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ID0104601500

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    Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1555 46. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1555C, 1588A Anfrage Nr. 44 der Fraktion der KPD betr. neunprozentige Lohnerhöhung im Steinkohlenbergbau (Drucksachen Nr. 481 und 629) 1555C Anfrage Nr. 43 der Abg. Stücklen, Strauß u. Gen. betr. zentrale Beschaffungsstelle für die Ausgestaltung der Bundesbehörden (Drucksachen Nr. 462 und 683) . 1555D Anfrage Nr. 48 der Fraktion der KPD betr. Ost-West-Handel (Drucksachen Nr. 529 und 659) 1555D Anfrage Nr. 54 der Fraktion der FDP betr Schiffsbau für ' Exportzwecke (Druck- sachen Nr. 577 und 693) 1555D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Saarfrage) 1555D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 1555D Unterbrechung der Sitzung . . 1560B Zwischenfall wegen Anwesenheit des Abg Hedler im Sitzungssaal . . . . 1560D, 1588C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 1560C, 1561D Dr. Leuchtgens (DRP) : zur Geschäftsordnung . . . . . 1560C zur Sache . . . . . . . . 1584B Dr. Schumacher (SPD) . . . . . 1562A Dr. von Brentano (CDU) 1570B Dr. Seelos (BP) 1574C Dr. von Campe (DP) . . . . . 1575G Niebergall (KPD) . . . . . . 1577D Frau Wessel (Z) 1580A Loritz (WAV) 1582D Dr. Schäfer (FDP) . . . . . . 1585C Nächste Sitzungen 1588C Die Sitzung wird um 10 Uhr 23 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Gebhard Seelos


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sprengschüsse von Watenstedt-Salzgitter dröhnen in unseren Ohren. In Töging, dem größten Aluminiumwerk Europas, sind wegen dessen Demontage die Flaggen auf halbmast gesetzt. 300 000 Deutsche sind aus dem Osten in Anmarsch, um in das überfüllte Deutschland gepfercht zu werden und die Zahl seiner zwei Millionen Arbeitslosen zu vermehren. Dieses schauerliche Bild bietet sich der Welt fünf Jahre nach Kriegsende dar und muß jeden davon überzeugen, daß die sogenannten großen Drei in Jalta und in Potsdam keine gute Regelung gefunden haben. Wenn schon der Versailler Vertrag, dieser unausgehandelte und einseitig diktierte Vertrag den Frieden nicht bringen konnte, so hat dieses Kriegsende von Anfang an der Welt die dauernde Unrast beschert.

    (Sehr richtig! bei der BP.)

    Wir stehen mitten im Kalten Krieg, und die eingangs erwähnten Maßnahmen sind nur als Schachzüge in dieser Auseinandersetzung zwischen Amerika und Rußland zu werten. Restdeutschland, zerrissen, zerstört und jeder Macht bar, durch den Eisernen Vorhang vom Osten abgeschlossen, auf die Großmut Amerikas angewiesen, liegt verloren zwischen zwei Kolossen, schmal wie eine Linie.
    Wenn Frankreich bei der Saarregelung neben seinen wirtschaftlichen Notwendigkeiten auch sein Sicherheitsbedürfnis gegenüber Deutschland anführt, so können wir dies angesichts der tatsächlich furchtbaren Lage Westdeutschlands, das ohne jede Garantie der Alliierten zwangsläufig zur Hauptkampflinie gegenüber Rußland geworden ist, nicht recht verstehen, wenn wir auch dem psychologischen Sicherheitsbedürfnis Frankreichs in jeder Weise durch freiwillige Abmachungen entgegenkommen wollen. Die Saarregelung in der vorliegenden Form bedeutet im Kalten Krieg mit Rußland jedenfalls eine Schlappe Amerikas.

    (Sehr richtig! bei der BP.)

    Eine Rechtsverwahrung der Bundesregierung war am Platze.
    Ich möchte nun nicht mehr auf den Inhalt und die Bedeutung der Verträge eingehen, nachdem dies schon von den verschiedenen Rednern geschehen ist. Ich möchte nur einen Punkt herausgreifen. Der stellvertretende französische Hohe Kommissar hat am 4. März darauf hingewiesen, daß Frankreich in der Saarfrage keine neue Lage schaffen wolle; die neue Regelung lasse keinerlei Annexionsabsichten Frankreichs zu; Frankreich wolle durch den Abschluß der Saarkonventionen eine normale Rechtssituation schaffen. Hier möchte ich einhaken. Wenn schon ein tatsächlicher Zustand durch einseitigen Akt einer Macht nach und nach eingetreten ist und ein diesbezügliches Übereinkommen der Großmächte in Moskau vom 10. April 1947 existiert, so hätte man doch an diese schwebende Frage nicht rühren und nicht Dinge aufreißen sollen, die unter ganz anderen Verhältnissen zustande gekommen sind und die bis zu einer endgültigen Friedensregelung hätten unangetastet bleiben können.

    (Sehr richtig! bei der BP.)



    (Dr. Seelos)

    Wenn man hier an die Zeit vom April 1947 erinnert, dann müssen auch wir unsererseits die damalige Situation zeichnen. Damals gab es nur einen Herrn in Deutschland, und das war der Hunger. Damals bestanden noch die harten Besatzungsbedingungen, die zum Beispiel in der amerikanischen Zone erst durch die neuen Vorschriften vom 17. Juli 1947 gemildert worden sind. Den Deutschen war es streng verboten, außenpolitische Fragen zu behandeln, und jeder Verstoß wurde aufs schärfste geahndet. Damals gab es keine gesamtdeutsche Regierung und keinen westdeutschen Bund. Die Bizone trat erst am 1. Juli 1947 ins Leben. Das Saargebiet war außerdem bedroht von Demontage und Arbeitslosigkeit. Die Moskauer Abkommen wurden überhaupt erst ganz langsam in ihrem Inhalt und in ihrer Durchführung in der deutschen Öffentlichkeit bekannt. Wie kann man jetzt sagen, die deutsche Öffentlichkeit hätte sich damals damit abgefunden? Deutsche Regierung war damals gleich Kontrollrat. Es wäre mehr als unfair, unsere damalige Zwangslage als Argument in dieser Auseinandersetzung zu verwenden.

    (Sehr richtig! bei der BP.)

    Wir halten uns deshalb an die Zusicherungen von Acheson, an die vorgestrigen Äußerungen von Lord Henderson und an die gestrigen Äußerungen des Quai d'Orsay, daß die Saarfrage endgültig erst im Friedensvertrag geregelt werden soll. Wir halten uns — das ist von den Vorrednern auch betont worden - an die Bestimmungen der Atlantik-Charta, die vom Präsidenten der Vereinigten Staaten und vom britischen Premierminister im August 1941 einer friedenshungrigen Welt feierlich verkündet worden sind und auf deren Punkt 1 und 2 ich besonders verweise. Dort heißt es vor allem, daß Gebietsveränderungen nur erfolgen sollen, wenn sie mit den frei zum Ausdruck gebrachten Wünschen der betroffenen Völker übereinstimmen. Mehr wollen auch wir nicht, als daß zu gegebener Zeit die Saarbevölkerung frei ihre Meinung äußert.
    Die Allierten haben diesen furchtbaren Krieg für die Verwirklichung des Rechtsgedankens im Völkerleben geführt. Es gehört aber in die Mottenkiste des Machtstaatgedankens, es gehört zu den Irrlehren vergangener Jahrhunderte, zu glauben, die siegreiche Beendigung eines Krieges werde nur dann bestätigt, wenn man einen territorialen Gewinn buchen könne.

    (Sehr wahr! bei der BP.)

    Frankreich hat sein nach diesem Krieg betontes Bestreben auf Ausdehnung seines Einflußgebietes bis zum Rhein und nach Internationalisierung des Ruhrgebiets aufgegeben. Wenn in Frankreich tatsächlich noch der Gedanke bestünde, sich des Gebiets, über das die Diskussion in beiden Staaten schon lange geht, zu versichern, dann möchten wir im Interesse beider Staaten folgenden Gedanken anklingen lassen:
    Frankreich hat den Frieden von 1919 dadurch verloren, daß es noch an Paragraphen hing, als die Zeit schon längst darüber hinweggeschritten war. Dieses Gefühl, den Frieden von 1919 trotz furchtbarer Kriegsopfer verloren zu haben, hat in Frankreich eine tiefe Verbitterung und Enttäuschung zurückgelassen. Wir wollen aber nicht, daß Frankreich nun auch den Frieden von 1945 verliert. Der Friedenspreis von 1945 heißt Europa!

    (Beifall bei der BP.)

    Frankreich ist eine lohnende Aufgabe und eine nie dagewesene Chance zugefallen, die friedliche Führung Europas als primus inter pares zu übernehmen. Dieses hohe Ziel erfordert Vertrauen in die eigene Kraft, Mut, Vorausschau und kühne Handlungen sowie Erweckung des Vertrauens bei den anderen europäischen Mächten, damit sie einer solchen Führung folgen. Wenn man aber bei „Führung" nur an kleinliche Vorteile auf Grund der bestehenden Machtverhältnisse denken wollte, dann könnte der Glaube an die Berechtigung eines solchen Führungsanspruchs bei den andern ins Wanken kommen. Die Führung Europas wird nicht durch formaljuristische Sicherungen gewonnen, sondern durch Großmut und Großzügigkeit, wie sie der weise und weitschauende Sieger kennt. Bei Frankreich ebensosehr wie bei Deutschland liegt es, Europa zu verwirklichen.
    Für Europa kämpfen wir leidenschaftlich nicht bloß aus innerer Überzeugung und aus Liebe zu den Restbeständen des Abendlandes, sondern auch aus der nüchternen Überlegung heraus, daß wir zusammengehen und zusammenhalten müssen, wenn wir nicht gemeinsam untergehen wollen. Entweder marschiert die europäische Idee, oder es marschiert Sowjetrußland!

    (Lebhafter Beifall bei der BP.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Campe.

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    Rede von Dr. Carl von Campe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Herr Bundeskanzler hat soeben in eindringlichen Worten den ganzen Ernst der Lage dargelegt, wie er durch das Ergebnis der Pariser Saarverhandlungen plötzlich für uns alle erkennbar wurde. Ich habe den Auftrag, namens meiner Fraktion hier zu erklären, daß wir den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und seinen Schlußfolgerungen vorbehaltlos beitreten.
    Wir möchten diese Gelegenheit aber benutzen, um aus unserer grundsätzlichen Einstellung heraus ein klares Bekenntnis zu Europa abzulegen und einen aufrichtigen Appell an Frankreich zu richten. Gerade weil wir die Lage als sehr ernst ansehen, weil wir Europa unter Umständen gefährdet, die deutsch-französische Verständigung erschwert sehen, legen wir Wert darauf, dieses Bekenntnis heute rückhaltlos und offen abzulegen. Bisher ist es doch noch immer so gewesen: Wer gläubig ist, muß in der Stunde der Gefahr bekennen. Als äußerster rechter Flügel der Regierungsparteien, aber auch für uns als Deutsche Partei haben wir unserm ganzen Herkommen nach die Berechtigung und die Befugnis zu einem solchen Bekenntnis. Ich darf Sie wohl daran erinnern, daß unsere Partei seit etwa drei Generationen den Kampf gegen die Macht, den Kampf für das Recht und für die Durchsetzung der Nachbarschaftsidee auf ihre Fahnen geschrieben hat. Daraus haben wir die Konsequenz gezogen: wir haben für Deutschland einen föderalistischen Bundesstaat, aber auch für Europa einen Gemeinschaftsbund gewünscht und die deutsch-französische Verständigung von jeher als einen der Hauptpunkte in unser Parteiprogramm aufgenommen.

    (Zuruf von der SPD: Ihr besteht ja erst zwei Jahre!)

    Meine verehrten Damen und Herren! Es ist für uns selbstverständlich, daß wir in diesem Augenblick nicht das Gefühl, sondern den Ver-


    (Dr. von Campe)

    stand sprechen lassen und die Mahnung des Herrn Bundeskanzlers beherzigen. Wir werden also leidenschaftslos, sine ira et studio und unter bewußtem Verzicht auf jede Polemik an die Dinge, wie sie nun einmal sind, herangehen. Die Dinge offenzulegen und sie bei Namen zu nennen ist notwendig, wenn wir ein gegenseitiges Vertrauen herstellen wollen, und nur mit gegenseitigem Vertrauen kommen wir zu einer wirklich befriedigenden Lösung, die auch Bestand haben wird. Persönlich gebe ich mich dabei der Hoffnung hin, daß .diese meine Offenheit auch bei meinen französischen Freunden Verständnis finden wird; wissen sie doch aus langjähriger freundschaftlichster Zusammenarbeit an dem gleichen Ziel, daß mir die deutsch-französische Verständigung wirklich zu einer Herzensangelegenheit geworden ist.
    Meine Damen und Herren, zunächst: was ist geschehen? Wenn wir die in Paris paraphierten Konventionen, auf die ich hier im einzelnen nicht einzugehen brauche, da Sie sie kennen und sie von meinen Vorrednern schon so eingehend dargelegt wurden, auf ihren letzten Sinn hin analysieren, so können wir zusammenfassend folgendes sagen. Die französischen Zugeständnisse auf politischem Gebiet stellen praktisch keinerlei Einschränkung, sondern lediglich eine diplomatische Modifikation des politischen Instruments dar, mit dem Frankreich die Kontrolle im Saargebiet ausübt. Durch die Konventionen erlangt Frankreich eine absolut beherrschende und dauerhafte wirtschaftliche Vormachtstellung im Saargebiet. Die wirtschaftlichen Zugeständnisse und die auf ihren Schutz hinzielenden politischen Sicherungen sind so weitgehend, daß die politische Loslösung des Saargebietes absolut durchgeführt ist, und daß ihr zwangsläufig mit der Zeit auch die völlige Entdeutschung folgen muß. Daran ändern auch die Vertröstung und der Hinweis auf die endgultige Regelung im Friedensvertrag nichts. Denn — und das hat der Herr Bundeskanzler mit Recht ausgeführt; ich zitiere wörtlich: — das ganze politische und wirtschaftliche Leben des Saargebietes wird durch die Abkommen in eine Ordnung gebracht, die sich schlechterdings durch keinen Friedensvertrag wieder beseitigen läßt.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Das ist sicher, und wer die französische Mentalität und das schöne französische Sprichwort kennt „C'est le provisoire qui dure", auf gut deutsch „Nur das Provisorische ist endgültig", und wer weiß, daß die französische Bürokratie dieses proverbe, man möchte fast sagen, stündlich beherzigt, kann sich klarmachen, welcher Wille hinter diesen Abmachungen bezüglich der Saar steht.
    Es kommt nun als wesentlicher und wohl entscheidender Aspekt der ganzen Konventionen noch die unbestreitbare Tatsache hinzu, daß beide Verhandlungspartner hier zugunsten des andern über Dinge verfügen, über die sie gar keine Verfügungsberechtigung haben. Ich brauche auf die rechtlichen Argumente, die meine Herren Vorredner schon so eingehend dargelegt haben, gar nicht einzugehen. Ich möchte mich auf die politische Seite beschränken. Auch da kann ich erfreulicherweise feststellen, daß wir auf der Rechten des Hauses uns in vollem Einklang mit Herrn Dr. Schumacher befinden. Herr Dr. Schumacher hat von einer „Politik der kleinen Schlauheiten" gesprochen. Meine Damen und Herren, ich möchte es nennen: die Illusionspolitik des „Als ob". Man tut in Paris so, als ob der derzeitige Sprecher des Saargebietes über die Saargruben als Eigentümer
    verfügen könne. Man tut in Paris so, als ob dasselbe hinsichtlich der deutschen Bahnen im Saargebiet der Fall sei. Man tut so, als ob die zugestandene Nutzung des wirtschaftlichen Potentials des Saargebietes für Frankreich notwendigerweise auch die völlige politische Abtrennung der Saar zur Folge haben müsse. Man tut weiter so, als ob dies alles so sicher sei, daß es allein im Willen Frankreichs stehe, welche Form und welchen Namen man diesem neuen Staatsgebilde geben wolle.
    Meine Damen und Herren, diese Politik des „Als ob", die an den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten vollkommen vorbeigeht, ist gefährlich. Sie schwebt sozusagen im luftleeren Raum, gründet sich auf Wunschträume längst vergangener Zeiten und führt eines Tages zum bösen Erwachen, nämlich dann, wenn die Realitäten sich als mächtiger erweisen als die Wünsche. Um dies zu vermeiden, müssen wir nicht eine Politik des „Als ob", sondern eine offene und nüchterne Realpolitik treiben, die bereit ist. die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Aber daran scheint es leider zu fehlen. Eine große amerikanische Zeitung hat gerade dieser Taue bezeichnenderweise bemerkt, der erschütterndste Aspekt bei der ganzen Saarsituation sei die Tatsache, daß offenbar weder Frankreich noch Deutschland aus der Katastrophe des zweiten Weltkrieges irgend etwas gelernt hätten. Und in der Tat, sollten wir nicht alle, diesseits und jenseits der Grenzen, uns- die Gewissensfrage vorlegen, ob wir in der heutigen Situation nicht endlich die Lehren aus der Geschichte ziehen sollen? Noch ist es ja nicht zu spät, denn noch ist nichts Endgültiges und Unwiderrufliches geschehen.
    Meine Damen und Herren! Über der deutschfranzösischen Geschichte schwebt eine unendliche Tragik. Die vielen bewaffneten Konflikte zwischen beiden Völkern haben fast stets damit geendet, daß der siegreiche Teil seine jeweilige Macht mißbrauchte, um sich die erlangten Vorteile für alle Zukunft zu sichern. Stets war aber die Dynamik im Völkerleben stärker als die künstliche Verewigung der Übermacht des Siegers. So Rind dann zwangsläufig immer wieder von neuem Konflikte entstanden. und niemals ist das richtige, gesunde organische Gleichgewicht zwischen beiden Völkern gefunden worden. Das Nichtmaßhaltenkönnen des Siegers stand hindernd im Wege.
    Es kommt noch ein weiteres tragisches. Moment
    hinzu. Das Geschick hat Deutschland und Frankreich bei den großen Auseinandersetzungen der Weltgeschichte stets auf entgegengesetzte Seiten gestellt. So war es bei der Reformation, so war es zur Zeit der Französischen Revolution, so war es bei den Auseinandersetzungen im Zeitalter des Nationalstaates und so war es auch in den beiden Weltkriegen. Die verschiedene Mentalität beider Völker, das unterschiedliche Tempo in der Formung des eigenen Nationalstaates bewirken immer wieder. daß einmal die Deutschen den Fortschritt. die Franzosen dagegen die Tradition verteidigten, während das andere Mal die Rollen genau umgekehrt waren.
    Anders, meine Damen und Herren, die heutige Situation. Heute zum ersten Mal in der deutschfranzösischen Geschichte, vielleicht auch zum letzten Mal, liegen die Dinge so, daß wir im großen Kampf um die Erhaltung der abendländischen Zivilisation und der christlichen Kultur beide auf derselben Seite stehen. Beiden Völkern ist die


    (Dr. von Campe)

    große Chance gegeben, jetzt gemeinsam Schulter an Schulter das Beste einzusetzen, über das sie verfügen.
    Europa heißt das gemeinsame Ziel! Nur ein geeintes Europa wird dem östlichen Ansturm widerstehen können. Dieses Europa ist aber nur dann möglich, wenn Frankreich und Deutschland von der gleichen Entschlossenheit beseelt sind, gemeinsam die tragenden Säulen dieses neuen europäischen Gebäudes zu werden. Das heißt, ohne eine aufrichtige deutsch-französische Verständigung ist die Rettung Europas und damit der christlich-abendländischen Kultur einfach nicht denkbar. Beide Völker müssen daher als Voraussetzung für die Erreichung dieses Zieles wirklich ernsthaft bestrebt sein, nationale Sonderinteressen hinter den gesamteuropäischen Gedanken zurücktreten zu lassen. Entweder wir unterliegen dem feindlichen Ansturm, — dann ist es gänzlich gleichgültig, wer bis dahin die größeren Rechte in dem kleinen Teilchen Europas hat, das wir heute Saargebiet nennen. Oder aber wir erwehren uns des Ansturms aus dem Osten durch die Errichtung eines geeinten und einigen Europas. Dann jedoch kommt es auf Souveränitätsfragen und die Zugehörigkeit der Saar zu diesem oder jenem Wirtschaftsgebiet überhaupt nicht mehr an. Dann gehört das Saargebiet, so wie wir alle, zu Europa!
    Meine verehrten Damen und Herren! Als man sich vor einigen Jahren über den wirtschaftlichen Anschluß des Saargebiets an Frankreich einigte, stand man noch ganz unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Schäden dieses furchtbaren Krieges. Da gab es noch keinen Marshallplan, da gab es noch keine kraftvolle Bewegung für ein vereinigtes Europa; da waren auch noch keinerlei Ansätze für die Organisierung dieses einigen Europas erkennbar. An dieser entscheidenden Entwicklung kann und darf man heute aber nicht einfach vorbeigehen. Die Pariser Konventionen bedeuten aber ein Ignorieren, ein Vorbeigehen an der inzwischen eingetretenen Entwicklung, ja sie sind geeignet, diese Entwicklung zu stören und zu hemmen. Wenn die Grenzpfähle in Europa nunmehr ganz verschwinden sollen, dann darf man sie nicht kurz vorher mit großer Wichtigkeit und großem Aufheben noch um einige Kilometer versetzen.
    Unter europäischem Blickwinkel gesehen, stellt also der in Paris unternommene Versuch einer einseitigen Regelung der Verhältnisse an der Saar einen Schlag gegen Europa und gegen die deutsch-französische Verständigung dar. Er ist, europäisch gesehen, ein Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt. Man sollte endlich mit dieser Methode europäischer Politik aufhören; sie paßt nicht mehr in die Zeit der Europabewegung hinein, die gebieterisch verlangt, daß wir alle, die wir gute Europäer sein wollen, unsere nationalen Sonderwünsche hinter die europäischen Gesamtinteressen zurückstellen.
    Unsere französischen Freunde sollten aber auch noch folgendes beherzigen: In einer Zeit wie der heutigen erhalten Grenzgebiete wie die Saar einen ganz anderen Charakter, als sie ihn im Zeitalter des auf Macht aufgebauten und nach Macht strebenden Nationalstaates hatten. Waren sie damals Streitobjekte zwischen den Völkern, so müssen sie heute zum Bindeglied, zur Brücke zwischen den Staaten werden. Elsaß-Lothringen hat als Zankapfel allzulange die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland vergiftet. Möge die Saar im Zeitalter Europas nicht das gleiche Unheil
    heraufbeschwören, sondern ein festes Band zwischen beiden Völkern werden!
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus dieser unserer Gesamtkonzeption sehen meine Freunde und ich durchaus die Möglichkeit einer konstruktiven Lösung gegeben. Ich freue mich, daß wir unabhängig voneinander zu einem ähnlichen, wenn nicht dem gleichen Vorschlag kommen, den Herr Dr. Schumacher soeben hier angedeutet hat. Die Feststellung dieser Tatsache ist vielleicht für das Ausland nicht ganz unwesentlich, daß die Rechte und die Linke dieses Hauses zu demselben Ergebnis kommen.

    (Sehr richtig!)

    Es bedarf nur eines gewissen Mutes und einiger Entschlossenheit diesseits und jenseits der Grenzen, um nun wirklich mit den tauglichen Mitteln und am tauglichen Objekt einer Einigung näherzutreten. Der Marshallplan hat ohnehin zum Ziel, die Produktionskraft der westlichen Länder aufeinander abzustimmen.
    In Europa sind Deutschland und Frankreich die wirtschaftlich wichtigsten und entscheidenden Gebiete. Was sollte uns also hindern, sofort und in offener und direkter Aussprache das Problem und die Methode einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern, also auch einschließlich des Saargebiets, praktisch anzupacken? Wir sind unsererseits bereit, den berechtigten Interessen Frankreichs im Rahmen des übergeordneten europäischen Ziels dabei Rechnung zu tragen. Wir erwarten jedoch dieselbe Einstellung auch von der anderen Seite. So sollte es uns gelingen, die Voraussetzungen für eine deutsch-französische Verständigung und eine gemeinsame Produktionsplanung innerhalb eines geeinten Europas zu schaffen. Der Beginn solcher Besprechungen sollte aber nicht länger hinausgeschoben, sondern von allen beteiligten Stellen baldigst in die Wege geleitet werden. Die Möglichkeit zu einem deutsch-französischen Gespräch scheint durchaus gegeben. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Deutschen ist der ehrliche Wille hierzu vorhanden. Darf ich an die französische Seite und an die übrigen Besatzungsmächte appellieren, sich auch ihrerseits für solche Verhandlungen einzusetzen, damit wir statt zu einer Verschärfung der Gegensätze zu einer Regelung des europäischen Zusammenlebens in Frieden und in Freiheit gelangen? Unser gemeinsames Ziel ist und muß bleiben: ein geeintes, ein friedliches Europa.

    (Beifall bei der DP und in der Mitte.)