Rede von
Rudolf
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Ich will mich auf wenige Bemerkungen zu dem, was hier bereits in der Diskussion in Erscheinung getreten ist, beschränken. Der Entwurf des Ausschusses und der Entwurf der Regierung werden von meiner Fraktion abgelehnt. Ich glaube, es ist aber trotzdem notwendig, daß wir uns auf einige amtliche Zahlen stützen, amtliche Zahlen, die beispielsweise sehr deutlich zum Ausdruck bringen, wie die wirkliche Situation ist. Ich berufe mich dabei auf den Flüchtlingsminister Albertz und den südwürttembergischen Staatspräsidenten Müller. die sehr eindeutig erklärt haben, daß unter den Grenzgängern, die in die Westzonen einfließen, eine außerordent-
lich hohe Zahl von Kriminellen ist. Mir wurde in den letzten Tagen eine Ziffer aus Hamburg bekannt — und das ist eine amtliche Ziffer —, nach welcher diejenigen, die aus der Demokratischen Republik nach dem Westen eingeflossen sind, zu 80 Prozent aus kriminellen Elementen bestehen. Ich bin auch hier der Meinung, daß man endlich einmal mit diesen Dingen in der politischen Propaganda Schluß machen sollte. Aber man wird die Geister, die man gerufen hat, einfach nicht mehr los. Wenn das Gesetz zur Annahme gelangte — auch wenn das abgeänderte Gesetz des Ausschusses angenommen werden sollte —, würde dies nach meiner Auffassung eine Ermunterung bedeuten.
Ich berufe mich dabei auf den § 2, der davon spricht, daß diese besondere Erlaubnis nur Personen erteilt werden darf, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen die in Absatz 1 genannten Gebiete verlassen müssen. Ich möchte diesen Absatz mit der Formulierung des Antrags der sozialdemokratischen Fraktion in Zusammenhang bringen, der davon spricht: Die Erlaubnis darf jemandem nur versagt werden, der wegen einer Tat verfolgt wird, die auch dann mit Strafe bederoht ist, wenn sie im Geltungsbereich des Grundgesetzes begangen sein würde. Wir wollen einmal ganz vernünftig und objektiv feststellen, daß dann in Westdeutschland eine ganze Reihe von Strafverfolgungen durchgeführt werden müßte, allein schon — sagen wir einmal - bei der Art der Propaganda gegen die Staatsoberhäupter. Es ist klar, daß der von der Sozialdemokratischen Partei vorgelegte Gesetzentwurf speziell in diesem Fall zu der Konsequenz führen würde, daß für die nach Westdeutschland Einströmenden, die sich auf den Paragraphen berufen, eine Gefahr für ihr Leben auch darin zu erblicken sein könnte, daß sie sich einer sehr ernsten Beleidigung des Staatspräsidenten der Demokratischen Republik, Pieck, schuldig gemacht haben.
Wir wollen uns darüber im klaren sein, da ß die Art und die Methode ihrer Propaganda in diesen Fällen nicht gerade als wählerisch zu bezeichnen ist; und das soll man offen feststellen.
Auf der anderen Seite verwahre ich mich aber dagegen, daß nun all die Elemente, denen drüben der Boden zu heiß geworden ist, hier im Westen einen außerordentlich günstigen Unterschlupf finden, Menschen, die einfach den Geist einer neuen fortschrittlichen Zeit nicht begreifen wollen und auch nie begreifen werden.
Ich werde von den Kollegen der rechten Seite niemals erwarten können, daß sie, da sie nun einmal einer versinkenden Welt angehören,
den Geist einer neuen Welt begreifen.
Nun, meine Damen und Herren. Sie haben sich seit 1945 mit einigen entscheidenden geographischen Veränderungen in der Welt abfinden müssen. und Sie werden sich auch in Zukunft mit einigen Änderungen, die kommen werden, abfinden, ob Sie wollen oder nicht.
Ich halte es für außerordentlich leichtfertig. durch die Verabschiedung eines solchen Gesetzes oder durch die Annahme des Antrags der Sozialdemokratischen Partei den Menschen in der Demokratischen Republik Bilder über die Zustände in Westdeutschland vorzugaukeln, die den tatsächlichen Verhältnissen in Westdeutschland in keiner Weise entsprechen. Es wäre viel zweckmäßiger, die hier in Westdeutschland gegebene Tatsache der 2 Millionen Erwerbslosen in den Vordergrund zu stellen, um zu zeigen, daß die Krise der kapitalistischen Wirtschaft in Westdeutschland mit einer großen, permanent steigenden Arbeitslosenzahl verbunden ist.
Ich teile auf der anderen Seite nicht die Befürchtungen — die nach meiner Auffassung sehr naiv sind —, daß sich durch die Annahme eines solchen Gesetzes die Möglichkeit ergibt, daß hier sogenannte Agenten einfließen, die destruktive Politik gegenüber der Politik treiben, wie sie in Westdeutschland durchgeführt wird. Auf diesem Gebiet ist wirklich sehr viel gelogen worden. Gelogen wurde beispielsweise erst in den letzten Wochen, als es sich um die Frage der Demontage in Watenstedt-Salzgitter handelte. Auch da ist aus sogenannten offiziellen Regierungskreisen festgestellt worden, daß 250 Agenten — woher man die genaue Zahl wußte, ist bisher nicht begründet worden — aus der Sowjetzone ihr Unwesen in Watenstedt-Salzgitter getrieben und dort die Bevölkerung aufgeputscht hätten. Den endgültigen, schlüssigen Beweis dafür ist man der Öffentlichkeit allerdings bis heute schuldig geblieben. Es genügt, solche Dinge in die Debatte zu werfen, um Stimmung gegen die Demokratische Republik zu erzeugen, weil es einfach in ihrer politischen Konzeption verankert ist. Wir haben keine Bedenken und werden jederzeit bereit sein, zuzustimmen, daß hei der Wiedervereinigung von Familien Leute von drüben aus der Demokratischen Republik nach Westdeutschland einfließen können. Aber wir lehnen die Propaganda, die nun mit diesen Dingen in Westdeutschland in Permanenz getrieben wird, auf das entschiedenste ab. Wir lehnen auch den Vorschlag der Regierung und den sozialdemokratischen Antrag ab.