Meine Damen und Herren! Meine Fraktion sieht sich noch einmal, sozusagen in letzter Minute, veranlaßt, gegen die Verabschiedung des sogenannten „Notopfergesetzes" Stellung zu nehmen. Mit der Vorlage, die in den nächsten Minuten zur Abstimmung gelangen wird, soll ein Gesetz bis zum 31. Dezember 1950 verlängert werden, welches in allen Kreisen der Bevölkerung Westdeutschlands auf den schärfsten Widerstand gestoßen ist.
Die Erhebung einer Massensteuer, um das Berlinproblem zu lösen, ist in allen Kreisen der westdeutschen Bevölkerung außerordentlich unerwünscht. Mit diesem Gesetz will man den westdeutschen Steuerzahlern im Jahre 1950 rund 300 Millionen D-Mark aus den Geldbörsen nehmen. Das geschieht — ich sage das mit voller Absicht — gegen den Willen der westdeutschen Bevölkerung.
Meine Damen und Herren, es gibt Tausende von Resolutionen aus Betriebs- und Gewerkschaftsversammlungen, es gibt Proteste der Wirtschaft
gegen die Erhebung des Notopfers Berlin. Ich will
Ihnen nur einige Beispiele hier zur Kenntnis geben.
— Ich verstehe es, warum Sie diese Dinge nicht hören wollen, werter Kollege! Die westdeutsche Bevölkerung aber möchte diese Beispiele immer wieder hören.
— Ach, Willensträger, meine Herren, hören Sie bitte genau zu!
— Entschuldigen Sie, Herr Präsident, wir Kommunisten glauben, daß wir in dieser Frage tatsächlich für die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung sprechen.
Eine am 16. November 1949 einberufene Betriebsversammlung der Firma Hessert A.G., Bad Cannstatt, faßte bei einer Stimmenthaltung eine Entschließung, in der die siebenhundertköpfige Belegschaft die alsbaldige Abschaffung des Notopfers 'Berlin forderte.
In der Verlängerung dieser ungerechten Massensteuer um ein Jahr wird von der Belegschaft eine unbillige soziale Härte erblickt. Eine ähnliche Entschließung wurde von der Belegschaft der Salamanderwerke gefaßt. Ähnliche und immer wieder ähnliche Entschließungen kommen aus unzähligen Betriebsversammlungen. Das ist die Stimme des Volkes, die Stimme des werktätigen Volkes!
Die Erhebung der Notopferabgabe wird das Problem Berlin nicht lösen. Berlin wird dadurch nur noch mehr zu einer finanziellen und objektiv auch zu einer politischen Belastung für die westdeutsche Bevölkerung. Die sozialen Schwierigkeiten der Lohnempfänger werden dadurch um ein weiteres Jahr verlängert, und — was das Entscheidende ist — die politischen Spannungen in Deutschland und in Westeuropa werden durch ein derartiges Gesetz nicht aufgehoben, sondern für eine längere Frist aufrechterhalten.
Meine Damen und Herren, die Bereinigung des Problems Berlin ist in der deutschen Politik der gegenwärtigen Zeit vordringlich. Eine derartige Bereinigung würde tatsächlich dem Fortschritt dienen.
— Meine Damen und Herren, wenn Sie der Überzeugung sind, daß Ihre Berliner Lösung die beste Lösung darstellt, ja warum sind Sie dann verpflichtet, eine Zwangssteuer zu erlassen? Wenn Sie von Ihrer Lösung als eben der besten Lösung überzeugt sind, warum fordern Sie die westdeutsche Bevölkerung nicht auf, freiwillig für Berlin zu opfern? Dann scheiden sich die Geister. Das wollen Sie nicht. Nein, das wollen Sie wirklich nicht. Sie wollen eine Zwangssteuer. Sie kennen die Stimmung des westdeutschen Volkes ganz genau. Sie wissen, daß das westdeutsche Volk und auch die Wirtschaft nicht für Berlin „opfern" würden, namentlich nicht für die Fortsetzung des verhängnisvollen „Kalten Krieges". Wer den „Kalten
Krieg" will, meine Damen und Herren, soll ihn auch freiwillig finanzieren.
Die Besatzungsmächte erheben in Berlin pro Monat 70 Millionen D-Mark für die Besatzungskosten und für die Besatzungsfolgekosten. 70 Millionen D-Mark pro Monat!
— Sie müssen es besser wissen, Kollege Suhr. Sie sind Berliner und müssen auch Ihre Kassenverhältnisse kennen.
— Na, Ihre Sorgen möchte ich nicht haben!
Ich habe gesagt: diejenigen, die den Kalten Krieg fortsetzen wollen, sollen diesen Kalten Krieg finanzieren. Den Kalten Krieg wünschen die Herren aus der Wallstreet und wünschen einige Politiker in Deutschland — ich sage das in aller Offenheit —, die längst mit ihrer politischen Konzeption Schiffbruch erlitten haben.