Die letzte Äußerung des Herrn Abgeordneten Dr. Reismann war ganz und gar geschäftsordnungswidrig.
Meine Damen und Herren, es ist doch so: wenn
sich bei einer Abstimmung die Beschlußunfähigkeit des Hauses herausstellt, so ist damit automatisch die Sitzung zunächst geschlossen
— nicht unterbrochen, sondern geschlossen —, und es muß vom Präsidenten eine neue Sitzung angesetzt werden. Diese neue Sitzung kann morgen oder übermorgen stattfinden; sie kann aber auch von dem Präsidenten sofort, nach einer Vierteloder halben Stunde einberufen werden, wenn er der Meinung ist, daß diese Beschlußunfähigkeit vorübergehend war, da sich im Parlamentsgebäude außerhalb des Saales noch so viele Abgeordnete aufhalten, daß sich bei einer späteren Sitzung wieder eine Beschlußfähigkeit ergeben könnte.
Deshalb ist es üblich und war es im Reichstag — verzeihen Sie, wenn ich mich immer wieder darauf berufe, aber ich habe dort zwölf Jahre die Geschäfte geleitet — die Regel, daß in einem solchen Augenblick der Präsident je nach der Geschäftslage versuchte, nach Ablauf einer Viertel- oder halben Stunde eine neue Sitzung einzuberufen und damit die Tagesordnung zu retten.
Dann begannen wir aber immer mit dem nächsten Punkt der Tagesordnung, denn sonst, meine Damen und Herren, wäre der Versuch meistens unsinnig gewesen. Es hätte sich nämlich bei sofortiger Wiederholung der Abstimmung doch sehr leicht ein zweites oder drittes Mal dieselbe Beschlußunfähigkeit zeigen können, und das sollte vermieden werden. Die Damen und Herren verwechseln nämlich oft Beratungsfähigkeit und Beschlußfähigkeit. Beratungsfähig ist das Hohe Haus in jedem Augenblick, in dem das Präsidium besetzt und eine Anzahl Abgeordneter, und seien es auch nur 20, anwesend ist. Der Streitfall entsteht immer erst, wenn bei der Abstimmung die Beschlußfähigkeit festgestellt werden muß, und wir haben deshalb in der neuen Sitzung den nächsten Punkt der Tagesordnung aufgerufen und versucht, in dieser Beziehung weiterzukommen.
Das schließt nicht ganz aus, daß der Präsident, wenn zum Beispiel die Beschlußfähigkeit kurz nach Eröffnung der Sitzung um 1/23 Uhr nachmittags eingetreten war und das Haus sich um 4 oder 5 Uhr gefüllt hatte, den Versuch machte, den durch Beschlußunfähigkeit gescheiterten Antrag — sagen wir Euler — nun bei dem vollen Hause noch einmal zur Abstimmung zu bringen, und das ist wohl der Versuch, um den sich eben der Herr Präsident bemüht.
Ganz falsch aber ist die Auffassung des letzten Redners, daß durch die Beschlußunfähigkeit des Hauses der Antrag Euler oder irgendein anderer abgelehnt ist. Nein, er ist unerledigt geblieben und muß zu irgendeinem Zeitpunkt, sei es jetzt oder sei es in einer zukünftigen Sitzung, erledigt werden. Sollte sich bei einer jetzt vorzunehmenden Abstimmung die Beschlußunfähigkeit des Hauses aufs neue zeigen, dann entbindet das den Präsidenten nicht von der Verpflichtung, beim nächsten Mal, wenn wir wieder hier zusammenkommen, den noch nicht erledigten Antrag wieder auf die Tagesordnung zu setzen oder die noch nicht erledigte Abstimmung vorzunehmen.
Was mir auch sehr fraglich erscheint, ist, ob man bei einer wiederholten Abstimmung eine andere Abstimmungsform anwenden kann,
Deutscher Bundestag — 20. und 21. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1949 633
daß man also sagt: Wir haben zunächst einmal durch Aufstehen oder Händeheben abgestimmt; wenn wir es wiederholen, werden wir es geheim oder werden wir es namentlich machen. Bei einer festen Geschäftsordnung würde niemand einen solchen Versuch machen; denn das würde natürlich die Verhältnisse noch unklarer gestalten.
Ich muß überhaupt, wenn mir der Herr Präsident das erlaubt, sagen: Mit der Abstimmungsform, die wir jetzt vollziehen, werden wir auf die Dauer nicht durchkommen.
Dieses einfache Händeerheben und Zählen durch die Schriftführer wird selten zu einem genauen, nachprüfbaren Ergebnis führen.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, wenigstens bei allen wichtigeren Abstimmungen erstens einmal durch Erheben von den Plätzen abstimmen zu lassen. Meine Damen und Herren, wenn der Präsident und die Schriftführer von vornherein wissen: hier sind sechs Blocks, von oben bequem zu übersehen, und nun stehen vier Blocks auf und zwei Blocks bleiben sitzen — meistens liegen nämlich die Verhältnisse so oder ähnlich —, dann ist das schon eine viel sicherere Feststellung, und wir ersparen uns das ewige Auszählen, bei dem nachher immer gesagt wird: das stimmt nicht, das ist nicht richtig; bitte, Abstimmung wiederholen! Wenn wir einmal über wichtige Gesetze abstimmen werden, wird es nötig sein, jedesmal recht genau die Mehrheitsverhältnisse festzustellen.
Ich empfehle, daß diese Fragen im Ausschuß für Organisation oder in diesem gemeinsam mit dem Geschäftsordnungsausschuß zusammen mit dem Präsidenten einmal durchgeprüft werden, damit wir nach und nach zu einer ordentlichen Abwicklung der Geschäfte kommen.