Meine Damen und Herren! Es gibt das bekannte Wort des Nationalökonomen Robert Liefmann: „Kartelle sind Kinder der Not". Aber man könnte ebensogut gleich hinzufügen: sie sind auch Kinder des Übermuts. Man sagt, die Kartelle dienten der Läuterung des Wettbewerbs; aber ebensogut führen sie die Gefahr einer Verkalkung und monopolistischen Verschachtelung und Refeudalisierung des Kapitalismus herauf; einer Verfilzung, durch die wir in das Halbdunkel einer unentwirrbaren Dschungelwirtschaft geraten. Man sagt, sie dienten der Preisregulierung und der Preisstabilisierung, namentlich in Zeiten der Flaute; aber genau so gut dienen sie auch der Preistreiberei, indem der durchschnittlichen Profitrate noch die Kartellrente aufgeknallt wird. Es ist kein Zweifel, daß allezeit die Kartelle an der Preishochhaltungspolitik einen beträchtlichen Anteil gehabt haben. Nicht nur dem Verbraucher ist dadurch Schaden zugefügt, auch ganze Industriezweige sind unter Druck gesetzt worden. Unser Maschinenbau weiß ein Lied davon zu singen, dem die Kartelle der eisen- und stahlschaffenden Industrie häufig die Daumenschrauben angelegt haben, während den angeschlossenen Maschinenbaubetrieben Sonderrabatte gewährt wurden, die dann ihrerseits wieder eine Dumpingpolitik ermöglichten. Nicht selten sind alteingesessene, gut fundierte und volkswirtschaftlich bedeutsame Betriebe dadurch in den Boden konkurriert worden.
Man will nun durch Beseitigung dieser Monopolorganisationen den vollen Leistungswettbewerb herstellen. Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch einen ruinösen Vernichtungswettbewerb, an dem die Gesamtheit keinerlei Interesse hat.
So ließen sich Thesen und Antithesen leicht noch weiter aneinanderreihen. Ich habe ja auch diese Beispiele nur deshalb angeführt, um von vornherein klarzumachen, daß hier eine Doppelwandigkeit, eine Doppelschichtigkeit der Problematik besteht, weshalb man mit einem einfach ablehnenden Nein noch weniger auskommt als mit einem unbedenklich zustimmenden Ja. Die ganze Materie bedarf dringend der Ordnung. Ein solches Ordnungsgesetz ist uns wiederholt angekündigt und in Aussicht gestellt worden; aber die Sache kommt nicht recht vom Fleck, und die Vermutung liegt nahe, daß es Divergenzen in den Anschauungen unserer Regierungsparteien sind, die den entscheidenden Schritt bisher abgebremst haben, und es würde für meine Freunde von besonderem Interesse sein, wieweit gerade das Bundesjustizministerium an diesen Verzögerungen Schuld trägt.
Folgt man freilich den Verlautbarungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers, so ist es angeblich seine Absicht, mit allen Monopolorganisationen tabula rasa zu machen. Es soll eine Atombombe auf sie herniedergehen
und sie auseinandersprengen. Und damit soll der volle Leistungswettbewerb hergestellt werden, worin ja nach Abbau der zwangswirtschaftlichen Maßnahmen sozusagen Teil 2 der „sozialen Marktwirtschaft" erblickt wird. Man will offenbar dem System der Liberalisierung dadurch erhöhte Popularität verleihen, daß man den Kartellen die Zähne zeigt; man glaubt, damit die endgültige Marktbereinigung herbeiführen zu können. Herr Professor Erhard scheint sich auf der Linie absoluter Kartellgegnerschaft festgelegt zu haben; oder soll ich lieber sagen: er schien sich festgelegt zu haben? Denn, meine Damen und Herren, ich bin dadurch etwas stutzig geworden, daß die Zeitungen vermeldeten: bei der Aussprache im Gästehaus in Unkel, die unlängst stattfand, sei zwischen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und den 120 Vertretern aus Industrie und Handel völlige Übereinstimmung herbeigeführt worden. Hundertprozentige Zustimmung
— oder gar „120prozentige Zustimmung", das ist etwas viel; und der Verdacht liegt nahe, daß das Ganze weitgehend ein Scheinalarm war, der inzwischen wieder abgeblasen worden ist.
Die sozialdemokratische Fraktion legt jedenfalls Wert darauf, daß sie sich von vornherein von der höchst naiven Auffassung genügend distanziert, man könne mit Zerschlagung der Kartelle die prästabilierte Harmonie der Marktwirtschaft erreichen. Gewiß sind Kartelle ein Störungsfaktor des freien Marktgeschehens. Aber wenn man einmal von den Prämissen des Herrn Professor Erhard ausgeht, so will mir scheinen: der das Kartell verbietende Staatseingriff ist ebenfalls staatliche Intervention,
bedeutet ebenfalls einen Abfall von der liberalen Doktrin. Herr Professor Erhard gerät so mit seiner Atomzertrümmerungsideologie in Widerspruch zu seinen eigenen Prämissen und kommt vom Regen in die Traufe.
Denn Kartelle sind Kinder aus dem Geiste des Liberalismus, und der vielbesprochene Wettbewerb setzt sich in Quotenkämpfen und in dem Herumgebalge mit dem Außenseiter unterirdisch fort. Der reine Liberalismus übersieht gern, daß auch diese Gebilde organisch gewachsen sind und daß sich im Zeichen der Vertragsfreiheit auch die sogenannte „Planung des Wettbewerbs" konsequenterweise verbietet, wofern man nicht einen Abfall von der Doktrin begehen und sich eines Verrats an den eigenen Prämissen schuldig machen will. Wir haben ja gestern zu unserer freudigen Überraschung gehört, daß sich der Herr Bundesminister gegen eine planmäßige Lenkung nicht mehr sträubt. Wir freuen uns über jeden Saulus, aus dem ein Paulus wird.
Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, daß Herr Professor Erhard im „Volkswirt" unlängst noch wörtlich geschrieben hat: „Jede Planung ist Sünde wider den heiligsten Geist des Lebens, dessen innerstes Wesen Wandlung, Bewegung und Entfaltung ist."
Ich weiß nicht — es liegt wahrscheinlich an mir —, warum ich es so schlecht vertragen kann, wenn Wirtschaftsminister lyrisch werden.
Steigen wir deshalb nach diesen Höhenflügen in dem Bereich der biologischen Metaphysik lieber herunter in die Niederungen der Praxis und in die Region nüchterner Überlegungen. Dann aber ist zu sagen: es gibt nicht den Weg zurück in die freie Marktwirtschaft, auch wenn man ihn gehen wollte; die Wirtschaft ist von Machtbastionen und Machtpositionen durchsetzt, die sich nicht einfach auflösen lassen. Das Konkurrenzmodell, das unseren Liberalisten vorschwebt, erscheint uns reichlich antiquiert. Es hat sich eine Entwicklung vom freien zum organisierten Kapitalismus vollzogen, die sich nicht aufhalten läßt. Gerade diese Organisationen sind ein Charakteristikum der kapitalistischen Spätphase. Man hat zu unterscheiden — darf das der Professor einmal dem Professor sagen? — zwischen der Aufbau- und der Ausbauphase des Kapitalismus. In seiner Aufbauphase bleibt der Kapitalismus dem Konkurrenzprinzip zugeschworen; lebt er doch in dieser seiner ersten Phase von dem Einbruch in den vorkapitalistischen Raum, von der Zerstörung der vorkapitalistischen Produktion formen, namentlich der Handwerksbetriebe, was ein relativ risikofreies und gewinnbringendes Geschäft bedeutet. Dann aber, nach Aufzehrung .und Liquidierung dieser Vorformen in der Ausbauphase, kommt der Kampf gegen den ebenbürtigen Gegner: jetzt ringen gleichstarke Wirtschaftspotenzen miteinander; und damit ist die Stunde gekommen, in der der Schrei entsteht: la concurrence nous tue — die Konkurrenz tötet uns —, wie es Proudhon formulierte; die Stunde, da man sich gegenseitig so aufzufressen droht, wie es die beiden berühmten Löwen in der Fabel getan haben, die sich so auffraßen, daß am nächsten Morgen trist und einsam nur noch die beiden Schwänze in der Wüste herumlagen. Dann ist die Stunde gekommen, in der sich die Überlebenden des wirtschaftlichen Schlachtfeldes im Zeichen der Vereinbarung, der Verständigung zu einem befristeten Waffenstillstand zusammenfinden.
Aber nun lassen Sie uns wieder unprofessoral werden! Moderne Technik ist ihrem Wesen nach großdimensional. Man kann zwar einen Hochofen, aber man kann kein Hochöfchen bauen. Der Zwang zur Organisation geht, wie es Schmalenbach noch in seiner letzten Schrift dargelegt hat, von den fixen Kosten, von der Gefahr drohender Überproduktion aus. Es vergrößert sich das Risiko des kapitalistischen Unternehmens, und zwar auf eine zweifache Weise: nach dem Umfang und nach dem Grad des Risikos. Der Versuch der Risikoabschwächung führt zur Bildung von Monopolen oder von Quasi-Monopolen, die einen höchst unzulänglichen Versuch der Selbstheilung darstellen, der Bildung von Abwehrstoffen gegen die drohende Wirtschaftsflaute und Wirtschaftsverschlechterung. Die Technik selbst zwingt zu einer weitgehenden Ersetzung der Marktbeziehungen durch Verständigungsformen, und die einfache Zerschlagung aller konzentrierten Gebilde müßte zu einem technischen Rückschritt führen, der unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland herabsetzen und eine soziale Notlage heraufführen würde. Schon aus produktionstechnischen Gründen ist der Wunsch nach einer Rückkehr zur freien Wettbewerbswirtschaft nicht linear und nicht überall zu verwirklichen. Gewaltige investierte Kapitalien könnten bei einem zügellos entfesselten Wettbewerb über Nacht verlorengehen. Eine Selterbude, einen Kramladen, auch eine
Handwerkerstube mag man zumachen, wenn der Gegner sie niederkonkurriert hat. Aber die Großgebilde, die hier auf dem Spiel stehen, leben nach einem anderen Gesetz. Da würde einer den anderen an der Gurgel nehmen und bei der weitgehenden Verflechtung in seinen Zusammenbruch mit hinabziehen, weshalb gewisse Schutzdämme gegen eine Desorganisation des Marktes unerläßlich sind. Wir leben eben nicht mehr zu Zeiten des seligen Adam Smith, was Herr Röpke und, ich fürchte, auch Herr Professor Erhard allzu leicht vergessen.
Aus den kleinen Ziegelsteinbauten von gleichformatigen Unternehmen sind die Betonklötze der Großorganisation geworden. Es reibt sich im Monopolkapitalismus nicht mehr Wassertropfen an Wassertropfen, sondern Monopolkapitalismus ist ein Strom im Eisgang, so wie der Rhein gestern aussah, wo sich die großen Eisbarren aneinander scheuern.
— Ach nein, meine Herren, anschauliche Bilder bedeuten keine Lyrik!
Soll man dem nun tatenlos oder vielleicht sogar mit stiller Begünstigung zusehen? Wir sagen mit aller Entschiedenheit nein! Und wenn eine generelle Verbotsgesetzgebung für uns nicht in Frage kommt, so noch weniger eine stillschweigende Duldung!
Wir wissen um die Preisstarre und die Preisdiktatur vieler Kartelle, um die organisierten Raubzüge gegen den Konsumenten,
um die unsinnigen, nur aus dem Profitdenken stammenden Verschachtelungen, um die Tendenz zum Mißbrauch, die jedem Machtgebilde nun einmal immanent ist. Allein die Tatsache wirtschaftlicher Machtballung mahnt zu Vorsicht und erhöhter Aufmerksamkeit. Der Erstreckungsbereich wettbewerbsloser Sphären sollte nach unserer Ansicht auf ein Minimum beschränkt bleiben. Schon aus Sorge um die jederzeit vorhandene Preisdiktaturmöglichkeit wie auch aus lohnpolitischen Gründen verbietet sich für die sozialdemokratische Fraktion jedwede Abstinenz, und sie denkt nicht daran, wie der vorliegende Antrag Nr. 405 ausweist, hier etwa in die Passivität zu gehen. Sie will aktiv werden, aber in einer spezifischen, dem Gegenstand gemäßen Form. Das heißt, eindeutige Ordnungsfunktionen müssen bewahrt bleiben, aber sie müssen konkretisiert werden, und die Ordnungsfunktion darf nicht zur Ausweichstelle mißbraucht werden.
Auch wenn wir das Eintopfgericht des generellen Verbots nicht wollen, so denken wir noch weniger daran, uns das gesamte Kartellmenü servieren zu lassen; das würde uns wenig munden. Es gab vor dem Kriege in Europa rund gerechnet 10 000 Kartelle, es gab in Deutschland 2500, in Großbritannien war es ähnlich, in Schweden gab es 2000, in Belgien 1000, in der Tschechoslowakei etwa 800.
Von diesen 2500 Kartellen können ohne Frage sehr viele zur Strecke gebracht werden, weil ihnen eine Ordnungsfunktion überhaupt nicht zukommt. Wollte man aber alles auflösen, man würde eine unerträgliche Inquisitions- und Ketzerverfolgungswelle auslösen.
Unser leitender Gesichtspunkt ist daher: wirksamer Schutz der Allgemeinheit vor dem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht. Weniger schutzwürdig erscheint uns dabei oftmals der zur Preisschleuderei greifende Außenseiter als der kleine und mittlere Betrieb, der durch die Kartelldiktatur nicht abgewürgt werden soll, und der Abnehmer, der nicht terrorisiert werden darf. Bei allen Festsetzungen von Preisen, bei etwaigem Ausschluß von Unternehmen von Marktgebieten und sonstigen Benachteiligungen, bei der Begrenzung der Produktion, bei der Behinderung neuer technischer Anwendungsverfahren und ähnlichen Praktiken ist schärfstes Mißtrauen von vornherein geboten. Die Havanna-Charta bietet in ihrem Artikel 46 hier einige sehr wichtige Gesichtspunkte, so sehr sie sonst ein Kompromiß höchst divergierender Anschauungen ist. Das Problem, die Allgemeinheit vor dem Mißbrauch geballter Wirtschaftsmacht zu schützen und einen gesunden Wettbewerb zu sichern, wird von uns — darüber sollte kein Zweifel bestehen — sehr ernst genommen. Wir wollen es dem kapitalistischen Unternehmer bestimmt nicht bequem machen und wollen verhindern, daß in der Wirtschaft eine „Klubsesselatmosphäre" um sich greift und daß der Mut zum Wagnis vor dem Sekuritätsverlangen zurücktritt. Deshalb müssen die öffentlichen und die frei-gemeinnützigen Unternehmen als Hechte im Karpfenteich angesetzt werden, damit die alten Herren nicht zu bequem werden und nicht die Wendigkeit verlieren. Gemeinwirtschaftliche Unternehmen, insbesondere die Genossenschaften, sind aus diesem Ordnungskomplex von vornherein herauszunehmen,
denn sie stärken gerade die Stellung des Verbrauchers, des Bauern, des Handwerkers, des Einzelhändlers am Markt auf eine durchaus erwünschte Weise.
Sodann ist zu betonen, daß es bei der Ordnung der Materie keineswegs nur um Kartelle geht, das heißt um Vereinbarungen selbständiger Unternehmer zum Zwecke der Marktregelung oder Marktbeherrschung, sondern um jede Einschränkung des Wettbewerbs, die von monopolartigen Organisationen und Unternehmen ausgeht, möge es sich um eine Einzelfirma oder möge es sich um Konzerne, Trusts, Interessengemeinschaften und dergleichen handeln. Die Kartelle organisieren Märkte, die Konzerne organisieren Unternehmen. Weil die SPD jedes Monopolgesetz sub specie eines Wirtschaftsordnungsgesetzes sieht, wird für uns jedes Monopolgesetz zum Teilproblem der staatlichen Wirtschaftspolitik, untergeordnet unter das zentrale Lenkungsproblem, in dem wir, im Gegensatz zu dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, d a s Zentralproblem der Wirtschaftsgestaltung erblicken. Wir wollen Mißbrauch verhüten und wollen keine Staaten im Staate zulassen, die das demokratische Staatswesen überwuchern und unterminieren. Wir können uns auf der anderen Seite ebensowenig einen Rückfall auf eine vorhandene Organisationsstufe gestatten.
Ich sage das letztere deshalb mit solcher Deutlichkeit, weil wir beim Anhören von manchen amerikanischen Stimmen oft höchst unangenehme Begleitgeräusche ins Ohr bekommen und den Eindruck nicht ganz loswerden, daß man uns im Zeichen der Dekartellierung wettbewerbsmäßig verstümmeln und Reparationsleistungen in einer anderen Form eintreiben will.
Ich darf darauf verweisen, daß auch die englische Rechtsprechung in Kartell- und Monopolfragen die Illegalität eines Kartells in den Fällen verneint, wo ein Mißbrauch monopolistischer Macht oder restraint of trade also Handelsbeschränkung — nicht nachzuweisen ist. Sie erkennt Kartellabreden, die reasonable, das heißt vernünftig und maßvoll sind, an, sofern sie nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Auch die französische Rechtsprechung ist ähnliche Wege gegangen. In Amerika dagegen läßt man zwar Konzerne und Trusts unter gewissen Bedingungen zu, aber kartellähnliche Abmachungen werden mit Schärfe verfolgt. Doch soll, wie man mir unlängst sagte, auch hier eine gewisse Wandlung wahrnehmbar sein. Praktisch werden auch dort nur wirtschaftsschädliche Bindungen verpönt, und es ist ein Genehmigungsverfahren vorgesehen. Man hat dort vielfach — was wir vermeiden müssen — durch das einseitige Wüten gegen die Kartelle den viel gefährlicheren Trusts Tür und Tor geöffnet.
Jedenfalls ist ein deutsches Wirtschaftsgesetz mit Formulierungen zu fordern, die unserem Rechts- und Wirtschaftsdenken entsprechen — das amerikanische Schema kann nicht einfach übernommen werden —, ein Gesetz, das, undoktrinär gehalten, den wirtschaftlichen Tatsachen, aber auch den sozialen Verpflichtungen Rechnung trägt. Höchste Eile tut not. Unser Antrag ist deshalb gestellt worden, weil die Hohen Kommissare angekündigt haben, daß sie von sich aus ein Dekartellierungsgesetz erlassen würden, wenn die Bundesregierung noch lange fackelt und nicht bald ein entsprechendes Gesetz herausbringt. Wir hoffen, daß Herr Professor Erhard das Wettrennen zwischen ihm und den Hohen Kommissaren gewinnen wird. Gegenwärtig herrscht in weiten Kreisen unserer Wirtschaft begreifliche Beunruhigung. Könnte doch ein solches unter amerikanischem Diktat stehendes Gesetz aus politischen Motiven oder aus international-konkurrenzwirtschaftlichen Erwägungen leicht Bestimmungen enthalten, die unsere wirtschaftliche Entwicklung hemmen müßten. Jedenfalls ist es besser, daß wir unsere Wirtschaftsordnung nach eigenen Erfahrungen und Bedürfnissen gestalten, damit es nicht zu einer übereilten Bilderstürmerei kommt. Durch die Zeitungen gehen Nachrichten, daß alliierte Experten an einem solchen Gesetzentwurf arbeiten, der in wenigen Tagen fertiggestellt sein und eine grundsätzliche Regelung der Dekartellierung bringen soll. Wir möchten den Herrn Wirtschaftsminister und seine Beamten deshalb etwas zur Eile anspornen.
Wir treten — ich darf das noch einmal betonen — nicht etwa grundsatzlos an diese Frage heran. Es gibt wirtschaftliche Machtballungen, deren Gebaren im Interesse der Gesamtwirtschaft höchst verderblich ist und die daher ausgemerzt werden müssen. Es läßt sich nur, da die Verhältnisse außerordentlich differenziert sind, nicht alles über den gleichen Leisten schlagen, und es muß, im Rahmen eines Ordnungsgesetzes, Möglichkeit und Bewegungsraum für die Behandlung des Einzelfalls verbleiben. Von einer öffentlich-rechtlichen Ordnung kann aber unter keinen Umständen Abstand genommen werden, und wirksame Vorkehrungen gegen unliebsame Praktiken wirtschaftlicher Machtballung sind unbedingt erforderlich. Es geht eben, sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister, auch hier nicht ohne Direktion. Die wirtschaftliche Welt — das wäre für uns Sozialdemokraten rückständiger Köhlerglau-
be — ist noch nicht morgen vollkommen, weil heute ein Kartellverbot auf dem Papier erscheint. So wunderbar geht es auch in Ihrer hemmungslosen Wettbewerbswirtschaft nicht zu, daß man auf Zügelführung verzichten könnte. Herr Professor Erhard wettert bei jeder Gelegenheit gegen den sogenannten Termitenstaat, und ich habe mich gewundert, daß das Wort gestern nicht fiel. Einverstanden, Herr Professor Erhard! Auch wir wollen keinen Staatsmoloch, keinen machttriefenden, allgebietenden Staatsgötzen, keine große Spinne
— nein, meine Herren —, die uns alle als zappelnde Fliegen in ihr Netz einbezieht.
Die Wirtschaft soll aber auch kein Fußballplatz sein, bei dem in einem undisziplinierten Spiel der eine dem anderen die Knochen zertritt.
Der sogenannte Ausscheidungswettbewerb mag — weil Sie vom Fußballplatz sprechen —
ein sportliches Ideal darstellen; er ist aber kein wirtschaftliches Ideal; denn dieses hemmungslose Spiel der Kräfte kann auch zu folgendem Ausgang führen: zu einem ruinösen Preiskampf mit sehr viel volkswirtschaftlichem Substanzverlust, zu durchaus vermeidbaren Schließungen von Unternehmen, die durchaus gesund sind, und zu umfangreichen Freisetzungen und Entlassungen von Arbeitern, die wir — weiß der Himmel — nicht nötig haben. Und was bleibt schließlich am Ende übrig? Es bleibt übrig die absolute Monopolstellung des Überlebenden, das heißt desjenigen, der am rüdesten seine Ellenbogen zu gebrauchen wußte.
Der kann dann faktisch das Monopol errichten. Ich weiß nicht, wie sich das mit der „sozialen" Marktwirtschaft vertragen würde,
auch wenn wir uns längst daran gewöhnt haben, daß bei der sozialen Marktwirtschaft das Wörtchen „sozial" sehr klein und das Wörtchen „Marktwirtschaft" immer größer geschrieben wird.
Herr Professor Erhard, Sie haben gestern hier wieder einmal das Loblied dieser Marktwirtschaft gesungen. Wir brauchen Ihnen die Antwort darauf nicht zu erteilen. Das geschieht bei den Wirtschaftsvorlagen, die wir hier sukzessive einbringen werden. Das hat aber bereits der Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes getan, und der zählt 5 Millionen Mitglieder. Er hat auf seiner Tagung in Königstein scharfe Angriffe gegen Ihre Marktwirtschaft gerichtet. Er hält, wie es im Memorandum heißt, ernste politische Folgen für unausbleiblich, wenn sich Ihre Politik nicht ändert. Er fordert entscheidende Maßnahmen auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik, der Steuer-, der Kredit-, der Finanz-, der Arbeitsmarkt- und Wohnungspolitik, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden, eine Arbeitslosigkeit, von der er in diesem Memorandum ausdrücklich vermerkt, daß sie zum großen Teil eine Folge der Marktwirtschaft sei, die ihrer nicht Herr werden könne.
Ich glaube, das sieht anders aus als das Selbstlob, das hier gestern gespendet wurde.
In den Freigesetzten haben Sie Ihre „befreiten" Verbraucher, die sich unter Ihren Händen, Herr Professor Erhard, in Arbeitslose verwandeln.
Gewiß, Sie sind stolz darauf, daß Sie die Käuferschlangen vor den Läden abgeschafft haben, aber sehen Sie denn gar nicht, meine Damen und Herren, daß sich eine viel gefährlichere Art von Schlangen bildet, die Schlange der Stempelbrüder vor den Arbeitsämtern?
Sie haben, glaube ich, Herr Professor Erhard, Ihre beste und auch wohl glanzvollste Phase hinter sich, damals, als Sie den Kampf gegen die Bewirtschaftung führten, die keiner von uns konservieren wollte,
so daß es praktisch ein Kampf gegen Windmühlenflügel war.
Sie ritten mit eingelegter Lanze gegen einen Lindwurm an, der an Alterskrankheit längst gestorben war.
Jetzt aber, nachdem diese erste Phase abgeschlossen ist, beginnt die zweite Phase. Da begibt man sich mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und mit dem Kampf um die Liberalisierung des Außenhandels, mit dem Kampf gegen die Monopole und mit dem auslaufenden Marshallplan auf ein schwierigeres Wirtschaftsgelände. Ich fürchte, ich fürchte, mancher Lorbeerzweig wird dabei welk werden.
Aber wieder zur Sache.
— Ich weiß, Herr Präsident, daß es einem Abgeordneten nicht gestattet ist, so weit vom Thema abzuschweifen, wie der Herr Minister es gestern tun durfte.
Ich glaube, darüber besteht in allen Lagern Einigkeit: wir müssen aus dem heute grassierenden Zustand der Illegalität bei den Monopolen herauskommen. Offiziell sind Kartelle und alle wettbewerbsbeschränkenden Abreden verboten. Praktisch aber sehen wir ein Umsichgreifen von allerhand Untergrundkartellen, spürbar in der Form von losen Preisabreden, von Quotenabreden, von Sperr- und Boykottabreden, von Gebietsabreden usw. Westdeutschland ist geradezu ein Treibhaus von unzähligen geheimen Marktabreden geworden und das Kartell, durch das Hauptportal hinausgeworfen, hat durch die Hintertür vielfach wieder seinen Einzug gehalten.
Man spricht im Ruhrgebiet nicht umsonst von den sogenannten „Frühstückskartellen", die beim Essen zustande gebracht werden,
die genau so bindend und wirksam sein können wie die formalen Kartelle, wobei ich hinzufügen darf, daß nicht nur immer Gentlemen bei diesen Gentlemen-agreements beteiligt sind.
Was aber soll man tun — so frage ich zum Schluß —, da man die Dinge nicht einfach schleifen lassen kann? Es muß nach unserer Ansicht eine Organisation geschaffen werden, die in der Lage ist, eine permanente und wirksame Kontrolle über alle Monopolgebilde auszuüben und Mißbräuche abzuwehren. Das ist nur zu erreichen durch ein Monopolamt als oberste Bundesbehörde, durch ein Bundesaufsichtsamt für Monopole. Aber wir möchten, daß ein solches Amt nicht isoliert im apolitischen, luftleeren Raum existiert, sondern ihm ist ein Beirat beizugeben. Dieses Amt hat auf Ersuchen des Parlaments, demgegenüber es zu periodischer Berichterstattung verpflichtet ist, in Funktion zu treten, hat Untersuchungen durchzuführen und ordnungsbedürftige Zustände in Form zu bringen. Vor allem ist eine ausreichende Publizität in der Form eines Monopolregisters erforderlich. Jedes Kartell, das beabsichtigt ist, hat um seine formale Zulassung einzukommen und dabei seinen Erstreckungsbereich, seine Organisationsform und die Zahl der Beteiligten anzugeben. Alsdann gibt das Monopolamt die Anmeldung bekannt, und jedem Interessierten, der sich geschädigt fühlt, steht es frei, Einwendungen und Einsprüche gegen die geplante Gründung vorzubringen, denen das Kartellamt nachzugehen und worauf es dann nach Überprüfung der Gründe auf Zulassung oder Ablehnung zu entscheiden hat. Nicht eingetragene Kartelle sind nichtig und lösen empfindliche Freiheits- und Geldstrafen aus. Wenn ein Kartell sich im Verlauf der Zeit als schädlich erweist, dann kann es jederzeit, auch wenn es bisher zugelassen war, wieder kassiert werden. Es gibt keine staatlich diplomierten und konzessionierten Kartelle auf Dauer. Solche Kartelle, die eine Ordnungsfunktion überhaupt nicht ausüben, sondern die nur egoistischem Profitstreben und der Dividendensicherung ihre Entstehung danken und die kein stützendes Rückgrat in das Konjunkturgefüge einschieben, sind grundsätzlich verboten. Es besteht Auskunftspflicht des Kartellamts gegenüber Bundestag, gegenüber obersten Bundes- und Landesbehörden, sowohl in bezug auf Tatbestände wie Entscheidungsgründe. Dem Bundeswirtschaftsminister und bei regionalen Kartellen auch dem Landeswirtschaftsminister ist bei allen Anträgen, die an das Monopolamt gelangen, eine obligatorische Stellungnahme aufzuerlegen. Wenn ein solches Monopolamt, das zweckmäßig zu besetzen wäre, worüber wir noch die Vorschläge der Bundesregierung erwarten, seine Aufgabe ernst nimmt und den Kartellen gegenüber nicht nur Scheingefechte liefert, dann kommen wir, was wir wünschen, zu permanent überwachten, zur öffentlichen Publikation ausliegenden Kartellen, die jederzeit durch staatliche Eingriffe ganz oder teilweise außer Kurs gesetzt werden können. Also nicht nur Aufsichtsausübung — das ist zu blaß —, sondern auch aktives Einschreiten!
Soviel zu den Kartellen. Und noch ein letztes Wort zu jenen Zusammenschlüssen, die sich auf Eigentumsbasis vollziehen, zu Konzernen, Trusts und dergleichen. Sie sind ebenfalls in diese Regelung einzubeziehen, wobei man nicht vergessen darf, daß es Einzelunternehmen gibt, die infolge ihrer Betriebsgröße oder infolge ihrer Eigenart von vornherein als monopolistische Gebilde anzusprechen sind. Der Weg der Entflechtung ist hier nicht gangbar, aber auch bei den Konzernen kommen wir vielfach mit bloßer Entflechtung aus produktionstechnischen Gründen nicht weiter. Außerdem ist ja die Entflechtung noch alliierten
Stellen vorbehalten. Wegen ihrer faktischen Sonderstellung ist hier gleichfalls eine Registrierpflicht bei dem Monopolamt vorgesehen und eine weitgehende Verpflichtung hinsichtlich der Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse, als da sind Gestehungskosten, Preisbildung, Investitionspolitik usw., vielleicht auch ein begrenzter Kontrahierungszwang, worüber noch zu sprechen sein wird. Als grundsätzliche Forderung wäre aufzustellen: Marktbeherrschende' Unternehmen aller Art, Kartelle, Konzerne, Einzelfirmen usw. sind verpflichtet, ihre inneren Betriebsverhältnisse, ihren Absatz und ihr Preisgebaren so zu gestalten, daß die bestmögliche Versorgung des Marktes gewährleistet ist. Das hätte die oberste Richtschnur für das Vorgehen dieses Monopolamtes zu sein.
Aber, meine Damen und Herren, auch ein unter solche Aspekte gestelltes Monopolamt — dieser Hinweis sei mir zum Schluß gestattet — hat für uns Sozialdemokraten — und wir möchten das mit aller Deutlichkeit sagen — nicht die Funktion, als Sozialisierungsersatz zu dienen. Wir hoffen, daß niemand im Hause die Absicht hegt, unter dem Vorwand der Dekartellierung eine Tarn- und Schutzwand gegen die Sozialisierung zu errichten. Genau im Gegenteil! Die Kontrolle, die wir fordern, ist berufen, in gewissen Sparten Vorläuferin und Wegbereiterin der endgültigen Vergesellschaftung zu sein.
Bis dahin müssen alle kartellierten und konzernierten Gebilde scharf unter die demokratische Lupe genommen werden. Die Sozialdemokratische Partei wird sich nicht dazu hergeben, daß bei dem Kampf gegen die Monopole — von dem wir ohnehin fürchten, daß er unter der Ägide dieser Regierung weitgehend ein Scheingefecht bleibt —
dem Kapitalismus nur deshalb ein paar Giftzähne ausgezogen werden, weil man hofft, durch diese Prozedur die Sozialisierung zahnlos machen zu können!
Wir wünschen dringend, daß das reichlich mysteriöse Dunkel, das die Regierung bisher um ihre Absichten gebreitet hat, nunmehr baldigst gelichtet wird und daß die Anregungen, die wir hier geben durften, bei dem Entwurf, den die Regierung vorlegt, gebührende Berücksichtigung finden.