Rede:
ID0103200800

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Herr: 1
    6. Bundeswirtschaftsminister.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1950 981 32. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. Januar 1950. Geschäftliche Mitteilungen 982A Niederlegung des Mandats des Abg. Leibbrand 982B Antrag der Abg. Loritz, Dr. Richter und Dr. Reismann auf Einberufung des Ältestenrats zwecks Aussprache über den Ausschluß des Abg. Goetzendorff für 20 Sitzungstage . . , 982B Dr. Miessner (NR) (zur Geschäftsordnung) 982C Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht (Drucksache Nr. 405) 982D Dr. Nölting (SPD), Antragsteller 982D, 1001C Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 987D, 1002D Etzel (CDU) 991B Rische (KPD) 993A Aumer (BP) . . . . .. . . . 995A Loritz (WAV) 996B Dr. Schäfer (FDP) 997D Dr. Bertram (Z) 1000A Dr. von Merkatz (DP) 1001A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den LohnsteuerJahresausgleich für das Kalenderjahr 1949 (Drucksachen Nr. 463 und 430) . . 1003B Bodensteiner (CSU), Berichterstatter 1003B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Kriegsfolgelasten im 2. Rechnungshalbjahr 1949 (Drucksachen Nr. 464 und 318) . . . . 1004A Dr. Besold (BP), Berichterstatter 1004B Morgenthaler (CDU), Antragsteller 1005A Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1006A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaftspolitik über die Anträge der Fraktion der WAV betr. Benzinpreiserhöhung, der Fraktion der KPD betr. Mißbilligung der Anordnung des Bundesministers für Wirtschaft auf Erhöhung der Mineralölpreise und Antrag auf 'Aufhebung derselben, der Abgeordneten Rademacher, Stahl, Dr. Oellers, Dr. Schäfer, Dr. Wellhausen und Fraktion der FDP betr. Preiserhöhung für Treibstoff (Drucksachen Nr. 465, 331, 363 und 384) . 1007A Dr. Schröder (CDU), Berichterstatter 1007A Loritz (WAV) 1007C Dr. Preusker (FDP) 1008B Dr. Veit (SPD) . . . . . . . 1008D Renner (KPD) 1010A Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Deutsche Kriegsgefangene und Internierte in der Sowjet-Union (Drucksache Nr. 378) in Verbindung mit der Interpellation der Fraktion der CDU/CSU betr. Zurückhaltung von 400 000 Deutschen in der Sowjet-Union (Drucksache Nr. 432) und der Interpellation der Abgeordneten Höfler und Fraktion der CDU/CSU betr. Deutsche Gefangene in Jugoslawien (Drucksache Nr. 411) 1011B Farke (DP), Antragsteller 1011C, 1012B Höfler (CDU), Interpellant . . . . 1011D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 1012B Unterbrechung der Sitzung . 1013D Renner (KPD) 1013D Pohle (SPD) 1017C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Abgeordneten Dr. Gerstenmaier und Genossen betr. Wiederherstellung der deutschen Jagdhoheit (Drucksachen Nr. 400 und 147) in Verbindung mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Fraktion der DP betr. Vorlage eines Rahmengesetzes für die Jagd (Drucksachen Nr. 401 und 229) 1018A Lübke (CDU) Berichterstatter . . . 1018A Dr. Fink (BP) 1018C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den Antrag der Abgeordneten Dr. Holzapfel und Genossen betr. Gesetz über die Liquidation des ehemalig reichseigenen Filmeigentums (Drucksachen Nr. 402 und 34) 1019B Dr. Dr. Lehr (CDU), Berichterstatter 1019B Brunner (SPD) 1022B Rische (KPD) 1022C Aumer (BP) 1023C Löfflad (WAV) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . 1024C Beschlußunfähigkeit und nächste Sitzung 1024C Die Sitzung wird um 1'4 Uhr 12 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
  • folderAnlagen
    Keine Anlage extrahiert.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Erik Nölting


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Es gibt das bekannte Wort des Nationalökonomen Robert Liefmann: „Kartelle sind Kinder der Not". Aber man könnte ebensogut gleich hinzufügen: sie sind auch Kinder des Übermuts. Man sagt, die Kartelle dienten der Läuterung des Wettbewerbs; aber ebensogut führen sie die Gefahr einer Verkalkung und monopolistischen Verschachtelung und Refeudalisierung des Kapitalismus herauf; einer Verfilzung, durch die wir in das Halbdunkel einer unentwirrbaren Dschungelwirtschaft geraten. Man sagt, sie dienten der Preisregulierung und der Preisstabilisierung, namentlich in Zeiten der Flaute; aber genau so gut dienen sie auch der Preistreiberei, indem der durchschnittlichen Profitrate noch die Kartellrente aufgeknallt wird. Es ist kein Zweifel, daß allezeit die Kartelle an der Preishochhaltungspolitik einen beträchtlichen Anteil gehabt haben. Nicht nur dem Verbraucher ist dadurch Schaden zugefügt, auch ganze Industriezweige sind unter Druck gesetzt worden. Unser Maschinenbau weiß ein Lied davon zu singen, dem die Kartelle der eisen- und stahlschaffenden Industrie häufig die Daumenschrauben angelegt haben, während den angeschlossenen Maschinenbaubetrieben Sonderrabatte gewährt wurden, die dann ihrerseits wieder eine Dumpingpolitik ermöglichten. Nicht selten sind alteingesessene, gut fundierte und volkswirtschaftlich bedeutsame Betriebe dadurch in den Boden konkurriert worden.
    Man will nun durch Beseitigung dieser Monopolorganisationen den vollen Leistungswettbewerb herstellen. Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch einen ruinösen Vernichtungswettbewerb, an dem die Gesamtheit keinerlei Interesse hat.
    So ließen sich Thesen und Antithesen leicht noch weiter aneinanderreihen. Ich habe ja auch diese Beispiele nur deshalb angeführt, um von vornherein klarzumachen, daß hier eine Doppelwandigkeit, eine Doppelschichtigkeit der Problematik besteht, weshalb man mit einem einfach ablehnenden Nein noch weniger auskommt als mit einem unbedenklich zustimmenden Ja. Die ganze Materie bedarf dringend der Ordnung. Ein solches Ordnungsgesetz ist uns wiederholt angekündigt und in Aussicht gestellt worden; aber die Sache kommt nicht recht vom Fleck, und die Vermutung liegt nahe, daß es Divergenzen in den Anschauungen unserer Regierungsparteien sind, die den entscheidenden Schritt bisher abgebremst haben, und es würde für meine Freunde von besonderem Interesse sein, wieweit gerade das Bundesjustizministerium an diesen Verzögerungen Schuld trägt.
    Folgt man freilich den Verlautbarungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers, so ist es angeblich seine Absicht, mit allen Monopolorganisationen tabula rasa zu machen. Es soll eine Atombombe auf sie herniedergehen

    (Heiterkeit bei der SPD)

    und sie auseinandersprengen. Und damit soll der volle Leistungswettbewerb hergestellt werden, worin ja nach Abbau der zwangswirtschaftlichen Maßnahmen sozusagen Teil 2 der „sozialen Marktwirtschaft" erblickt wird. Man will offenbar dem System der Liberalisierung dadurch erhöhte Popularität verleihen, daß man den Kartellen die Zähne zeigt; man glaubt, damit die endgültige Marktbereinigung herbeiführen zu können. Herr Professor Erhard scheint sich auf der Linie absoluter Kartellgegnerschaft festgelegt zu haben; oder soll ich lieber sagen: er schien sich festgelegt zu haben? Denn, meine Damen und Herren, ich bin dadurch etwas stutzig geworden, daß die Zeitungen vermeldeten: bei der Aussprache im Gästehaus in Unkel, die unlängst stattfand, sei zwischen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und den 120 Vertretern aus Industrie und Handel völlige Übereinstimmung herbeigeführt worden. Hundertprozentige Zustimmung

    (Zuruf links)

    — oder gar „120prozentige Zustimmung", das ist etwas viel; und der Verdacht liegt nahe, daß das Ganze weitgehend ein Scheinalarm war, der inzwischen wieder abgeblasen worden ist.

    (Zustimmung und Heiterkeit bei der SPD.)

    Die sozialdemokratische Fraktion legt jedenfalls Wert darauf, daß sie sich von vornherein von der höchst naiven Auffassung genügend distanziert, man könne mit Zerschlagung der Kartelle die prästabilierte Harmonie der Marktwirtschaft erreichen. Gewiß sind Kartelle ein Störungsfaktor des freien Marktgeschehens. Aber wenn man einmal von den Prämissen des Herrn Professor Erhard ausgeht, so will mir scheinen: der das Kartell verbietende Staatseingriff ist ebenfalls staatliche Intervention,

    (Zustimmung bei der SPD)

    bedeutet ebenfalls einen Abfall von der liberalen Doktrin. Herr Professor Erhard gerät so mit seiner Atomzertrümmerungsideologie in Widerspruch zu seinen eigenen Prämissen und kommt vom Regen in die Traufe.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Denn Kartelle sind Kinder aus dem Geiste des Liberalismus, und der vielbesprochene Wettbewerb setzt sich in Quotenkämpfen und in dem Herumgebalge mit dem Außenseiter unterirdisch fort. Der reine Liberalismus übersieht gern, daß auch diese Gebilde organisch gewachsen sind und daß sich im Zeichen der Vertragsfreiheit auch die sogenannte „Planung des Wettbewerbs" konsequenterweise verbietet, wofern man nicht einen Abfall von der Doktrin begehen und sich eines Verrats an den eigenen Prämissen schuldig machen will. Wir haben ja gestern zu unserer freudigen Überraschung gehört, daß sich der Herr Bundesminister gegen eine planmäßige Lenkung nicht mehr sträubt. Wir freuen uns über jeden Saulus, aus dem ein Paulus wird.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, daß Herr Professor Erhard im „Volkswirt" unlängst noch wörtlich geschrieben hat: „Jede Planung ist Sünde wider den heiligsten Geist des Lebens, dessen innerstes Wesen Wandlung, Bewegung und Entfaltung ist."

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich weiß nicht — es liegt wahrscheinlich an mir —, warum ich es so schlecht vertragen kann, wenn Wirtschaftsminister lyrisch werden.

    (Große Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Nölting)

    Steigen wir deshalb nach diesen Höhenflügen in dem Bereich der biologischen Metaphysik lieber herunter in die Niederungen der Praxis und in die Region nüchterner Überlegungen. Dann aber ist zu sagen: es gibt nicht den Weg zurück in die freie Marktwirtschaft, auch wenn man ihn gehen wollte; die Wirtschaft ist von Machtbastionen und Machtpositionen durchsetzt, die sich nicht einfach auflösen lassen. Das Konkurrenzmodell, das unseren Liberalisten vorschwebt, erscheint uns reichlich antiquiert. Es hat sich eine Entwicklung vom freien zum organisierten Kapitalismus vollzogen, die sich nicht aufhalten läßt. Gerade diese Organisationen sind ein Charakteristikum der kapitalistischen Spätphase. Man hat zu unterscheiden — darf das der Professor einmal dem Professor sagen? — zwischen der Aufbau- und der Ausbauphase des Kapitalismus. In seiner Aufbauphase bleibt der Kapitalismus dem Konkurrenzprinzip zugeschworen; lebt er doch in dieser seiner ersten Phase von dem Einbruch in den vorkapitalistischen Raum, von der Zerstörung der vorkapitalistischen Produktion formen, namentlich der Handwerksbetriebe, was ein relativ risikofreies und gewinnbringendes Geschäft bedeutet. Dann aber, nach Aufzehrung .und Liquidierung dieser Vorformen in der Ausbauphase, kommt der Kampf gegen den ebenbürtigen Gegner: jetzt ringen gleichstarke Wirtschaftspotenzen miteinander; und damit ist die Stunde gekommen, in der der Schrei entsteht: la concurrence nous tue — die Konkurrenz tötet uns —, wie es Proudhon formulierte; die Stunde, da man sich gegenseitig so aufzufressen droht, wie es die beiden berühmten Löwen in der Fabel getan haben, die sich so auffraßen, daß am nächsten Morgen trist und einsam nur noch die beiden Schwänze in der Wüste herumlagen. Dann ist die Stunde gekommen, in der sich die Überlebenden des wirtschaftlichen Schlachtfeldes im Zeichen der Vereinbarung, der Verständigung zu einem befristeten Waffenstillstand zusammenfinden.
    Aber nun lassen Sie uns wieder unprofessoral werden! Moderne Technik ist ihrem Wesen nach großdimensional. Man kann zwar einen Hochofen, aber man kann kein Hochöfchen bauen. Der Zwang zur Organisation geht, wie es Schmalenbach noch in seiner letzten Schrift dargelegt hat, von den fixen Kosten, von der Gefahr drohender Überproduktion aus. Es vergrößert sich das Risiko des kapitalistischen Unternehmens, und zwar auf eine zweifache Weise: nach dem Umfang und nach dem Grad des Risikos. Der Versuch der Risikoabschwächung führt zur Bildung von Monopolen oder von Quasi-Monopolen, die einen höchst unzulänglichen Versuch der Selbstheilung darstellen, der Bildung von Abwehrstoffen gegen die drohende Wirtschaftsflaute und Wirtschaftsverschlechterung. Die Technik selbst zwingt zu einer weitgehenden Ersetzung der Marktbeziehungen durch Verständigungsformen, und die einfache Zerschlagung aller konzentrierten Gebilde müßte zu einem technischen Rückschritt führen, der unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland herabsetzen und eine soziale Notlage heraufführen würde. Schon aus produktionstechnischen Gründen ist der Wunsch nach einer Rückkehr zur freien Wettbewerbswirtschaft nicht linear und nicht überall zu verwirklichen. Gewaltige investierte Kapitalien könnten bei einem zügellos entfesselten Wettbewerb über Nacht verlorengehen. Eine Selterbude, einen Kramladen, auch eine
    Handwerkerstube mag man zumachen, wenn der Gegner sie niederkonkurriert hat. Aber die Großgebilde, die hier auf dem Spiel stehen, leben nach einem anderen Gesetz. Da würde einer den anderen an der Gurgel nehmen und bei der weitgehenden Verflechtung in seinen Zusammenbruch mit hinabziehen, weshalb gewisse Schutzdämme gegen eine Desorganisation des Marktes unerläßlich sind. Wir leben eben nicht mehr zu Zeiten des seligen Adam Smith, was Herr Röpke und, ich fürchte, auch Herr Professor Erhard allzu leicht vergessen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aus den kleinen Ziegelsteinbauten von gleichformatigen Unternehmen sind die Betonklötze der Großorganisation geworden. Es reibt sich im Monopolkapitalismus nicht mehr Wassertropfen an Wassertropfen, sondern Monopolkapitalismus ist ein Strom im Eisgang, so wie der Rhein gestern aussah, wo sich die großen Eisbarren aneinander scheuern.

    (Zurufe von der FDP.)

    — Ach nein, meine Herren, anschauliche Bilder bedeuten keine Lyrik!
    Soll man dem nun tatenlos oder vielleicht sogar mit stiller Begünstigung zusehen? Wir sagen mit aller Entschiedenheit nein! Und wenn eine generelle Verbotsgesetzgebung für uns nicht in Frage kommt, so noch weniger eine stillschweigende Duldung!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir wissen um die Preisstarre und die Preisdiktatur vieler Kartelle, um die organisierten Raubzüge gegen den Konsumenten,

    (Händeklatschen bei der SPD)

    um die unsinnigen, nur aus dem Profitdenken stammenden Verschachtelungen, um die Tendenz zum Mißbrauch, die jedem Machtgebilde nun einmal immanent ist. Allein die Tatsache wirtschaftlicher Machtballung mahnt zu Vorsicht und erhöhter Aufmerksamkeit. Der Erstreckungsbereich wettbewerbsloser Sphären sollte nach unserer Ansicht auf ein Minimum beschränkt bleiben. Schon aus Sorge um die jederzeit vorhandene Preisdiktaturmöglichkeit wie auch aus lohnpolitischen Gründen verbietet sich für die sozialdemokratische Fraktion jedwede Abstinenz, und sie denkt nicht daran, wie der vorliegende Antrag Nr. 405 ausweist, hier etwa in die Passivität zu gehen. Sie will aktiv werden, aber in einer spezifischen, dem Gegenstand gemäßen Form. Das heißt, eindeutige Ordnungsfunktionen müssen bewahrt bleiben, aber sie müssen konkretisiert werden, und die Ordnungsfunktion darf nicht zur Ausweichstelle mißbraucht werden.
    Auch wenn wir das Eintopfgericht des generellen Verbots nicht wollen, so denken wir noch weniger daran, uns das gesamte Kartellmenü servieren zu lassen; das würde uns wenig munden. Es gab vor dem Kriege in Europa rund gerechnet 10 000 Kartelle, es gab in Deutschland 2500, in Großbritannien war es ähnlich, in Schweden gab es 2000, in Belgien 1000, in der Tschechoslowakei etwa 800.

    (Abg. Rische: Das war einmal!)

    Von diesen 2500 Kartellen können ohne Frage sehr viele zur Strecke gebracht werden, weil ihnen eine Ordnungsfunktion überhaupt nicht zukommt. Wollte man aber alles auflösen, man würde eine unerträgliche Inquisitions- und Ketzerverfolgungswelle auslösen.


    (Dr. Nölting)

    Unser leitender Gesichtspunkt ist daher: wirksamer Schutz der Allgemeinheit vor dem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht. Weniger schutzwürdig erscheint uns dabei oftmals der zur Preisschleuderei greifende Außenseiter als der kleine und mittlere Betrieb, der durch die Kartelldiktatur nicht abgewürgt werden soll, und der Abnehmer, der nicht terrorisiert werden darf. Bei allen Festsetzungen von Preisen, bei etwaigem Ausschluß von Unternehmen von Marktgebieten und sonstigen Benachteiligungen, bei der Begrenzung der Produktion, bei der Behinderung neuer technischer Anwendungsverfahren und ähnlichen Praktiken ist schärfstes Mißtrauen von vornherein geboten. Die Havanna-Charta bietet in ihrem Artikel 46 hier einige sehr wichtige Gesichtspunkte, so sehr sie sonst ein Kompromiß höchst divergierender Anschauungen ist. Das Problem, die Allgemeinheit vor dem Mißbrauch geballter Wirtschaftsmacht zu schützen und einen gesunden Wettbewerb zu sichern, wird von uns — darüber sollte kein Zweifel bestehen — sehr ernst genommen. Wir wollen es dem kapitalistischen Unternehmer bestimmt nicht bequem machen und wollen verhindern, daß in der Wirtschaft eine „Klubsesselatmosphäre" um sich greift und daß der Mut zum Wagnis vor dem Sekuritätsverlangen zurücktritt. Deshalb müssen die öffentlichen und die frei-gemeinnützigen Unternehmen als Hechte im Karpfenteich angesetzt werden, damit die alten Herren nicht zu bequem werden und nicht die Wendigkeit verlieren. Gemeinwirtschaftliche Unternehmen, insbesondere die Genossenschaften, sind aus diesem Ordnungskomplex von vornherein herauszunehmen,

    (Rufe von der CDU und FDP: Aha!)

    denn sie stärken gerade die Stellung des Verbrauchers, des Bauern, des Handwerkers, des Einzelhändlers am Markt auf eine durchaus erwünschte Weise.
    Sodann ist zu betonen, daß es bei der Ordnung der Materie keineswegs nur um Kartelle geht, das heißt um Vereinbarungen selbständiger Unternehmer zum Zwecke der Marktregelung oder Marktbeherrschung, sondern um jede Einschränkung des Wettbewerbs, die von monopolartigen Organisationen und Unternehmen ausgeht, möge es sich um eine Einzelfirma oder möge es sich um Konzerne, Trusts, Interessengemeinschaften und dergleichen handeln. Die Kartelle organisieren Märkte, die Konzerne organisieren Unternehmen. Weil die SPD jedes Monopolgesetz sub specie eines Wirtschaftsordnungsgesetzes sieht, wird für uns jedes Monopolgesetz zum Teilproblem der staatlichen Wirtschaftspolitik, untergeordnet unter das zentrale Lenkungsproblem, in dem wir, im Gegensatz zu dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, d a s Zentralproblem der Wirtschaftsgestaltung erblicken. Wir wollen Mißbrauch verhüten und wollen keine Staaten im Staate zulassen, die das demokratische Staatswesen überwuchern und unterminieren. Wir können uns auf der anderen Seite ebensowenig einen Rückfall auf eine vorhandene Organisationsstufe gestatten.
    Ich sage das letztere deshalb mit solcher Deutlichkeit, weil wir beim Anhören von manchen amerikanischen Stimmen oft höchst unangenehme Begleitgeräusche ins Ohr bekommen und den Eindruck nicht ganz loswerden, daß man uns im Zeichen der Dekartellierung wettbewerbsmäßig verstümmeln und Reparationsleistungen in einer anderen Form eintreiben will.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich darf darauf verweisen, daß auch die englische Rechtsprechung in Kartell- und Monopolfragen die Illegalität eines Kartells in den Fällen verneint, wo ein Mißbrauch monopolistischer Macht oder restraint of trade also Handelsbeschränkung — nicht nachzuweisen ist. Sie erkennt Kartellabreden, die reasonable, das heißt vernünftig und maßvoll sind, an, sofern sie nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Auch die französische Rechtsprechung ist ähnliche Wege gegangen. In Amerika dagegen läßt man zwar Konzerne und Trusts unter gewissen Bedingungen zu, aber kartellähnliche Abmachungen werden mit Schärfe verfolgt. Doch soll, wie man mir unlängst sagte, auch hier eine gewisse Wandlung wahrnehmbar sein. Praktisch werden auch dort nur wirtschaftsschädliche Bindungen verpönt, und es ist ein Genehmigungsverfahren vorgesehen. Man hat dort vielfach — was wir vermeiden müssen — durch das einseitige Wüten gegen die Kartelle den viel gefährlicheren Trusts Tür und Tor geöffnet.
    Jedenfalls ist ein deutsches Wirtschaftsgesetz mit Formulierungen zu fordern, die unserem Rechts- und Wirtschaftsdenken entsprechen — das amerikanische Schema kann nicht einfach übernommen werden —, ein Gesetz, das, undoktrinär gehalten, den wirtschaftlichen Tatsachen, aber auch den sozialen Verpflichtungen Rechnung trägt. Höchste Eile tut not. Unser Antrag ist deshalb gestellt worden, weil die Hohen Kommissare angekündigt haben, daß sie von sich aus ein Dekartellierungsgesetz erlassen würden, wenn die Bundesregierung noch lange fackelt und nicht bald ein entsprechendes Gesetz herausbringt. Wir hoffen, daß Herr Professor Erhard das Wettrennen zwischen ihm und den Hohen Kommissaren gewinnen wird. Gegenwärtig herrscht in weiten Kreisen unserer Wirtschaft begreifliche Beunruhigung. Könnte doch ein solches unter amerikanischem Diktat stehendes Gesetz aus politischen Motiven oder aus international-konkurrenzwirtschaftlichen Erwägungen leicht Bestimmungen enthalten, die unsere wirtschaftliche Entwicklung hemmen müßten. Jedenfalls ist es besser, daß wir unsere Wirtschaftsordnung nach eigenen Erfahrungen und Bedürfnissen gestalten, damit es nicht zu einer übereilten Bilderstürmerei kommt. Durch die Zeitungen gehen Nachrichten, daß alliierte Experten an einem solchen Gesetzentwurf arbeiten, der in wenigen Tagen fertiggestellt sein und eine grundsätzliche Regelung der Dekartellierung bringen soll. Wir möchten den Herrn Wirtschaftsminister und seine Beamten deshalb etwas zur Eile anspornen.
    Wir treten — ich darf das noch einmal betonen — nicht etwa grundsatzlos an diese Frage heran. Es gibt wirtschaftliche Machtballungen, deren Gebaren im Interesse der Gesamtwirtschaft höchst verderblich ist und die daher ausgemerzt werden müssen. Es läßt sich nur, da die Verhältnisse außerordentlich differenziert sind, nicht alles über den gleichen Leisten schlagen, und es muß, im Rahmen eines Ordnungsgesetzes, Möglichkeit und Bewegungsraum für die Behandlung des Einzelfalls verbleiben. Von einer öffentlich-rechtlichen Ordnung kann aber unter keinen Umständen Abstand genommen werden, und wirksame Vorkehrungen gegen unliebsame Praktiken wirtschaftlicher Machtballung sind unbedingt erforderlich. Es geht eben, sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister, auch hier nicht ohne Direktion. Die wirtschaftliche Welt — das wäre für uns Sozialdemokraten rückständiger Köhlerglau-


    (Dr. Nölting)

    be — ist noch nicht morgen vollkommen, weil heute ein Kartellverbot auf dem Papier erscheint. So wunderbar geht es auch in Ihrer hemmungslosen Wettbewerbswirtschaft nicht zu, daß man auf Zügelführung verzichten könnte. Herr Professor Erhard wettert bei jeder Gelegenheit gegen den sogenannten Termitenstaat, und ich habe mich gewundert, daß das Wort gestern nicht fiel. Einverstanden, Herr Professor Erhard! Auch wir wollen keinen Staatsmoloch, keinen machttriefenden, allgebietenden Staatsgötzen, keine große Spinne

    (Zuruf von der Mitte: Na, na!)

    — nein, meine Herren —, die uns alle als zappelnde Fliegen in ihr Netz einbezieht.
    Die Wirtschaft soll aber auch kein Fußballplatz sein, bei dem in einem undisziplinierten Spiel der eine dem anderen die Knochen zertritt.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe rechts.)

    Der sogenannte Ausscheidungswettbewerb mag — weil Sie vom Fußballplatz sprechen —

    (Zuruf rechts: Sie sprechen ja davon!)

    ein sportliches Ideal darstellen; er ist aber kein wirtschaftliches Ideal; denn dieses hemmungslose Spiel der Kräfte kann auch zu folgendem Ausgang führen: zu einem ruinösen Preiskampf mit sehr viel volkswirtschaftlichem Substanzverlust, zu durchaus vermeidbaren Schließungen von Unternehmen, die durchaus gesund sind, und zu umfangreichen Freisetzungen und Entlassungen von Arbeitern, die wir — weiß der Himmel — nicht nötig haben. Und was bleibt schließlich am Ende übrig? Es bleibt übrig die absolute Monopolstellung des Überlebenden, das heißt desjenigen, der am rüdesten seine Ellenbogen zu gebrauchen wußte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der kann dann faktisch das Monopol errichten. Ich weiß nicht, wie sich das mit der „sozialen" Marktwirtschaft vertragen würde,

    (Zustimmung bei der SPD)

    auch wenn wir uns längst daran gewöhnt haben, daß bei der sozialen Marktwirtschaft das Wörtchen „sozial" sehr klein und das Wörtchen „Marktwirtschaft" immer größer geschrieben wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Professor Erhard, Sie haben gestern hier wieder einmal das Loblied dieser Marktwirtschaft gesungen. Wir brauchen Ihnen die Antwort darauf nicht zu erteilen. Das geschieht bei den Wirtschaftsvorlagen, die wir hier sukzessive einbringen werden. Das hat aber bereits der Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes getan, und der zählt 5 Millionen Mitglieder. Er hat auf seiner Tagung in Königstein scharfe Angriffe gegen Ihre Marktwirtschaft gerichtet. Er hält, wie es im Memorandum heißt, ernste politische Folgen für unausbleiblich, wenn sich Ihre Politik nicht ändert. Er fordert entscheidende Maßnahmen auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik, der Steuer-, der Kredit-, der Finanz-, der Arbeitsmarkt- und Wohnungspolitik, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden, eine Arbeitslosigkeit, von der er in diesem Memorandum ausdrücklich vermerkt, daß sie zum großen Teil eine Folge der Marktwirtschaft sei, die ihrer nicht Herr werden könne.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich glaube, das sieht anders aus als das Selbstlob, das hier gestern gespendet wurde.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    In den Freigesetzten haben Sie Ihre „befreiten" Verbraucher, die sich unter Ihren Händen, Herr Professor Erhard, in Arbeitslose verwandeln.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Abg. Etzel: Das ist unerhört! Sie wissen es besser! Das stimmt doch nicht!)

    Gewiß, Sie sind stolz darauf, daß Sie die Käuferschlangen vor den Läden abgeschafft haben, aber sehen Sie denn gar nicht, meine Damen und Herren, daß sich eine viel gefährlichere Art von Schlangen bildet, die Schlange der Stempelbrüder vor den Arbeitsämtern?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Sie haben, glaube ich, Herr Professor Erhard, Ihre beste und auch wohl glanzvollste Phase hinter sich, damals, als Sie den Kampf gegen die Bewirtschaftung führten, die keiner von uns konservieren wollte,

    (Lachen in der Mitte und Widerspruch rechts. — Beifall bei den Sozialdemokraten)

    so daß es praktisch ein Kampf gegen Windmühlenflügel war.

    (Heiterkeit.)

    Sie ritten mit eingelegter Lanze gegen einen Lindwurm an, der an Alterskrankheit längst gestorben war.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf: Im Wirtschaftsrat! — Zurufe rechts.)

    Jetzt aber, nachdem diese erste Phase abgeschlossen ist, beginnt die zweite Phase. Da begibt man sich mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und mit dem Kampf um die Liberalisierung des Außenhandels, mit dem Kampf gegen die Monopole und mit dem auslaufenden Marshallplan auf ein schwierigeres Wirtschaftsgelände. Ich fürchte, ich fürchte, mancher Lorbeerzweig wird dabei welk werden.
    Aber wieder zur Sache.

    (Zuruf rechts: Langsam zur Sache!)

    — Ich weiß, Herr Präsident, daß es einem Abgeordneten nicht gestattet ist, so weit vom Thema abzuschweifen, wie der Herr Minister es gestern tun durfte.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich glaube, darüber besteht in allen Lagern Einigkeit: wir müssen aus dem heute grassierenden Zustand der Illegalität bei den Monopolen herauskommen. Offiziell sind Kartelle und alle wettbewerbsbeschränkenden Abreden verboten. Praktisch aber sehen wir ein Umsichgreifen von allerhand Untergrundkartellen, spürbar in der Form von losen Preisabreden, von Quotenabreden, von Sperr- und Boykottabreden, von Gebietsabreden usw. Westdeutschland ist geradezu ein Treibhaus von unzähligen geheimen Marktabreden geworden und das Kartell, durch das Hauptportal hinausgeworfen, hat durch die Hintertür vielfach wieder seinen Einzug gehalten.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Man spricht im Ruhrgebiet nicht umsonst von den sogenannten „Frühstückskartellen", die beim Essen zustande gebracht werden,

    (Abg. Dr. von Brentano: Wer ist denn dort Wirtschaftsminister?)

    die genau so bindend und wirksam sein können wie die formalen Kartelle, wobei ich hinzufügen darf, daß nicht nur immer Gentlemen bei diesen Gentlemen-agreements beteiligt sind.

    (Zuruf von der CDU: Was sagt der Herr Präsident dazu?)



    (Dr. Nölting)

    Was aber soll man tun — so frage ich zum Schluß —, da man die Dinge nicht einfach schleifen lassen kann? Es muß nach unserer Ansicht eine Organisation geschaffen werden, die in der Lage ist, eine permanente und wirksame Kontrolle über alle Monopolgebilde auszuüben und Mißbräuche abzuwehren. Das ist nur zu erreichen durch ein Monopolamt als oberste Bundesbehörde, durch ein Bundesaufsichtsamt für Monopole. Aber wir möchten, daß ein solches Amt nicht isoliert im apolitischen, luftleeren Raum existiert, sondern ihm ist ein Beirat beizugeben. Dieses Amt hat auf Ersuchen des Parlaments, demgegenüber es zu periodischer Berichterstattung verpflichtet ist, in Funktion zu treten, hat Untersuchungen durchzuführen und ordnungsbedürftige Zustände in Form zu bringen. Vor allem ist eine ausreichende Publizität in der Form eines Monopolregisters erforderlich. Jedes Kartell, das beabsichtigt ist, hat um seine formale Zulassung einzukommen und dabei seinen Erstreckungsbereich, seine Organisationsform und die Zahl der Beteiligten anzugeben. Alsdann gibt das Monopolamt die Anmeldung bekannt, und jedem Interessierten, der sich geschädigt fühlt, steht es frei, Einwendungen und Einsprüche gegen die geplante Gründung vorzubringen, denen das Kartellamt nachzugehen und worauf es dann nach Überprüfung der Gründe auf Zulassung oder Ablehnung zu entscheiden hat. Nicht eingetragene Kartelle sind nichtig und lösen empfindliche Freiheits- und Geldstrafen aus. Wenn ein Kartell sich im Verlauf der Zeit als schädlich erweist, dann kann es jederzeit, auch wenn es bisher zugelassen war, wieder kassiert werden. Es gibt keine staatlich diplomierten und konzessionierten Kartelle auf Dauer. Solche Kartelle, die eine Ordnungsfunktion überhaupt nicht ausüben, sondern die nur egoistischem Profitstreben und der Dividendensicherung ihre Entstehung danken und die kein stützendes Rückgrat in das Konjunkturgefüge einschieben, sind grundsätzlich verboten. Es besteht Auskunftspflicht des Kartellamts gegenüber Bundestag, gegenüber obersten Bundes- und Landesbehörden, sowohl in bezug auf Tatbestände wie Entscheidungsgründe. Dem Bundeswirtschaftsminister und bei regionalen Kartellen auch dem Landeswirtschaftsminister ist bei allen Anträgen, die an das Monopolamt gelangen, eine obligatorische Stellungnahme aufzuerlegen. Wenn ein solches Monopolamt, das zweckmäßig zu besetzen wäre, worüber wir noch die Vorschläge der Bundesregierung erwarten, seine Aufgabe ernst nimmt und den Kartellen gegenüber nicht nur Scheingefechte liefert, dann kommen wir, was wir wünschen, zu permanent überwachten, zur öffentlichen Publikation ausliegenden Kartellen, die jederzeit durch staatliche Eingriffe ganz oder teilweise außer Kurs gesetzt werden können. Also nicht nur Aufsichtsausübung — das ist zu blaß —, sondern auch aktives Einschreiten!
    Soviel zu den Kartellen. Und noch ein letztes Wort zu jenen Zusammenschlüssen, die sich auf Eigentumsbasis vollziehen, zu Konzernen, Trusts und dergleichen. Sie sind ebenfalls in diese Regelung einzubeziehen, wobei man nicht vergessen darf, daß es Einzelunternehmen gibt, die infolge ihrer Betriebsgröße oder infolge ihrer Eigenart von vornherein als monopolistische Gebilde anzusprechen sind. Der Weg der Entflechtung ist hier nicht gangbar, aber auch bei den Konzernen kommen wir vielfach mit bloßer Entflechtung aus produktionstechnischen Gründen nicht weiter. Außerdem ist ja die Entflechtung noch alliierten
    Stellen vorbehalten. Wegen ihrer faktischen Sonderstellung ist hier gleichfalls eine Registrierpflicht bei dem Monopolamt vorgesehen und eine weitgehende Verpflichtung hinsichtlich der Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse, als da sind Gestehungskosten, Preisbildung, Investitionspolitik usw., vielleicht auch ein begrenzter Kontrahierungszwang, worüber noch zu sprechen sein wird. Als grundsätzliche Forderung wäre aufzustellen: Marktbeherrschende' Unternehmen aller Art, Kartelle, Konzerne, Einzelfirmen usw. sind verpflichtet, ihre inneren Betriebsverhältnisse, ihren Absatz und ihr Preisgebaren so zu gestalten, daß die bestmögliche Versorgung des Marktes gewährleistet ist. Das hätte die oberste Richtschnur für das Vorgehen dieses Monopolamtes zu sein.
    Aber, meine Damen und Herren, auch ein unter solche Aspekte gestelltes Monopolamt — dieser Hinweis sei mir zum Schluß gestattet — hat für uns Sozialdemokraten — und wir möchten das mit aller Deutlichkeit sagen — nicht die Funktion, als Sozialisierungsersatz zu dienen. Wir hoffen, daß niemand im Hause die Absicht hegt, unter dem Vorwand der Dekartellierung eine Tarn- und Schutzwand gegen die Sozialisierung zu errichten. Genau im Gegenteil! Die Kontrolle, die wir fordern, ist berufen, in gewissen Sparten Vorläuferin und Wegbereiterin der endgültigen Vergesellschaftung zu sein.

    (Abg. Dr. Müller: Was heißt das?)

    Bis dahin müssen alle kartellierten und konzernierten Gebilde scharf unter die demokratische Lupe genommen werden. Die Sozialdemokratische Partei wird sich nicht dazu hergeben, daß bei dem Kampf gegen die Monopole — von dem wir ohnehin fürchten, daß er unter der Ägide dieser Regierung weitgehend ein Scheingefecht bleibt —

    (Sehr gut! bei der SPD)

    dem Kapitalismus nur deshalb ein paar Giftzähne ausgezogen werden, weil man hofft, durch diese Prozedur die Sozialisierung zahnlos machen zu können!
    Wir wünschen dringend, daß das reichlich mysteriöse Dunkel, das die Regierung bisher um ihre Absichten gebreitet hat, nunmehr baldigst gelichtet wird und daß die Anregungen, die wir hier geben durften, bei dem Entwurf, den die Regierung vorlegt, gebührende Berücksichtigung finden.

    (Starker Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie Herr Kollege Nölting dazu kommen kann, von einem mystischen Dunkel über die Absichten der Regierung und des von ihr geplanten Kartellgesetzes zu sprechen,

    (Sehr richtig! Ln der Mitte)

    nachdem er das Kartellgesetz der Regierung im
    einzelnen sehr ausführlich kommentiert hat und
    ich dazu überhaupt nichts mehr zu sagen brauche.

    (Heiterkeit. — Hört! Hört! bei der KPD.)

    Über der ganzen Rede Nöltings steht eigentlich das Motto: Rechts herum, links herum, alles vertauscht!

    (Erneute Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zurufe von der SPD: Sagen Sie das lieber von Ihrer gestrigen Rede! — Unverschämtheit!)



    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    Und ich frage mich: Ist jetzt eigentlich Herr Nölting Kartellgegner, oder ist er Kartellfreund? Ich bin mir jedenfalls nicht ganz darüber klar geworden, aber ich kann mir vorstellen, daß die ausgesprochenen Kartellfreunde in der Industrie an Herrn Nölting heute mehr Wohlgefallen gehabt haben als an mir.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Demagoge!)

    Wir wissen sehr wohl, daß die Kartelle sehr unterschiedliche Zielsetzungen haben, und da möchte ich Ihnen gleich sagen: wenn ich mich in der Öffentlichkeit als entschiedener Gegner der Kartelle bekannt habe, dann schien mir diese Haltung notwendig zu sein, um einmal den Grundsatz, das Prinzip als solches völlig klar herauszustellen. Niemand konnte annehmen, daß ich so stur, so orthodox verblendet bin, um mit dieser meiner Haltung, mit der Herausstellung eines klaren Grundsatzes das Kind mit dem Bade ausschütten und sämtliches Porzellan zerschlagen zu wollen. Herr Kollege Nölting weiß ja auch, und zwar durch einen seiner engsten Mitarbeiter, der an der Gestaltung mitgearbeitet hat,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

    daß es auch gar nicht die Absicht der Regierung gewesen ist, mit d e r Konsequenz, die Sturheit bedeutet, nun etwa alles zu zerstören, was im Sinne einer organisierten Wettbewerbsordnung durchaus wertvoll sein könnte.

    (Zurufe links.)

    Ich bin allerdings der Meinung, daß unser „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" eines völlig klarstellen muß, nämlich die Sicherung des Leistungswettbewerbs.
    Weil ich ganz genau weiß, daß gerade von der kleineren und von der mittleren Industrie häufig Bedenken gegen meine allzustrenge Haltung gegenüber den Kartellen laut geworden sind, habe ich — und das hat vielleicht mit zu der von Ihnen so überraschend festgestellten hundertprozentigen Übereinstimmung beigetragen,

    (Abg. Dr. von Brentano: einhundertzwanzigprozentigen!)

    — der einhundertzwanzigprozentigen Übereinstimmung mit den Vertretern der Industrie — zugegeben, daß es im freien Wettbewerb Auswüchse geben kann, die wohl beseitigt werden müssen, aber nicht etwa durch ein Kartell beseitigt werden müssen, sondern etwa nach amerikanischem Muster — wie es in den Trade-Commissions gegeben ist — durch die Setzung eines Sitten-, Rechts- und Ehrenkodex, der im ganzen oder vielleicht sogar für einzelne Zweige feststellt, was loyale, was anständige Konkurrenz und geordneter Wettbewerb bedeuten.
    Wenn heute zum Beispiel der eine das Dutzend zu 15 Stück abpackt und das als freien Wettbewerb betrachtet und womöglich glaubt, sich noch auf mich berufen zu können, dann brauche ich nicht erst zu sagen, daß ich das nicht unter freiem Wettbewerb verstehe und daß wir eben deshalb beabsichtigen, neben diesem Gesetz zur Wettbewerbsbeschränkung gleichzeitig auch noch ein sehr weit ausgebautes Gesetz zur Wettbewerbsordnung zu setzen, das alle die unsauberen Praktiken aus dem Geschäftsleben eliminieren soll und denen nicht zum Vorteil gereicht, die wir ganz bestimmt nicht gern im Wirtschaftsleben sehen.
    Wenn im übrigen auch hier gesagt worden ist: es scheinen in der Regierung verschiedenartige Auffassungen in bezug auf die Haltung gegenüber den Kartellen vorzuherrschen, dann kann ich das hier eindeutig verneinen; denn ich habe die Grundsätze des bereits fertig ausgearbeiteten Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen im Kabinett vorgetragen, und diese Grundsätze, die Sie vorhin ja vorgetragen haben, Herr Kollege Nölting, haben die volle Billigung des Kabinetts gefunden. Es besteht also hier gar keine Divergenz der Auffassungen.
    Ich komme noch einmal zurück auf die „Übereinstimmung mit der Industrie", die Ihnen so fragwürdig oder vielleicht auch gefährlich erscheint. Ich habe Ihnen schon gesagt: ich glaube, die Industrie, die Sie meinen, ist heute fast mehr auf Ihrer Seite als auf der meinen! Gewiß, es gibt etwas, was die Industrie beruhigt und was zu einer Übereinstimmung geführt hat, aber nicht darum, weil ich nachgegeben habe. Meine Haltung gegenüber den Kartellen ist klar und wird in aller Zukunft klar bleiben. Aber die Industrie, die aus der Herausstellung der Grundsätze befürchten mußte, daß grundsätzlich weder auf dem Binnenmarkt noch hinsichtlich der Ordnung des Wettbewerbs auf internationalem Arbeitsgebiet jede Möglichkeit einer Absprache, jede Möglichkeit einer Verständigung und Organisation unterbunden sei, ist von mir darüber beruhigt worden, daß Ausnahmen sehr wohl möglich sind, daß diese Ausnahmen aber, wie Sie schon gesagt haben, einer öffentlichen Kontrolle unterliegen sollen, daß auch eine besondere Gerichtsbarkeit, eine Art Monopolamt geschaffen wird, daß also die Öffentlichkeit die Kontrolle habe und eine Kontrolle nicht nur der Beteiligten, sondern jedes deutschen Staatsbürgers möglich sei. Als ich Sie darüber aufklären konnte, haben sich die Leute beruhigt, denn sie sahen dann wenigstens die Möglichkeit einer volkswirtschaftlichen Prüfung.
    Die Organisation, die wir vorgesehen haben, entspricht ganz genau dem, was Sie hier als Forderungen aufgestellt haben.

    (Hört! Hört! bei der CDU.)

    Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Rede von Ihnen in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken soll, als ob die Regierung unter dem Zwang, unter dem Druck Ihres Antrages und Ihrer Partei auf eine Linie gebracht werden soll, auf der sie von Anfang an gewesen ist.

    (Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte und rechts. — Abg. Dr. Nölting: Was ist mit dem Gesetzentwurf Josten, mit dem Gesetzentwurf Risse, der Ihnen doch auch vorlag? Das wissen Sie doch auch!)

    — Herr Professor Nölting, Sie kennen doch den Gesetzentwurf ganz genau. Ich kann Ihnen Sätze vorlesen, die wortwörtlich mit dem übereinstimmen, was Sie vorhin gesagt haben.

    (Abg. Dr. Nölting: Drei verschiedene Gesetzentwürfe kamen aus Ihrem Ministerium!)

    — Ich kann es Ihnen vorlesen:
    .. sind verpflichtet, ihr Verhalten auf dem Markt so zu gestalten, daß eine mißbräuchliche Ausnutzung ihrer Marktstellung vermieden wird und die bestmögliche Versorgung des Marktes gewährleistet ist.

    (Lebhafte Zurufe.)

    — Ich bitte, im Stenogramm festzustellen, daß das genau dieselben Worte waren!

    (Hört! Hört! und Händeklatschen in der Mitte und rechts.)



    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    In etwas bin ich allerdings einer ganz entschiedenen Meinung und habe dem wiederholt Ausdruck gegeben: meine Gegnerschaft gegen die Kartelle bezieht sich nicht allein auf die Art Kartelle, die privatwirtschaftliche Absprachen darstellen, sondern sie bezieht sich mit gleicher Konsequenz auch auf die staatlichen Kartelle, auf die staatlichen Monopole, weil mir die nicht minder schlimm erscheinen als die privatwirtschaftlichen Einrichtungen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich habe schon wiederholt gesagt: Tritt dieses Kartellgesetz erst in Kraft, dann werde ich als Anzeiger auftreten und zuerst einmal nach Ordnung rufen.

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Abg. Loritz: Transportgewerbe!)

    Es ist dann hier unter Bezugnahme auf meine gestrigen Ausführungen die Kritik gegen all das angeklungen, was Planung, Lenkung und Planwirtschaft bedeutet. Ich glaube, darüber brauchen wir uns nicht mehr zu unterhalten; denn jeder weiß aus lebendiger Erfahrung, daß eine bewußte Planung und Lenkung in der geistigen Ausrichtung und in dem soziologischen und wirtschaftlichen Gehalt etwas ganz anderes bedeutet als Planwirtschaft, und ich möchte sogar annehmen, daß wir hier gar nicht so sehr weit auseinander sind. Der Staat hat wohl Lenkungsfunktionen. Es kommt nur darauf an, mit welchen Mitteln, aus welchem Geist und in welcher Richtung er sie ausübt.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts. — Gegenrufe links.)

    Sie haben gemeint, der alte Liberalismus würde bei konsequenter liberalistischer Einstellung, zu der ich mich übrigens nie bekannt habe, dazu führen, daß auch die Vertragsfreiheit sichergestellt sein müsse, daß heißt also, daß die Industrie so wie einst im Mai wieder ihre Kartelle der Klosettbrillen, der Glasaugen und der Fieberthermometer begründen könne. Hier bin ich allerdings der Auffassung, daß an diesem Punkte die staatliche Lenkung einzusetzen hat, und hier ist sie auch berechtigt. Ich gebrauche Ihr Bild, wenn ich sage: hier hat der Staat dann Schiedsrichter zu spielen.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut! — Zurufe links.)

    — Ich kann die Dinge nur in der Reihenfolge nehmen, in der sie vorgetragen worden sind!
    Sie zeihen mich einer allzu lyrischen Betrachtungsweise. Ja, Herr Kollege Nölting, entschuldigen Sie! Wenn ich Ihre Reden lese — ich erinnere an unser Zwiegespräch, das ich erst vor wenigen Tagen nachgelesen habe —, dann komme ich mir dagegen wie ein ganz nüchterner und trockener Pedant vor.

    (Heiterkeit in der Mitte und rechts.)

    Das paßt auch gar nicht zu meiner Wirtschaftsauffassung, die immer dahin geht, daß ich sage: ich muß die ökonomischen Daten so setzen, daß sich die Menschen im Markte sinnvoll und wirtschaftlich verhalten. Ich habe auch oft genug gesagt: ich halte nichts von kategorischen Imperativen und sittlichen Appellen. Darum ist mir die Marktwirtschaft sympathischer als die Wirtschaft, in der der Staat glaubt, er könne das einzelne Individuum durch gutes Zureden oder durch entsprechende Polizeigewalt dahin führen, wohin er es haben will.

    (Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

    Wir haben auch gar nicht die Absicht, zur liberalistischen Wirtschaft zurückzugehen. Wir haben die Absicht vorwärtszugehen, und da zeigen sich sowohl in den praktischen Ansätzen wie in der wissenschaftlichen Erkenntnis sehr wohl Wege, die eine fruchtbare Entwicklung verheißen.

    (Zuruf links: Siehe die Erwerbslosen!)

    Sie meinen, wir seien in eine neue Phase des Kapitalismus eingetreten. Es trifft sicher zu — wenn Sie es rein historisch betrachten —, daß der Kapitalismus in seiner ersten Phase, in seinen Anfängen, als er in den handwerklichen Markt eindrang — wenn ich das Wort „Kapitalismus" jetzt einmal kritiklos hinnehme —, ein anderes Gesicht hatte, ein anderes Betätigungsfeld und andere Formen trieb als der „Kapitalismus" von heute. Das ist selbstverständlich. Aber ich glaube, in etwas haben Sie nicht recht. Sie sind der Meinung, aus der inneren Logik der Entwicklung heraus, aus den inneren Kräften müsse sich so etwas vollziehen wie das, was nach der Marxschen Lehre als Akkumulation des Kapitals dahin führt, daß zuletzt nur oben eine Spitze ist und daß es da nur noch der Expropriation der Expropriateure bedürfe, um die glückselige Wirtschaft herzustellen.

    (Sehr gut! in der Mitte und rechts. — Lebhafte Zurufe links.)

    Anders kann ich Ihren Begriff des ,,überlebenden Monopols" ja wohl nicht deuten. Das kommt ungefähr aus derselben Haltung heraus.
    Nun hat sich aber gezeigt, daß sich hier ganz andere Entwicklungen anbahnen, sowohl aus der Technik wie auch aus der Organisation des Marktes, aus der Differenziertheit der Wirtschaft heraus: Dem Großbetrieb sind im allgemeinen und in den meisten Zweigen der Wirtschaft sogar sehr enge Grenzen gesetzt, und wie sich herausstellt, können sich die kleinen und mittleren Betriebe den Schwankungen und Fluktuationen des Marktes in viel höherem Maße anpassen als Großbetriebe. Es ist also noch sehr die Frage, ob und inwieweit der Großbetrieb dem kleinen und mittleren Betrieb tatsächlich überlegen ist. Für die Kohlenzechen und für die Stahlwerke stimmt das selbstverständlich, aber es stimmt nicht für den Gesamtbereich der Wirtschaft. Denn wenn das stimmen würde, würde der Kapitalismus oder, besser gesagt, der Industriebetrieb das Handwerk in Deutschland schon längst ertötet haben, während seit den Anfängen des Industrialismus das Handwerk in Deutschland blüht und immer neue Zweige getrieben hat.

    (Abg. Dr. Nölting: Wer zweifelt das denn an?) Es scheint also, daß die Entwicklung hier nicht so gradlinig und nicht im Sinne der materialistischen Auffassung verläuft, wie das hier gesagt worden ist.

    Sie sprachen von Überproduktion und glaubten, auch hier müßten dann doch kartellmäßige Abreden getroffen werden können, um dieser Überproduktion zu begegnen. Ich bin der Meinung: Überproduktion fällt nicht vom Himmel, sondern Überproduktion ist immer eine Folge einer fehlerhaften Verteilung des Einkommens und damit einer fehlerhaften Verteilung auch der Nachfrage. Weil aber für die fehlerhafte Verteilung des Einkommens, für die falsche Lenkung der Kaufkraftströme eben sehr oft die Kartelle verantwortlich sind, deshalb bin ich gerade ein prinzipieller Gegner der Kartelle.

    (Sehr richtig! rechts.)



    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    Was Sie über die Konzerne sagten, deckt sich vollkommen mit meiner Auffassung; wir stimmen sogar im Wortlaut überein, wie ich feststellen konnte.

    (Heiterkeit in der Mitte und rechts.)

    Hinsichtlich der Monopolkommission ist alles in Ordnung. Dann aber kam noch die amerikanische Auffassung zur Sprache. Die ist mir selbstverständlich bekannt, und ich weiß auch, daß hier mindestens Gefahren gedroht haben. Sie wissen aber auch, daß im Rahmen des europäischen Wiederaufbaus vom Marshallplan her und über die Marshallplanhilfe ganz bestimmte wirtschaftliche Konzeptionen und Grundsätze in der europäischen Wirtschaft zur Anwendung gelangen sollen. Nicht etwa, weil es für mich bequem ist, hier eine Ausrede zu suchen und zu sagen „die Amerikaner fordern es ja", sondern weil ich aus innerer Überzeugung diese Prinzipien für richtig halte, deshalb stimme ich Ihnen zu, und deshalb wollen wir auch diese Grundsätze nicht schematisch, sondern selbstverständlich zugeschnitten auf die soziologische Struktur und die wirtschaftlichen Verhältnisse unseres, Landes auf uns übertragen.
    Ich weiß, daß in der Kritik gegen mich von Freunden der Kartelle vorgetragen worden ist, die Aufhebung oder die Untersagung von Kartellen würde allzu sehr zur Trustbildung führen; siehe das amerikanische Beispiel. Ich glaube nicht, daß man das übertragen kann, und es war interessant, aus Einzelgesprächen festzustellen, daß die einen Kartellfreunde argumentiert haben, die Kartelle bewirkten einen Schutz der kleinen und mittleren Betriebe; und eine Stunde später sagte mir ein anderer: Wir haben es unter der Kartellordnung fertiggebracht, von 65 Betrieben auf 6 herunterzugehen. Es scheint mir also doch keine einheitliche, aus der Entwicklung selbst herrührende Kraft innerhalb der Kartelle wirksam zu sein, sondern es kommt eben darauf an, zu welchem Instrument man die Kartelle gestalten will. Ich wehre mich jedenfalls mit aller Entschiedenheit gegen die jetzt so gerne popularisierte Auffassung, als ob das Wohltätigkeitsvereine gewesen seien. Das waren sie nicht, und das paßt auch wieder nicht in mein Wirtschaftsbild.
    Was das Dekartellisierungsgesetz der Alliierten anbelangt, so gehört es sicher zu den Reservaten, die sie sich vorbehalten haben. Aber ich habe sichergestellt, und ich habe die Zusage, daß wir nicht durch ein alliiertes Kartellgesetz überrascht werden, sondern daß man in Kenntnis der deutschen Bemühungen und der sehr geraden Haltung, die wir auf diesem Gebiet einnehmen, uns zu einer deutschen Kartellgesetzgebung kommen läßt.
    Sie sind dann noch einmal auf die soziale Marktwirtschaft eingegangen. Sie müssen mir also gestatten, auch noch ein Wort dazu zu sprechen. Ja, wenn ich mir natürlich angesichts der Entwicklung der letzten anderthalb Jahre politische Wunschträume zum Maßstab einer Wirtschaftspolitik mache, dann kann es selbstverständlich nur Unzufriedene geben; und wenn in diesem Zusammenhang auf die Arbeitslosigkeit hingewiesen worden ist, dann möchte ich sagen, daß das das ernsteste Problem ist, das wir auch in der Regierung kennen und das uns zu allen Anstrengungen führen wird, um hier wirksam einzugreifen. Da kann es keinen Zweifel geben. Aber ich glaube, es ist eine völlige Verschiebung des Tatbestandes und der Ursachen des Phänomens,
    wenn man die Marktwirtschaft für die Arbeitslosigkeit verantwortlich machen will.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Renner: Wer lacht da nicht?)

    Ich möchte Ihnen jetzt einmal einige Zahlen nennen. Aus der Entwicklung der Arbeitslosigkeit gerade in den letzten zwei Monaten ist deutlich sichtbar, und die Analyse der Arbeitslosigkeit regional und fachlich zeigt deutlich, daß diese Zunahme um 500 000 Menschen im wesentlichen und zum überwiegenden Teil saisonaler Natur ist.

    (Zurufe und Unruhe links.)

    Sie tritt in den Berufen auf, die im Winter — wie in der Landwirtschaft — eben nicht arbeiten können.

    (Unruhe bei den Sozialdemokraten. — Zurufe.)

    — Ja, es scheint so; Sie müssen es aber noch einmal hören, um es zu begreifen. — In der gewerblichen Wirtschaft hat eine fortlaufende Erhöhung der Beschäftigtenzahlen stattgefunden.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein: es kommt gar nicht darauf an und ist ganz gleich, woher die Arbeitslosen kommen; es ist wichtig, daß sie da sind,

    (Zurufe links)

    und es ist noch wichtiger, diesen sozialen Schaden zu beseitigen. Aber ich wehre mich dagegen, daß die Wirtschaftspolitik verantwortlich sein soll. Dort, wo die Marktwirtschaft am besten funktioniert, ist es nicht zur Entlassung von Arbeitskräften gekommen, sondern zu einer ständigen Aufsaugung.

    (Bravorufe und Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Das ist statistisch eindeutig nachweisbar. Aber noch etwas anderes, meine Damen und Herren! Mit dem Einstrom der Flüchtlinge seit dem Jahre 1945 haben wir insgesamt 3,7 Millionen erwerbstätige Bevölkerung aufnehmen müssen. Wir hatten im Jahre 1936 schon 880 000 Arbeitslose. Nehmen Sie jetzt selbst die ganze Saisonarbeitslosigkeit mit dazu, dann bedeutet das, daß wir von den eingeströmten 3,7 Millionen Erwerbstätigen — eingeströmt in einen Raum mit einer weitgehend vernichteten und zerschlissenen technischen Apparatur — immerhin 2,7 Millionen Menschen irgendwie eine wertvolle, volkswirtschaftliche Beschäftigung gegeben haben.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Und ich bin der Meinung — und ich glaube, jeder, der es mit unserem Volk gut meint, muß sich dieser Auffassung anschließen —: dieser Bodensatz an struktureller Arbeitslosigkeit — ohne eine Zahl zu nennen, die sich um etwa eine Million herum bewegen wird — ist von dem Problem des Flüchtlingseinstroms nicht zu trennen. Das ist auf uns als eine internationale Regelung überkommen; und ich glaube, wir haben allen Grund, diese Arbeitslosigkeit nicht als ein schuldhaftes Versäumnis von deutscher Seite oder gar unserer Wirtschaftspolitik erscheinen zu lassen,

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    sondern wir haben allen Grund, dieses Problem auf die internationale Ebene zurückzuschieben.

    (Sehr gut! rechts. — Unruhe links. — Zuruf von der KPD: Billig! — Zuruf von der SPD: Sie sind noch stolz darauf!)



    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    — Nein, ich bin nicht stolz darauf, sondern ich mache mir sicher mindestens genau soviel oder vielleicht noch mehr Sorgen als Sie, da können Sie sicher sein.
    Ich spreche in der gleichen Reihenfolge wie Herr Kollege Nölting, und deshalb möchte ich zum Schluß noch einmal auf das Kartellgesetz kommen. Ich mache auch hier aus meinem Herzen keine Mördergrube — ich habe das auch schon geschrieben —: die Freundschaft oder die allzu tolerante Haltung Ihrerseits gegenüber den Kartellen macht mich stutzig.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Es liegt hier doch zu sehr der Verdacht nahe, daß mit den von Ihnen sicher auch ernstgemeinten Sorgen um die Ordnung des Marktes, um die Ordnung des Wettbewerbs, um die sozialere Gestaltung des Marktes gleichzeitig der Gedanke verbunden ist, Einrichtungen lebenskräftig und lebensfähig zu erhalten, die unter anderen politischen Vorzeichen die Vorläufer der Sozialisierung sein können.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Das ist nicht der Grund für meine Haltung gegenüber den Kartellen; aber es scheint mir wertvoll zu sein, daß wir diese Zusammenhänge erkennen, um dann zu einer gerechten Abwägung der Verhältnisse zu gelangen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)