Rede von
Hans
Jahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Verkehrswesen hat sich in seinen Sitzungen vom 13. und 19. Oktober mit der Drucksache Nr. 32, Antrag des Abgeordneten Ollenhauer und Fraktion, betreffend Entlassungen bei der Bundesbahn, beschäftigt. Die Frage, die der Ausschuß zu erörtern hatte, drehte sich im Endeffekt um die finanziellen und Betriebsverhältnisse bei der Bundesbahn. Der Ausschuß wird sich in seinen nächsten Sitzungen mit der Frage des Verkehrswesens im allgemeinen zu beschäftigen haben.
In dem Antrag wird der Wunsch geäußert, dem Bundestag einen Bericht auf Grund der Ergebnisse des Jahres 1949 vorzulegen. Dazu kann bis jetzt festgestellt werden, daß der finanzielle Status der Bundesbahn äußerst bedenklich ist. Das Defizit wird sich wahrscheinlich auf 411 Millionen Mark belaufen. Es sind Bestrebungen vorhanden, dieses Defizit durch weitgehende Entlassungen bei der Bundesbahn auszugleichen. Es ist geplant, 27 000 Mann zu entlassen. Die Lohnsumme für diese 27 000 Mann würde etwa 80 Millionen Mark pro Jahr ausmachen. Damit könnte man 20 Prozent des Defizits decken. Nach Ansicht des Ausschusses für Verkehrswesen erhellt daraus, daß die Frage der Entlassungen keine lohnpolitische, sondern eine wirtschaftspolitische Frage ist, wirtschaftspolitisch besonders deshalb, weil bei der Bundesbahn infolge der Kriegsschäden Arbeiten in Hülle und Fülle vorhanden sind.
Der Eisenbahner, der seinen Arbeitsplatz verlassen soll, wird nicht verstehen können, daß er nicht arbeiten darf, obwohl er arbeiten will.
Der Ausschuß für Verkehrswesen hat einstimmig und der Ausschuß für Arbeit bei einer Stimmenthaltung beschlossen, den Antrag der SPD, Drucksache Nr. 32, in der redaktionell etwas veränderten Form — Drucksache Nr. 116 — dem Bundestag ebenfalls einstimmig zur Annahme zu empfehlen.
Ich glaube, es ist nötig, noch folgendes zu sagen. Bei der Bundesbahn ist ein Rückstand von 9000 km Gleisen wieder aufzubessern. 27 000 Weicheneinheiten sind wiederherzustellen. Die Folge ist, daß dieser nicht den Betriebserfordernissen entsprechende Oberbau von 1947 bis 1949 die Langsamfahrstrecken auf die Zahl von 221 ansteigen
ließ. Diese Langsamfahrstrecken bewirken einen Kohlenmehrverbrauch im Werte von 35 Millionen D-Mark pro Jahr.
Die Schienenbrüche sind wegen Alters- und Ermüdungserscheinungen des Materials von 16,5 auf 1000 km im Jahre 1937 auf 95 im Jahre 1948 angestiegen. Die Entgleisungen — vor dem Kriege sehr selten — betrugen 1948 570. Ich darf ferner darauf hinweisen, daß 274 Brücken instandzusetzen sind und 1054 Behelfsbrücken durch endgültige Bauwerke ersetzt werden müssen. Auch durch diese Verhältnisse sind weitere 1000 Langsamfahrstellen entstanden. Die Folge ist, daß die Durchschnittsgeschwindigkeit der Bundesbahn, gemessen an europäischen Geschwindigkeiten, um 30 bis 35 Prozent geringer ist. Es erhebt sich für die Transportbehörden des Auslands die Frage, ob Deutschland, das in der Mitte Europas liegt, noch weiter als Transitland durchfahren, oder ob es umfahren werden soll.
Die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft sind daraus ersichtlich. Wir glauben also, soweit der Ausschuß für Verkehrswesen in Frage kommt, daß mit Entlassungen die brennenden Probleme der Bundesbahn nicht gelöst werden können und sind der Auffassung, daß es der Regierungserklärung widerspricht, besonders im größten Staatsbetrieb mit Massenentlassungen das Signal zu weiteren Entlassungen überhaupt zu geben. Aus diesen Überlegungen heraus muß ein Weg gefunden werden, der finanziellen Klemme der Bundesbahn zu begegnen.
Wir sind ferner der Auffassung, daß die Vernachlässigung dieses wichtigsten Verkehrsträgers zu schwerwiegenden Folgen für die deutsche Wirtschaft im allgemeinen führen wird. Die Erhaltung der Arbeitsplätze bei den Bundesbahnen scheint uns vordringlich zu sein, um nicht ein Signal für eine weitere Belastung des Arbeitsmarktes zu geben, die wir in diesem Augenblick weniger als je ertragen können. Aus diesen Gründen ersucht der Ausschuß für Verkehrswesen und der Ausschuß für Arbeit, dem vorliegenden Antrag Drucksache Nr. 116 die Zustimmung durch das Hohe Haus zu erteilen.