Rede von
Clara
Döhring
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was mich veranlaßt, zu dem Gesetzentwurf und vor allen Dingen zu dem Antrag, den wir eingebracht haben, noch einmal Stellung zu nehmen, sind die Ausführungen des Herrn Flüchtlingsministers, die Ausführungen des Herrn Kohl sowie des Herrn Euler und des letzten Redners.
Es wird hier davon gesprochen, daß zwischen den Flüchtlingen aus Polen und der Tschechei einerseits und den Flüchtlingen aus der Ostzone andererseits ein Unterschied besteht. Gewiß besteht ein Unterschied, aber nur ein ganz bedingter. Wollen Sie vielleicht den Deutschen aus der Ostzone erst dann den Zuzug genehmigen oder das Recht zugestehen, zu uns zu kommen, wenn sie schon in den Händen der Schergen sind? Das besagt doch der Gesetzentwurf, wenn Sie ihn so annehmen, wie von Ihnen vorgeschlagen.
Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang aus meinem Erleben etwas sagen. Es gibt in der Ostzone viele Menschen, die sich auf Grund ihrer Anschauungen, auf Grund dessen, daß sie das nicht mitmachen wollen, was die SED drüben macht, sehr gefährdet fühlen, Menschen, die meiner Partei nahestehen. Wenn Sie nun diesen Gesetzentwurf annehmen, wird es vielen dieser Menschen so gehen, wie es bereits einigen meiner Freunde gegangen ist, die auch gern im Westen Zuflucht gesucht hätten, es aber nicht getan haben und dann letzten Endes in die Hände der GPU fielen. Ich darf Ihnen hier von diesen Menschen erzählen. Ein Jahr waren sie verschollen. Vor kurzem haben die Angehörigen endlich Nachricht bekommen. Ich fühle mich verpflichtet, hier etwas vorzulesen, nachdem ich gemerkt habe, daß auch unsere Frauen Kolleginnen und Herren Kollegen von der CDU bei der Abstimmung für die Regierungsvorlage waren. Gestatten Sie mir, Herr Präsident, das hier vorzulesen:
Am Donnerstag, dem 2. Februar, haben wir endlich von Hermann und Paul Nachricht bekommen. Als Absender war eine Feldpostnummer angegeben. Es war ein Gefühl, wie wenn man von den Bergen die Sonne sieht, wie wenn eine Nebelwand zerreißt.
Aus dem Brief des verhafteten Sohnes darf ich einen Satz vorlesen. Er schreibt seiner Pflegemutter:
Weißt Du, das Leben ist so schön, und um seine unendliche Höhe erreichen und begreifen zu können, mußten wir durch seine Tiefe wandern.
Warum sage ich Ihnen das hier, verehrte Anwesende? Weil Sie bei Ihrer ganzen Debatte vergessen haben, an das Einzelschicksal zu denken.
— Jawohl, Sie haben es vergessen. Selbst wenn es zutreffen sollte, was hier gesagt wurde, daß 80 Prozent sogenannte Abenteurer darunter wären, se wenn das so wäre — ich bestreite das ganz entschieden —, dann wäre es um der 20 Prozent ehrlicher und aufrechter Menschen willen, die so denken wie Sie und wie wir.
notwendig, das Gesetz so abzufassen, wie es Ihnen von meiner Fraktion vorgelegt wurde. Das möchte ich Ihnen zu erwägen geben und Sie bitten, bevor Sie in der dritten Lesung abstimmen, an das Wort zu denken: Einer trage des andern Last!