Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Herr Bundeskanzler hat soeben in eindringlichen Worten den ganzen Ernst der Lage dargelegt, wie er durch das Ergebnis der Pariser Saarverhandlungen plötzlich für uns alle erkennbar wurde. Ich habe den Auftrag, namens meiner Fraktion hier zu erklären, daß wir den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und seinen Schlußfolgerungen vorbehaltlos beitreten.
Wir möchten diese Gelegenheit aber benutzen, um aus unserer grundsätzlichen Einstellung heraus ein klares Bekenntnis zu Europa abzulegen und einen aufrichtigen Appell an Frankreich zu richten. Gerade weil wir die Lage als sehr ernst ansehen, weil wir Europa unter Umständen gefährdet, die deutsch-französische Verständigung erschwert sehen, legen wir Wert darauf, dieses Bekenntnis heute rückhaltlos und offen abzulegen. Bisher ist es doch noch immer so gewesen: Wer gläubig ist, muß in der Stunde der Gefahr bekennen. Als äußerster rechter Flügel der Regierungsparteien, aber auch für uns als Deutsche Partei haben wir unserm ganzen Herkommen nach die Berechtigung und die Befugnis zu einem solchen Bekenntnis. Ich darf Sie wohl daran erinnern, daß unsere Partei seit etwa drei Generationen den Kampf gegen die Macht, den Kampf für das Recht und für die Durchsetzung der Nachbarschaftsidee auf ihre Fahnen geschrieben hat. Daraus haben wir die Konsequenz gezogen: wir haben für Deutschland einen föderalistischen Bundesstaat, aber auch für Europa einen Gemeinschaftsbund gewünscht und die deutsch-französische Verständigung von jeher als einen der Hauptpunkte in unser Parteiprogramm aufgenommen.
Meine verehrten Damen und Herren! Es ist für uns selbstverständlich, daß wir in diesem Augenblick nicht das Gefühl, sondern den Ver-
stand sprechen lassen und die Mahnung des Herrn Bundeskanzlers beherzigen. Wir werden also leidenschaftslos, sine ira et studio und unter bewußtem Verzicht auf jede Polemik an die Dinge, wie sie nun einmal sind, herangehen. Die Dinge offenzulegen und sie bei Namen zu nennen ist notwendig, wenn wir ein gegenseitiges Vertrauen herstellen wollen, und nur mit gegenseitigem Vertrauen kommen wir zu einer wirklich befriedigenden Lösung, die auch Bestand haben wird. Persönlich gebe ich mich dabei der Hoffnung hin, daß .diese meine Offenheit auch bei meinen französischen Freunden Verständnis finden wird; wissen sie doch aus langjähriger freundschaftlichster Zusammenarbeit an dem gleichen Ziel, daß mir die deutsch-französische Verständigung wirklich zu einer Herzensangelegenheit geworden ist.
Meine Damen und Herren, zunächst: was ist geschehen? Wenn wir die in Paris paraphierten Konventionen, auf die ich hier im einzelnen nicht einzugehen brauche, da Sie sie kennen und sie von meinen Vorrednern schon so eingehend dargelegt wurden, auf ihren letzten Sinn hin analysieren, so können wir zusammenfassend folgendes sagen. Die französischen Zugeständnisse auf politischem Gebiet stellen praktisch keinerlei Einschränkung, sondern lediglich eine diplomatische Modifikation des politischen Instruments dar, mit dem Frankreich die Kontrolle im Saargebiet ausübt. Durch die Konventionen erlangt Frankreich eine absolut beherrschende und dauerhafte wirtschaftliche Vormachtstellung im Saargebiet. Die wirtschaftlichen Zugeständnisse und die auf ihren Schutz hinzielenden politischen Sicherungen sind so weitgehend, daß die politische Loslösung des Saargebietes absolut durchgeführt ist, und daß ihr zwangsläufig mit der Zeit auch die völlige Entdeutschung folgen muß. Daran ändern auch die Vertröstung und der Hinweis auf die endgultige Regelung im Friedensvertrag nichts. Denn — und das hat der Herr Bundeskanzler mit Recht ausgeführt; ich zitiere wörtlich: — das ganze politische und wirtschaftliche Leben des Saargebietes wird durch die Abkommen in eine Ordnung gebracht, die sich schlechterdings durch keinen Friedensvertrag wieder beseitigen läßt.
Das ist sicher, und wer die französische Mentalität und das schöne französische Sprichwort kennt „C'est le provisoire qui dure", auf gut deutsch „Nur das Provisorische ist endgültig", und wer weiß, daß die französische Bürokratie dieses proverbe, man möchte fast sagen, stündlich beherzigt, kann sich klarmachen, welcher Wille hinter diesen Abmachungen bezüglich der Saar steht.
Es kommt nun als wesentlicher und wohl entscheidender Aspekt der ganzen Konventionen noch die unbestreitbare Tatsache hinzu, daß beide Verhandlungspartner hier zugunsten des andern über Dinge verfügen, über die sie gar keine Verfügungsberechtigung haben. Ich brauche auf die rechtlichen Argumente, die meine Herren Vorredner schon so eingehend dargelegt haben, gar nicht einzugehen. Ich möchte mich auf die politische Seite beschränken. Auch da kann ich erfreulicherweise feststellen, daß wir auf der Rechten des Hauses uns in vollem Einklang mit Herrn Dr. Schumacher befinden. Herr Dr. Schumacher hat von einer „Politik der kleinen Schlauheiten" gesprochen. Meine Damen und Herren, ich möchte es nennen: die Illusionspolitik des „Als ob". Man tut in Paris so, als ob der derzeitige Sprecher des Saargebietes über die Saargruben als Eigentümer
verfügen könne. Man tut in Paris so, als ob dasselbe hinsichtlich der deutschen Bahnen im Saargebiet der Fall sei. Man tut so, als ob die zugestandene Nutzung des wirtschaftlichen Potentials des Saargebietes für Frankreich notwendigerweise auch die völlige politische Abtrennung der Saar zur Folge haben müsse. Man tut weiter so, als ob dies alles so sicher sei, daß es allein im Willen Frankreichs stehe, welche Form und welchen Namen man diesem neuen Staatsgebilde geben wolle.
Meine Damen und Herren, diese Politik des „Als ob", die an den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten vollkommen vorbeigeht, ist gefährlich. Sie schwebt sozusagen im luftleeren Raum, gründet sich auf Wunschträume längst vergangener Zeiten und führt eines Tages zum bösen Erwachen, nämlich dann, wenn die Realitäten sich als mächtiger erweisen als die Wünsche. Um dies zu vermeiden, müssen wir nicht eine Politik des „Als ob", sondern eine offene und nüchterne Realpolitik treiben, die bereit ist. die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Aber daran scheint es leider zu fehlen. Eine große amerikanische Zeitung hat gerade dieser Taue bezeichnenderweise bemerkt, der erschütterndste Aspekt bei der ganzen Saarsituation sei die Tatsache, daß offenbar weder Frankreich noch Deutschland aus der Katastrophe des zweiten Weltkrieges irgend etwas gelernt hätten. Und in der Tat, sollten wir nicht alle, diesseits und jenseits der Grenzen, uns- die Gewissensfrage vorlegen, ob wir in der heutigen Situation nicht endlich die Lehren aus der Geschichte ziehen sollen? Noch ist es ja nicht zu spät, denn noch ist nichts Endgültiges und Unwiderrufliches geschehen.
Meine Damen und Herren! Über der deutschfranzösischen Geschichte schwebt eine unendliche Tragik. Die vielen bewaffneten Konflikte zwischen beiden Völkern haben fast stets damit geendet, daß der siegreiche Teil seine jeweilige Macht mißbrauchte, um sich die erlangten Vorteile für alle Zukunft zu sichern. Stets war aber die Dynamik im Völkerleben stärker als die künstliche Verewigung der Übermacht des Siegers. So Rind dann zwangsläufig immer wieder von neuem Konflikte entstanden. und niemals ist das richtige, gesunde organische Gleichgewicht zwischen beiden Völkern gefunden worden. Das Nichtmaßhaltenkönnen des Siegers stand hindernd im Wege.
Es kommt noch ein weiteres tragisches. Moment
hinzu. Das Geschick hat Deutschland und Frankreich bei den großen Auseinandersetzungen der Weltgeschichte stets auf entgegengesetzte Seiten gestellt. So war es bei der Reformation, so war es zur Zeit der Französischen Revolution, so war es bei den Auseinandersetzungen im Zeitalter des Nationalstaates und so war es auch in den beiden Weltkriegen. Die verschiedene Mentalität beider Völker, das unterschiedliche Tempo in der Formung des eigenen Nationalstaates bewirken immer wieder. daß einmal die Deutschen den Fortschritt. die Franzosen dagegen die Tradition verteidigten, während das andere Mal die Rollen genau umgekehrt waren.
Anders, meine Damen und Herren, die heutige Situation. Heute zum ersten Mal in der deutschfranzösischen Geschichte, vielleicht auch zum letzten Mal, liegen die Dinge so, daß wir im großen Kampf um die Erhaltung der abendländischen Zivilisation und der christlichen Kultur beide auf derselben Seite stehen. Beiden Völkern ist die
große Chance gegeben, jetzt gemeinsam Schulter an Schulter das Beste einzusetzen, über das sie verfügen.
Europa heißt das gemeinsame Ziel! Nur ein geeintes Europa wird dem östlichen Ansturm widerstehen können. Dieses Europa ist aber nur dann möglich, wenn Frankreich und Deutschland von der gleichen Entschlossenheit beseelt sind, gemeinsam die tragenden Säulen dieses neuen europäischen Gebäudes zu werden. Das heißt, ohne eine aufrichtige deutsch-französische Verständigung ist die Rettung Europas und damit der christlich-abendländischen Kultur einfach nicht denkbar. Beide Völker müssen daher als Voraussetzung für die Erreichung dieses Zieles wirklich ernsthaft bestrebt sein, nationale Sonderinteressen hinter den gesamteuropäischen Gedanken zurücktreten zu lassen. Entweder wir unterliegen dem feindlichen Ansturm, — dann ist es gänzlich gleichgültig, wer bis dahin die größeren Rechte in dem kleinen Teilchen Europas hat, das wir heute Saargebiet nennen. Oder aber wir erwehren uns des Ansturms aus dem Osten durch die Errichtung eines geeinten und einigen Europas. Dann jedoch kommt es auf Souveränitätsfragen und die Zugehörigkeit der Saar zu diesem oder jenem Wirtschaftsgebiet überhaupt nicht mehr an. Dann gehört das Saargebiet, so wie wir alle, zu Europa!
Meine verehrten Damen und Herren! Als man sich vor einigen Jahren über den wirtschaftlichen Anschluß des Saargebiets an Frankreich einigte, stand man noch ganz unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Schäden dieses furchtbaren Krieges. Da gab es noch keinen Marshallplan, da gab es noch keine kraftvolle Bewegung für ein vereinigtes Europa; da waren auch noch keinerlei Ansätze für die Organisierung dieses einigen Europas erkennbar. An dieser entscheidenden Entwicklung kann und darf man heute aber nicht einfach vorbeigehen. Die Pariser Konventionen bedeuten aber ein Ignorieren, ein Vorbeigehen an der inzwischen eingetretenen Entwicklung, ja sie sind geeignet, diese Entwicklung zu stören und zu hemmen. Wenn die Grenzpfähle in Europa nunmehr ganz verschwinden sollen, dann darf man sie nicht kurz vorher mit großer Wichtigkeit und großem Aufheben noch um einige Kilometer versetzen.
Unter europäischem Blickwinkel gesehen, stellt also der in Paris unternommene Versuch einer einseitigen Regelung der Verhältnisse an der Saar einen Schlag gegen Europa und gegen die deutsch-französische Verständigung dar. Er ist, europäisch gesehen, ein Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt. Man sollte endlich mit dieser Methode europäischer Politik aufhören; sie paßt nicht mehr in die Zeit der Europabewegung hinein, die gebieterisch verlangt, daß wir alle, die wir gute Europäer sein wollen, unsere nationalen Sonderwünsche hinter die europäischen Gesamtinteressen zurückstellen.
Unsere französischen Freunde sollten aber auch noch folgendes beherzigen: In einer Zeit wie der heutigen erhalten Grenzgebiete wie die Saar einen ganz anderen Charakter, als sie ihn im Zeitalter des auf Macht aufgebauten und nach Macht strebenden Nationalstaates hatten. Waren sie damals Streitobjekte zwischen den Völkern, so müssen sie heute zum Bindeglied, zur Brücke zwischen den Staaten werden. Elsaß-Lothringen hat als Zankapfel allzulange die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland vergiftet. Möge die Saar im Zeitalter Europas nicht das gleiche Unheil
heraufbeschwören, sondern ein festes Band zwischen beiden Völkern werden!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus dieser unserer Gesamtkonzeption sehen meine Freunde und ich durchaus die Möglichkeit einer konstruktiven Lösung gegeben. Ich freue mich, daß wir unabhängig voneinander zu einem ähnlichen, wenn nicht dem gleichen Vorschlag kommen, den Herr Dr. Schumacher soeben hier angedeutet hat. Die Feststellung dieser Tatsache ist vielleicht für das Ausland nicht ganz unwesentlich, daß die Rechte und die Linke dieses Hauses zu demselben Ergebnis kommen.
Es bedarf nur eines gewissen Mutes und einiger Entschlossenheit diesseits und jenseits der Grenzen, um nun wirklich mit den tauglichen Mitteln und am tauglichen Objekt einer Einigung näherzutreten. Der Marshallplan hat ohnehin zum Ziel, die Produktionskraft der westlichen Länder aufeinander abzustimmen.
In Europa sind Deutschland und Frankreich die wirtschaftlich wichtigsten und entscheidenden Gebiete. Was sollte uns also hindern, sofort und in offener und direkter Aussprache das Problem und die Methode einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern, also auch einschließlich des Saargebiets, praktisch anzupacken? Wir sind unsererseits bereit, den berechtigten Interessen Frankreichs im Rahmen des übergeordneten europäischen Ziels dabei Rechnung zu tragen. Wir erwarten jedoch dieselbe Einstellung auch von der anderen Seite. So sollte es uns gelingen, die Voraussetzungen für eine deutsch-französische Verständigung und eine gemeinsame Produktionsplanung innerhalb eines geeinten Europas zu schaffen. Der Beginn solcher Besprechungen sollte aber nicht länger hinausgeschoben, sondern von allen beteiligten Stellen baldigst in die Wege geleitet werden. Die Möglichkeit zu einem deutsch-französischen Gespräch scheint durchaus gegeben. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Deutschen ist der ehrliche Wille hierzu vorhanden. Darf ich an die französische Seite und an die übrigen Besatzungsmächte appellieren, sich auch ihrerseits für solche Verhandlungen einzusetzen, damit wir statt zu einer Verschärfung der Gegensätze zu einer Regelung des europäischen Zusammenlebens in Frieden und in Freiheit gelangen? Unser gemeinsames Ziel ist und muß bleiben: ein geeintes, ein friedliches Europa.