Rede von
Helene
Wessel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! lm Auftrage der Zentrumsfraktion gebe ich folgende Erklärung ab.
Die Zentrumsfraktion ist der Auffassung, daß dem deutschen Volk der Gedanke einer Remilitarisierung in irgendeiner Form unmöglich zugemutet werden kann. Sie nimmt die Erklärungen, die der Herr Bundeskanzler in mehreren Interviews über die Aufstellung eines deutschen Truppenkontingents im Rahmen einer europäischen Staatsmacht abgegeben hat, zum Anlaß, um mit Nachdruck zu betonen, daß sie sich jeder Art von Remilitarisierung auf das entschiedenste widersetzen wird.
Die Zentrumsfraktion stellt fest: Wir Deutschen bangen noch um das Schicksal von 500 000 ehemaligen Soldaten, die aus russischer Kriegsgefangenschaft noch nicht entlassen worden sind.
Wir haben Tag für Tag die grausamen Trümmer eines Weltkrieges vor Augen. Millionen Deutsche haben Haus und Hof und ihre Heimat durch einen Krieg verloren. Millionen Frauen verabscheuen den Krieg und fordern seine Ächtung. Wir ha-
ben in Deutschland eine Jugend, die das maßlose Elend der Schlachtfelder erlebt hat und die schon zu große Opfer hat bringen müssen, als daß ihr zugemutet werden könnte, weitere Jahre als Soldaten zu verlieren.
Die Zentrumsfraktion ist der festen Überzeugung, daß die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes — vielleicht die ausgenommen, die es immer verstehen, sich im Krieg zu drucken oder sogar noch ein Geschäft aus ihm zu machen —
nicht den kleinsten Schritt auf einem Weg dulden wird, der irgendwie in einen neuen Krieg hineinführen könnte. Die Zentrumsfraktion ist sich der Tatsache bewußt, daß es nicht allein vom deutschen Volk abhängt, ob ein dritter Weltkrieg vermieden werden kann, daß es aber im Bereich der Möglichkeiten unseres Volkes liegt, eines der Bollwerke zu werden, auf die sich der künftige Weltfriede stützen kann. Noch leben wir Deutschen selbst im Kriegszustand, und unsere Wünsche können wahrhaftig nicht auf eine Remilitarisierung hinzielen, sondern einzig und allein auf den Frieden. Wir haben kein Interesse daran, schon wieder die ersten Anfänge für eine Wehrmacht zu schaffen. Was wir wieder aufbauen wollen, das ist die Wirtschaft und alles, was der Krieg zerstört hat; es sind aber nicht die Instrumente, die die Zerstörung hervorgerufen haben. Die Zentrumsfraktion ist der Auffassung, daß es die Aufgabe dieses Hohen Hauses und der Bundesregierung ist, die Welt davon zu überzeugen, daß keine der beiden Seiten, die zur Zeit Kriegspläne erwägen könnten, auf deutsche Soldaten rechnen darf. So wünschenswert das fanatischen Deutschenhassern auch erscheinen mag, es wird nicht dazu kommen, daß Deutsche auf Deutsche schießen. Wir hier im Westen unseres Vaterlandes haben die große verantwortungsvolle Aufgabe, unsere Brüder und Schwestern jenseits der Elbe davon zu überzeugen, daß wir den Frieden wollen und nichts als den Frieden. Deshalb bedauern wir jedes vielleicht nur mißverstandene Wort, das hier oder drüben den Eindruck erwecken könnte, wir hätten das Vergangene bereits vergessen und aus dem zweiten Weltkrieg ebensowenig eine Lehre gezogen, wie unser Volk aus dem ersten Weltkrieg gelernt hat. Wir haben nichts vergessen, und wir wissen genau, wohin uns die kleinste Konzession, die wir heute an den Militarismus machen, eines Tages treiben wird.
Abschließend möchte die Zentrumsfraktion auch betonen, daß es für die demokratische Entwicklung unseres neuen Staatswesens von entscheidender Bedeutung ist, die Entstehung einer neuen Militärkaste unmöglich zu machen. Wir wünschen nicht, daß ein unkontrollierbarer politischer Machtfaktor entsteht, der den neuen Staat eines Tages den Feinden der Demokratie in die Hände spielen kann.
Deutschland braucht Sicherheit. Daran besteht kein Zweifel. Aber wir suchen diese Sicherheit nicht in einer deutschen Wehrmacht, wir halten uns an das Friedensverlangen, das alle Völker der Erde beseelt. Wir glauben, die Welt durch ehrliche Arbeit davon überzeugen zu können, daß Deutschland zu einem Eckpfeiler in einer Organisation des Weltfriedens gestaltet werden muß und als solcher einen ausreichenden Schutz verdient.