Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir im Dezember vorigen Jahres einen Gesetzentwurf über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet vorlegten, wollten wir damit der Absicht der Regierung, diese Frage durch eine Verordnung zu
lösen, entgegentreten. Wir waren der Meinung, daß eine solche Frage, ein solches Problem nur vom Parlament mit der vollen politischen Entscheidung erledigt werden konnte. Wir sahen uns zu diesem Gesetzentwurf auch deshalb veranlaßt, weil wir glaubten, es nicht verantworten zu können, daß dieses Problem auf Grund der Regierungsverordnung mit Polizeimaßnahmen gelöst werden sollte, und zwar mit Polizeimaßnahmen, die unter Umständen deutsche Polizisten zwangen, sich gegen deutsche Männer und gegen deutsche Frauen an der Sowjetzone zu stellen.
Der wichtigste Paragraph unseres Gesetzentwurfs — ich möchte sagen: das Kernstück unseres Gesetzentwurfs überhaupt — war der § 1 Absatz 2, der vorsah, daß nur jemandem die Erlaubnis versagt werden darf, wenn er wegen einer Tat verfolgt wird, die auch dann mit Strafe bedroht ist, wenn sie im Geltungsbereich des Bundesgebiets begangen sein würde. Dieser Paragraph stand im Gegensatz zu dem § 1 Absatz 2 der Regierungsverordnung, der eben die Erlaubnis nur den Personen erteilen wollte, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen Gründen die Ostzone verlassen mußten.
Die Ausschußberatungen haben nun gezeigt, daß .die Mehrheit des Ausschusses sich gegen die Fassung unseres Paragraphen gestellt hat, und er wurde durch den § 1 Absatz 2 der Verordnung ersetzt. Und damit, meine Damen und Herren, hat unser Gesetzentwurf ein vollkommen anderes und von uns nicht gewolltes Gesicht erhalten. Wir sehen uns deshalb, wenn die Fassung unseres Entwurfs nicht wiederhergestellt wird, nicht in der Lage, unserem eigenen Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich darf unsere Gründe noch einmal zum Ausdruck bringen, die uns zu dieser Fassung bewegen. Der Ausschußentwurf versucht im § 1 Absatz 2, den Rahmen der Zulassung für Deutsche aus der Ostzone zu umreißen, und wir sind nach wie vor der Ansicht, daß damit nicht nur das im Grundgesetz verankerte Recht der Freizügigkeit verletzt wird; wir sind auch der Ansicht, daß diese Regelung menschlich nicht zu verantworten ist. Sie alle müssen zugeben, daß die Definition, mit der man die Aufnahmemöglichkeiten zu umreißen versucht, auf reine Ermessensurteile von Ausschüssen und Bürokratie hinausläuft, die unausbleiblich ganz verschiedene Maßstäbe anlegen, weil diese Definition eine weite Auslegungsmöglichkeit in sich schließt. Damit kann die Kommission — und das ist für uns das Wesentliche — bei den Entscheidungen über Aufnahme oder über Ablehnung eine Entscheidung über Leben oder Tod treffen.
Das, meine Damen und Herren, kann nicht Ihr Wille sein, und trotzdem muß es bei der augenblicklichen Formulierung darauf hinauslaufen, weil Ermessensurteile an keinerlei Richtlinien zu binden sind. Sie heben ferner dadurch ein Grundrecht von Deutschen auf, die nicht etwa einen Verstoß gegen geltende Gesetze begangen haben, sondern die im Gegenteil alle gefährdet sind, sobald sie sich im nationalen Sinne zu Deutschland bekennen und sobald sie allgemeinpolitisch sich nicht der totalitären Staatsreligion drüben in der Ostzone unterwerfen. Sie sind gefährdet, sobald sie sich als Demokraten in westeuropäischem Sinne bekennen.
Der Wortlaut des Ausschußentwurfs richtet sich deshalb gegen primitivste Menschenrechte,
er richtet sich gegen ein Bekenntnis zum ganzen deutschen Volke, und er richtet sich auch gegen die politische und demokratische Freiheit. Wir sind der Ansicht — und, meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie es genau so sind —, menschliche und nationale und politische Rechte dürfen nicht vergewaltigt werden, sondern sie müssen von uns hochgehalten werden. Deswegen, allein aus diesem Grunde, kann man die Grenzen der Zulassung nicht festlegen, sondern wir müssen, so wie es unser Gesetzentwurf vorsieht, unter allgemeiner Aufrechterhaltung der Zulassung die Elemente ausschalten, die auch in der Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt werden müssen. Auch dabei, meine Damen und Herren, muß man mit sehr viel Vorsicht vorgehen, weil jeder, der die Verhältnisse drüben kennt und aus eigenem Erleben kennt, weiß, daß man in vielen Fällen Menschen solche Delikte anhängt, um sie politisch zu erledigen.
Eine andere Frage, die uns bewegt und die auch Sie bewegen muß und die in Ihrer Formulierung offenbleibt, meine Damen und Herren, ist die folgende: Was wird aus den Menschen, die Sie abweisen, die nach Ihrer Ansicht nicht in einer drohenden Gefahr für Leib und Leben stehen? Sie wissen so gut wie wir, daß die wenigsten, die abgewiesen werden, wieder in die Sowjetzone zurückkehren und auch nicht zurückkehren können und daß wir sie damit der Landstraße überantworten und sie in ein Schicksal hineintreiben, das wir alle nicht wünschen. Fast alle kommen zu uns herüber, um unsere Hilfe zu erbitten, um zu arbeiten, um einen Beruf zu erlernen. Wir aber schlagen mit einer solchen Regelung die Tür vor ihnen zu, und wir schicken sie auf die Landstraße oder bei Abschiebung — wer von uns weiß das immer vorher? -
entweder in die Zuchthäuser oder in den Tod. Es nicht so sehen zu wollen, hieße, vor der Wirklichkeit des Elends der Abgewiesenen die Augen zu verschließen.
Wir übersehen ganz gewiß nicht die Schwierigkeiten, die sich bei Wiederherstellung des § 1 unseres Entwurfes für die Bundesrepublik ergeben. Wir wissen, daß damit der Lebensraum der bereits in der Bundesrepublik Lebenden eingeschränkt und eingeengt wird. Trotzdem sollten wir uns nicht anders entscheiden, trotzdem sollten wir Menschlichkeit und Verantwortlichkeit gegenüber unseren Brüdern und Schwestern in der Ostzone sprechen lassen.
Es kann gar nicht die Rede davon sein, meine Damen und Herren, daß § 1 unseres Gesetzentwurfes geradezu eine Aufforderung an die Bewohner der Ostzone darstelle, nach hier in den „goldenen Westen" zu kommen. Glauben Sie mir, die Gründe, die jemanden zwingen, seine Heimat zu verlassen und unter solchen Umständen zu verlassen, wie diese Menschen es tun müssen, die hier bei uns vorerst vor einem- Nichts stehen, ohne Arbeit, ohne Wohnung, müssen schon sehr zwingende sein. Nach meiner Überzeugung ist es aber drüben auch bereits bekanntgeworden, daß es mit dem „goldenen Westen" gar nicht so golden aussieht
und daß auch bei uns der größte Teil der Bevölkerung auf der Schattenseite des Lebens steht, wie sie diese Wirtschaftspolitik zur Folge hat.
Im Ausschuß ist auch erklärt worden, die Tatsache, daß sich die Zahl der Einströmenden in der letzten Zeit verringert hat, sei darauf zurückzuführen, daß dieser Verordnungsentwurf bei uns im Parlament beraten werde und schon als sogenannte Abschreckungsmaßnahme auf die Sowjetzonenbewohner gewirkt habe. Ich möchte fragen: hat man sich dabei auch überlegt, daß vielleicht gerade diese Schranke, die wir damit gegenüber den oft verzweifelten Menschen noch zusätzlich aufgerichtet haben, manchem vielleicht bereits zum Verhängnis geworden ist, weil er sich noch in letzter Minute gefürchtet hat, nach hier zu kommen, aus der Sorge. was aus ihm wird?
Das, meine Damen und Herren, können wir nicht wollen, und das können auch Sie nicht wollen. Deshalb bitten wir Sie, aus menschlichen, aber auch aus politischen Gründen zu einer Entscheidung zu kommen, die unseren Brüdern und Schwestern in der Ostzone die Hoffnung und die Zuversicht gibt, daß wir zu ihnen stehen.
Wir stellen deshalb folgenden Antrag, den wir Sie anzunehmen bitten:
Der Bundestag wolle beschließen:
In § 1 wird Absatz 2 gestrichen.
Absatz 3 wird Absatz 2 und erhält folgenden Wortlaut:
Die Erlaubnis darf jemand nur versagt werden, der wegen einer Tat verfolgt wird, die auch dann mit Strafe bedroht ist, wenn sie im Geltungsbereich des Grundgesetzes begangen sein würde.
In § 2 a wird Absatz 2 gestrichen.
Meine Damen und Herren, denken Sie bei Ihrer Entscheidung daran, daß Sie über eine wichtige Frage zu entscheiden haben! Deutschland muß die Heimat aller Deutschen bleiben!