Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz unabhängig von dem Anlaß dieser Auseinandersetzung ist das eigentliche Thema, nämlich der Antrag des Immunitätsausschusses zu Ziffer 1, für das ganze Haus und für alle Parlamente der Bundesrepublik von entscheidender Bedeutung. Die Kommunistische Partei darf ich hier ganz außer acht lassen. Der Anlaß dazu ist die Tatsache, daß nun einmal Besatzungsmacht und freie Demokratie außerordentlich schwer zu vereinbarende Begriffe sind und daß eine Besatzungsmacht vielleicht der ungeeigneteste Lehrmeister für eine freie Entfaltung demokratischer Kräfte sein dürfte.
In dieser etwas schwierigen und heiklen Situation stehen wir. Hinzu kommt, daß wir ja in allen Ländern außerhalb aller Gesetzgebungsakte in einer weltpolitischen Entwicklung stehen, die ständig neue Umstände, Tatsachen und Voraussetzungen schafft, so daß die von Menschen gesetzten Satzungen zeitlich schnell überholt sind. Das möchte ich insbesondere für das Besatzungsstatut sagen, unter dem zu leben wir Deutsche in .der Republik noch gezwungen sind. Dieses Statut haben wir Deutsche seit etwa 1946 stets gefordert, weil wir nicht vollkommen rechtlos sein wollten. Es ist dann mit einer Verspätung von drei Jahren eingeführt worden, war aber im M o-ment der Einführung kaum mehr zeitgemäß. Es scheint mir vielmehr mittlerweile in wesentlichen Teilen überholt zu sein.
Die Tatsache, daß sehr bald danach das Gesetz Nr. 5 erschien, das unser Pressewesen in einer in Deutschland bisher nicht gekannten Weise regelt, ist wiederum ein Umstand, den wir zur Zeit rechtlich nur beklagen und von dem wir nur wünschen können, daß er abgeschafft wird. Wir nehmen staunend von diesem Gesetz Kenntnis und hoffen, daß dieses für unsere Verhältnisse unmögliche Gesetz möglichst selten und, wenn überhaupt, dann sehr schonend angewendet wird. Unseren Rechtsbegriffen von Freiheit, insbesondere von Pressefreiheit und Demokratie entspricht es in keiner Weise.
Nun aber zum Hauptthema, zu der Frage, ob ein Abgeordneter eines deutschen Landes oder des Bundesparlaments vor den Besatzungsgerichten das Recht der Immunität in Anspruch nehmen kann. Die Antwort ist meiner Überzeugung nach nur aus dem Besatzungsrecht selbst zu entnehmen; denn wir haben bekanntlich nicht einmal die Macht, für alliierte Staatsangehörige Gesetze mit verbindlicher Kraft zu erlassen, wieviel weniger die Möglichkeit, der Besatzungsmacht selbst etwas vorzuschreiben. Die Antwort ist also aus dem Besatzungsstatut oder aus den in Ausführung desselben von den Hohen Kommissaren erlassenen Besatzungsgesetzen zu entnehmen. Die Gesetze, 'die die Rechtsfragen behandeln, die Gesetze Nr. 13 und 14 — das erste das formelle und das zweite das materielle strafrechtliche Gesetz — schweigen sich darüber aus; wie überhaupt die Frage der Immunität nicht in das Strafrecht, sondern in das Verfassungsrecht hineingehört. Das Besatzungsstatut selbst äußert sich dazu nicht. Der Herr Berichterstatter hat dargelegt, daß sich mit Rücksicht auf die Bestimmung der Ziffer 2 unter e), wonach Schutz, Ansehen und Sicherheit der alliierten Streitkräfte Sache der Besatzungsmächte sind, Zweifel ergeben können. Ohne weiteres ist aber danach nicht klar, daß dieser Schutz unter allen Umständen dem deutschen Verfassungsrecht vorgeht, wenn es, wie es der Fall ist, von den Hohen Kommissaren oder ihren Rechtsvorgängern, den Militärbefehlshabern, genehmigt worden ist.
Nun ist die Immunität in den Landtagen, in den Parlamenten nicht nur ein deutsches Grundrecht, sondern sie ist internationales demokratisches Recht. Es handelt sich hier nicht um eine deutsche Erfindung. Wenn wir schon auf parlamentarisch-demokratische Weise erzogen und geschult werden sollen, dann verweisen wir darauf, daß Immunität ein Palladium aller Parlamente ist. Ich darf insoweit auf die Ausführungen verweisen, die der verehrte Herr Präsident, der uns zu Häupten sitzt, aus Anlaß der ersten Debatte über die Immunität hier im Hause unter allgemeinem Beifall gemacht hat. Dieses Grundrecht dieses höchste Palladium des Parlaments steht zur Erörterung.
Wie steht nun in dieser Hinsicht das Besatzungsstatut im ganzen zu unseren demokratischen Einrichtungen? Da bitte ich auf Ziffer 3 Bezug nehmen zu dürfen. Ich bin der Ansicht, daß bei den Verhandlungen darauf großer Wert zu legen sein wird. In Ziffer 3 des Besatzungsstatuts behalten sich nämlich die Hohen Kommissare für gewisse Fälle ein Abweichen von ihren eigenen allgemeinen Richtlinien vor. Sie wollen noch über alles das. was ihnen in Ziffer 2 vorbehalten ist, hinausgehen, wollen die volle Regierungsgewalt wieder an sich nehmen, wenn das unter anderem „zur Aufrechterhaltung der demokratischen Regierungsform" in Deutschland erforderlich erscheinen sollte. Sie haben also den Fall im Auge, daß durch deutsche Gesetze oder durch deutsche Verfügungen demokratische Formen verletzt werden; dann wollen sie ihrerseits die Regierungsgewalt wieder in die Hand nehmen, am uns demokratisch zu schulen. Umgekehrt möchte ich sagen: in dem Falle, in dem die Besatzungsmächte demokratische Formen bei uns stören, sollten wir also eigentlich die volle Regierungsgewalt in Anspruch nehmen, damit das, was uns die Besatzungsmächte lehren wollen, auch durchgeführt werden kann. Ich bin der Ansicht, daß das Grundrecht, um das es sich hier handelt, etwas ist, was die Besatzungsmächte nicht antasten sollten, wenn sie die demokratische Regierungsform in Deutschland nicht zu einer reinen Schattendemokratie erniedrigen wollen. Wenn sie uns wirklich die Rechte, die wir heute wahrnehmen, die Souveränität in dem Umfange, wie wir sie haben, voll gestatten wollen, dann sollten sie uns die Einrichtungen schenken, die nun einmal unvermeidlich damit verbunden sein müssen, wenn das Ganze nicht ein Sandkastenspiel sein soll.