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ID0104601100

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    Deutscher Bundestag - 46. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. März 1950 1555 46. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1555C, 1588A Anfrage Nr. 44 der Fraktion der KPD betr. neunprozentige Lohnerhöhung im Steinkohlenbergbau (Drucksachen Nr. 481 und 629) 1555C Anfrage Nr. 43 der Abg. Stücklen, Strauß u. Gen. betr. zentrale Beschaffungsstelle für die Ausgestaltung der Bundesbehörden (Drucksachen Nr. 462 und 683) . 1555D Anfrage Nr. 48 der Fraktion der KPD betr. Ost-West-Handel (Drucksachen Nr. 529 und 659) 1555D Anfrage Nr. 54 der Fraktion der FDP betr Schiffsbau für ' Exportzwecke (Druck- sachen Nr. 577 und 693) 1555D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Saarfrage) 1555D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 1555D Unterbrechung der Sitzung . . 1560B Zwischenfall wegen Anwesenheit des Abg Hedler im Sitzungssaal . . . . 1560D, 1588C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 1560C, 1561D Dr. Leuchtgens (DRP) : zur Geschäftsordnung . . . . . 1560C zur Sache . . . . . . . . 1584B Dr. Schumacher (SPD) . . . . . 1562A Dr. von Brentano (CDU) 1570B Dr. Seelos (BP) 1574C Dr. von Campe (DP) . . . . . 1575G Niebergall (KPD) . . . . . . 1577D Frau Wessel (Z) 1580A Loritz (WAV) 1582D Dr. Schäfer (FDP) . . . . . . 1585C Nächste Sitzungen 1588C Die Sitzung wird um 10 Uhr 23 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Schon seit Wochen und Monaten war die gesamte deutsche Öffentlichkeit über die Tatsache unterrichtet, daß zwischen der französischen Regierung und der Regierung des Saargebietes Verhandlungen über die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Saargebiets geführt wurden.

    (Unruhe.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich bitte, die Ruhe im Hause zu wahren.

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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Schon anläßlich des Besuchs des französischen Außenministers Herrn Schumann wurde diese Frage von ihm und mit ihm besprochen. Und ich glaube, niemand, der damals Gelegenheit hatte, mit dem Außenminister Schuman über diese Dinge zu sprechen, hat die ernste Sorge der Deutschen verhehlt, mit der wir dieser Entwicklung entgegengesehen haben. Ich selbst habe dem Außenminister gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß er keinen Anlaß habe, an der Bereitschaft Deutschlands zu zweifeln, in ein unmittelbares Gespräch zwischen Frankreich und Deutschland einzutreten. Ich habe aber auch darauf hingewiesen, daß die Gespräche, die zwischen Frankreich und dem Saargebiet geführt würden, geeignet sein könnten, ja geeignet seien, die deutsch-französische Annäherung, die
    auf dem Wege war, sich zu einer deutsch-französischen Freundschaft zu entwickeln, in entscheidendem Maße zu gefährden. Ich habe der Überzeugung Ausdruck gegeben — und habe damit das wiederholt, was auch der Herr Bundeskanzler in verschiedenen Erklärungen vorher zum Ausdruck brachte —, daß die Interessen Frankreichs an der Saar, die Interessen Deutschlands an der Saar und die Interessen des Saargebietes selbst als eine Brücke zwischen Frankreich und Deutschland in solchen Gesprächen in einem ausreichenden und alle Teile befriedigenden Maße berücksichtigt werden könnten.
    Meine Damen und Herren! Die nunmehr bekanntgewordenen Verträge vom 3. März, über die der Herr Bundeskanzler das Hohe Haus unterrichtet hat, mußten im gesamten deutschen Volk das Gefühl einer tiefen und echten Enttäuschung hervorrufen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich war aber mehr noch betroffen über die Reaktion, die diese Äußerungen der Kritik und des berechtigten Unmuts aus deutschem Munde im Ausland gefunden haben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Und wenn ich mich auch bemühe zu verstehen, daß französische Zeitungen für diese Reaktion im Augenblick nicht das nötige Verständnis hatten, so möchte ich doch einen Kommentar zitieren, der mir zu denken gegeben hat, einen Kommentar aus der „Neuen Züricher Zeitung" vom 7. März, in clem folgendes zu lesen war:
    Die Heftigkeit der deutschen Reaktion auf die
    französisch-saarländischen Abkommen stellt für die sachlich urteilenden Kreise eine Überraschung dar. Die deutschen Kommentare sind von so hemmungsloser Leidenschaft und Unsachlichkeit getragen, daß in ausländischen Kreisen in Bonn von einem unbegreiflichen Phänomen gesprochen wird, das offenbar nur mit unausrottbaren Ressentiments gegenüber dem „Erbfeind Frankreich" erklärt werden könne.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß man ganz im Gegenteil es als ein echtes, als ein unfaßbares Phänomen bezeichnen muß, daß große Teile der Weltpresse einen solchen Mangel an Einfühlungsvermögen in deutsches Denken zeigen,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    daß man gerade auch aus den Äußerungen des deutschen Bundeskanzlers so wenig die ernste Sorge eines Mannes herausgehört hat, der sich seiner Aufgabe und Verpflichtung als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ebenso bewußt war und ist wie seiner Aufgabe und Verpflichtung, in dieser Eigenschaft an dem Aufbau einer echten europäischen Gemeinschaft ohne jeden inneren Vorbehalt mitzuarbeiten,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    daß man aus den Ausführungen verantwortlicher deutscher Politiker so wenig das Gefühl einer echten — ich möchte sagen tragischen Enttäuschung herausgehört hat, die wir Deutsche empfunden haben, die wir uns diesem europäischen Gedanken auch verpflichtet fühlen. Niemand wird doch gerade der deutschen Bundesregierung den Vorwurf machen können, daß sie es irgendwann versäumt habe, sich wirklich zum Dolmetsch nicht nur der deutschen Auffassung, sondern echter europäischer Empfindungen zu machen.

    (Sehr richtig! rechts.)



    (Dr. von Brentano)

    Mit einer, ich möchte sagen, Kühnheit und Entschlußfreudigkeit, die vielleicht manchen innerhalb und außerhalb Deutschlands überraschte, hat der Bundeskanzler in vollem Einvernehmen mit den Parteien, von deren Vertrauen er getragen ist, unmittelbar an Frankreich schon vor Monaten das Wort gerichtet.
    Mein Vorredner, Herr Dr. Schumacher, hat vorhin mit Recht darauf hingewiesen, daß man die europäische Konzeption nur verwirklichen könne, wenn man kühn und mutig sei, und daß es fehlerhaft sei, hier schlau und ausweichend zu sein. Ich glaube, den Vorwurf, ausgewichen zu sein, kann man am wenigsten der Politik des Bundeskanzlers machen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dabei hat sich der Bundeskanzler auch nicht etwa der einfachen Methode bedient, den Vorschlag zu machen, unter Vergangenes einen Strich zu ziehen, das Vergangene als ein historisches Akzidens abzutun, das ohne Auswirkungen auf die Gegenwart und Zukunft sein müsse, sondern er hat unter ausdrücklicher Anerkennung auch der besonderen französischen Auffassungen und Wünsche das Bedürfnis Frankreichs nach echter Sicherheit als eine Realität bezeichnet, die er anzuerkennen und der er Rechnung zu tragen bereit sei.
    Meine Damen und Herren! Auch wenn die deutsche Außenpolitik heute noch in den Händen der Hohen Kommissare liegt, so war der Kanzler doch berechtigt, diesen unmittelbaren Anruf nach Frankreich ergehen zu lassen. Und ich glaube, das Echo, das er damals gefunden hat, hat ihm bestätigt, daß er auf dem richtigen Weg war. Sollte man ihn nicht ebenso verstehen, sollte man uns nicht ebenso verstehen, wenn wir heute doppelt enttäuscht sind, daß unsere Enttäuschung nicht auch das Echo des Verständnisses findet?

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Vor der Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland haben die Alliierten eine Reihe von Erklärungen abgegeben, auf die mein Vorredner schon kurz zu sprechen kam. Ich will den völkerrechtlichen Charakter dieser Erklärungen hier nicht untersuchen. Ich will auch nicht die Frage behandeln, inwieweit nach den Vorstellungen der damaligen Regierungschefs der alliierten Länder das deutsche Volk das ausdrückliche Recht besitzt oder nicht besitzen soll, sich auf diese Erklärungen zu berufen. Beide Fragen scheinen mir auch bedeutungslos zu sein. Denn ich habe nicht den Eindruck gehabt und habe ihn auch heute nicht, daß diese Erklärungen, die vor Beendigung des Kriegszustandes abgegeben worden sind, neues Völkerrecht schaffen sollten. Ich habe vielmehr den Eindruck, daß sie altes Völkerrecht in seinem Bestand bestätigen sollten.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Die Atlantik-Charta vom 14. August 1941 hat ausgesprochen:
    Die Länder
    — die Unterzeichner der Atlantik-Charta — erstreben keine territoriale oder sonstige Vergrößerung. Sie wünschen keine Gebietsveränderungen, die nicht mit den frei zum Ausdruck gebrachten Wünschen der betreffenden Bevölkerung übereinstimmen. Sie erkennen das Recht aller Völker an, die Regierungsform zu wählen, unter der sie leben wollen, und sie wünschen, daß denen souveräne Rechte und Selbstregierung zurückgegeben werden, die ihrer gewaltsam beraubt worden sind.
    Diese Atlantik-Charta vom 14. August 1941 wurde am 26. Dezember 1944 von der französischen Republik ausdrücklich anerkannt.
    In dem Bericht über die Konferenz von Yalta im Februar 1945 wird ausdrücklich festgestellt:
    Mit dieser Erklärung bestätigen wir von neuem unseren Glauben an die Grundsätze der Atlantik-Charta und unser in der Erklärung der Vereinten Nationen gegebenes Gelöbnis.
    Der Inhalt dieser Erklärungen aus der Atlantik-Charta und aus der Konferenz von Yalta hat seinen Niederschlag gefunden in der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945, in der es heißt, daß es der Zweck der Organisation sei, freundschaftliche Beziehungen unter den Nationen zu entwickeln, die auf der Achtung des Grundsatzes gleicher Rechte und der Selbstbestimmung der Völker beruhen. Auch dieser Charta der Vereinten Nationen ist Frankreich beigetreten.
    Meine Damen und Herren! Ich möchte auch nicht die Frage untersuchen, inwieweit wir heute schon das geschriebene Recht besitzen, uns auf diese Charta der Vereinten Nationen zu beziehen. Ich glaube, wenn es möglich sein soll, eine neue Rechtsordnung zwischen den Völkern zu schaffen, die auf den ungeschriebenen, aber heiligen Grundsätzen des Rechts und der Gerechtigkeit aufgebaut sein muß, dann sollten wir nicht wie schlechte Prozeßparteien uns zu überlisten versuchen. Dann sollten wir nicht objektive Normen nach subjektiven Vorstellungen auszulegen versuchen. Damit würden wir uns vielleicht vom Recht entfernen, auch wenn wir recht behalten würden. Ich war und bin überzeugt, daß es den alliierten Nationen seinerzeit ernst war und auch heute noch ernst ist um den Sinn dieser Erklärungen und um die Verwirklichung dieser Vorstellungen. Dann aber sollte auch die französische Republik in der Beziehung zu Deutschland und in dem, was sie in bezug auf das Saargebiet tut und läßt, diesen Vorstellungen Rechnung tragen.
    Ich möchte nicht das wiederholen, was schon über die Rechtsstellung Frankreichs gegenüber dem Saargebiet gesagt worden ist; ich möchte mich auf einige Feststellungen beschränken. Das Memorandum vom 10. April 1947, das hier schon wiederholt erwähnt worden ist, das Memorandum der französischen Regierung auf der Moskauer Konferenz, enthält zwar konkrete Forderungen in bezug auf das Saargebiet; aber — und das muß gesagt werden — diesen Forderungen haben die übrigen Alliierten bis zum heutigen Tag nicht entsprochen. Wenn wir schon hören müssen, daß dieses Memorandum vom 10. April 1947 die Auffassungen der französischen Regierung rechtfertigen soll, dann sollte man auch auf die Äußerungen Bezug nehmen, die der amerikanische Außenminister Marshall auf dieser Konferenz gemacht hat, die mir wert zu sein scheinen, wörtlich wiedergegeben zu werden. Im Zusammenhang mit der Besprechung dieses Memorandums sagte Marshall:
    Wenn wir uns wieder dem Problem der Grenzen zuwenden, scheine ich vielleicht meinen Kollegen allzuviel Nachdruck auf diese Frage zu verwenden. Dieser Nachdruck entspringt einem tiefen Verantwortungsbewußtsein gegenüber meinem Lande in bezug auf diesen Punkt. In den vergangenen Jahren waren die Vereinigten Staaten zweimal gezwungen, ihre Truppen über den Atlantik zur Teilnahme an einem Krieg zu senden, der seinen Ursprung


    (Dr. von Brentano)

    in Europa genommen hat. Wir taten unser Bestes mit Millionen von Menschen und Milliarden von Dollars, zu den Siegen für die Erhaltung eines freien Europa beizutragen. Es ist unsere Aufgabe, eine Friedensregelung zu schaffen, deren Aufrechterhaltung als Ganzes von den Völkern Europas gewünscht wird. Wir brauchen eine Friedensregelung, die sich sozusagen in den zukünftigen Jahren von selbst durchsetzt. Wir brauchen eine Friedensregelung, die die Völker Europas zur friedlichen Zusammenarbeit anspornt. Wir brauchen eine Friedensregelung, die lebensfähig ist und die Anerkennung der Geschichte findet. Wir müssen über das Heute und Morgen hinaus auf 25 und 50 Jahre und über die Lebensdauer der meisten von uns hinausschauen.
    Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn man das Memorandum vom 10. April 1947 erwähnt, sollte man nicht vergessen, auch diese Feststellungen des amerikanischen Außenministers zumindest in Erwägung zu ziehen, denn sie scheinen mir dem zu entsprechen, was heute aus den Worten meiner Vorredner klang. Sie scheinen mir eine eindringliche Warnung zu enthalten, ein zweites Mal in irgendeinem Fall und an irgendeinem Punkte einen Frieden zu schaffen, dessen Basis nicht das Recht, sondern die Gewalt ist.

    (Sehr richtig! und Bravorufe in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren! Was ist nun geschehen? Worüber unterhalten wir uns? Es wird uns gesagt — auch darüber ist schon gesprochen worden —, im Jahre 1947 habe das deutsche Volk im Saargebiet eine echte politische Entscheidung getroffen. Ich würde diese Frage hier nicht an- schneiden, wenn ihr nicht eine solche Behauptung vorangegangen wäre. Aber eine solche Behauptung zwingt uns, klare Feststellungen zu treffen. Es hieße meines Erachtens die Ereignisse in den Jahren 1946 und 1947 im Saargebiet zu entstellen, wenn man den Landtagswahlen in diesem Teil Deutschlands den Charakter einer plebiszitären Entscheidung zuerkennen wollte.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Man würde den hohen Begriff der Selbstbestimmung der Völker herabwürdigen, wenn man diese Wahl als den Ausdruck einer echten politischen Selbstbestimmung bezeichnen würde.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ganz abgesehen davon, daß, wie ja auch schon gesagt worden ist, die Änderung der Grenzen Deutschlands vom Jahre 1937 nach den wiederholten ausdrücklichen Erklärungen der Siegermächte dem Friedensvertrag vorbehalten werden soll, kann man wohl auch zu Ehren des gesamten deutschen Volkes an der Saar sagen, daß es niemals in freier Entscheidung einer solchen Entwicklung zugestimmt haben würde. Niemand, der auch nur die Präambel der sogenannten saarländischen Verfassung einmal gelesen hat, wird sagen können, daß es sich hier um den Bestandteil eines demokratischen Grundgesetzes handelt,

    (Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!)

    eines Grundgesetzes, das die demokratischen Grundrechte anerkennt, die ja gerade in Frankreich ihren ersten lebendigen Ausdruck gefunden haben. Wir glauben noch weniger, daß ein Landtag und eine Regierung eines deutschen Landes, das als Teil einer, Besatzungszone und auf Anordnung einer Besatzungsmacht entstanden ist, ohne dadurch den Charakter eines Bestandteils des
    Deutschen Reiches zu verlieren, die völkerrechtliche oder gar die moralische Qualifikation und Legitimation haben sollten, über deutsches Land Verträge abzuschließen, wie sie uns heute vorliegen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, ich möchte nicht wiederholt auf den Inhalt der Verträge im einzelnen eingehen, über die der Herr Bundeskanzler schon gesprochen und die auch mein Vorredner schon diskutiert hat. Ich begnüge mich mit der Feststellung, daß diese Verträge, man mag sie auslegen, wie man will, zweifellos nicht nur die wirtschaftliche, sondern darüber hinaus die politische Abtrennung und Loslösung dieses Teils Deutschlands von dem restlichen Deutschland zumindest bedeuten können.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Es ist richtig, daß die Erklärung, von der der Herr Bundeskanzler sprach, die ihm gestern im Auftrag der französischen Regierung übermittelt worden ist, verschiedene Auslegungen zuläßt. Ich möchte mir nicht die Auslegung zu eigen machen, die mein Vorredner dieser Erklärung gegeben hat, der sagte, in dieser Erklärung sei ja nur von einer Bestätigung der Saarverträge im Friedensvertrag die Rede, und das bedeute, daß die Saarverträge offenbar mit Wirkung über den Friedensvertrag abgeschlossen seien und es nur der formellen Ratifizierung im Friedensvertrage bedürfe.
    Ich möchte mich im Interesse des deutschen Standpunktes und weil ich an die Aufrichtigkeit dieser Erklärung der französischen Regierung glaube und glauben will, zu einer anderen Auslegung bekennen, zu der Auslegung nämlich, daß diese Verträge unter einer auflösenden Bedingung geschlossen sind, das heißt, daß sie automatisch aufgelöst werden, wenn nicht im Friedensvertrag eine ausdrückliche Bestätigung herbeigeführt wird. Ich glaube, daß diese Auslegung die logische ist, weil sonst diese Erklärung nicht nur keinen politischen, sondern auch keinen echten moralischen Wert mehr besitzen würde.

    (Abg. Schröter: Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren, wenn, wie es auch hier in den Ausführungen des Bundeskanzlers zum Ausdruck kam und wie es auch mein Vorredner als Sprecher der größten Partei der Opposition mit Nachdruck betonte, es uns in Europa um die Verwirklichung eines gemeinsamen europäischen Zieles ernst ist, dann sollte man nicht vergessen, daß die Bereitschaft für eine solche europäische Einigung wohl noch niemals in Europa so stark war wie in den vergangenen Jahren.

    (Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!)

    Man sollte nicht vergessen, daß es gerade das deutsche Volk war, das diesen Gedanken mit einer Ernsthaftigkeit aufgenommen hat, an der man nicht zweifeln darf.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Vielleicht ist es so, daß gerade unter dem Eindruck des vollkommenen Zusammenbruchs nach diesem grauenvollen Krieg, nach diesem Erlebnis einer geradezu widerwärtigen Entartung eines krankhaften und schlechten Nationalismus, nach dieser unaufrichtigen, verlogenen und übersteigerten Auslegung eines falschen Souveränitätsbegriffes, daß gerade aus diesem Erlebnis unser deutsches Volk mehr als andere erkannt hat, daß der Gemeinschaft der Menschen, die den Frieden wollen, als notwendiges Korrelat eine Gemein-


    (Dr. von Brentano)

    schaft der Völker entsprechen muß, die den Frieden wollen.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte!)

    Es war auch weit mehr als eine billige Geste, wenn sich die deutsche Bundesrepublik in Artikel 24 freiwillig zu der Bereitschaft bekannt hat, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen und in die Beschränkungen eigener Hoheitsrechte einzuwilligen, um in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeizuführen und zu sichern. Ich glaube, daß noch keine europäische Verfassung ein solches Bekenntnis zu einer gemeinsamen Ordnung, daß noch keine europäische Verfassung den freiwilligen Verzicht auf Hoheits-
    und Souveränitätsrechte, daß noch keine europäische Verfassung den Ausdruck des Bekenntnisses zu einem solchen Substrat eines echten Souveränitätsbegriffes enthält.

    (Abg. Strauß: Sehr richtig!)

    Daß eine solche Vorstellung von einem geeinten Europa in der rauhen Wirklichkeit der Politik und der Wirtschaft nicht leicht zu verwirklichen sein werde, meine Damen und Herren, das war wohl jedem von uns klar. Aber wenn diese Vorstellungen noch vor 25 Jahren als Utopie bezeichnet und diejenigen, die sich zu ihnen bekannten, als Illusionisten belächelt worden sind, so, glaube ich, sind wir doch heute einen wesentlichen Schritt weitergekommen. Die zahlreichen Treffen und Aussprachen europäischer Politiker in den letzten Jahren haben uns bewiesen, daß in allen Ländern Europas der ernste Wille vorhanden ist, dieses gemeinsame Ziel als eine gemeinsame Aufgabe zu betrachten und diese Aufgabe in gemeinsamer vertrauensvoller Zusammenarbeit zu lösen. Wir sind weiter, als wir noch im Jahre 1930 waren, als der große französische, aber auch große europäische Staatsmann Briand — der kongeniale Gegenspieler des großen deutschen und europäischen Staatsmannes Stresemann — seinen Europaplan vorlegte und damals schon sagte:
    Das Werk der Zusammenfassung Europas entspricht Notwendigkeiten, die dringend und lebenswichtig genug sind, um dieser Zusammenfassung ihren Selbstzweck in wahrhaft positiver Arbeit zu geben, die sich niemals gegen irgendjemanden richten kann und richten läßt.
    Wir sind der Verwirklichung dieses Zieles nähergekommen.
    Auch wenn das Europastatut nur eine erste Etappe auf diesem Wege darstellen wird, so glaube ich doch, daß sich das Europastatut aus der politischen Entwicklung der letzten Jahre überhaupt nicht wegdenken läßt und daß man nicht nur die Unvollkommenheiten dieses Statuts studieren, sondern den echten Inhalt prüfen sollte. Ich weiß, die Aufgaben, die der Europarat zu lösen hat, sind noch in einer Art Kasuistik beschränkt, und über dem Europarat steht — ich möchte sagen, leider -- noch als Mentor der Ausschuß der Minister. Ich sage „leider", weil es auch von Teilnehmern an der ersten Sitzung des Europarats in Straßburg mir bestätigt wurde, daß die dynamische Kraft, die einem solchen Europarat innewohnt und innewohnen wird, immer wieder durch das statische Element gedämpft und gehalten wurde, das sich nun einmal in Regierungen zu verkörpern pflegt. Ich wurde, als manche Kritik und manche Enttäuschung an der
    ersten Arbeit des Europarats in Straßburg laut wurde, daran erinnert, daß schon im Haag ein englischer Politiker sagte:
    Vielleicht werden wir Europa mit den Völkern Europas gegen ihre Regierungen schaffen müssen.

    (Abg. Strauß: Sehr richtig!)

    Ich bin aber deswegen doch nicht der Meinung meines Vorredners, daß der Europarat und sein Statut uns jetzt oder gar in Zukunft verwehren würden, deutsch-französische Probleme in Straßburg zu besprechen, vorausgesetzt, daß wir dort einmal zusammenkommen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Denn ich glaube: nicht ein Statut gibt die Grenzen der Leistungsfähigkeit eines Organs wieder, sondern der Wille derer, die in diesem Organ versammelt sind.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

    Kein Statut, es mag ausgearbeitet sein, wie es will, es mag Grenzen ziehen, wie es will, wird Europäer in Straßburg verhindern können, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, gemeinsame Sorgen und Probleme zu besprechen und gemeinsame Lösungen zu finden.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich glaube, wir dürfen nicht mit irgendwelcher Skepsis, wir dürfen nicht mit Zweifeln an solche Aufgaben herangehen.

    (Zuruf von der SPD: Das ist keine Sonntagsschule!)

    Ich wiederhole das, was Herr Dr. Schumacher selber sagte: Wir müssen kühn und mutig sein und nicht schlau und ausweichend.
    Das, was dem Europarat voranging, war der Haager Kongreß vom Jahre 1948. Ich glaube, nie-. mand, der an diesem Kongreß teilgenommen hat, wird den Eindruck dieser ersten echten europäischen Begegnung vergessen haben, und wir würden uns am Geiste Europas versündigen, wenn wir nicht auf diesen Wegen weitergehen wollten. Ich erinnere an die Rede, die auf diesem Europakongreß der Professor Brugmans hielt, wohl einer derjenigen, die am stärksten an der Erweckung des europäischen Gedankens mitgearbeitet haben. Dieser sagte damals:
    Wieder einmal gilt es, Widerstand zu leisten gegen eine Bedrohung. Sicherlich, denn wir wehren uns gegen ein kolonisiertes, ausgebeutetes, totalitäres, unterworfenes Europa. Wenn wir diese letzte Chance ergreifen, dann werden unsere Enkelkinder sagen können: Im tiefsten Elend haben sie sich zusammengefunden. Sie haben es verstanden, ihre Fehler und Schwächen zu überwinden. Sie haben bewiesen, daß nichts den festen Willen freier Völker zu brechen vermag. Sie taten recht. Sie waren stark und sie dienten dem Frieden. Sie haben sich um das Menschengeschlecht verdient gemacht.
    Meine Damen und Herren! Ich gebe diese Erinnerung wieder, weil ich gerade in diesem Augenblick hier auch nach Frankreich spreche und weil ich nach Paris sagen möchte: Wir sehen in diesen Vereinbarungen vom 3. März nicht nur eine Gefährdung der europäischen Konzeption; wir sehen darin eine Versündigung am Geiste Europas, und wir sehen darin eine Versündigung am Geiste der Demokratie.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)



    (Dr. von Brentano)

    Das Saargebiet konnte und sollte eine Brücke zwischen Deutschland und Frankreich darstellen. Kann und will man nicht verstehen, daß in Deutschland nach diesem 3. März die Besorgnis aufkommt, daß man keine Brücke geschlagen, sondern eine Zugbrücke errichtet hat, die man nach Deutschland zu aufzuziehen im Begriffe ist?

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Glaubt man, daß dieser Weg der richtige sei, Deutschland und Frankreich, ohne die Europa niemals wird entstehen können, zu einer echten Freundschaft zusammenzuführen?
    Der Parlamentarische Rat, der das Grundgesetz beschlossen hat, hat in der Präambel ausdrücklich festgestellt, daß er auch für jene Deutschen gehandelt hat, denen mitzuwirken versagt war. Zu jenen Deutschen, denen an der Gestaltung der neuen Ordnung Deutschlands mitzuwirken versagt war, zählen auch die Bewohner des Saargebietes.

    (Sehr gut! und Sehr richtig! in der Mitte.)

    Im Grundgesetz ist das gesamte deutsche Volk aufgefordert worden, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Zu diesem gesamten deutschen Volk gehört auch das deutsche Volk an der Saar. Wir wünschen eine Einheit Deutschlands in einem geeinten Europa. Wir hoffen auf ein freies Deutschland in einem freien Europa. Wir wollen Ernst machen mit dieser Freiheit, deren echter Ausdruck die Selbstbestimmung ist, die Selbstbestimmung, die den Völkern der Welt in der Atlantikcharta garantiert und in der Charta der Vereinten Nationen versprochen ist.

    (Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!)

    Noch vor wenigen Tagen hat der amerikanische Hohe Kommissar die Anregung gegeben, man solle im gesamten Deutschland freie Wahlen ausschreiben. Sollte wirklich ein Teil des deutschen Volkes nach dieser Vorstellung von diesen freien Wahlen und dieser echten, freien demokratischen Entscheidung ausgeschlossen bleiben? Wir wären schlechte Europäer, wenn wir nicht aus dieser Gesinnung heraus die Vereinbarungen vom 3. März aufs tiefste bedauern und uns der feierlichen Verwahrung des Bundeskanzlers anschließen würden.

    (Sehr richtig! und Sehr gut! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren! Meine Fraktion stimmt den Erklärungen der Bundesregierung, die der Herr Bundeskanzler vorgetragen hat, ohne jeden Vorbehalt zu.

    (Abg. Strauß: Sehr richtig!)

    Sie stimmt insbesondere den Schlußfolgerungen zu, die der Herr Kanzler vorgetragen hat. Sie macht sich diese Wünsche zu eigen, und sie bittet die Bundesregierung und den Bundeskanzler, mit besonderem Nachdruck das, was er gesagt hat, zu verwirklichen. Er darf gewiß sein, daß er nicht nur den Deutschen Bundestag, sondern das ganze deutsche Volk hinter sich hat.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nach Frankreich möchte ich gerade in dieser Stunde noch ein Wort sagen. Der französische Schriftsteller Saint-Exupéry hat einmal gesagt: „Le plus beau métier des hommes est d'unir les hommes", die schönste Aufgabe der Menschen ist es, die Menschen einigend zusammenzuführen. Ich glaube, unter dieser Parole sollte Frankreich das Gespräch mit Deutschland aufnehmen.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

    Wir wollen in diesen Gesprächen dann nicht darüber streiten, wer der schlechtere Europäer ist, sondern wir wollen in einen Wettstreit eintreten, wer der bessere ist.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)