Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich folgende Erklärung abgeben.
Die sozialdemokratische Fraktion bedauert, daß der Herr Bundeskanzler sich hat bewegen lassen, in seinem Presseinterview die Frage einer eventuellen deutschen Wiederaufrüstung zu behandeln. Wenn der Herr Bundeskanzler glaubte, daß es im deutschen Interesse lag, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, so hätte das vornehmlich vor dem Plenum des Bundestags geschehen müssen.
Diese Notwendigkeit bestand um so mehr, als das Problem der Remilitarisierung bisher nicht Gegenstand einer Regierungserklärung oder einer Entscheidung des Bundestags gewesen ist. Angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung bereits wiederholt die zuständigen parlamentarischen Körperschaften der Bundesrepublik erst nachträglich von wichtigen innen- und außenpolitischen Schritten und Entscheidungen unterrichtet hat, fordert die sozialdemokratische Fraktion erneut und mit Nachdruck, daß die Bundesregierung vor wichtigen Beschlüssen oder Stellungnahmen das Parlament informiert.
Nur unter dieser Voraussetzung kann die Bundesregierung erwarten, die Freiheit des Handelns zur Durchführung ihrer Entschlüsse zu erhalten.
Die sozialdemokratische Fraktion lehnt es ab, eine deutsche Wiederaufrüstung auch nur in Erwägung zu ziehen.
Die Verantwortung für die Sicherung des Gebiets der Bundesrepublik liegt bei den Besatzungsmächten.
Die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler sich zu einem Interview über die Remilitarisierung hat verleiten lassen, hat zu einer verhängnisvollen Verwirrung dieses Tatbestands geführt. Einerseits
wurde die Illusion erweckt, als ob es in der Macht der Bundesrepublik läge, aus eigenem Entschluß Maßnahmen zu treffen, die uns vor der Gefährdung unserer Sicherheit und unserer Freiheit schützen. Das Besatzungsstatut schließt ohne jeden Zweifel die Zuständigkeit der deutschen Bundesrepublik in dieser Frage aus. Andererseits hat die Diskussion eine gesteigerte Aktivität nationalistischer und militaristischer Kreise in Deutschland ausgelöst, die Morgenluft wittern,
weil sie sich die Abwehr einer Gefahr für den Bestand eines Staatswesens von außen nur in militaristischen Begriffen vorstellen können.
Bei den demokratischen Kräften im Auslande sind Zweifel in die Aufrichtigkeit der Bekenntnisse der Bundesregierung zu einer friedlichen Politik erweckt worden.
Der Hinweis auf die militärische Ausbildung und Bewaffnung der sogenannten Volkspolizei in der russischen Besatzungszone ist keine Rechtfertigung für das Eingreifen des Bundeskanzlers in die Wiederaufrüstungsdebatte. Die Volkspolizei in der russisch besetzten Zone Deutschlands ist nicht entstanden aus dem freien demokratischen Willen der in dieser Zone lebenden Deutschen.
Die Volkspolizei ist das Instrument der russischen Besatzungsmacht.
Sie dient in erster Linie der Unterdrückung der Freiheit in der russischen Besatzungszone.
Soweit ihre Stärke, ihre Ausbildung und ihre Bewaffnung als eine Gefährdung des Friedens angesehen werden müssen, ist es Aufgabe der westlichen Alliierten, auf Grund der von ihnen selbst beanspruchten Rechte die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Die Aufspaltung Deutschlands ist die Folge von Meinungsverschiedenheiten unter den Mächten, die Deutschland seit 1945 besetzt halten. Das Ziel jeder politischen Aktion der Bundesrepublik und ihrer maßgebenden Repräsentanten muß sein, diese Spaltung nicht zu vertiefen, sondern sie möglichst zu überwinden.
Die Teilnahme verantwortlicher Repräsentanten der Bundesrepublik an einer Diskussion über die Wiederaufrüstung in einem Augenblick, in dem uns die Entscheidung über diese Frage völlig entzogen ist, kann nur die Wirkung einer Vertiefung der internationalen Spannungen haben.
Es geht nicht um Wiederaufrüstung oder Waffenlosigkeit. Die Frage ist, welchen Beitrag die deutsche Bundesrepublik zu einer friedlichen Lösung heute schon leisten kann. Die uns gegebenen Möglichkeiten und Aufgaben liegen außerhalb des Militärischen.
Der gegenwärtige Kalte Krieg um Europa ist nicht zuletzt ein ideologischer Krieg. Das bedeutet, daß moralische Faktoren entscheidendes Gewicht haben. Wir haben dafür ein erhebendes Beispiel in unserem Lande: das ist Berlin!
Schaffen wir hier bei uns eine soziale Ordnung, die 45 Millionen Menschen durch die tägliche Erfahrung die Gewißheit gibt, daß sie in einem Staatswesen leben, in dem Freiheit, soziale Sicherheit und Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit gesichert sind!
Das ist die Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion. Sie ist aus einem anderen Geist geboren als die Initiative des Herrn Bundeskanzlers.
Wir können daher das Interview des Herrn Bundeskanzlers nicht billigen.