Rede von
Friedrich
Rische
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Am 15. November 1949 stellte meine Fraktion den Antrag, der Vizekanzler möge zu dem behaupteten Wegfall von Subventionen Stellung nehmen. Die vom Herrn Vizekanzler in Düsseldorf anläßlich der Generalversammlung des Gesamtverbandes des Groß- und Außenhandels gemachten Äußerungen über einen eventuellen Fortfall der Subventionen für Einfuhrverbilligung und eine entsprechende Berücksichtigung der Löhne und Gehälter haben zu einer außerordentlichen Beunruhigung der westdeutschen Bevölkerung geführt.
Gegen derartige Äußerungen von Kabinettsmitgliedern haben wir eine Reihe von sehr ernsten Bedenken anzumelden. Die hauptsächlich von den Ländern mit viel Widerwillen geleisteten Subventionen sind ihrem Bestand und Umfang nach wohl das ernsteste finanzielle und soziale Problem überhaupt. Jede leichtsinnige und unmotivierte Äußerung von seiten der Kabinettsmitglieder wirft sofort einige grundsätzliche Fragen auf.
Zwei grundsätzliche Fragen leiteten uns, als wir unsern Antrag Nr. 207 stellten, um eine klärende Außerung von seiten des Herrn Vizekanzlers über seine Düsseldorfer Rede zu erhalten: erstens die Sorge um das Preisniveau ganz allgemein und zweitens die Frage nach dem Grundcharakter der Wirtschaftspolitik in Westdeutschland. Meiner Meinung nach dürfte kein Zweifel darüber bestehen, daß beide Probleme von allergrößter Bedeutung für die wirtschaftliche Lage in Westdeutschland sind.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung angeführt, daß die Preise für bewirtschaftete Lebensmittel keinerlei Erhöhung erfahren würden; alle Gefahren in der Preisentwicklung sollten durch Subventionen seitens der Regierung aufgefangen werden. Diese Erklärung des Herrn Bundeskanzlers richtete sich somit gegen jede Preiserhöhung. Indessen sind die Preise für viele Lebensmittel, Rohstoffe und Gebrauchsartikel seit der D-Mark-Umbewertung nicht unerheblich angestiegen. Uns bewegt nun die Frage: wie ist es möglich, daß die Mitglieder des Parlaments auf den Tagungen mit den Vertretern des Handels andere Erklärungen abgeben als der Herr Bundeskanzler? Man hätte billigerweise erwarten können, daß sich die Kabinettsmitglieder an grundsätzliche Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers strikt halten.
Der Herr Vizekanzler hat in seiner Rede vor den Vertretern des Großhandels die Preisgabe der Subventionen verlangt und mit dem Hinweis auf notwendige Lohnerhöhungen zu begründen versucht. Wir aber kennen diese Praxis. Man wird zwar das eine tun, aber das andere, nämlich die versprochene Erhöhung der Löhne, wird man nach alter Praxis zu verschleppen wissen.
Uns hat auch die Erklärung des Herrn Vizekanzlers stutzig gemacht, daß sein Vorschlag bereits die Sympathien führender Männer der westdeutschen Wirtschaft gefunden hat. Diese Männer hätten seinen Vorschlag begrüßt, weil dadurch endlich Klarheit geschaffen werde. Diese begeisterte Zustimmung von seiten der westdeutschen Wirtschaft ist mehr als nur verdächtig. Die Wirtschaft hat immer Klarheit in ihrem Sinne gewünscht, aber den berechtigten Forderungen der Arbeiterschaft auf Lohnerhöhung sehr wenig oder meistens gar kein Verständnis entgegengebracht; im Gegenteil: heute organisieren die Unternehmerverbände schon wieder ihre Abwehrfront gegen die Werktätigen, die berechtigterweise . Lohnerhöhungen verlangen.
) In diesem Zusammenhang muß ich die Frage stellen: Warum hat sich der Herr Vizekanzler, der die Zeit fand, um sich mit der Wirtschaft über den Abbau der Subventionen zu verständigen, nicht auch vorher mit den Männern der Gewerkschaften besprochen, um ihre Meinung zu diesem so ernsten Problem zu hören?
Wenn man den Faden der Erklärung des Herrn Vizekanzlers bis zum Ursprung verfolgt, kann man einige sehr interessante Tatsachen feststellen. Am 15. November erfuhr bekanntlich die Öffentlichkeit von der Düsseldorfer Rede des Herrn Vizekanzlers. Aber bereits am 13. November berichtete die amerikanische „Neue Zeitung" in München aus Hamburg von einer fast gleichlautenden Erklärung des Abgeordneten Schlange-Schöningen über die Anpassung der deutschen Inlandspreise, vor allem der für landwirtschaftliche Erzeugnisse, an die Weltmarktpreise. Diese Forderung geht noch weiter als die des Herrn Vizekanzlers. Dr. Schlange-Schöningen erhob diese Forderung vor dem Hamburger Überseeklub. Auch Dr. Schlange-Schöningen redete dabei von Lohnerhöhung, um seine Forderung „sozial" zu begründen. Er will die eingesparten Subventionsbeträge von rund 800 Millionen D-Mark jährlich für die Unterstützung der Flüchtlinge und mittellosen Verbraucher verwenden.
Uns interessiert dabei besonders die Tatsache, daß beide Erklärungen vor solchen Versammlungen abgegeben wurden, die in irgendeiner Weise aufs engste mit dem Importgeschäft verbunden sind. Für diese Kreise müssen die „Theorien" des Herrn Vizekanzlers und des Abgeordneten SchlangeSchöningen wie Musik geklungen haben. Die Werktätigen haben jedoch alle Ursache, auf derartige Erklärungen aufmerksam zu achten; denn hier bereitet man einen unerhörten Preisauftrieb zu Lasten der Verbraucher vor.
Die Regierung hat bekanntlich durch den Bundesernährungsminister Dr. Niklas erklären lassen, daß die Subventionen bis zur Beendigung des Landwirtschaftsjahres am 1. Juli 1950 weiter geleistet würden .Damit hat ein weiteres Mitglied der Bundesregierung — wenn auch auf längere Sicht — von der Preisgabe der Subventionierung eingeführter Lebensmittel gesprochen. Der Herr Ernährungsminister hatte ebenfalls eine Abschaffung der Subventionen schon aus politischen Gründen begrüßt, allerdings nicht ohne auf die Gefahren zu verweisen, die damit für jeden Verbraucher eintreten müssen.
Die immer wieder angeführten und auch vom Herrn Ernährungsminister Dr. Niklas wiederholten politischen Gründe zur Abschaffung der Subventionen für Einfuhrgüter sind es imrnerhin wert, daß man sich damit beschäftigt. Die amerikanischen Weizenmonopolisten beispielsweise sehen in diesen Subventionen eine diskriminierende Maßnahme gegenüber ihrem Weizenexport nach Deutschland. Ähnliche Argumente werden auch in England vorgebracht. Eigentümlicherweise besitzen gerade die Vereinigten Staaten und England ein ganzes System der Subventionierung. Und bekanntlich müssen wir für den aus den USA bezogenen Weizen immer noch den sogenannten Stützungspreis, das heißt den subventionierten Preis für Weizen und nicht den viel günstigeren Preis zahlen, der im gegenwärtigen Moment auf dem Weltmarkt gang und gäbe ist. Die Diskriminierungsmaßnahmen werden somit gerade von jenen Mächten kultiviert, die uns einen derartigen Vorwurf machen. Hier sieht man wieder einmal, wie ungerecht und falsch, von einer ganz bestimmten Absicht getragen, die ausländischen
Mächte zu ihren Gunsten die schwierige deutsche Situation beurteilen. Im Grunde genommen wissen diese Herren sehr gut über unsere Verhältnisse Bescheid. Sie errichten in ihren eigenen Ländern ein System von Subventionierungen und vertreten gegenüber Deutschland aus Konkurrenzgründen das System der „offenen Tür".
Jeder, der die Verhältnisse auch nur einigermaßen kennt, weiß genau, daß eine Anpassung der Preise in Westdeutschland an die Weltmarktpreise unerhörte Belastungen für die Verbraucher bedeuten würde. Allein die Hebung des inländischen Getreidepreises auf den Weltmarktpreisstand würde die Ernährungskosten um etwa 25 Prozent verteuern. Damit würde für eine vierköpfige Familie allein für Brot und Mehlwaren eine monatliche Belastung in Höhe von vier D-Mark eintreten. Bei einer vollständigen Anpassung aller Preise an das Weltmarktpreisniveau, wie das von dem Abgeordneten Schlange-Schöningen in Hamburg verlangt wurde, würde der Ausgabeetat der so arg bedrängten Verbraucher noch stärker belastet werden.
Gewiß, Subventionen sind für jede Wirtschaft, insbesondere aber für die sogenannte freie Wirtschaft, auf die Dauer gesehen sicherlich kein erfreulicher Zustand. Aber wir haben starke Zweifel daran, ob es der Regierung gelingen wird — vorausgesetzt, daß sie es will —, die vorgesehenen Subventionen in diesem und im nächsten Jahre überall im vorgesehenen Umfang durchzuführen.
Diese Subventionen sind für Westdeutschland — und das sage ich zu der grundsätzlichen Seite dieser ganzen Angelegenheit — letzten Endes die Folge der bedingungslosen Einordnung und Unterordnung in und unter das System des Marshallplans. Wenn man sich dem Marshallplan verkauft, dann unterstellt man sich automatisch den Weltmarktprinzipien und der Preispolitik, die von den amerikanischne Weizenmonopolisten diktiert wird. Die Subventionen sind somit die Folge einer völlig verkehrten Wirtschaftspolitik und haben beispielsweise sehr wenig mit der Herstellung einer echten Preiswahrheit zu tun.
Gestatten Sie mir nun in aller Offenheit auch ein Wort zu Maßnahmen in einem anderen Teil Deutschlands, nämlich im Bereich der Demokratischen Republik. Ich stehe nicht an, alle Fragen mit genügendem Ernst und in aller Offenheit anzusprechen. So ist beispielsweise der Fortfall der staatlichen Subventionen für Braunkohle, Textilien und gewisse Lebensmittel ab 10. November 1949 im Gebiet der Demokratischen ,Republik wesentlich anders zu beurteilen als etwaige Maßnahmen dieser Art in Westdeutschland. Dort wurde in einer Wirtschaft, die der eigenen Kraft vertraut, ein entscheidender Schritt zur Normalisierung der Verhältnisse vollzogen. Dieser sehr weitgehende Schritt kann auch nur verstanden werden, wenn man genügend berücksichtigt, daß das Preisniveau, vom Jahre 1944 in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone bis dahin beibehalten wurde und außerdem ein sehr wirksames System der Volkskontrolle bestand, um Preiserhöhungen zu verhindern, ,wie sie in Westdeutschland seit 1945 gang und gäbe sind. Hier im Bereich der Demokratischen Republik kann man von normalen Wirtschaftsverhältnissen sprechen, die den deutschen Verhältnissen nach 1945 angepaßt sind, die der deutschen Situation entsprechen. Hier wurde auch tatsächlich der Preiswahrheit Genüge getan. Die Aufhebung der Lebensmittelsubventionen in der Demokratischen Republik erfolgte
überdies im Augenblick einer starken Ausweitung des Wirtschaftsvolumens und steht im Zusammenhang mit der Erhöhung der Lebenmittelrationen. Die in diesem Zusammenhang eingesparten 200 Millionen DM-Ost werden für wichtige Investitionen zum Aufbau einer Wirtschaft aus eigener Kraft eingesetzt, wodurch wiederum ein Schritt zur Stärkung der Wirtschaft in einem Gebiet erfolgt, daß nach meiner und der Meinung des ganzen deutschen Volkes ein Teil Deutschlands ist. Dabei ist zu betonen, daß die Volkswirtschaft im Bereich der Demokratischen Republik völlig schuldenfrei dasteht..
In diesem Zusammenhang erinnere ich an die augenblicklich in Paris, Washington oder vielleicht auf dem Petersberg geführten Verhandlungen über den Abschluß eines zweiseitigen Vertrages über die Marshallplanhilfe. Dabei wurde zum ersten Mal das, was wir schon immer der westdeutschen Bevölkerung erklärten, eindeutig von offizieller Seite zugegeben daß die Bundesrepublik bereits durch Marshallplanhilfe, Lebensmittellieferungen usw. seit 1945 mit einer Schuldenlast von über 13 Milliarden DM belastet ist. Eine enorme Schuldenlast also, die so schwer wiegt, daß meiner Meinung nach die Regierung dank dieser Schuldenlast wirtschaftlich und politisch in ihren Entschlüssen nicht mehr frei ist.
Eine derartige Entwicklung gibt es im Bereich der Demokratischen Republik nicht. Dort baut man unter großen Schwierigkeiten, unter großen Opfern eine Wirtschaft aus eigener Kraft auf, die schuldenfrei dasteht.
In Westdeutschland herrscht also eine wachsende Verschuldung, und man kann auch bereits in manchen Teilen eine sehr beträchtliche, erneute Einschrumpfung der Produktion beobachten. Die Produktion schrumpft zusammen, der Absatz sinkt, die Steuereinnahmen fallen, während gleichzeitig Preissteigerungen festzustellen sind. Nicht die Wirtschaftsentwicklung diktiert in Westdeutschland die Aufhebung der Subventionen, sondern der Druck der Marshallplanadministration in Paris.
In diesen Tatsachen liegt der große Unterschied zwischen den Maßnahmen, die in Westdeutschland trotz aller Gegenerklärungen seitens der Regierung vorbereitet werden, und der Schaffung einer echten Preiswahrheit im Bereich der Demokratischen Republik. Solange jedoch die Wirtschaftspolitik Professor Erhards andauert, die Marshallplanabhängigkeit besteht, werden die Werktätigen in Westdeutschland wachsam sein und alle Maßnahmen zurückweisen müssen, die zu einer Steigerung der Preise führen könnten. Die Werktätigen werden jede eigenmächtige Handlung der Regierung in der Subventionspolitik aufs schärfste zurückweisen und, was noch entscheidender ist, auf einer radikalen Änderung der Wirtschaftspolitik bestehen müssen.
Es gibt genügend Möglichkeiten, um mit allen Völkern rings um Deutschland herum Handel und Wandel zu treiben und dennoch oder gerade deswegen ein innerdeutsches Preisgefüge zu halten, welches sozial und politisch zu rechtfertigen ist. Dies hängt allerdings davon ab, ob es gelingen wird, den Lebensmittelimport aus den Dollarländern auf Länder mit anderen Währungen im weitesten Umfang zu verlagern. Auch dann müßte allerdings der Import von Getreide davon abhängig gemacht werden, daß sich das Exportland
auf dem Wege normaler Handelsverträge verpflichtet, als Gegenleistung deutsche Erzeugnisse der Fertigwarenindustrie aufzunehmen. Leider muß festgestellt werden, daß sich die Bundesregierung gegenüber den von Paris angeordneten sogenannten Liberalisierungsmaßnahmen im Europahandel, die bekanntlich von Mister Paul Hoffman ausgehen, nicht genügend hart und konsequent zur Wehr setzt. Neue Gefahren, noch nicht richtig abzuschätzende und zu wertende Gefahren, sind damit für die gesamte deutsche Wirtschaft gegeben: Ich erwarte, daß die Regierung ich auch zu diesem Problem mit aller Deutlichkeit äußert. Es gibt allerdings einige Kabinettsmitglieder, die sich eine Freude daraus machen, nun im Lande herumzufahren und in jeder neuen Versammlung neue „Theorien" und neue Versprechungen von sich zu geben. Meine Fraktionsfreunde und ich fordern mit Nachdruck, daß sich die Bundesregierung nun endlich mit solchen Ländern in Verbindung setzt, die auch bereit sind, deutsche industrielle Erzeugnisse gegen Lebensmittel aufzunehmen. Weltanschauliche Bedenken, politische Gegensätze dürfen dabei keine ausschlaggebende Rolle spielen. Diese müssen fallen. Es ist , das Prinzip einer jeden Handelspolitik, daß man nicht verlangen kann, daß das Land, mit dem man handeln will, zu gleicher Zeit auch die politische Doktrin anerkennt, die man selbst vertritt.