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ID0104601700

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    Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1555 46. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1555C, 1588A Anfrage Nr. 44 der Fraktion der KPD betr. neunprozentige Lohnerhöhung im Steinkohlenbergbau (Drucksachen Nr. 481 und 629) 1555C Anfrage Nr. 43 der Abg. Stücklen, Strauß u. Gen. betr. zentrale Beschaffungsstelle für die Ausgestaltung der Bundesbehörden (Drucksachen Nr. 462 und 683) . 1555D Anfrage Nr. 48 der Fraktion der KPD betr. Ost-West-Handel (Drucksachen Nr. 529 und 659) 1555D Anfrage Nr. 54 der Fraktion der FDP betr Schiffsbau für ' Exportzwecke (Druck- sachen Nr. 577 und 693) 1555D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Saarfrage) 1555D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 1555D Unterbrechung der Sitzung . . 1560B Zwischenfall wegen Anwesenheit des Abg Hedler im Sitzungssaal . . . . 1560D, 1588C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 1560C, 1561D Dr. Leuchtgens (DRP) : zur Geschäftsordnung . . . . . 1560C zur Sache . . . . . . . . 1584B Dr. Schumacher (SPD) . . . . . 1562A Dr. von Brentano (CDU) 1570B Dr. Seelos (BP) 1574C Dr. von Campe (DP) . . . . . 1575G Niebergall (KPD) . . . . . . 1577D Frau Wessel (Z) 1580A Loritz (WAV) 1582D Dr. Schäfer (FDP) . . . . . . 1585C Nächste Sitzungen 1588C Die Sitzung wird um 10 Uhr 23 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Carl von Campe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Herr Bundeskanzler hat soeben in eindringlichen Worten den ganzen Ernst der Lage dargelegt, wie er durch das Ergebnis der Pariser Saarverhandlungen plötzlich für uns alle erkennbar wurde. Ich habe den Auftrag, namens meiner Fraktion hier zu erklären, daß wir den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und seinen Schlußfolgerungen vorbehaltlos beitreten.
    Wir möchten diese Gelegenheit aber benutzen, um aus unserer grundsätzlichen Einstellung heraus ein klares Bekenntnis zu Europa abzulegen und einen aufrichtigen Appell an Frankreich zu richten. Gerade weil wir die Lage als sehr ernst ansehen, weil wir Europa unter Umständen gefährdet, die deutsch-französische Verständigung erschwert sehen, legen wir Wert darauf, dieses Bekenntnis heute rückhaltlos und offen abzulegen. Bisher ist es doch noch immer so gewesen: Wer gläubig ist, muß in der Stunde der Gefahr bekennen. Als äußerster rechter Flügel der Regierungsparteien, aber auch für uns als Deutsche Partei haben wir unserm ganzen Herkommen nach die Berechtigung und die Befugnis zu einem solchen Bekenntnis. Ich darf Sie wohl daran erinnern, daß unsere Partei seit etwa drei Generationen den Kampf gegen die Macht, den Kampf für das Recht und für die Durchsetzung der Nachbarschaftsidee auf ihre Fahnen geschrieben hat. Daraus haben wir die Konsequenz gezogen: wir haben für Deutschland einen föderalistischen Bundesstaat, aber auch für Europa einen Gemeinschaftsbund gewünscht und die deutsch-französische Verständigung von jeher als einen der Hauptpunkte in unser Parteiprogramm aufgenommen.

    (Zuruf von der SPD: Ihr besteht ja erst zwei Jahre!)

    Meine verehrten Damen und Herren! Es ist für uns selbstverständlich, daß wir in diesem Augenblick nicht das Gefühl, sondern den Ver-


    (Dr. von Campe)

    stand sprechen lassen und die Mahnung des Herrn Bundeskanzlers beherzigen. Wir werden also leidenschaftslos, sine ira et studio und unter bewußtem Verzicht auf jede Polemik an die Dinge, wie sie nun einmal sind, herangehen. Die Dinge offenzulegen und sie bei Namen zu nennen ist notwendig, wenn wir ein gegenseitiges Vertrauen herstellen wollen, und nur mit gegenseitigem Vertrauen kommen wir zu einer wirklich befriedigenden Lösung, die auch Bestand haben wird. Persönlich gebe ich mich dabei der Hoffnung hin, daß .diese meine Offenheit auch bei meinen französischen Freunden Verständnis finden wird; wissen sie doch aus langjähriger freundschaftlichster Zusammenarbeit an dem gleichen Ziel, daß mir die deutsch-französische Verständigung wirklich zu einer Herzensangelegenheit geworden ist.
    Meine Damen und Herren, zunächst: was ist geschehen? Wenn wir die in Paris paraphierten Konventionen, auf die ich hier im einzelnen nicht einzugehen brauche, da Sie sie kennen und sie von meinen Vorrednern schon so eingehend dargelegt wurden, auf ihren letzten Sinn hin analysieren, so können wir zusammenfassend folgendes sagen. Die französischen Zugeständnisse auf politischem Gebiet stellen praktisch keinerlei Einschränkung, sondern lediglich eine diplomatische Modifikation des politischen Instruments dar, mit dem Frankreich die Kontrolle im Saargebiet ausübt. Durch die Konventionen erlangt Frankreich eine absolut beherrschende und dauerhafte wirtschaftliche Vormachtstellung im Saargebiet. Die wirtschaftlichen Zugeständnisse und die auf ihren Schutz hinzielenden politischen Sicherungen sind so weitgehend, daß die politische Loslösung des Saargebietes absolut durchgeführt ist, und daß ihr zwangsläufig mit der Zeit auch die völlige Entdeutschung folgen muß. Daran ändern auch die Vertröstung und der Hinweis auf die endgultige Regelung im Friedensvertrag nichts. Denn — und das hat der Herr Bundeskanzler mit Recht ausgeführt; ich zitiere wörtlich: — das ganze politische und wirtschaftliche Leben des Saargebietes wird durch die Abkommen in eine Ordnung gebracht, die sich schlechterdings durch keinen Friedensvertrag wieder beseitigen läßt.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Das ist sicher, und wer die französische Mentalität und das schöne französische Sprichwort kennt „C'est le provisoire qui dure", auf gut deutsch „Nur das Provisorische ist endgültig", und wer weiß, daß die französische Bürokratie dieses proverbe, man möchte fast sagen, stündlich beherzigt, kann sich klarmachen, welcher Wille hinter diesen Abmachungen bezüglich der Saar steht.
    Es kommt nun als wesentlicher und wohl entscheidender Aspekt der ganzen Konventionen noch die unbestreitbare Tatsache hinzu, daß beide Verhandlungspartner hier zugunsten des andern über Dinge verfügen, über die sie gar keine Verfügungsberechtigung haben. Ich brauche auf die rechtlichen Argumente, die meine Herren Vorredner schon so eingehend dargelegt haben, gar nicht einzugehen. Ich möchte mich auf die politische Seite beschränken. Auch da kann ich erfreulicherweise feststellen, daß wir auf der Rechten des Hauses uns in vollem Einklang mit Herrn Dr. Schumacher befinden. Herr Dr. Schumacher hat von einer „Politik der kleinen Schlauheiten" gesprochen. Meine Damen und Herren, ich möchte es nennen: die Illusionspolitik des „Als ob". Man tut in Paris so, als ob der derzeitige Sprecher des Saargebietes über die Saargruben als Eigentümer
    verfügen könne. Man tut in Paris so, als ob dasselbe hinsichtlich der deutschen Bahnen im Saargebiet der Fall sei. Man tut so, als ob die zugestandene Nutzung des wirtschaftlichen Potentials des Saargebietes für Frankreich notwendigerweise auch die völlige politische Abtrennung der Saar zur Folge haben müsse. Man tut weiter so, als ob dies alles so sicher sei, daß es allein im Willen Frankreichs stehe, welche Form und welchen Namen man diesem neuen Staatsgebilde geben wolle.
    Meine Damen und Herren, diese Politik des „Als ob", die an den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten vollkommen vorbeigeht, ist gefährlich. Sie schwebt sozusagen im luftleeren Raum, gründet sich auf Wunschträume längst vergangener Zeiten und führt eines Tages zum bösen Erwachen, nämlich dann, wenn die Realitäten sich als mächtiger erweisen als die Wünsche. Um dies zu vermeiden, müssen wir nicht eine Politik des „Als ob", sondern eine offene und nüchterne Realpolitik treiben, die bereit ist. die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Aber daran scheint es leider zu fehlen. Eine große amerikanische Zeitung hat gerade dieser Taue bezeichnenderweise bemerkt, der erschütterndste Aspekt bei der ganzen Saarsituation sei die Tatsache, daß offenbar weder Frankreich noch Deutschland aus der Katastrophe des zweiten Weltkrieges irgend etwas gelernt hätten. Und in der Tat, sollten wir nicht alle, diesseits und jenseits der Grenzen, uns- die Gewissensfrage vorlegen, ob wir in der heutigen Situation nicht endlich die Lehren aus der Geschichte ziehen sollen? Noch ist es ja nicht zu spät, denn noch ist nichts Endgültiges und Unwiderrufliches geschehen.
    Meine Damen und Herren! Über der deutschfranzösischen Geschichte schwebt eine unendliche Tragik. Die vielen bewaffneten Konflikte zwischen beiden Völkern haben fast stets damit geendet, daß der siegreiche Teil seine jeweilige Macht mißbrauchte, um sich die erlangten Vorteile für alle Zukunft zu sichern. Stets war aber die Dynamik im Völkerleben stärker als die künstliche Verewigung der Übermacht des Siegers. So Rind dann zwangsläufig immer wieder von neuem Konflikte entstanden. und niemals ist das richtige, gesunde organische Gleichgewicht zwischen beiden Völkern gefunden worden. Das Nichtmaßhaltenkönnen des Siegers stand hindernd im Wege.
    Es kommt noch ein weiteres tragisches. Moment
    hinzu. Das Geschick hat Deutschland und Frankreich bei den großen Auseinandersetzungen der Weltgeschichte stets auf entgegengesetzte Seiten gestellt. So war es bei der Reformation, so war es zur Zeit der Französischen Revolution, so war es bei den Auseinandersetzungen im Zeitalter des Nationalstaates und so war es auch in den beiden Weltkriegen. Die verschiedene Mentalität beider Völker, das unterschiedliche Tempo in der Formung des eigenen Nationalstaates bewirken immer wieder. daß einmal die Deutschen den Fortschritt. die Franzosen dagegen die Tradition verteidigten, während das andere Mal die Rollen genau umgekehrt waren.
    Anders, meine Damen und Herren, die heutige Situation. Heute zum ersten Mal in der deutschfranzösischen Geschichte, vielleicht auch zum letzten Mal, liegen die Dinge so, daß wir im großen Kampf um die Erhaltung der abendländischen Zivilisation und der christlichen Kultur beide auf derselben Seite stehen. Beiden Völkern ist die


    (Dr. von Campe)

    große Chance gegeben, jetzt gemeinsam Schulter an Schulter das Beste einzusetzen, über das sie verfügen.
    Europa heißt das gemeinsame Ziel! Nur ein geeintes Europa wird dem östlichen Ansturm widerstehen können. Dieses Europa ist aber nur dann möglich, wenn Frankreich und Deutschland von der gleichen Entschlossenheit beseelt sind, gemeinsam die tragenden Säulen dieses neuen europäischen Gebäudes zu werden. Das heißt, ohne eine aufrichtige deutsch-französische Verständigung ist die Rettung Europas und damit der christlich-abendländischen Kultur einfach nicht denkbar. Beide Völker müssen daher als Voraussetzung für die Erreichung dieses Zieles wirklich ernsthaft bestrebt sein, nationale Sonderinteressen hinter den gesamteuropäischen Gedanken zurücktreten zu lassen. Entweder wir unterliegen dem feindlichen Ansturm, — dann ist es gänzlich gleichgültig, wer bis dahin die größeren Rechte in dem kleinen Teilchen Europas hat, das wir heute Saargebiet nennen. Oder aber wir erwehren uns des Ansturms aus dem Osten durch die Errichtung eines geeinten und einigen Europas. Dann jedoch kommt es auf Souveränitätsfragen und die Zugehörigkeit der Saar zu diesem oder jenem Wirtschaftsgebiet überhaupt nicht mehr an. Dann gehört das Saargebiet, so wie wir alle, zu Europa!
    Meine verehrten Damen und Herren! Als man sich vor einigen Jahren über den wirtschaftlichen Anschluß des Saargebiets an Frankreich einigte, stand man noch ganz unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Schäden dieses furchtbaren Krieges. Da gab es noch keinen Marshallplan, da gab es noch keine kraftvolle Bewegung für ein vereinigtes Europa; da waren auch noch keinerlei Ansätze für die Organisierung dieses einigen Europas erkennbar. An dieser entscheidenden Entwicklung kann und darf man heute aber nicht einfach vorbeigehen. Die Pariser Konventionen bedeuten aber ein Ignorieren, ein Vorbeigehen an der inzwischen eingetretenen Entwicklung, ja sie sind geeignet, diese Entwicklung zu stören und zu hemmen. Wenn die Grenzpfähle in Europa nunmehr ganz verschwinden sollen, dann darf man sie nicht kurz vorher mit großer Wichtigkeit und großem Aufheben noch um einige Kilometer versetzen.
    Unter europäischem Blickwinkel gesehen, stellt also der in Paris unternommene Versuch einer einseitigen Regelung der Verhältnisse an der Saar einen Schlag gegen Europa und gegen die deutsch-französische Verständigung dar. Er ist, europäisch gesehen, ein Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt. Man sollte endlich mit dieser Methode europäischer Politik aufhören; sie paßt nicht mehr in die Zeit der Europabewegung hinein, die gebieterisch verlangt, daß wir alle, die wir gute Europäer sein wollen, unsere nationalen Sonderwünsche hinter die europäischen Gesamtinteressen zurückstellen.
    Unsere französischen Freunde sollten aber auch noch folgendes beherzigen: In einer Zeit wie der heutigen erhalten Grenzgebiete wie die Saar einen ganz anderen Charakter, als sie ihn im Zeitalter des auf Macht aufgebauten und nach Macht strebenden Nationalstaates hatten. Waren sie damals Streitobjekte zwischen den Völkern, so müssen sie heute zum Bindeglied, zur Brücke zwischen den Staaten werden. Elsaß-Lothringen hat als Zankapfel allzulange die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland vergiftet. Möge die Saar im Zeitalter Europas nicht das gleiche Unheil
    heraufbeschwören, sondern ein festes Band zwischen beiden Völkern werden!
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus dieser unserer Gesamtkonzeption sehen meine Freunde und ich durchaus die Möglichkeit einer konstruktiven Lösung gegeben. Ich freue mich, daß wir unabhängig voneinander zu einem ähnlichen, wenn nicht dem gleichen Vorschlag kommen, den Herr Dr. Schumacher soeben hier angedeutet hat. Die Feststellung dieser Tatsache ist vielleicht für das Ausland nicht ganz unwesentlich, daß die Rechte und die Linke dieses Hauses zu demselben Ergebnis kommen.

    (Sehr richtig!)

    Es bedarf nur eines gewissen Mutes und einiger Entschlossenheit diesseits und jenseits der Grenzen, um nun wirklich mit den tauglichen Mitteln und am tauglichen Objekt einer Einigung näherzutreten. Der Marshallplan hat ohnehin zum Ziel, die Produktionskraft der westlichen Länder aufeinander abzustimmen.
    In Europa sind Deutschland und Frankreich die wirtschaftlich wichtigsten und entscheidenden Gebiete. Was sollte uns also hindern, sofort und in offener und direkter Aussprache das Problem und die Methode einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern, also auch einschließlich des Saargebiets, praktisch anzupacken? Wir sind unsererseits bereit, den berechtigten Interessen Frankreichs im Rahmen des übergeordneten europäischen Ziels dabei Rechnung zu tragen. Wir erwarten jedoch dieselbe Einstellung auch von der anderen Seite. So sollte es uns gelingen, die Voraussetzungen für eine deutsch-französische Verständigung und eine gemeinsame Produktionsplanung innerhalb eines geeinten Europas zu schaffen. Der Beginn solcher Besprechungen sollte aber nicht länger hinausgeschoben, sondern von allen beteiligten Stellen baldigst in die Wege geleitet werden. Die Möglichkeit zu einem deutsch-französischen Gespräch scheint durchaus gegeben. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Deutschen ist der ehrliche Wille hierzu vorhanden. Darf ich an die französische Seite und an die übrigen Besatzungsmächte appellieren, sich auch ihrerseits für solche Verhandlungen einzusetzen, damit wir statt zu einer Verschärfung der Gegensätze zu einer Regelung des europäischen Zusammenlebens in Frieden und in Freiheit gelangen? Unser gemeinsames Ziel ist und muß bleiben: ein geeintes, ein friedliches Europa.

    (Beifall bei der DP und in der Mitte.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Niebergall.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Otto Niebergall


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Meine Heimat ist das Saargebiet. Seit 1918 habe ich das Ringen um die deutschen Belange im Saargebiet miterlebt. Seit 1945 stand ich im Kampf für die deutsch-französische Verständigung mit an der Spitze und darum gegen den wirtschaftlichen und politischen Anschluß der Saar an Frankreich. Mit Hunderten anderer Deutscher, Sozialdemokraten, Katholiken und Parteilosen, wurde ich wegen dieser meiner Haltung 1946 aus dem Saargebiet ausgewiesen. Ich wurde nicht nur ausgewiesen, sondern auch von der Regierung Johannes Hoffmann ausgebürgert, nachdem ich schon unter Hitler ausgebürgert worden war.
    Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, daß ich als Saarländer zunächst einige Aus-


    (Niebergall)

    führungen über verschiedene Auslassungen meiner geehrten Vorredner und über die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers mache. Der Herr Bundeskanzler fühlte sich verpflichtet, auf das Potsdamer Abkommen hinzuweisen. Auch in der Denkschrift der Bundesregierung ist dieses Abkommen angesprochen. Für uns ist es eine gewisse Genugtuung, daß Sie in allen kritischen Situationen — sozusagen am Aschermittwoch — gezwungen sind, sich auf dieses Potsdamer Abkommen zu berufen, das Sie sonst nicht anerkennen. Weil Sie nämlich in Ihrer gesamten politischen Konzeption die einzige für uns Deutsche gültige Rechtsgrundlage, das Potsdamer Abkommen, verlassen haben, deshalb nur können dem deutschen Volke solche Verträge wie die Saarverträge oktroyiert werden.
    Ich muß Ihnen sagen: Das Potsdamer Abkommen ist ein einheitliches Ganzes. Man kann es nicht opportunistisch mißbrauchen. In diesem Potsdamer Abkommen ist in der Tat vorgesehen, daß Deutschland entmilitarisiert und demokratisiert werden soll. In diesem Potsdamer Abkommen ist Deutschland die politische und wirtschaftliche Einheit garantiert. Ihre Politik, meine Damen und Herren, der Gründung des westdeutschen Staates, der Anerkennung des Ruhrstatuts und des Marshallplans steht im krassen Widerspruch zum Potsdamer Abkommen. Wie können Sie sich auf einmal auf das Potsdamer Abkommen berufen, wo Sie es doch seit Jahr und Tag systematisch verletzen? Wäre in Deutschland eine Politik auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens durchgeführt worden, dann hätten wir weder die Spaltung Deutschlands, noch gäbe es heute eine Saarfrage.

    (Zustimmung bei der KPD.)

    Wenn man den Kollegen Dr. Schumacher hört, gewinnt man den Eindruck, daß es sich um die Frage der Demokratie im Saargebiet handele. Meinen Sie denn, Herr Dr. Schumacher, unter einer Regierung Adenauer wäre die Demokratie im Saargebiet gesichert?

    (Sehr gut! und Lachen bei der KPD.)

    Mir scheint, sie wäre es genau so wenig, wie unter der jetzigen Regierung JoHo, so nennt man nämlich die Regierung Johannes Hoffmann im Saargebiet. Es geht auch hier wirklich nicht um Demokratie, es geht um den Besitz von Kohlen, Stahl und Eisenbahnen, genau so, wie es beim Marshallplan und beim Ruhrstatut um Kohlen, um Stahl und um die Besitznahme unserer Wirtschaft durch die ausländischen Monopolisten geht.

    (Zustimmung bei der KPD.)

    Nun noch eine Bemerkung auf Grund meiner eigenen Erfahrung im Saargebiet. Ich weiß zwar nicht, wo der Hohe Kommissar im Saargebiet seinen „Petersberg" hat,

    (Heiterkeit bei der KPD)

    aber ich weiß, daß Herr Johannes Hoffmann aus derselben Fakultät stammt wie Herr Dr. Adenauer,

    (Sehr gut! bei der KPD)

    aus der Christlichen Volkspartei, die ja wohl mit der CDU irgendwie verbunden ist. Dazu hat Herr Adenauer allerdings nicht Stellung genommen. Ich kenne jetzt die Praxis der Regierung des Saargebietes in ihrem Verhältnis zum Hohen Kommissar, und ich kenne auch die Praxis in Bonn. Ich muß höflich sein: beide gefallen mir gar nicht, beide stehen gemeinsam den Interessen des deutschen Volkes entgegen.
    Der Klarheit halber möchte ich auch bemerken, daß die jetzigen Saarkonventionen nur möglich sind, weil im Jahre 1946 die Christlich-Demokratische Volkspartei mit ihrem Führer Johannes Hoffmann und die Sozialdemokratische Partei im Saargebiet unter der Führung von Richard Kirn den Anschluß an Frankreich gefordert haben. Nur die Kommunistische Partei im Saargebiet hat, seitdem sie wieder legal ist, trotz aller Opfer unerschrocken für den Verbleib und die Rückgliederung des Saargebiets an Deutschland gekämpft. Das ist der Standpunkt meiner Partei in ganz Deutschland. Deshalb haben wir auch das Recht, zu erklären: Die Verträge über die Abtrennung des Saargebiets und die Verpachtung der Saargruben wurden von der französischen Regierung Bidault und der CVP/SPS-Koalitionsregierung Hoffmann-Kirn ohne Befragung des deutschen Volkes und entgegen dem Willen der Bevölkerung des Saargebiets abgeschlossen.
    Ganz richtig sagt die „New York Times":
    Die Saarverträge sind eine wirkliche, verschleierte Annexion.
    Diese Verträge sind in keiner Weise für das deutsche Volk bindend

    (Sehr richtig! bei der KPD)

    und werden niemals vom deutschen Volk anerkannt.

    (Zustimmung bei der KPD.)

    Durch Versammlungs- und Zeitungsverbote und andere Terrormaßnahmen hat die Polizei im Saargebiet verhindert. daß die Bevölkerung über die in Paris geführten Verhandlungen informiert wurde. Die Kommunistische Partei ist die einzige Partei, die konsequent für die Rückkehr des Saargebiets an Deutschland gekämpft hat und kämpft. Sie wird durch Terrormaßnahmen in ihrem Eintreten für Deutschland behindert. Die Schweizer Zeitung ,.Die Tat" schreibt in einem Artikel vom 30. Januar 1950 über den Zustand an der Saar unter anderem folgendes:
    Die Veröffentlichung des Entwurfs des Gesetzes zum Schutze der demokratischen Staatsordnung bezeichnet den bisherigen Höhepunkt der Unterdrückungsmaßnahmen. Dieses Dokument ist bezeichnend für den Geisteszustand der heutigen Machthaber an der Saar Es ist ein Dokument der Furcht vor dem Erwachen wachen des deutschen Nationalbewußtseins und jeder freien Meinungsäußerung und wird von der Bevölkerung mit dem berüchtigten Heimtückegesetz des Dritten Reiches auf eine Stufe gestellt.
    Die Bevölkerung des Saargebiets steht trotz aller Terrormaßnahmen der Politik der Regierung Hoffmann-Kirn feindlich gegenüber und lehnt die in Paris abgeschlossenen Verträge ab. Durch den Beschluß des Industrieverbandes Bergbau des Saargebietes vom 5. März 1950 wird dies in aller Deutlichkeit unterstrichen. Um den Widerstand der Bergarbeiter an der Saar gegen die Politik der Abtrennung. der Ausbeutung und des Raubbaus in den Saargruben zugunsten der französischen und amerikanischen Monopolherren zu brechen. wurde der einstimmig gewählte Vorsitzende des Industrieverbandes Bergbau, Oskar Müller, im Jahre 1947 aus dem Saargebiet ausgewiesen und mit brutaler Gewalt über die Grenze abgeschoben.
    Aber, Herr Dr. Adenauer. sind denn bei Ihnen in Westdeutschland die Methoden anders?

    (Zuruf von der FDP: Das ist doch unerhört!)



    (Niebergall)

    Vor einigen Tagen wurde der KPD-Abgeordnete Lehmann in Hannover im Parlament verhaftet, auf die Straße geschleppt und zum Gefängnis gebracht

    (Hört! Hört! bei der KPD)

    wegen seines Eintretens für Deutschland und gegen die Demontagen.

    (Hört! Hört! bei der KPD.)

    An die Methode im Saargebiet reiht sich also würdig an die Verhaftung des Abgeordneten Lehmann im niedersächsischen Parlament durch die britische Militärbehörde. Das zeigt in aller Deutlichkeit, daß wir sowohl in Westdeutschland wie an der Saar unter kolonialen Bedingungen leben und der Willkür der Besatzungsmächte ausgesetzt sind.
    Herr Kollege Dr. Schumacher hat die Frage gestellt, ob die Grundsätze der Atlantik-Charta der Westmächte gegenüber dem deutschen Volk Geltung haben. Ich glaube, das Saargebiet und Hannover sind ein Beweis dafür, welche Grundsätze Geltung haben.
    Was zeigt der Beschluß des Industrieverbandes Bergbau im Saargebiet? Er beweist, daß der Kampfwille der Saarbergarbeiter für die Einbeziehung des Saargebiets in ein einheitliches demokratisches Deutschland trotz aller Terrormaßnahmen nicht gebrochen ist.
    Die zwischen der französischen Regierung und der Regierung Johannes Hoffman und Kirn geschlossenen Verträge sind ein flagranter Bruch des Potsdamer Abkommens. Dies wiegt um so schwerer, als die Beschlüsse von Potsdam auch von der französischen Regierung anerkannt wurden. Die Potsdamer Beschlüsse lassen keinerlei Änderung der westdeutschen Grenze zu und bestimmen, daß das Saargebiet zu Deutschland gehört. Aus diesem Grunde hat die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, die auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens ihre Deutschlandpolitik durchführt, bereits zweimal diplomatische Schritte gegen die von der französischen Regierung betriebene Saarpolitik unternommen und gegen die Annexion des Saargebiets feierlichst Protest erhoben. Die Sowjetunion hat als einzige Großmacht auch in dieser Frage die deutschen Interessen vertreten.
    Die Verpachtung der Saargruben auf 50 Jahre zu einem Spottpreis entspricht nicht dem Interesse der beiden Völker, sondern dient ausschließlich den Interessen des Comité des Forges und den Herren der Wallstreet. Mit diesem Pachtvertrag wollen die französischen Monopolisten unter der Führung von de Wendel ihren alten Traum der Verschmelzung von Erz und Stahl mit der saarländischen Kohle zur Sicherung hoher Profite verwirklichen. Die Kommunistische Partei Frankreichs erklärt deshalb ausdrücklich:
    Diese Politik bringt nur den Kapitalisten, den französischen und deutschen und vor allen Dingen den amerikanischen, Nutzen und kann folglich nie und nimmer den Frieden gewährleisten.
    In der Erkenntnis, welche Gefahren aus dieser Politik, die von dem französischen Außenminister betrieben wird, sich für das französische Volk ergeben, erklärten die französischen Kommunisten:
    Die Tatsache, daß Schuman ein ausländisches Gebiet annektieren will, wird den auf Vergeltung dringenden militaristischen Nationalismus Westdeutschlands nur ermutigen. Das demokratisch gesinnte französische Volk, die französischen Arbeiter, Bauern und Intellektuellen, an ihrer Spitze die französischen Kommunisten, erklären eindeutig: die Saar ist deutsch.
    Diese Haltung des französischen Volkes verpflichtet uns, dafür zu sorgen, daß die Feinde des Friedens in Westdeutschland ausgemerzt werden und daß ein einheitliches friedliebendes demokratisches Deutschland geschaffen wird, damit Deutschland nie mehr den Frieden und die Freiheit der Völker bedrohen wird.
    Die Vorschläge der Adenauer-Regierung auf Schaffung einer deutsch-französischen Union bedeuten nichts anderes, als das Statut der Ruhrbehörde auf die Industrie des Saargebiets auszudehnen. Die Vorschläge des Bundeskanzlers laufen darauf hinaus, die Saar aufzugeben und sie unter die gleiche ausländische Kontrolle zu stellen wie das Ruhrgebiet.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Im Endresultat kommt dies einer Preisgabe an die amerikanischen Monopolisten gleich.
    Der Herr Bundeskanzler und seine Regierung ernten in den in Paris abgeschlossenen Verträgen die Früchte ihrer Politik der Spaltung Deutschlands, des Bruchs des Potsdamer Abkommens, der Unterwerfung Westdeutschlands unter die Wünsche der anglo-amerikanischen und französischen Imperialisten. Herr Dr. Konrad Adenauer ist seit 1918 als Vorkämpfer des Bündnisses der Kanonenkönige Frankreichs mit den Kanonenkönigen an Rhein und Ruhr bekannt.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Um die Durchführung des Beschlusses des Landtags von Nordrhein-Westfalen zur Überführung der Kohlengruben und Hüttenwerke in das Eigentum des Volkes zu verhindern, machte der Freund und Parteigenosse von Dr. Adenauer, der CDU-Abgeordnete Pferdmenges, schon 1947 den Vorschlag, die Hüttenwerke und Kohlengruben der Ruhr an die französischen und amerikanischen Großkapitalisten zu verkaufen.
    Der Abschluß der Verträge in Paris ist das Ergebnis der von Dr. Adenauer zugunsten der Großgrundbesitzer und Großkapitalisten befürworteten Politik zur Verhinderung des Abschlusses eines gerechten Friedensvertrages und ist die Unterwerfung Westdeutschlands unter eine französischenglische und amerikanische Dauerbesetzung. Sie sind das Ergebnis der von Dr. Adenauer geführten Geheimverhandlungen mit den französischen Großindustriellen und dem französischen Außenminister Schuman. Darum werden der Bundeskanzler und seine Regierung, ebensowenig wie sie die Bedingung des Ruhrstatuts und des Besatzungsstatuts abgelehnt haben — trotz der scheinbaren Proteste —, nicht gegen die Saarverträge kämpfen. Die deutschen Kommunisten aber fordern die Bevölkerung des Saargebiets von dieser Stelle auf, sich in der Nationalen Front des demokratischen , Deutschlands zusammenzuschließen und für die Wiedervereinigung des Saargebiets mit dem übrigen Deutschland zu kämpfen. Hinter diesem Kampf der Bevölkerung des Saargebiets steht das ganze deutsche Volk stehen die Friedenskräfte in der ganzen Welt. Deshalb: Es lebe der Kampf der Saarbevölkerung und des ganzen deutschen Volkes in der Nationalen Front für eine einheitliche, unabhängige, friedliebende demokratische Republik! Hoffmann und die Im-


    (Niebergall)

    perialisten sollen wissen: das Saargebiet war deutsch, ist deutsch und wird deutsch bleiben!

    (Beifall bei der KPD. — Zuruf in der Mitte.)

    — Kümmern Sie sich um das Saargebiet, das ist besser!