Meine Damen und Herren! Es sind heute am Vormittag beredte Worte über die Tatsache gefunden worden, daß die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge verschieden verteilt sind, und zwar so verteilt, daß manche Länder übermäßig belastet sind und die Last nicht zu tragen vermögen. Diese Tatsache hat sich bei den Parteien des Hohen Hauses durchweg durchgerungen, und die Anträge, die hinsichtlich der Verteilung der Heimatvertriebenen auf die einzelnen Länder bereits eingebracht worden sind, und die Reden, die in Begleitung dieser Anträge gehalten worden sind, haben dies einwandfrei bewiesen. Darüber hinaus haben die Länder selbst von sich aus verschiedene Versuche unternommen, um einen tragbaren und vernünftigen Ausgleich der Heimatvertriebenen unter sich durchzuführen. Leider waren bisher alle diese Anregungen und Unternehmungen erfolglos. Wir wissen gerade aus dem Mund des Herrn Bundesministers für Heimatvertriebenenangelegenheiten, daß man im Länderrat noch zu keiner Einigung hat kommen können und daß man bis heute vergebens auf ein Ergebnis wartet.
Nun haben gerade heute vormittag verschiedene Herren darauf hingewiesen, daß in manchen Ländern die Dinge untragbar geworden sind. Zu diesen Ländern gehört auch, wie der Herr Kollege Reitzner bereits ausgeführt hat, Bayern. Bayern mußte auf Grund seiner geographischen Lage gleich von vornherein den oder wenigstens einen Hauptstrom der Flüchtlinge aufnehmen, und es hat darüber hinaus nicht nur die Heimatvertriebenen aufnehmen müssen, sondern dank dem Einfluß der Besatzungsmacht auch noch andere. Sie wissen, daß gerade die in Bayern regierende Besatzungsmacht ein ausgesprochen warmes Gefühl für die Angehörigen der ehemaligen Alliierten hat. Daher sind heute in Bayern nicht nur Tausende von Juden aus den ehemaligen polnischen und russischen Gebieten untergebracht, sondern auch die National-Tschechen, die diversen Flüchtlinge aus den Südost-Staaten, aus der Slowakei, Jugoslawien, aus Ungarn, aus Rumänien usw., und sie alle müssen — das ist Ihnen auch nicht unbekannt — bevorzugt untergebracht werden, das heißt: die Besatzungsmacht selbst beschlagnahmt einfach die entsprechenden Gebäude und Blocks und weist diese Alliierten, diese DP's ein. Dadurch ist der Zustand geschaffen, daß heute in Bayern noch etwa 50 000 Heimatvertriebene in Massenquartieren und Lagern untergebracht sind, ein Zustand, dem die Flüchtlingsverwaltung in Bayern einfach machtlos gegenübersteht. Machtlos deswegen, weil es keine Unterbringungsmöglichkeit für die Lagerinsassen gibt. Und diese Unterbringungsmöglichkeit ist in vielen Lagern, insbesondere in den Grenzlagern, eine Kulturschande! Nicht nur, daß die Leute nicht ein anständiges Dach über dem Kopf haben, auch moralisch und seelisch gehen sie dort unweigerlich zu Grunde. Und es gibt keine Möglichkeit, diese Lager freizumachen. Es gibt insbesondere jetzt keine Möglichkeit, wo Tag für Tag der Zustrom aus dem Osten anhält und die Lager neu auffüllt.
Aus diesen Erwägungen heraus ist der Antrag Nr. 92 entstanden, einen Ausgleich unter den Heimatvertriebenen vorzunehmen. Darüber sind wir uns alle einig. In Form einer Sofortmaßnahme sollen aber die Heimatvertriebenen, die nunmehr und in Zukunft über die Grenze einströmen, sofort verteilt werden, weil eine Möglichkeit, sie in den bestehenden Lagern unterzubringen, nicht vorhanden ist. Zweitens sollen die in den Lagern befindlichen Heimatvertriebenen schnellstens, und zwar vor Eintritt der kalten Jahreszeit auf die einzelnen Länder verteilt werden. Hierbei handelt es sich um eine Sofortmaßnahme, die vorwegzunehmen ist, natürlich unter Anrechnung auf die noch zu errechnende Ausgleichsquote. Sie ist notwendig im Interesse der Heimatvertriebenen selbst, weil sie in diesen Lagern unweigerlich zugrunde gehen. Ganz abgesehen davon ist ein Großteil dieser Lager derartig schlecht beschaffen, daß man es den Leuten unmöglich zumuten kann, noch einen Winter -- wenigstens noch einen Winter —in diesen Lagern zu verbringen. Der Antrag, den die Bayernpartei dem Hohen Hause unterbreitet, betrifft einen Teil des Gesamtproblems, er ist der Vorschlag zur Erledigung in Form einer Sofortmaßnahme, die dann entsprechend ausgeglichen werden soll, wenn die Länder bzw. die Bundesregierung selbst zur Festsetzung eines Verteilungsschlüssels gelangen sollten.
Und nun ein Wort zu den Ausführungen von heute vormittag über den Antrag der Bayernpartei, betreffend die Verteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Länder überhaupt. Wir stehen genau so wie Sie auf dem Standpunkt, daß der Ausgleich zunächst in Form der Freiwilligkeit erfolgen soll, ) und zwar auf Grund der Freiwilligkeit sowohl unter den Ländern wie auch unter den davon betroffenen Heimatvertriebenen. Aber wie es mit dieser Freiwilligkeit steht, darüber wissen wir schon ungefähr Bescheid. Freiwillig konnten bisher die Länder zu keiner Einigung kommen. Freiwillig haben sich bisher die Länder, die keine oder nur recht wenige Heimatvertriebene aufgenommen haben, zu keiner Aufnahme entschlossen. Es wird also hier auf dem Wege der Freiwilligkeit recht wenig zu erreichen sein.
– Herr Schütz, da hin ich nicht so optimistisch wie Sie. Lassen wir es darauf ankommen und fragen wir unter den Heimatvertriebenen, wer sich freiwillig meldet! Es hat sich leider eine Tatsache als richtig erwiesen: daß der Mensch allmählich sich seiner Umgebung anpaßt. Wer so in den Flüchtlingslagern herumgekommen ist wie ich, muß mit Bedauern feststellen, daß selbst Menschen, die in einer hohen sozialen Stellung waren, sich recht bald mit der trostlosen Umgebung verwachsen fühlen und zum Teil gar nicht mehr aus diesen Schandlagern heraus wollen. Wenn hier nicht zu einem gewissen Zwang gegriffen werden soll, so weiß ich nicht, wie die Sache auf freiwilliger Basis durchgeführt werden kann. Doch vorweg die Freiwilligkeit! Wir stehen ebenso wie alle übrigen Parteien auf dem Standpunkt, daß ein Zwang nicht angewandt werden soll. Wenn aber die Freiwilligkeit nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt und wenn wir trotzdem zum Ziel kommen wollen, so haben wir für diesen Fall in unserem Antrag vorgesehen, daß dann — und nur dann — ein gewisser Druck soll ausgeübt werden können. Man kommt
bei derartigen Dingen um eine Regelung nicht herum, und man kann, 'wenn die Freiwilligkeit nicht zum Ziel führt, auf eine staatliche Maßnahme einfach nicht verzichten. Es sind nun einmal Dinge, die weit über den Rahmen einer normalen Entwicklung hinausgehen, und ich weiß nicht, ob wir nicht doch, wenn die Sache nicht die Wege gehen sollte, die ich durchaus will und durchaus liebe, genötigt werden könnten, uns zu irgendeiner Maßnahme zu entschließen. Aber wie gesagt: auch wir gehen von dem Standpunkt aus, daß die Frage zunächst auf rein freiwilliger Grundlage sowohl unter den Ländern wie auch unter den Heimatvertriebenen gelöst werden soll.
Wir haben noch wegen eines anderen Absatzes in unserem Antrag den Unwillen des einen oder anderen Mitglieds des Hohen Hauses erregt, und zwar deswegen, weil wir die Auffassung vertreten haben, daß die Sudetendeutschen bzw. Südostdeutschen zunächst in dem süddeutschen Raum und die übrigen im norddeutschen Raum untergebracht werden sollen. Wir verkennen nicht und leugnen nicht die Tatsache der Einheit des deutschen Volkes in seiner geschichtlichen, kulturellen und speziell sprachlichen Entwicklung, und wir sehen keinen Grund, hier eine Zweiteilung nach der einen oder anderen Seite zu machen. Desgleichen fehlt uns jede Absicht, irgend jemanden zu diskriminieren. Wenn wir diesen Gedankengang aufgegriffen haben, so aus der Erkenntnis heraus, daß es trotz so vieler Gemeinschaft im deutschen Volk doch auch verschiedene Nuancierungen gibt, daß es verschiedene Gruppen gibt, und diese lassen sich nicht immer erschöpfen in dem Ausdruck „Ideologie". Wenn hier die Behauptung aufgestellt wird, daß die Sudetendeutschen — nicht alle, aber in der Hauptsache — und die Südostdeutschen dem süddeutschen, also dem bayerischen Kulturkreis am nächsten stehen, so ist damit lediglich eine Tatsache aufgezeigt. Wenn wir von dem Gedankengang ausgegangen sind, die aus dem Sudetenland bzw. aus Südosteuropa kommenden Deutschen zunächst in Süddeutschland zusammenzufassen, so geschah es aus der Erwägung, daß die Eingliederung dieser Menschen dort schneller und reibungsloser vor sich gehen kann als vielleicht anderswo. Wir wissen ja nicht, wie weit die Eingliederung vor sich gehen muß und ob sie nicht unter Umständen eine ewige sein wird. Wenn wir schon mit dieser Tatsache rechnen — und wir müssen damit rechnen —, wollen wir im Interesse des einheimischen Volkes wie auch der Heimatvertriebenen nicht Schwierigkeiten schaffen, wo Schwierigkeiten nicht überwunden werden müssen, und nicht Gräben aufreißen, wo solche nicht vorhanden sind. Das hat mit Rassentheorie oder mit Verfolgung gar nichts zu tun, sondern ist eine rein nüchterne Überlegung der Möglichkeit der Verschmelzung und der Eingliederung, die sich aus der Erkenntnis des Volkes und der Volksstämme selbst ergibt. Doch dieser Antrag Nr. 23 steht ja heute nicht zur Debatte; er ist bereits dem Ausschuß zugewiesen, und im Ausschuß wird die Möglichkeit geboten sein, das Für und Wider der Meinungen zu erörtern. Ich bitte Sie nur, meine Damen und Herren, dem Antrag Nr. 92 zuzustimmen und der Regierung damit den entsprechenden Auftrag erteilen zu wollen.