Rede von
Oskar
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Mit der auf Vorschlag der britischen Regierung in Yalta und Potsdam gemachten Empfehlung, die in den betroffenen Ländern bis dahin wohnenden Volksdeutschen umzusiedeln, wurde eine Frage zur Entscheidung gestellt, die in den Jahren 1945 und 1946 eine Reihe von Aufgaben mit sich brachte, deren ad-hoc-Entscheidungen nicht eine Regelung bedeuteten, wie sie im Interesse der Flüchtlinge zweifellos hätte getroffen werden müssen. Mein Herr Vorredner hat davon gesprochen, daß wir in vielleicht 10 oder 20 Jahren bei richtigem Einsatz der Flüchtlinge dankbar für sie sein würden, weil sie eine wertvolle Hilfe beim Aufbau darstellten. Nun, von 1945 bis heute ist sehr viel über die tatsächlich bestehende Not der Flüchtlinge gesprochen worden. Wenn diesen Worten auch die Taten gefolgt wären, so hätte, glaube ich, eine ganze Reihe von Fragen, die auch in den verschiedenen Anträgen angeschnitten sind, bereits ihre Erledigung gefunden.
Es wurde schon sehr richtig darauf hingewiesen, daß es sich nicht allein um die Wohnraumfrage handelt. In den vergangenen Jahren hätte absolut die Möglichkeit bestanden, die Wohnraumfrage für die Flüchtlinge so zu lösen, daß die Wohnungsnot weitestgehend hätte beseitigt werden können. Wenn man vor allen Dingen in den Ländern wirklich ernsthaft an das Problem herangegangen wäre, und zwar unter Berücksichtigung der Ausgaben in den einzelnen Ländern, die in diesem Umfange — ich erinnere nur an die Besatzungskosten — nicht notwendig waren, und wenn ein entscheidender Teil dieser Mittel für die Wohnraumbeschaffung eingesetzt worden wäre, dann hätte auf diesem Gebiet zweifellos eine wesentliche Besserung eintreten können.
Weiter ist die Frage der Arbeitslosigkeit unter den Flüchtlingen angeschnitten worden. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß der Anteil der Flüchtlinge in einzelnen Ländern
zum Teil 40, ja sogar bis zu 60 Prozent beträgt. Diese Tatsache ist mit darauf zurückzuführen, daß sich die gesamte Politik in Westdeutschland eben entscheidend auch auf die Lage der Flüchtlinge und ihren Arbeitseinsatz auswirkt. Auch die Jugend unter den Flüchtlingen ist dadurch sehr stark in Mitleidenschaft gezogen, die Möglichkeiten ihrer beruflichen Ausbildung sind wesentlich eingeschränkt worden.
Mein Herr Vorredner hat weiter davon gesprochen, daß Tausende und aber Tausende von Flüchtlingsbauernfamilien darauf warten, seßhaft gemacht zu werden, wieder Grund und Boden unter die Füße zu bekommen. Ich werfe hier die Frage auf, was die einzelnen Länderregierungen und Länderparlamente in dieser Frage bisher getan haben. Was ist geschehen, um eine großzügige und entscheidende Bodenreform durchzuführen, um den Flüchtlingsbauernfamilien durch die Bodenreform Siedlungsland zur Verfügung zu stellen? Allein die Lösung dieser drei Fragen hätte in den vergangenen Jahren die Möglichkeit geboten, der Not der Flüchtlinge zu steuern und ihnen damit nicht nur einen inneren Halt, sondern, was auch in einem Antrag hier verlangt wird, die absolute Gleichberechtigung mit den alteingesessenen Bewohnern zu geben, und zwar nicht nur mit Worten und Buchstaben, sondern in der Tat. Die kommunistische Fraktion wird jedenfalls alle Maßnahmen unterstützen — wir haben das auch bisher schon in den Länderparlamenten getan —, die geeignet sind, diese Not zu lindern.
In diesem Zusammenhang möchte ich an Herrn Minister Dr. Lukaschek eine Frage richten. Da in den letzten Tagen in einem Presseinterview die Beantwortung der Frage nach der Realisierbarkeit eines Programms der Eingliederung der Flüchtlinge auf die Frage der Finanzierung abgestellt wurde, möchte ich mir die Frage erlauben, inwieweit von der Bundesregierung Maßnahmen ergriffen werden, um nicht nur die Wohnraumfrage und damit zusammenhängend die Frage des Arbeitsplatzes einer Lösung näherzubringen, sondern auch Maßnahmen zur Seßhaftmachung bäuerlicher Flüchtlingsfamilien auf dem Lande durchzuführen.
Meine Damen und Herren, da die Anträge, die hier vorliegen, dem Ausschuß überwiesen werden, kann ich es mir ersparen, auf Einzelheiten dieser Anträge einzugehen. Ich möchte nur einige Bemerkungen machen. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion Nr. 61 fordert, in die Aufgliederung und Umsiedlung der Flüchtlinge auch die seit Kriegsende aus der Ostzone Geflüchteten einzubeziehen. Dagegen haben wir sehr ernste und erhebliche Bedenken, und zwar aus dem Grunde, weil — und das ist nicht nur in einem Lande geschehen — sehr starke Berichtigungen notwendig geworden sind und die Anerkennung dieser aus der Ostzone sogenannten Geflüchteten an Hand einer ganzen Reihe von Tatsachen umstritten ist. Wir werden uns dagegen wenden, daß solche Elemente, die zum Teil als Kriminelle oder Asoziale hierhergekommen sind, zum Teil aber auch um in Westdeutschland das Lager der Reaktion zu stärken, als Flüchtlinge anerkannt werden.
Eine andere Frage ist die der sogenannten DPs. Die Kollegen aus Bayern, aber auch die Kollegen aus Hessen und anderen Ländern werden mir zweifellos bestätigen können, daß in den sogenannten DP-Lagern — abgesehen von einigen,
die man als solche anerkennen kann — sich doch in der Mehrzahl solche befinden, die als ehemalige Angehörige der SS aus den sogenannten baltischen Ländern heute hier in Westdeutschland die Fünfte Kolonne bilden und durch ihr Auftreten in München und in anderen Städten bewiesen haben, welche Funktion sie hier erfüllen.
— Es bleibt Ihnen überlassen, sich Seite an Seite mit solchen Elementen zu stellen.
Ich glaube weiter, daß auf Grund der Unterlagen, die uns vom Ministerium zur Verfügung gestellt werden müssen, die Frage des Ausgleichs in ihrer Gesamtheit sehr eingehend überprüft und geregelt werden muß.
Ich möchte aber noch auf den Antrag Nr. 78 der sozialdemokratischen Fraktion eingehen, in dem ein Sonderreferat für die in Polen und der Tschechoslowakei lebenden Deutschen gefordert wird. Ich glaube nicht, daß dieser Antrag entworfen wurde, ohne sich über seine weittragende Bedeutung im klaren zu sein, und ich möchte doch, nachdem in diesem Hause seit seinem Bestehen nicht ganz unwesentliche — ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken — Fehlgriffe in der Behandlung von Problemen, die zu einem Teil in die Außenpolitik hineingreifen, gemacht worden sind, die Frage aufwerfen, ob nicht mit diesem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ein weiterer Fehlgriff geschieht. Meine Damen und Herren, wir kennen ja wohl alle aus der nicht sehr rühmlichen Vergangenheit jene Einrichtung, die als „Amt für Auslandsdeutsche" unter dem damaligen Gauleiter Bohle geschaffen wurde und den Zweck hatte, soweit sich Volksdeutsche in den anderen Ländern dazu hergaben, dort im Interesse der Außenpolitik des Hitlerreiches die sogenannte Fünfte Kolonne zu organisieren.
Ich glaube, es ist nicht ratsam, wenn durch die Einsetzung eines solchen Sonderreferats dem Ausland und den Völkern, mit denen wir in Frieden leben wollen und die wir für unsere eigene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung und unseren Aufbau, die wir vor allen Dingen als Ergänzung für unsere wirtschaftliche Entwicklung brauchen, mit einem solchen Antrag Gelegenheit gegeben wird, zumindest zu mutmaßen, daß das, was sich in der Vergangenheit so unheilvoll ausgewirkt hat, erneut in anderer Form wieder praktiziert werden soll.
Ich glaube, meine Damen und Herren, über diesen Antrag wird noch sehr ernsthaft zu sprechen sein. Ich möchte für meine Fraktion jetzt schon die Befürchtung zum Ausdruck bringen, daß mit einem solchen Sonderreferat, das ja bekanntlich auch andere Tätigkeiten an sich zieht, den Volksdeutschen in diesen Ländern nicht nur nicht geholfen, sondern geschadet und auch uns selbst erheblicher Schaden zugefügt werden wird. Von diesem Gesichtspunkt aus werden und müssen wir an die Behandlung der vorliegenden Anträge herangehen. Ich möchte noch einmal sagen: Meine Fraktion wird alles tun und unterstützen, damit den Flüchtlingen, ohne viele Worte zu machen, in ihrer Not konkret geholfen werden kann, vor allen Dingen auf den drei Gebieten, die bereits angeschnitten worden sind. Ich glaube, daß damit aber auch die
Brücken zwischen Flüchtlingen und Alteingesessenen geschlagen und die Grenzen überwunden werden können.