Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem uns vorliegenden Antrag der SPD habe ich folgendes zu sagen. Wir sind selbstverständlich mit einer Überweisung des Antrags an den Ausschuß und einer dort folgenden sehr eingehenden Beratung einverstanden.
Der Antrag der SPD enthält Sätze, die wahrscheinlich von 90 Prozent der Mitglieder dieses Hauses unterschrieben werden könnten, so zum Beispiel den Satz, daß die Regierung beauftragt
wird, den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht ausschließt, die zu einer Benachteiligung der Konsumenten führen und die Steigerung des volkswirtschaftlichen Leistungsvermögens gefährden kann, ebenso daß auch jede Preistreiberei ausgeschaltet wird und endlich einmal alle diejenigen eliminiert werden können, die hier Riesengewinne auf Kosten des notleidenden Volkes machen. Das sind alles Dinge, die wir ohne weiteres unterschreiben können. Wir identifizieren uns selbstverständlich nicht mit irgendeiner Art des Sozialismus. Aber wenn man diesen Antrag richtig liest, so braucht man ihn in diesen Antrag der SPD keineswegs hineinzukonstruieren, wie das von seiten der Regierungsbank hier versucht worden ist.
Ich möchte zu dem, was Herr Professor Dr. Erhard vorher erklärt hat, nur ein paar Sätze sagen.
Das war der eigentliche Grund, warum ich mich jetzt zu Wort gemeldet habe.
Bei dem Satz des Herrn Professors Erhard, in dem er von dem Bodensatz an struktureller Arbeitslosigkeit sprach, hat es mir als einfachem Staatsbürger und als Christ und Mensch einen Stich gegeben. Wenn man schon von der CDU ist, von der Christlich-Demokratischen oder Christlich-Sozialen Union, dann sollte man niemals Menschen in Verbindung mit einem Bodensatz setzen! Die Menschen sind das Höchste, was es gibt, und sie sind das Wichtigste für den Staat und für diese Welt. Gerade die christliche Lehre gebietet es uns allen, in jedem Menschen den Mitbruder zu sehen und danach zu handeln. Wir wenden uns schärfstens dagegen, daß man hier auch nur mit dem Gedanken spielt, als müsse bei irgendeiner Wirtschaftsordnung — heiße sie, wie sie wolle — ein Bodensatz von Arbeitslosigkeit — scilicet von armen Menschen, von Arbeitern, die kein Brot verdienen können — vorhanden sein. Wir sind der Auffassung, daß es einen solchen Bodensatz nicht geben darf, schon aus humanen und christlichen Gründen, und daß es gar keinen geben darf und k a n n angesichts der ungeheuren Arbeitsgelegenheiten und Arbeitsmöglichkeiten, die auf mehrere Generationen hinaus in diesem Lande existieren. Wir glauben, daß die Arbeitslosigkeit, so wie sie heute herrscht, eine ganz andere Ursache hat, als Herr Professor Erhard und einige Sprecher von der Regierungsseite gestern und heute uns weiszumachen versucht haben. Die Arbeitslosigkeit ist nämlich nur ein Zeichen für die Unfähigkeit dieser Regierung, eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu treiben, staatliche Aufträge zu geben usw. Sagen Sie mir ja nicht, das Geld sei nicht vorhanden. Das Geld ist dazu vorhanden.
— Jawohl, es wird nur in einem unglaublichen Umfang verwirtschaftet. Es wird dazu verwendet, Tausende und Zehntausende von Leuten in gewissen staatlichen Stellen von oben bis unten Woche für Woche und Monat für Monat zu finanzieren, und zwar Leute, die überhaupt keine Ahnung von der Wirtschaft haben, die ihren ursprünglichen Beruf, den sie gelernt haben, wieder ausüben sollten; sie sollten aber nicht als Oberregierungsräte, als Leiter der Wirtschaftsämter und als Ministerialdirektoren über Dinge -gesetzt
werden, die sie überhaupt nicht gelernt haben und nicht verstehen.
Und nun zu einem weiteren Ausspruch des Herrn Professors Erhard: Er meinte, die riesige Zunahme an Arbeitslosen in den letzten Monaten sei nur eine „saisonale Zunahme", wie er sagte. Es wundert mich schon wirklich, daß der maßgebliche Wirtschaftsminister in Deutschland so etwas sagt, obgleich ein einziger Blick auf die Statistik ihn vom Gegenteil überzeugen könnte. Ich habe eine Ziffer vor mir: Arbeitslosenzunahme im Lande Bayern in der vorvorigen Woche. Es war eine Zunahme von insgesamt 20 000 Personen in einer einzigen Woche. Von diesen 20 000 Personen ist keineswegs der größere Teil, nicht einmal die Hälfte, Bauarbeiter gewesen, sondern es handelt sich zum größten Teil bereits um eine rein strukturelle Zunahme der Arbeitslosigkeit bei Berufen, die mit Saisonschwankungen und dem Eintritt des Winters überhaupt nichts zu tun haben.
Herr Professor Erhard, Sie kennen die Verhältnisse bei uns doch sehr genau; denn Sie waren ja einmal bayerischer Wirtschaftsminister. Sind Ihnen die Entlassungen bei Steinheil, den optischen Firmen in München, und anderwärts bekannt? Was hat denn das mit dem Eintritt des Winters zu tun? Das hat mit ganz anderen Dingen zu tun, Herr Professor Erhard, von denen ich gestern schon kurz gesprochen habe. Und so ist es auch bei einer Reihe von anderen Unternehmungen. Ist es wahr oder nicht, Herr Professor, daß wir zur Zeit nicht einmal die Stahlquote ausnutzen, die uns von den Alliierten zugestanden ist, und daß wir sogar unter dieser Ziffer bleiben? Wenn das aber wahr ist, Herr Professor, dann handelt es sich hier um keinerlei durch den Eintritt der Winterzeit bedingte Schwankungen, die man mit dem Satz abtun könnte: „das war schon immer so", sondern dann handelt es sich um eine Erkrankung des Wirtschaftslebens bei uns, die sich zur Zeit in immer fortschreitendem Maße bemerkbar macht. Dann wäre es eigentlich an der Zeit, daß die Regierung andere Maßnahmen dagegen treffen würde, als nur den Kopf in den Sand zu stecken und immer wieder Dementis herauszugeben und zu sagen: „die Sache ist ja gar nicht so schlimm und kein Anlaß zur Beunruhigung!"
Das nur wollte ich gesagt haben, nachdem Herr Professor Erhard heute zum Antrag der SPD wieder das Wort ergriffen hat. Die Arbeitslosigkeit hat nichts mit den einzelnen verschiedenen Systemen zu tun, über die wir heute zwei Professoren sich hier streiten gehört haben, sondern die Arbeitslosigkeit ist direkt verursacht durch das Unvermögen und die Unfähigkeit der heutigen Bundesregierung ebenso wie der Länderregierungen, Arbeitsbeschaffung in größtem Umfange und Aufträge durchführen zu lassen, für die die Projekte schon lange da sind. Denken Sie nur an die Wasserkraftwerke und die Wohnbauten, für die bei vernünftiger Leitung dessen, was an Steuern eingeht, auch die Mittel vorhanden sind und für die die Arbeiter in ganz großem Umfange ebenfalls bereitstehen. Das möchten wir von der WAV zu den Ausführungen des Herrn Professors Erhard gesagt haben.
Was den Antrag der SPD anbetrifft, so werden wir uns gegen jeden Versuch wenden, auf dem
Wege über Kartelle das freie Kaufrecht und Verkaufsrecht der Deutschen irgendwie zu beeinträchtigen. Wenn man weiß, daß die Anzüge nicht unwesentlich dadurch verteuert werden, daß in gewissen Gebieten Deutschlands die Schneidermeister ihre Stoffe nicht etwa direkt bei der Fabrik kaufen können und dürfen, sondern daß hier Verabredungen vorliegen, nur gewisse Großhändler zu beliefern, so war das leider auch schon früher der Fall. Heute sind wieder solche Dinge im Gange mit dem Ergebnis, daß dadurch eine Verteuerung des Stoffes eintritt und damit der Anzüge, also eines der lebenswichtigsten Güter, die es wohl gibt. Wenn man weiß, daß auf dem Gebiet anderer wichtiger Waren ebenfalls solche Bestimmungen herrschen, dann muß man hellhörig werden gegenüber dem Mißbrauch von Kartellen. Wir wenden uns auch dagegen, daß durch Kartelle Leute; die gut produzieren können, weil sie in ihrem Unternehmen eine vernünftige Wirtschaft führen, gezwungen werden, höhere Preise zu verlangen, weil einige Stümper nicht in der Lage sind, ihre Fabriken entsprechend gut zu rationalisieren. Gegen alle diese Dinge wenden wir uns. Wenn der Antrag der SPD — und wir werden das ja in den Ausschüssen sehen können — auch das bezweckt, dann werden wir ihn wärmstens unterstützen.
Das ist die Auffassung der WAV zum Kartellierungsproblem. Durch die Äußerungen des Herrn Professors Erhard sind wir leider zum großen Teil in der heutigen Debatte von dem Kern des uns vorliegenden Antrages abgewichen, weil Professor Erhard versucht hatte, die Arbeitslosenziffer mit diesen Dingen in Verbindung zu setzen. Aber es war notwendig, gegenüber dem immer noch vorhandenen ganz unfaßbaren und rätselhaften Optimismus des Herrn Wirtschaftsministers einige Worte zu sagen, — des Herrn Wirtschaftsministers, der anscheinend gar nicht merkt, wie die Vertrauensbasis für ihn und seine Kollegen bei der Bevölkerung draußen immer schmäler und schmäler wird, weil immer weitere Hunderttausende von Mitbürgern in unserem Lande nicht .mehr Arbeit und Brot haben!