Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Probst von der CSU hat ihre Ausführungen über diese Gesetzesvorlage mit der Feststellung eingeleitet, daß der Gesetzentwürf das Ergebnis eines Antrags der CDU/CSU ist. Wenn, ich diesen Gesetzentwurf betrachte, bin ich der Auffassung, daß wir der CDU/CSU die Vaterschaft für dieses Gesetz ruhig überlassen können. Zur Steuer der historischen Wahrheit aber darf ich daran erinnern, was Herr Kollege Bazille klugerweise unterlassen hat, daß neben der SPD auch die KPD einen Antrag gestellt hat und daß unser Antrag — das ist der grundsätzliche Unterschied — eine Erhöhung der derzeitigen Renten um 60 Prozent verlangte.
Der Herr Bundesarbeitsminister legt ein Gesetz vor und sagt, daß es eine allgemeine Erhöhung der derzeitigen Bezüge um 20 Prozent bedeutet. Gehen wir dem einmal auf den Grund. In § 1 des Gesetzentwurfs heißt es, daß Beschädigte, die neben ihrer Rente ein Einkommen haben, das die halbe Rente übersteigt, oder die Anspruch auf eine Rente aus der Invalidenversicherung haben, den Zuschlag von 20 Prozent nicht erhalten. In die Praxis übertragen bedeutet das, daß der hundertprozentig Kriegsbeschädigte, der 100 Mark Rente bezieht, diese 20 Prozent nicht erhält, sobald er daneben 51 Mark Arbeitseinkommen pro Monat hat. Er erhält diese 20 Prozent ferner nicht, sobald er daneben eine Invalidenrente bezieht, auf die er sich durch jahrzehntelange Leistung von Beiträgen zur Sozialversicherung einen Rechtsanspruch erworben hat. Dies trifft vor allem ältere Kriegsbeschädigte.
Das ist der eine Punkt, der aufzuklären war.
In Absatz 2 des § 1 heißt es, daß Berechtigten, die Anspruch auf den Zuschlag nach Artikel 1 des Gesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zur Änderung der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 haben, dieser Zuschlag nicht gewährt wird. In der Begründung des Herrn Bundesarbeitsministers wird über die Auswirkung des Gesetzes von Nordrhein-Westfalen gesagt:
Der Teuerungszuschlag in Nordrhein-Westfalen erfaßt nur einen ganz beschränkten Personenkreis, nämlich die Beschädigten, die eine Rente von hundert vom Hundert oder Pflegegeld erhalten; deshalb muß auch in diesem Land der Teuerungszuschlag nach § 1 allgemein eingeführt werden. Soweit Beschädigte in Nordrhein-Westfalen Anspruch auf den Teuerungszuschlag von fünfzig D-Mark monatlich haben, verbleibt es dabei; sie können jedoch daneben nicht den Teuerungszuschlag nach § 1 erhalten.
Bei diesen Schwerbeschädigten ist es so, daß das Arbeitseinkommen und die Invalidenrente angerechnet werden.
Ein weiterer schwerer Mangel des Gesetzes ist die Regelung nach Absatz 2 b des § 1. Da heißt es, daß Witwen, die bereits nach Vollendung des sechzigsten, aber vor Vollendung des fündundsechzigsten Lebensjahres einen Anspruch auf Rente von 40 vom Hundert haben, den Zuschlag von 20 Prozent nicht erhalten. Das heißt in der Praxis, daß die zwischen 60 und 65 Jahre alten Witwen, deren Rente zur Zeit 40 Mark pro Monat beträgt, diese 20 Prozent Zuschlag nicht erhalten. Was hat das zur Folge? Die Rentenbezüge dieser armen Menschen liegen normalerweise unter dem kommunalen Wohlfahrtsrichtsatz. Geben wir ihnen vom Bund oder von den Ländern aus jetzt eine Erhöhung, dann ist das nur eine Verschiebung innerhalb der Lastenträger.
Was wir zulegen, ziehen die Gemeinden wieder ab, so daß für den Personenkreis der Witwen diese ganze Angelegenheit praktisch ohne jeden positiven Wert ist.
Wegen Zeitmangels nur noch einen Punkt. Es ist schon gesagt worden, daß für den Härteausgleich der „Riesenbetrag" von 0,1 Millionen D-Mark pro Jahr vorgesehen ist. Ein weiterer erheblicher Mangel ist der, den auch Frau Kollegin Probst aufgezeigt hat, daß der von der CDU/CSU geforderte Anspruch auf gesetzliche Einführung der Krankenversicherung für Kriegerwitwen nicht gewährt worden ist. Vollkommen leer gehen die Kriegereltern aus. Vollkommen unberührt bleibt die derzeitige gänzlich ungenügende Einkommensgrenze. Ein Elternpaar, das aus irgendeiner Quelle 120 Mark Einkommen pro Monat hat, kann keine Elternrente beziehen. Vollkommen leer gehen die Kriegsblinden aus.
Wenn dann die Frau Kollegin Probst sagt, man müsse sich doch auch einmal mit dem Gedanken der Wiedereinführung der Kapitalisierungsmöglichkeit der Rente beschäftigen, so kann ich nur sagen: Frau Kollegin Probst, wenn ich so wenig Rente beziehe, daß ich damit nicht den nackten Hunger stillen kann, wie soll ich da noch die Mittel freimachen, um per Rentenkapitalisierung zu dem niedlichen Eigenheim zu kommen, das uns in der Wahlparole der CDU so oft entgegengehalten wurde: „Jedem sein Eigenheim!" So sozial wie immer möglich, sagte Herr Konrad Adenauer. Hier beweist er, was er darunter verstanden hat.
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Nun ein Wort an den Herrn Minister. Was bezweckt er eigentlich mit dieser „schrecklichen" Androhung, daß das neue Gesetz eine Belastung des Bundes von 3 Milliarden bringen werde? 3 Milharden sind ein ungeheurer Betrag. Aber wäre der Herr Arbeitsminister nicht verpflichtet gewesen, zu sagen, daß, wenn der Bund die 3 Milliarden aufbringen muß, die Länder von dieser bisherigen Verpflichtung entbunden sind, daß also auch da nur eine Verschiebung des Lastenträgers vor sich geht?
Nun zu einem anderen Kapitel: das sind die 80-Millionen D-Mark. Am 16. Dezember hat hier der Vertreter des Arbeitsministeriums, Herr Dr. Sauerborn, erklärt, daß diese ominösen, nebulösen 80 Millionen Mark für das letzte Quartal des laufenden Rechnungsjahres vorhanden seien.
Von diesem Gedanken aus hat man sowohl im zuständigen Fachausschuß wie hier im Plenum die Frage diskutiert. Die Kriegsopfer draußen haben gemeint, daß für das Überbrückungsgesetz, welches Ende März dieses Jahres ablaufen soll, 80 Millionen Mark zur Verfügung stehen. Der Herr Arbeitsminister hat uns mit Hilfe des Herrn Bundeskanz-
lers eines Besseren belehrt. Eine Delegation des Reichsbundes sprach hier vor, und den Kameraden wurde gesagt: O nein, diese 80 Millionen Mark sind der Betrag, den die Bundesregierung für das Jahr 1950 zur Verfügung zu stellen gedenkt. Ich stelle hier die Behauptung auf: diese 80 Millionen Mark werden der gesamte Mehrbetrag sein, den man per neues Versorgungsgesetz zur Verfügung stellen wird; mehr als diese 80 Millionen Mark zusätzlich der bisherigen Leistungen der Länder wird sich auch die Bundesregierung das neue Bundesversorgungsgesetz nicht kosten lassen.
Es ist von der Tagung des Reichsbundes am vergangenen Sonntag in Hamburg gesprochen worden. Dort war auch der Herr Arbeitsminister Storch, der einmal mehr von der Notgemeinschaft sprach. Dies ist ein hohes Wort, aber meiner Meinung nach ein leeres Wort, wenn es von den Reichen den Armen gepredigt wird, wenn die Satten es den Hungrigen predigen, um sie über den Grad ihrer Verelendung hinwegzutäuschen.
— Ja, wir haben es alle schon einmal gehört, sogar mehrfach unter Hitler. Dort hieß es Volksgemeinschaft. Es war derselbe Schwindel wie heute.