Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was heute alles fur und wider die Todesstrafe gesagt worden ist, das ist seit vielen, vielen Hunderen von Jahren von den Juristen durchdacht worden. In jedem einfachen Lehrbuch des Strafprozeßrechtes konnen Sie darüber das Nähere finden. Vielleicht war es nicht nötig, sich wegen all dieser Dinge die Köpfe so zu zerreden, wie das hier tatsachlich geschehen ist. Es ist ja weiß Gott bei der heutigen Debatte schon ziemlich stürmisch zugegangen. ich glaube, daß dazu keinerlei Veranlassung vorlag. Das Problem sollte abseits jeder Polemik untersucht werden.
Ich möchte mich zu den Theorien für und wider im einzelnen garnicht äußern. Ich möchte nur eines sagen, nachdem immer und immer wieder davon gesprochen wurde, die Gerechtigkeit erfordere die Bestrafung des Mörders mit der Hinrichtung. Ich glaube, ich habe Sie recht verstanden, Herr Dr. Etzel, und möchte Ihnen eines antworten: wenn wir auf dem Boden des Christentums stehen, so können wir überhaupt mit dem Wort „die Gerechtigkeit verlangt dies" keine Bestrafung vornehmen; denn in der Bibel heißt es ganz klar: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!
Ganz klar und eindeutig!
— Herr Kollege, es ist sehr nutzlos, darüber zu lachen. Ich bitte Sie, diese Ausführungen mit dem nötigen Ernst entgegenzunehmen, so wie sie auch gemeint sind.
- So, diesmal wurde nicht über mich gelacht; dann nehme ich das dankend zur Kenntnis.
Mit der Forderung nach Gerechtigkeit können Sie überhaupt kein Urteil begründen, wenn Sie auf dem Boden des Christentums stehen. Eine ganz andere Begründung nur kann vorgebracht werden von den Anhängern der Todesstrafe, nämlich die Begründung mit der abschreckenden Wirkung dieser Strafe. Ich kann meiner sehr verehrten Frau Vorrednerin, deren Ausführungen sehr interessant waren, hier nicht ganz zustimmen, wenn sie meint, durch die Verrohung der letzten Jahre und Jahrzehnte sei eine solche abschreckende Wirkung in Wegfall gekommen. Das stimmt nicht. Ich könnte Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung als Rechtsanwalt sofort das Gegenteil beweisen. So ist es nicht. Daß man heute mit dem Umlegen so freigebig geworden ist — leider! —, das trifft doch immer nur im Verhältnis auf andere zu. Andere sollen umgelegt werden, ja, mit diesen Dingen sind heute leider Millionen sehr oberflächlich geworden. Aber wenn es um das Selbst-Umgelegtwerden geht, ist trotzdem eine abschreckende Wirkung da, wenn der Betreffende weiß: ich riskiere meinen Kopf, wenn ich einen anderen Menschen ums Leben bringe.
Ich kann Ihnen auf Grund von Besprechungen mit verschiedenen Leuten, die unter Mordverdacht standen und teilweise auch deswegen abgeurteilt
wurden, ganz klar sagen, daß zweifelsohne gerade auf die primitiven Menschen die Aussicht, hingerichtet zu werden, wenn sie einen Menschen ums Leben bringen, abschreckend wirkt. Darüber gibt es gar keinen Zweifel, und ich glaube, die Rechtsanwälte hier, die schon eine Reihe von Kapitaldelikten zur Verteidigung überantwortet bekommen haben, werden mit mir wohl derselben Auffassung sein.
— Ich danke Ihnen für diese Zustimmung, Herr Kollege von der CDU; das interessiert mien sehr. Ich habe schon mit einer Reihe von Kollegen gesprochen, auch hier, die keineswegs unserer Partei angehören, und ich habe eigentlich überall das bestatigt gefunden, was ich selbst als Wahrnehmung so oft gemacht habe. Darüber müßte man weiß Gott sehr ernst debattieren, ohne Hin- und WiderZwischenrufe.
Gibt es denn etwas anderes, was dem Hingerichtetwerden in seiner abschreckenden Wirkung gleichkommt?
— Herr Kollege Renner, machen Sie doch nicht wieder solche Zwischenrufe!
— Nein, das ist keine Logik, sondern diese Logik schreibt man mit „eh" in diesem Falle, Herr Kollege Renner. Ich habe nicht gefragt, ob es noch abschreckendere Dinge gibt, sondern ich habe gesagt und gefragt: gibt es etwas, was wir als Ersatz der Todesstrafe dann anwenden können und was ebenso abschreckend auf die Mordgesellen wirken wird wie die Aussicht, hingerichtet zu werden?
Da möchte ich Ihnen eines sagen: Ich glaube nicht, daß die Aussicht, eingesperrt zu werden, sei es auch lebenslänglich, Leute, die zum Morde neigen, im entscheidenden Moment davon abhalten wird, einen Mord zu begehen.
Das glaube ich nicht. Diese Sorte Menschen, mit denen jeder Strafverteidiger schon zu tun gehabt hat, wird nur durch eine ganz massive Drohung zurückgehalten.
— Ich weiß es, Herr Professor. Das ist vollkommen richtig. Aber umgekehrt wissen Sie nicht und weiß ich nicht, wieviele Menschen davon abgehalten worden sind, einen Mord zu begehen. Wenn man die Psychologie dieser Leute kennt, dann muß man sagen: ein sehr großer Teil wird nur durch die Aussicht darauf, hingerichtet zu werden, davon abgehalten, andere Menschen zu ermorden.
Wir möchten — wir werden einen diesbezüglichen Antrag im Ausschuß stellen lassen —, daß der Herr Bundesjustizminister uns statistische Zahlen vorlegt, und zwar erstens: wie hat sich die Abschaffung der Todesstrafe bei uns auf diese Kapitaldelikte ausgewirkt, zweitens: wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus, wo in der jüngsten Zeit die Todesstrafe abgeschafft worden ist? Ich denke an die Schweiz, wo verschiedene Kantone gerade in der allerletzten Zeit die Todesstrafe abgeschafft haben, und an verschiedene andere Länder. Vielleicht könnte man daraus einiges entnehmen. Aber ich bin sicher, ein großer Teil der Mörder , der Menschen, die einen Mord begehen wollen, wird
im letzten Moment dadurch aufgehalten und gehemmt, daß sie wissen, sie werden selbst ihren Kopf verlieren!
Nun zu einer ganz anderen Frage: sollen wir im jetzigen Augenblick die Todesstrafe wieder einführen, was wir nur durch verfassungsänderndes Gesetz können? Sollten wir das jetzt tun? Da möchte ich Ihnen eines gleich sagen: mir graut es davor, wenn ich das befürworten müßte. Mir graut es davor, solange unsere Strafprozeßordnung noch so wenig entwickelt ist, solange es leider gewisse Gerichte gibt, die meines Erachtens bei der Beurteilung der Strafrechtsfälle etwas vorschnell vorgehen. Ich will mich nicht noch drastischer ausdrücken. Solange es das gibt, graut es mir davor, die Wiedereinführung der Todesstrafe zu empfehlen. Das ist nicht etwa erst seit gestern und heute so.
Ich kann mich noch sehr wohl erinnern, als ich als junger Rechtsanwalt eine Mordsache zu bearbeiten hatte, in der auf Grund eines anscheinend lückenlosen Indizienbeweises eine Ehefrau zum Tode verurteilt wurde und ihr Geliebter zu einer sehr langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt werden sollte. Es war dies ein Fall in Niederbayern. Die Ehefrau hatte des öfteren vor Zeugen, die die erregten Auseinandersetzungen_ zwischen den Ehegatten mit angehört hatten — die Ehe war zerruttet —, erklärt: du, Kerl, dich werde ich nochmal hinüberbefördern! Wenn dich nur der Teufel holen würde, usw. usw. Gerade aus diesen Dingen wurde vom Schwurgericht Passau der Schluß gezogen, daß hier die Frau von Anfang an eine Mordabsicht gehabt hätte. Es kam ein unglücklicher Zufall hinzu. Der Ehemann ist plötzlich gestorben. Obwohl Professor Friedrich von Müller als Sachverständiger, eine allererste Kapazität, sagte, die Erscheinungen beim Tode seien so gewesen, daß er, Professor Friedrich von Müller, auf Paratyphus geschlossen hätte, hat sich das Gericht auf das Urteil des Gerichtsmediziners, eines Obermedizinalrats Soundso, gestützt und die Frau verurteilt. Die Strafe ist dann später umgewandelt worden, wenn ich mich nicht irre, aber immerhin! Wenn ich mir all diese Dinge durch den Kopf gehen lasse — ich hatte den Mann zu verteidigen, der wegen Beihilfe angeklagt war; er wurde freigesprochen, nebenbei bemerkt—,
dann muß ich sagen: bei einem so unvollkommenen Strafprozeßrecht, wie wir es noch haben, möchte ich davor zurückschrecken, die Wiedereinführung der Todesstrafe im jetzigen Moment zu befürworten. Immerhin, der Herr Bundesjustizminister möge dem Ausschuß rasch statistisches Material an die Hand geben!
Besonders bedauerlich erscheint es mir allerdings, wenn ausgerechnet diese Sache zum Anlaß genommen wird, einen Abänderungsantrag zur Bundesverfassung jetzt zu stellen. Da gäbe es noch andere Dinge: Wie einer meiner Herren Vorredner sagte, die Geschichte mit dem konstruktiven Mißtrauensvotum zum Beispiel. Na, einen derartigen Abänderungsantrag würden auch wir unterstützen,
weil wir wissen, daß sehr viel Scherben oder noch viel mehr Scherben entstehen können, als sie so schon entstanden sind durch die Verunmöglichung von Mißtrauensvoten.
Ich möchte aber nicht befürworten, jetzt ausgerechnet die Frage ob Todesstrafe oder nicht, wo die Meinungen sogar in den Kreisen der Juristen und der Verteidiger geteilt sind, zum Anlaß zu nehmen, gegen unsere Verfassung Sturm zu laufen und hier
eine Debatte heraufzubeschwören, die heute manchmal so aussah, als würden sich einige gegenseitig in die Haare geraten.
So schaute das von den hinteren Bänken gesehen aus, diese sehr erhitzten gegenseitigen Zwischenrufe und so fort!
Darf ich Ihnen nochmals zusammenfassend sagen: Ich selbst bin an sich ein Befürworter der Todesstrafe für Mord. Ich bin aber nicht in der Lage, heute schon, noch dazu, nachdem nicht genügendes statistisches Material vorliegt, und wo die Zusammensetzung der Gerichte so oft noch sehr ungenügend ist, einer entsprechenden Abänderung unserer Verfassung das Wort zu reden. Das ist es, was ich namens der WAV Ihnen zu diesem Problem sagen möchte!