.
    Deshalb würden wir allerdings, wenn die Todesstrafe wieder eingeführt werden sollte, die Beachtung zweier Grundsätze fordern. Es ist vielleicht ganz gut, daß man derartige Ideen schon heute einmal in die Debatte wirft, damit man sich das allerzeit überlegen kann, bis es mit der Strafrechtsreform soweit ist. Erstens darf die Todesstrafe niemals als einzige Strafe angedroht sein, sondern nur neben lebenslänglichem oder zeitlichem Zuchthaus als schwerste Tatfolge, und zweitens darf die Todesstrafe nicht verhängt werden, wenn das Gericht nach der Maxime des Reichsgerichts die zugrundeliegenden Tatsachen nur mit „einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" feststellen kann. Wenn auch nur der geringste fernliegende Zweifel daran, daß das todeswürdige Verbrechen begangen wurde, besteht, sollte ein Richter nicht die Todesstrafe aussprechen. Er mag sich überzeugt halten, daß dieser Mann der Täter ist, aber der kleinste Zweifel sollte ihn hindern, eine Strafe zu verhängen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Diese beiden Forderungen als Sicherheit gegen die Möglichkeit, des Justizmordes!
    Dann noch ein allgemeines Wort gerade zur Todesstrafe bzw. zum Strafrecht im allgemeinen, zur Todesstrafe aber aus gewissen aktuellen Gründen vielleicht nicht ohne besondere Bedeutung: Tat und Strafe haben eine geheimnisvolle und un-wegdenkbare Beziehung zum Zeitablauf. Eine Todesstrafe, die erst Jahre nach rechtskräftigem Urteil vollstreckt wird, ist eine unmenschliche


    (Ewers)

    Grausamkeit. Eine Todesstrafe ist nur dann gerecht vollstreckt, wenn sie ziemlich bald, spätestens etwa innerhalb eines Monats nach Rechtskraft vollstreckt wird. Man kann den armen Verurteilten — in diesem Falle ist er nämlich wirklich „arm" — unmöglich monate- und jahrelang im Ungewissen über sein Leben lassen.
    Abschließend möchte ich noch folgendes sagen.
    Wenn Herr Kollege Wagner hier von den Abschrekkungsfaktoren geredet hat, die, wie gesagt, für
    mich nicht von entscheidender Bedeutung sind, so
    möchte ich darauf hinweisen, daß selbstverständlich
    nicht der Strafvollzug, sondern stets nur die Strafandrohung abschreckend ist. Sonst müßten ja dauernd Führungen durch die Zuchthäuser stattfinden.
    Sonst müßte ja bei jedem Vollzug einer Geldstrafe
    eine gewisse Schar von Zuschauern zugegen sein,
    um zu sehen, wie die Strafe abgeführt wird. Daß
    man die Todesstrafe heute gottlob nicht mehr als
    öffentliches Schauspiel, sondern hinter verschlossenen Kerkermauern vollzieht, buchen wir als einen
    Akt der Menschlichkeit; denn das wäre weiß Gott
    nicht geeignet, für den Staat besonders zu werben.

    (Zuruf links: Aha!)

    Meine sehr geeinten Damen und Herren! ich
    hoffe, Sie haben aus meinen Ausführungen entnommen, daß jedenfalls ich und meine Freunde
    zur Todesstrafe nicht aus politischen Erwägungen
    Stellung nehmen, daß wir ihre Verneiner also nicht
    im geringsten anders als ihre Anhänger werten.
    Aber die Dinge sind im Fluß, sind schon lange im
    Fluß und werden im Fluß bleiben. Auf jeden Fall
    hoffe ich, daß wir alle meilenfern sind von jenem
    die Staatsmoral untergrabenden Satz, der nach dem
    ersten Weltkrieg aufgestellt wurde und der da
    lautete: „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig!" Das erkennen wir hoffentlich alle nicht mehr
    als wahr an! Welche Konsequenzen man aber aus
    dem schlimmsten und fluchwürdigsten Verbrechen
    ziehen soll, das ist schließlich eine innere Entscheidung, die uns politisch nicht zu trennen braucht.

    (Beifall bei einem Teil der DP.)