Rede:
ID0101209300

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Metadaten
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag - 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Oktober 1949 259 12. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. Oktober 1949. Geschäftliche Mitteilungen . . 260A, 269B, 506D Niederlegung des Mandats durch die Abgeordneten Dr. Amelunxen u. Dr. Hilpert 260B Ausscheiden des Abgeordneten Dr. Dorls aus der Gruppe der Nationalen Rechten . 260B Interfraktioneller Antrag, betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksache Nr. 112) 260B, 267D Erste Beratung des Amnestiegesetzes (Antrag der Zentrumsfraktion, Drucksache Nr. 17) 260C Dr. Reismann (Z), Antragsteller . 260C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 262A Kiesinger (CDU) . . . . . 262C, 263C Dr. Arndt (SPD) 262D Erste Beratung des Gesetzes über Bundesfarben und Bundesflagge (Antrag der Zentrumsfraktion, Drucksache Nr. 25) . 263C Dr. Reismann (Z), Antragsteller . 263D Farke (DP) 264C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 265C Kiesinger (CDU) . . . . . . . 266B Interfraktioneller Antrag, betr. Ausschluß der Öffentlichkeit bei Ausschußberatungen (Drucksache Nr. 113) 268A Dr. von Brentano (CDU), Antrag- steller 268A Renner (KPD) . . . . . . . . 268B Antrag der Fraktion der DP, betr. Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung (Drucksache Nr. 43) . 269C Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 269C Richter (SPD) 269D Arndgen (CDU) 270A Dr. Wellhausen (FDP) . . . . . 270B Antrag der Fraktion der DP, betr. Kündigungsschutz für ältere Angestellte (Drucksache Nr. 37) 270C Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 270D, 271D, 272A, B Blank (CDU) 271A, B, 272A Richter (SPD) . . . . . . . . 271B Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers 271C Dr. Schäfer (FDP) 271C Antrag der Abg. Ollenhauer und Gen., betr. Heimarbeitsgesetz (Drucksache Nr. 75) 272B Frau Döhring (SPD), Antragstellerin 272B Karpf (CDU) 272D Antrag der Abg. Ollenhauer und Gen., betr. Mutterschutzgesetz (Drucksache Nr. 79) 273A Frau Kipp-Kaule (SPD), Antragstellerin 273 A Frau Niggemeyer (CDU) 273B Storch, Bundesminister für Arbeit 273C Frau Thiele (KPD) . . . . . . 273D Frau Kalinke (DP) . . . . . . 273D Anträge der Fraktionen der KPD und der DP und der Abg. Ollenhauer und Gen., betr. sozialen Wohnungsbau (Drucksachen Nr. 10, 39 und 73) . . . . . . . . 274A Paul (KPD), Antragsteller 274B Frau Kalinke (DP) . . . . . . 275C Stierle (SPD) 275D Wirths (FDP) 277C Etzel (CDU) . . . . . . . 2'79D, 284C Dr. Etzel (BP) . . . . . . . . 282B Wildermuth, Bundesminister für Wohnungsbau 283A Anträge der Fraktion der CDU/CSU, der Abg. Ollenhauer u. Gen., der Abg. Goetzendorff u. Gen. und der Fraktion der BP, betr. Heimatvertriebene, Flüchtlinge und in Polen und in der Tschechoslowakei lebende Deutsche (Drucksachen Nr. 61, 74, 77, 88 und 78) . . . . . . . . 284D Ollenhauer (SPD) (zur Geschäftsordnung) 284D Kuntscher (CDU), Antragsteller . 285A Reitzner (SPD), Antragsteller . . 286D Unterbrechung der Sitzung . 288B Dr. Ziegler (BP) 288C, 289C Goetzendorff (WAV) . . . . . 288D Dr. Trischler (FDP) 291A Müller, Oskar (KPD) 293C Albertz, Niedersächsischer Minister für Flüchtlingswesen . . . . . . 295A Renner (KPD) (zur Geschäftsordnung) 295D Krause (Z) . . . . . . . . . 296A Clausen (SSW) 299A Donhauser (BP) . . . . . . . 299B Dr. Lukaschek, Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen . 300B Mündlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, betr. bevorzugte Einstellung von Heimatvertriebenen beim Aufbau d. Bundesbehörden (Drucksachen Nr. 29 und 93) 301A Höfler (CDU), Berichterstatter . 301B Dr. Seelos (BP) . . . . . . . 301C Dr. Kather (CDU) 302D Antrag der Fraktion der KPD, betr. Ruhrstatut (Drucksache Nr. 5) . . . . . . . 302C Rische (KPD), Antragsteller . . . . 302C Antrag der Fraktion der KPD, betr. Besatzungskosten (Drucksache Nr. 8) . . . 304D Rische (KPD), Antragsteller . . . . 304D Antrag der Fraktion der CDU/CSU, betr. Maßnahmen für im Ausland zurückgehaltene Deutsche (Drucksache Nr. 60) . . 306C Nächste Sitzung 306D Die Sitzung wird um 9 Uhr 13 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Günter Goetzendorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (WAV)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)

    Meine Damen und Herren! Es ist bereits von dieser Stelle aus sehr viel von der sozialen Not der Heimatvertriebenen gesprochen worden, und die Aufgeschlossenheit des Hauses gegenüber dieser für uns so wichtigen Frage berechtigt uns zu der Hoffnung, daß viele der gehaltenen Reden auch in Taten umgewandelt werden. Es ist immer wieder betont worden, daß die Heimatvertriebenen ihren Anspruch auf die Rückkehr in die Heimat niemals aufgeben werden. Bis dahin aber kann noch eine lange Zeit vergehen. Kollege Reitzner hat sehr richtig betont, daß alles getan werden muß, um dem augenblicklichen Zustand der Verelendung der Flüchtlingsmassen wirksam begegnen zu können. Über den außenpolitischen Aspekten dürfen wir nicht vergessen, die Dinge zu regeln, die notwendig sind, um den Vertriebenen die Eingliederung in das Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Es bedarf gesetzgeberischer Mittel, um zu verhindern, daß die Heimatvertriebenen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Die Flüchtlinge sind überall im Lande gegenüber jeder Versprechung mißtrauisch geworden. Ich glaube, daß wir schon aus diesem Grunde alle berechtigten Forderungen der Heimatvertriebenen gesetzgeberisch untermauern müssen.
    Auf die unterste Stufe der sozialen Rangordnung zurückgeworfen, gilt heute der Kampf der Heimatvertriebenen den primitivsten Dingen des menschlichen Daseins überhaupt: Kleidung, Nahrung, Arbeit und Wohnung. Unter den Erwerbslosen stellen die Flüchtlinge den größten Teil dar. Viele von ihnen, die über ausreichende Fähigkeiten ver-


    (Goetzendorff)

    fügen, wohnen auf Einödshöfen und in unwegsamen Dörfern. Diese Menschen sind verbittert, weil sie glauben, bei jeder Bewerbung, bei jedem Anspruch auf irgendeine Stellung von vornherein benachteiligt zu werden.
    Es, ist der Sinn der Drucksache Nr. 88, diesen Heimatvertriebenen die Gewißheit zu geben, daß wir sie nicht weiterhin mit leeren Redensarten abspeisen wollen, sondern daß sie einen Rechtsanspruch darauf haben, in die Stellen, die die Bundesrepublik in ihren Ämtern zu vergeben hat, einbezogen zu werden. Diesem berechtigten Wunsch ist bereits durch einen Antrag der CDU/CSU- Fraktion Rechnung getragen worden. In ihm ist empfohlen worden, Heimatvertriebene in alle Behörden des Bundes bevorzugt einzustellen. Wir haben diesen Antrag begrüßt, halten ihn aber als eine unter Umständen wenig verbindliche Empfehlung nicht für ausreichend. Es könnte sein, daß dieser Antrag in der Praxis nur rhetorischen Wert behält. Wenn man den Heimatvertriebenen einen Stellenanteil gemäß ihrem Anteil an der Bevölkerungszahl zubilligt,

    (Zuruf rechts)

    dann wird man ihnen von vornherein dasGefühl
    nehmen, daß sie wieder nur mit Redensarten bedacht werden, und dann können sie auch gut und gern darauf verzichten, daß sie „bevorzugt" behandelt werden. Der Anteil der Vertriebenen in Westdeutschland beträgt nach unseren Ausrechnungen etwa 17 Prozent. Es ist also Rechtens, wenn man ihnen beim Aufbau der Bundesbehörden eine Quote von mindestens 15 Prozent zubilligt. Ich verspreche mir hiervon eine gewisse Beruhigung auf dem Flüchtlingssektor, da durch klare Bestimmungen jeder Verdacht beseitigt wird, als wolle man die Empfehlungen nur dazu benutzen, den Flüchtlingen Sand in die Augen zu streuen.
    Der Einwand, durch eine festgelegte Quote würde man erreichen, daß weit weniger Heimatvertriebene bei den Behörden eingestellt werden, ist nicht stichhaltig, denn selbstverständlich ist dem sozialen Verständnis nach oben keine Grenze gesetzt. Allerdings kommt es nicht nur darauf an, daß die Quote eingehalten wird, sondern in erster Linie darauf, daß die Quote innerhalb der einzelnen Berufssparten, innerhalb der einzelnen Beamten und Angestellten überwacht wird; sonst könnte es sein, wie es in Bayern der Fall ist, daß in vielen Behörden zwar die Flüchtlingsquote erfüllt ist, daß sie sich aber meistens nur auf die Kategorie der Putzfrauen und kleinen Angestellten erstreckt. Ich glaube, daß auch sonst die Heimatvertriebenen bei einer Quotenfestlegung beruhigt sein würden. Wenn es möglich ist, daß in einem Land oder von einer Partei allen Ernstes vorgeschlagen wird, man möge die Heimatvertriebenen zum zweiten Mal vielleicht unter dem Schutz von Polizeibütteln austreiben, dann wird es noch viel eher vorkommen können, daß man sie aus nichtigen Gründen aus ihren Ämtern verjagt.
    Wenn Sie der Drucksache Nr. 88 Ihre Zustimmung geben, dann bin ich überzeugt, daß wir dadurch einen wirksamen Beitrag zur Solidarität des deutschen Volkes überhaupt erzielen. Ich glaube die Kluft zwischen Einheimischen und Hinzugekommenen zu beseitigen und zu verengen, muß eine der vornehmsten Aufgaben dieses Hauses sein. Man sollte den Ausgewiesenen nicht vergessen, daß sie nicht — wie vielfach erwartet — ein Element der Unruhe, ein radikales Element in den deutschen Ländern geworden sind, trotz der ungeheuren leiblichen und seelischen Belastung, die sie ertragen haben; man sollte immer daran denken, daß gerade die Heimatvertriebenen trotz allen unermeßlichen Leids ihr Vaterland aus heißem Herzen lieben. Über ihnen steht das Wort des Arbeiterdichters Bröger, daß Deutschlands ärmster Sohn auch sein getreuester ist.

    (Beifall bei der WAV und beim Zentrum.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort als Antragsteller zu Ziffer 19 hat der Abgeordnete Dr. Ziegler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Ziegler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BP)

    Meine Damen und Herren! Es sind heute am Vormittag beredte Worte über die Tatsache gefunden worden, daß die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge verschieden verteilt sind, und zwar so verteilt, daß manche Länder übermäßig belastet sind und die Last nicht zu tragen vermögen. Diese Tatsache hat sich bei den Parteien des Hohen Hauses durchweg durchgerungen, und die Anträge, die hinsichtlich der Verteilung der Heimatvertriebenen auf die einzelnen Länder bereits eingebracht worden sind, und die Reden, die in Begleitung dieser Anträge gehalten worden sind, haben dies einwandfrei bewiesen. Darüber hinaus haben die Länder selbst von sich aus verschiedene Versuche unternommen, um einen tragbaren und vernünftigen Ausgleich der Heimatvertriebenen unter sich durchzuführen. Leider waren bisher alle diese Anregungen und Unternehmungen erfolglos. Wir wissen gerade aus dem Mund des Herrn Bundesministers für Heimatvertriebenenangelegenheiten, daß man im Länderrat noch zu keiner Einigung hat kommen können und daß man bis heute vergebens auf ein Ergebnis wartet.
    Nun haben gerade heute vormittag verschiedene Herren darauf hingewiesen, daß in manchen Ländern die Dinge untragbar geworden sind. Zu diesen Ländern gehört auch, wie der Herr Kollege Reitzner bereits ausgeführt hat, Bayern. Bayern mußte auf Grund seiner geographischen Lage gleich von vornherein den oder wenigstens einen Hauptstrom der Flüchtlinge aufnehmen, und es hat darüber hinaus nicht nur die Heimatvertriebenen aufnehmen müssen, sondern dank dem Einfluß der Besatzungsmacht auch noch andere. Sie wissen, daß gerade die in Bayern regierende Besatzungsmacht ein ausgesprochen warmes Gefühl für die Angehörigen der ehemaligen Alliierten hat. Daher sind heute in Bayern nicht nur Tausende von Juden aus den ehemaligen polnischen und russischen Gebieten untergebracht, sondern auch die National-Tschechen, die diversen Flüchtlinge aus den Südost-Staaten, aus der Slowakei, Jugoslawien, aus Ungarn, aus Rumänien usw., und sie alle müssen — das ist Ihnen auch nicht unbekannt — bevorzugt untergebracht werden, das heißt: die Besatzungsmacht selbst beschlagnahmt einfach die entsprechenden Gebäude und Blocks und weist diese Alliierten, diese DP's ein. Dadurch ist der Zustand geschaffen, daß heute in Bayern noch etwa 50 000 Heimatvertriebene in Massenquartieren und Lagern untergebracht sind, ein Zustand, dem die Flüchtlingsverwaltung in Bayern einfach machtlos gegenübersteht. Machtlos deswegen, weil es keine Unterbringungsmöglichkeit für die Lagerinsassen gibt. Und diese Unterbringungsmöglichkeit ist in vielen Lagern, insbesondere in den Grenzlagern, eine Kulturschande! Nicht nur, daß die Leute nicht ein anständiges Dach über dem Kopf haben, auch moralisch und seelisch gehen sie dort unweigerlich zu Grunde. Und es gibt keine Möglichkeit, diese Lager freizumachen. Es gibt insbesondere jetzt keine Möglichkeit, wo Tag für Tag der Zustrom aus dem Osten anhält und die Lager neu auffüllt.


    (Dr. Ziegler)

    Aus diesen Erwägungen heraus ist der Antrag Nr. 92 entstanden, einen Ausgleich unter den Heimatvertriebenen vorzunehmen. Darüber sind wir uns alle einig. In Form einer Sofortmaßnahme sollen aber die Heimatvertriebenen, die nunmehr und in Zukunft über die Grenze einströmen, sofort verteilt werden, weil eine Möglichkeit, sie in den bestehenden Lagern unterzubringen, nicht vorhanden ist. Zweitens sollen die in den Lagern befindlichen Heimatvertriebenen schnellstens, und zwar vor Eintritt der kalten Jahreszeit auf die einzelnen Länder verteilt werden. Hierbei handelt es sich um eine Sofortmaßnahme, die vorwegzunehmen ist, natürlich unter Anrechnung auf die noch zu errechnende Ausgleichsquote. Sie ist notwendig im Interesse der Heimatvertriebenen selbst, weil sie in diesen Lagern unweigerlich zugrunde gehen. Ganz abgesehen davon ist ein Großteil dieser Lager derartig schlecht beschaffen, daß man es den Leuten unmöglich zumuten kann, noch einen Winter -- wenigstens noch einen Winter —in diesen Lagern zu verbringen. Der Antrag, den die Bayernpartei dem Hohen Hause unterbreitet, betrifft einen Teil des Gesamtproblems, er ist der Vorschlag zur Erledigung in Form einer Sofortmaßnahme, die dann entsprechend ausgeglichen werden soll, wenn die Länder bzw. die Bundesregierung selbst zur Festsetzung eines Verteilungsschlüssels gelangen sollten.
    Und nun ein Wort zu den Ausführungen von heute vormittag über den Antrag der Bayernpartei, betreffend die Verteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Länder überhaupt. Wir stehen genau so wie Sie auf dem Standpunkt, daß der Ausgleich zunächst in Form der Freiwilligkeit erfolgen soll, ) und zwar auf Grund der Freiwilligkeit sowohl unter den Ländern wie auch unter den davon betroffenen Heimatvertriebenen. Aber wie es mit dieser Freiwilligkeit steht, darüber wissen wir schon ungefähr Bescheid. Freiwillig konnten bisher die Länder zu keiner Einigung kommen. Freiwillig haben sich bisher die Länder, die keine oder nur recht wenige Heimatvertriebene aufgenommen haben, zu keiner Aufnahme entschlossen. Es wird also hier auf dem Wege der Freiwilligkeit recht wenig zu erreichen sein.

    (Abg. Schütz: Aber es haben sich genug Heimatvertriebene freiwillig gemeldet!)

    – Herr Schütz, da hin ich nicht so optimistisch wie Sie. Lassen wir es darauf ankommen und fragen wir unter den Heimatvertriebenen, wer sich freiwillig meldet! Es hat sich leider eine Tatsache als richtig erwiesen: daß der Mensch allmählich sich seiner Umgebung anpaßt. Wer so in den Flüchtlingslagern herumgekommen ist wie ich, muß mit Bedauern feststellen, daß selbst Menschen, die in einer hohen sozialen Stellung waren, sich recht bald mit der trostlosen Umgebung verwachsen fühlen und zum Teil gar nicht mehr aus diesen Schandlagern heraus wollen. Wenn hier nicht zu einem gewissen Zwang gegriffen werden soll, so weiß ich nicht, wie die Sache auf freiwilliger Basis durchgeführt werden kann. Doch vorweg die Freiwilligkeit! Wir stehen ebenso wie alle übrigen Parteien auf dem Standpunkt, daß ein Zwang nicht angewandt werden soll. Wenn aber die Freiwilligkeit nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt und wenn wir trotzdem zum Ziel kommen wollen, so haben wir für diesen Fall in unserem Antrag vorgesehen, daß dann — und nur dann — ein gewisser Druck soll ausgeübt werden können. Man kommt
    bei derartigen Dingen um eine Regelung nicht herum, und man kann, 'wenn die Freiwilligkeit nicht zum Ziel führt, auf eine staatliche Maßnahme einfach nicht verzichten. Es sind nun einmal Dinge, die weit über den Rahmen einer normalen Entwicklung hinausgehen, und ich weiß nicht, ob wir nicht doch, wenn die Sache nicht die Wege gehen sollte, die ich durchaus will und durchaus liebe, genötigt werden könnten, uns zu irgendeiner Maßnahme zu entschließen. Aber wie gesagt: auch wir gehen von dem Standpunkt aus, daß die Frage zunächst auf rein freiwilliger Grundlage sowohl unter den Ländern wie auch unter den Heimatvertriebenen gelöst werden soll.
    Wir haben noch wegen eines anderen Absatzes in unserem Antrag den Unwillen des einen oder anderen Mitglieds des Hohen Hauses erregt, und zwar deswegen, weil wir die Auffassung vertreten haben, daß die Sudetendeutschen bzw. Südostdeutschen zunächst in dem süddeutschen Raum und die übrigen im norddeutschen Raum untergebracht werden sollen. Wir verkennen nicht und leugnen nicht die Tatsache der Einheit des deutschen Volkes in seiner geschichtlichen, kulturellen und speziell sprachlichen Entwicklung, und wir sehen keinen Grund, hier eine Zweiteilung nach der einen oder anderen Seite zu machen. Desgleichen fehlt uns jede Absicht, irgend jemanden zu diskriminieren. Wenn wir diesen Gedankengang aufgegriffen haben, so aus der Erkenntnis heraus, daß es trotz so vieler Gemeinschaft im deutschen Volk doch auch verschiedene Nuancierungen gibt, daß es verschiedene Gruppen gibt, und diese lassen sich nicht immer erschöpfen in dem Ausdruck „Ideologie". Wenn hier die Behauptung aufgestellt wird, daß die Sudetendeutschen — nicht alle, aber in der Hauptsache — und die Südostdeutschen dem süddeutschen, also dem bayerischen Kulturkreis am nächsten stehen, so ist damit lediglich eine Tatsache aufgezeigt. Wenn wir von dem Gedankengang ausgegangen sind, die aus dem Sudetenland bzw. aus Südosteuropa kommenden Deutschen zunächst in Süddeutschland zusammenzufassen, so geschah es aus der Erwägung, daß die Eingliederung dieser Menschen dort schneller und reibungsloser vor sich gehen kann als vielleicht anderswo. Wir wissen ja nicht, wie weit die Eingliederung vor sich gehen muß und ob sie nicht unter Umständen eine ewige sein wird. Wenn wir schon mit dieser Tatsache rechnen — und wir müssen damit rechnen —, wollen wir im Interesse des einheimischen Volkes wie auch der Heimatvertriebenen nicht Schwierigkeiten schaffen, wo Schwierigkeiten nicht überwunden werden müssen, und nicht Gräben aufreißen, wo solche nicht vorhanden sind. Das hat mit Rassentheorie oder mit Verfolgung gar nichts zu tun, sondern ist eine rein nüchterne Überlegung der Möglichkeit der Verschmelzung und der Eingliederung, die sich aus der Erkenntnis des Volkes und der Volksstämme selbst ergibt. Doch dieser Antrag Nr. 23 steht ja heute nicht zur Debatte; er ist bereits dem Ausschuß zugewiesen, und im Ausschuß wird die Möglichkeit geboten sein, das Für und Wider der Meinungen zu erörtern. Ich bitte Sie nur, meine Damen und Herren, dem Antrag Nr. 92 zuzustimmen und der Regierung damit den entsprechenden Auftrag erteilen zu wollen.