Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, mich sehr kurz zu fassen, soweit dies bei dieser Materie möglich ist.
Zunächst darf ich zur Frage der Zuständigkeit des Bundestags für dieses Gesetz einige Worte sagen. Meine Partei ist über den Verdacht erhaben, unitarische Bestrebungen zu fördern. Sie steht mit Entschlossenheit auf dem Boden des Föderalismus, des rechtsstaatlichen bundesstaatlichen Gedankens; dennoch bejaht sie, und zwar aus Rechts- und Überzeugungsgründen, mit aller Entschiedenheit die Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung in dieser Materie.
Ich darf zunächst einmal folgende politische Erwägung anführen. Wir meinen: die Deutschen aller Länder in Nord und Süd und in Ost und West sind von dem Gedanken erfüllt, daß die
Einheitlichkeit des Rechts auf den entscheidenden überkommenen Kulturrechtsgebieten, nämlich des bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts, ides Prozeßrechts und des Strafrechts eine der größten Errungenschaften des vorigen Jahrhunderts ist, die wir für das ganze Deutsche Reich ängstlich zu wahren haben. Wenn man dem Geiste des Grundgesetzes folgt, erkennt man, daß in diesem Grundgesetz nirgendwo ausgesprochen ist, daß durch die zum Schutze der Länder im Grundgesetz enthaltenen Bestimmungen etwa diese Bestrebungen beeinträchtigt werden sollen, daß vielmehr die Einheitlichkeit des Rechts, die ohnehin durch die vier Jahre der Besetzung stark gefährdet war, auf alle Fälle gewahrt werden soll. Wenn es nach den Erlebnissen der Kapitulation und der folgenden Zeit überhaupt einen Gesetzgebungsakt gibt, der ohne Rücksicht auf die Ländergrenzen im ganzen Deutschen Reich einheitlich erfolgen sollte, so ist es diese Amnestie, in der man die strafrechtliche Konsequenz aus dem Elend der vergangenen Jahre zieht und mit der gemeinsam im ganzen Bund der Schritt in eine, wie wir hoffen, gesündere, befriedetere Rechtswelt der Zukunft getan wird. Dem dient dieses uns vorliegende Gesetz.
Es fragt sich, wie man angesichts dieses Umstandes gegenüber dem Grundgesetz etwa formell die Zuständigkeit der Länder begründen kann. Daß dafür der Bund zuständig ist, ergibt sich für uns aus folgendem. Nach Artikel 74 erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes auf das Strafrecht und den Strafvollzug. Weiter ist die Zuständigkeit des Bundes gemäß Artikel 72 des Grundgesetzes mit Rücksicht auf die vom gesamten deutschen Volk in entscheidender Weise geforderte Einheitlichkeit des Rechts begründet, zumal das Strafrecht, das ja in allen Ländern angewandt worden ist, gemäß Artikel 125 des Grundgesetzes ohne weiteres Bundesrecht geworden ist und weil nach Artikel 92 des Grundgesetzes die rechtsprechende Gewalt, nämlich die Gewalt, darüber zu bestimmen, ob nach einem Gesetz bestraft werden soll oder nicht, zwar von den Ländern ausgeübt wird, aber dennoch auf Bundesrecht beruht.
Gewiß bedeutet nach alten obrigkeitsstaatlichen Gesichtspunkten eine Amnestie eine gewisse Gnadenhandlung, die die souveräne Staatsgewalt ausüben kann, wenn sie es aus gewissen Gründen für richtig hält, um etwa einen Staatsakt zu feiern oder um unter die Vergangenheit einen Strich zu ziehen. Aber es geschieht im Obrigkeitsstaat durch einen „Federstrich von dieser Hand", wie es im Don Carlos heißt. Dagegen ist es in d einer Demokratie selbstverständlich nicht mehr möglich, in dieser Form durch einen einfachen „Federstrich" Verfahren zu unterbrechen, sondern ein derartiger Akt kann nur durch ein Gesetz geschehen. Und hier handelt es sich um ein Gesetz, das das Strafrecht unmittelbar berührt, indem es nämlich, wie Dr. Kopf überzeugend ausgeführt hat, bei anhängigen Verfahren einen neuen Strafausschließungsgrund gibt, aber auch bei abgeschlossenen Verfahren, dem Gericht die Verpflichtung auferlegt, seine Entscheidungen zu ändern, soweit sie vom Gesetz berührt sind. Das alles ist materielles Recht und hat gar nichts mit irgendwelchen Verwaltungsakten zu tun, wie es ja überhaupt auch die Gerichte und keineswegs Verwaltungsbehörden sind, die die Amnestie durchzuführen haben.
Daß diese Meinung überhaupt auftauchen konnte, beruht meines Erachtens darauf, daß die
Ausübung des Gnadenrechts weitgehend delegiert ist und sich daher in der Praxis des Alltags der Gnadenakt, soweit der „Gnadenstaatsanwalt" tätig wird, wie ein Verwaltungsakt ausnimmt, obwohl er in Wirklichkeit nichts anderes ist als die vom Recht unabhängige Befugnis des Hoheitsträgers, Gnade statt Recht walten zu lassen. Solche „Gnade" ist aber im Einzelfall auf den subjektiven Tatbestand abgestellt. Hier wird dagegen nicht nach subjektiven Tatbeständen, sondern wie bei jedem Gesetz nach objektiven Tatmerkmalen, je nach dem Zeitpunkt und der Schwere des Delikts, entschieden, und ohne Ansehen der Person wird über die Fälle, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, in gleicher Weise erkannt, wie bei jedem Gesetz. Aus diesem Grunde ist nach unserer Auffassung nicht nur gefühlsmäßig, sondern auch rein rechtlich gar kein Zweifel, daß die Zuständigkeit des Bundes gegeben ist.
Ich komme nunmehr zur Sache. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Gesetz ist das erste wesentliche, bedeutsame Gesetz, das der Bund auf dem Gebiete des Rechts gibt und dessen Durchführung und Anwendung den Gerichten obliegt. Bedauerlicherweise muß dieses erste Gesetz, das in der Praxis durch unsere bedeutendsten Rechtskenner durchzuführen sein wird, mit besonderer Eile und besonderer Dringlichkeit verabschiedet werden. Dennoch würde ich als Jurist großen Wert darauf legen, daß das Gesetz sich in Technik und Einzelheiten von dem meistens mit vielen inneren Widersprüchen und Fehlern versehenen Nazirecht und insbesondere von dem Recht der Besatzungsmächte, das wir Deutsche mit seinen vielfachen Unklarheiten nur schwer durchführen konnten, wohltuend und erfreulich abhebt. In Ansehung der Gesetzestechnik — das darf ich sagen — stellt die Vorlage des Ausschusses gegenüber der Vorlage der Regierung meines Erachtens leider keine Verbesserung dar. Die Regierungsvorlage war einfach und leicht zu handhaben. Durch die begreiflichen politischen Forderungen verschiedener Parteien dieses Hauses ist in diese einfache Linie eine Verwirrung hineingebracht, und nach meiner Überzeugung sind rein gesetzestechnisch nicht gerade überall glückliche Formulierungen niedergelegt worden.
Ich möchte daran erinnern, daß wir in diesem Gesetz in zwei Punkten juristisch völliges Neuland betreten, einmal indem wir durch eine Amnestie einen bedingten Straferlaß herbeiführen, also etwas machen, was nicht Fisch noch Fleisch ist und genau durchgearbeitet werden sollte, und zum anderen, indem wir zum Ehrenschutz das persönlich-objektive Strafverfahren vorsehen. Beide Materien sind in der Praxis bisher fast unbekannt. Wir sollten daher als Gesetzgeber den Gerichten sehr genau und deutlich sagen, wie wir uns das Verfahren denken, damit nicht erst durch die Entscheidungen der Gerichte auf diesem Neuland für uns heute noch unabsehbare Rechtstatsachen geschaffen werden.
Was insbesondere den ersten Punkt, die Amnestierung durch bedingten Strafaufschub anlangt, so weiß ich nicht, ob man sich im Ausschuß darüber klar geworden ist, worauf der Herr Kollege Loritz mit Recht hinwies, daß in allen normalen Amnestiefällen anhängige Verfahren gar nicht mehr zur Aburteilung kommen, sondern eingestellt werden im Strafrahmen bis zu sechs Monaten und 5000 Mark Geldstrafe, daß dagegen der Entwurf darüber, was mit anhängigen Verfahren werden soll, die bedingt erlassen werden sollen, sich ausschweigt.
— Da steht kein Wort davon drin, daß diese Verfahren einstweilen eingestellt werden sollen. Das ist meines Erachtens die allein möglich Konsequenz, wenn man sich darüber klar ist, Herr Kollege Arndt. Es ergibt sich aus dem Fehlen dieser Bestimmung, daß es durchgeführt werden soll. Ob das aber wirklich die Meinung aller Abgeordneten ist, weiß ich nicht; für den Nichtjuristen steht es natürlich nicht drin. Ich halte es für einen ausgesprochenen technischen und materiellen Schönheitsfehler, daß danach der Richter Verfahren durchführen soll, die von vornherein zu nichts führen können; denn die ausgesprochene Strafe wird ja nicht angetreten, sondern ist zunächst einmal bedingt erlassen, und nach drei Jahren sinkt sie dahin. Ob man nun den Apparat eines Strafprozesses in Bewegung setzen soll, um praktisch nichts zu erreichen, das ist eine Frage, die ich einmal aufwerfe.
Was aber die Betroffenen anlangt, so meine ich, daß die Verhandlung und Verurteilung, die bei anhängigen Verfahren infolge der Amnestie wegfallen, also keine Vorbestrafung herbeiführen, auch bei bedingter Amnestie sehr wohl in gewissen Fällen unterbleiben können, indem man das Verfahren zunächst gar nicht anfängt, sondern es nur, wenn die dreijährige Bewährungsfrist vergeblich gewesen ist — dann allerdings mit Entschlossenheit — durchführt. Dafür hätte ich einen Antrag vorbereitet.
Ich halte des weiteren dafür, daß die Bestimmung in § 2 wegen der Gewinnsucht keineswegs unabhängig davon, was höchstrichterliche Entscheidungen zu diesem Begriff schon gesagt haben mögen oder nicht oder was Instanzgerichte darüber denken, irgendwie ausreicht, den Willen des Gesetzgebers zu kennzeichnen. Darüber müssen wir uns klar sein: jeder wirtschaftliche Gesetzesbrecher hat natürlich nicht nur aus erlaubtem Gewinnstreben, sondern aus „Gewinnsucht" gehandelt. Darüber ist gar kein Zweifel möglich. Das erlaubte Gewinnstreben war eben durch die Ordnungsvorschriften der Zwangsgesetze formaljuristisch bedingt, und alles, was darüber hinaus dem Eigennutz diente, war eben Gewinnsucht. Wenn wir das ausschließen wollen — und das müssen wir meines Erachtens, wenn wir überhaupt in diesem Rahmen eine Amnestie wollen, und das will doch das Haus —, dann müssen wir möglichst eine andere Fassung wählen. Ich hätte zum Beispiel vorzuschlagen, den letzten Satz in Absatz 2 des § 2 zu fassen: „Dies gilt nicht, wenn der Täter" nicht „aus Grausamkeit"; das würde überhaupt nur bei Gewalttätigkeitsdelikten möglich sein —, sondern: „aus Rohheit oder schimpflichem Eigennutz oder aus einem anderen nichtswürdigen Beweggrund gehandelt hat." Ich glaube, damit treffen wir das, was wir beabsichtigen. Straferschwerende Gesichtspunkte wirken sich normalerweise im Strafrahmen aus; es ist sehr wohl möglich, daß innerhalb eines Jahres Gefängnis eine sonst nur in Höhe von wenigen Monaten verwirkte Strafe auf mehr als sechs Monate erhöht worden ist, weil besonders niedrige Motive vorlagen. Solche Taten wollen wir nicht amnestieren, darüber sind wir uns einig. Wir müssen aber die „besondere" Gemeinheit mit Worten, die sich aus
) dem Rahmen allgemeiner Wortdiktion des Strafrechts abheben, kennzeichnen.
Dann hätte ich insbesondere zu § 6, der rein technische Dinge betrifft, eine Reihe von Vorschlägen zu machen. Ich bin der Meinung, daß die Formulierung des § 6 zum großen Teil mißglückt ist. Insbesondere scheint die Diktion des § 6 anzudeuten, daß es in das Ermessen des Richters gestellt sei, ob er amnestieren will oder nicht. Es heißt wiederholt, man „könnte amnestieren". Nein, man m u ß amnestieren, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Da ist gar kein Spielraum für irgendein Ermessen übrig.
Ich möchte mir nunmehr folgenden Vorschlag dazu erlauben. Da es sich zum größten Teil um Formulierungsfragen handelt und Formulierungsfragen vor einem so großen Gremium wie dem Bundestag nicht gut behandelt werden können, möchte ich vorschlagen, daß wir diese Beratung vor Eintritt in die Einzelberatung kurz unterbrechen und daß ein Jurist aus jeder Fraktion, aus den größeren Fraktionen meinetwegen mehrere, sich hinsetzen, um zu prüfen, ob man sich nicht auf eine Formulierung, die dasselbe will, wie es hier vorgeschlagen ist, einigen kann. Sonst würden wir dem Herrn Präsidenten die Arbeit unendlich erschweren und zu jedem Paragraphen möglicherweise eine Reihe von Anträgen bekommen. Dabei könnte die Frage, was eine sachliche Änderung ist und was nur eine Formulierung ist, im einzelnen besprochen werden.
Ich darf abschließend noch zu § 6 aa Stellung nehmen. Die Tendenz dieses Paragraphen, nämlich unter politische Handlungen der vergangenen Zeit nach Möglichkeit einen endgültigen Schlußstrich zu ziehen und unter gewissen Umständen I sogar Strafen für schwere Taten, zu denen diese Unglückszeit geführt hat, zu erlassen, begrüßen wir. Aber mit der Formulierung, wie sie bisher vorliegt, können wir uns unmöglich einverstanden erklären, weil dabei das rein Gesetzestechnische unzweifelhaft bei weitem der schwächste Punkt des ganzen Amnestiegesetzes sein wird. Niemand hier im Bundestag wird übersehen können, zu welchen vielleicht von uns überhaupt nicht gewollten Auslegungen der Rechtsprecher, also insbesondere das Obergericht in Köln, in Zukunft kommen wird. Wenn wir etwas Bestimmtes wollen, müssen wir dem Richter schon mit etwas mehr Deutlichkeit sagen, was unsere Absicht ist. Unter der „politischen Grundlage", die hier zum Tatbestandsmerkmal erhoben worden ist, kann ich mir als Jurist — ich sage es offen und ehrlich — überhaupt nichts vorstellen.
Ich habe daher folgende Fassung für § 6 aa in
Erwägung gezogen. Mehr als eine Erwägung ist
es nicht. Darüber mag im Juristenausschuß gegebenenfalls noch einmal kurz gesprochen werden.
Meiner Fraktion schwebt folgender Wortlaut vor: Ohne Rücksicht auf die Art und die Höhe der Strafe werden ferner erlassen Strafen für Handlungen, die in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 20. Juni 1948 im Zuge der politischen Neuordnung und unter dem Einfluß der Verwirrung der öffentlichen Ordnung und des rechtsstaatlichen Gefüges im Gebiete der Bundesrepublik begangen wurden.
Ich glaube, daß das etwas klarer, etwas prägnanter und für den Richter verständlicher ist als das, was in der Vorlage gesagt ist.
Ich habe noch eine ganze Reihe von sonstigen kleinen Bemängelungen, meistens technischer Art,
wozu in der Einzelberatung Anträge zu stellen sein würden. Ich verzichte darauf, sie hier in der Generaldebatte zu begründen, weil das langwierig wäre. Ich stelle den Antrag, einen Ausschuß aus Juristen zu bestimmen, der sich über die Formulierung zu einigen sucht, während die Tagesordnung im übrigen weitergehen mag. Diesen Antrag stelle ich formell, um die Arbeit des Bundestags zu erleichtern. Meine Anträge würden dann im übrigen bei der Einzelberatung zu den einzelnen Paragraphen gestellt werden.