Meine Damen und Herren! Es ist bereits von dieser Stelle aus sehr viel von der sozialen Not der Heimatvertriebenen gesprochen worden, und die Aufgeschlossenheit des Hauses gegenüber dieser für uns so wichtigen Frage berechtigt uns zu der Hoffnung, daß viele der gehaltenen Reden auch in Taten umgewandelt werden. Es ist immer wieder betont worden, daß die Heimatvertriebenen ihren Anspruch auf die Rückkehr in die Heimat niemals aufgeben werden. Bis dahin aber kann noch eine lange Zeit vergehen. Kollege Reitzner hat sehr richtig betont, daß alles getan werden muß, um dem augenblicklichen Zustand der Verelendung der Flüchtlingsmassen wirksam begegnen zu können. Über den außenpolitischen Aspekten dürfen wir nicht vergessen, die Dinge zu regeln, die notwendig sind, um den Vertriebenen die Eingliederung in das Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Es bedarf gesetzgeberischer Mittel, um zu verhindern, daß die Heimatvertriebenen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Die Flüchtlinge sind überall im Lande gegenüber jeder Versprechung mißtrauisch geworden. Ich glaube, daß wir schon aus diesem Grunde alle berechtigten Forderungen der Heimatvertriebenen gesetzgeberisch untermauern müssen.
Auf die unterste Stufe der sozialen Rangordnung zurückgeworfen, gilt heute der Kampf der Heimatvertriebenen den primitivsten Dingen des menschlichen Daseins überhaupt: Kleidung, Nahrung, Arbeit und Wohnung. Unter den Erwerbslosen stellen die Flüchtlinge den größten Teil dar. Viele von ihnen, die über ausreichende Fähigkeiten ver-
fügen, wohnen auf Einödshöfen und in unwegsamen Dörfern. Diese Menschen sind verbittert, weil sie glauben, bei jeder Bewerbung, bei jedem Anspruch auf irgendeine Stellung von vornherein benachteiligt zu werden.
Es, ist der Sinn der Drucksache Nr. 88, diesen Heimatvertriebenen die Gewißheit zu geben, daß wir sie nicht weiterhin mit leeren Redensarten abspeisen wollen, sondern daß sie einen Rechtsanspruch darauf haben, in die Stellen, die die Bundesrepublik in ihren Ämtern zu vergeben hat, einbezogen zu werden. Diesem berechtigten Wunsch ist bereits durch einen Antrag der CDU/CSU- Fraktion Rechnung getragen worden. In ihm ist empfohlen worden, Heimatvertriebene in alle Behörden des Bundes bevorzugt einzustellen. Wir haben diesen Antrag begrüßt, halten ihn aber als eine unter Umständen wenig verbindliche Empfehlung nicht für ausreichend. Es könnte sein, daß dieser Antrag in der Praxis nur rhetorischen Wert behält. Wenn man den Heimatvertriebenen einen Stellenanteil gemäß ihrem Anteil an der Bevölkerungszahl zubilligt,
dann wird man ihnen von vornherein dasGefühl
nehmen, daß sie wieder nur mit Redensarten bedacht werden, und dann können sie auch gut und gern darauf verzichten, daß sie „bevorzugt" behandelt werden. Der Anteil der Vertriebenen in Westdeutschland beträgt nach unseren Ausrechnungen etwa 17 Prozent. Es ist also Rechtens, wenn man ihnen beim Aufbau der Bundesbehörden eine Quote von mindestens 15 Prozent zubilligt. Ich verspreche mir hiervon eine gewisse Beruhigung auf dem Flüchtlingssektor, da durch klare Bestimmungen jeder Verdacht beseitigt wird, als wolle man die Empfehlungen nur dazu benutzen, den Flüchtlingen Sand in die Augen zu streuen.
Der Einwand, durch eine festgelegte Quote würde man erreichen, daß weit weniger Heimatvertriebene bei den Behörden eingestellt werden, ist nicht stichhaltig, denn selbstverständlich ist dem sozialen Verständnis nach oben keine Grenze gesetzt. Allerdings kommt es nicht nur darauf an, daß die Quote eingehalten wird, sondern in erster Linie darauf, daß die Quote innerhalb der einzelnen Berufssparten, innerhalb der einzelnen Beamten und Angestellten überwacht wird; sonst könnte es sein, wie es in Bayern der Fall ist, daß in vielen Behörden zwar die Flüchtlingsquote erfüllt ist, daß sie sich aber meistens nur auf die Kategorie der Putzfrauen und kleinen Angestellten erstreckt. Ich glaube, daß auch sonst die Heimatvertriebenen bei einer Quotenfestlegung beruhigt sein würden. Wenn es möglich ist, daß in einem Land oder von einer Partei allen Ernstes vorgeschlagen wird, man möge die Heimatvertriebenen zum zweiten Mal vielleicht unter dem Schutz von Polizeibütteln austreiben, dann wird es noch viel eher vorkommen können, daß man sie aus nichtigen Gründen aus ihren Ämtern verjagt.
Wenn Sie der Drucksache Nr. 88 Ihre Zustimmung geben, dann bin ich überzeugt, daß wir dadurch einen wirksamen Beitrag zur Solidarität des deutschen Volkes überhaupt erzielen. Ich glaube die Kluft zwischen Einheimischen und Hinzugekommenen zu beseitigen und zu verengen, muß eine der vornehmsten Aufgaben dieses Hauses sein. Man sollte den Ausgewiesenen nicht vergessen, daß sie nicht — wie vielfach erwartet — ein Element der Unruhe, ein radikales Element in den deutschen Ländern geworden sind, trotz der ungeheuren leiblichen und seelischen Belastung, die sie ertragen haben; man sollte immer daran denken, daß gerade die Heimatvertriebenen trotz allen unermeßlichen Leids ihr Vaterland aus heißem Herzen lieben. Über ihnen steht das Wort des Arbeiterdichters Bröger, daß Deutschlands ärmster Sohn auch sein getreuester ist.