Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache Nr. 61 beinhaltet einen Antrag, die Regierung zu ersuchen, ein Gesetz einzubringen, um eine gerechte Verteilung der Heimatvertriebenen in den elf Ländern der Bundesrepublik durchzuführen. Es liegen eine Anzahl von Anträgen vor, die diese Materie im gleichen Sinne behandelt haben möchten. Es ist Ihnen allen bekannt, daß seit Monaten ein Gespräch zwischen den Flüchtlingsverwaltungen der elf deutschen Länder geführt wird, um diesem Problem beizukommen Sie wisse daß seit Monaten eine Konferenz die andere jagt. Wir müssen aber feststellen, daß wir über das bisherige Ergebnis schwer enttäuscht sind. Man hat sich darauf geeinigt, die Umsiedlung von 120 000 Vertriebenen aus den drei überbesetzten Ländern: Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern nach einem Schlüssel 2 zu 1 zu 1 durchzuführen. Dieses Programm ist nach langen bürokratischen Komplikationen heute zu 20 Prozent erledigt. Die Umsiedlung ist lediglich abgeschlossen nach dem Land Württemberg-Hohenzollern; die Aktion nach dem Land Südbaden ist im Laufen, die Aktion nach dem Land RheinlandPfalz kann nicht in Fluß kommen. Dabei handelt es sich um eine derart brennende Frage für die überbelasteten und übersetzten Länder, daß tatsächlich so schnell wie möglich etwas geschehen muß.
Die Länder an der Grenze haben durch die Umsiedlung der vorher genannten 20 Prozent des ersten Umsiedlungsprogramms keine Entlastung erfahren. Das liegt daran, daß ja der laufende Zustrom aus der Ostzone viel größer ist als die mäßige Abgabe, die die Umsiedlungsaktion bisher gebracht hat. Meine Damen und Herren, ich spreche hier nicht aus der Peripherie, sondern ich stehe mitten drin in diesen Sorgen des Landes Niedersachsen. Lassen Sie mich aus der Kenntnis dieser Dinge einige Zahlen nennen. Das Land Niedersachsen ringt in seiner Landesverwaltung, im Flüchtlingsministerium, in den Kreisen und in den Gemeinden seit Monaten darum, wie es dieser ungeheuren Sorge Herr werden kann, die durch den dauernden Zustrom aus dem Osten erwächst. Das Land Niedersachsen hat im Juli d. J. zu einer harten und drastischen Maßnahme greifen müssen: zur zeitweisen Schließung des Übergangslagers Uelzen. Wir haben uns im Flüchtlingsausschuß des Landtags Niedersachsen und im Niedersächsischen Landtag nur schweren Herzens zu dieser Maßnahme entschlossen, aber wir mußten es tun, um dadurch die anderen Länder an ihre Solidaritätspflicht zu mahnen, ihnen zuzurufen, daß sie teilhaben müssen an dieser Not unserer deutschen Menschen, die aus dem Osten kommen, die an Leib und Seele gefährdet sind und im Westen eine Zuflucht suchen. Wir im Lande Niedersachsen waren nicht mehr in der Lage, sie unterzubringen.
Dann kam die Übernahme des Lagers Uelzen durch die Länderkommission. An dieser Kommission sollten alle Länder beteiligt sein, aber bis heute sind es erst acht von den elf Ländern. Man einigte sich schließlich darauf, daß monatlich 2800 Flüchtlinge aus der Ostzone aufgenommen werden sollen. Die Verteilung sollte wieder nach einem anderen Schlüssel erfolgen. Was aber hat sich inzwischen ergeben? Seit den Tagen, da der eigene Oststaat ausgerufen wurde, beträgt der tägliche Zustrom im Lager Uelzen zwischen 500 und 700 Personen. Die Not ist unerhört groß. Die Quote von 2800, die monatlich aufgenommen werden können, ist in wenigen Tagen erschöpft. Nun besteht die ungeheure Sorge, wo und wie die anderen Menschen, die da herüberkommen und nicht registriert werden oder nicht registriert werden können, untergebracht werden sollen. Sie gehen auch trotz Abweisung nicht mehr zurück und versickern zu Tausenden illegal in den Ländern an der Zonengrenze und werden durch diese Illegalität auch zu einer großen Gefahr.
Das sind Fragen, die alle Deutschen heute berühren. Es dürfen nicht Fragen und Sorgen des einen oder anderen Grenzlandes bleiben. Was sich in Uelzen abspielt, spielt sich in gleichem Maße im Durchgangslager Gießen, im Durchgangslager Moschendorf und auch im Lager Friedland in Niedersachsen ab. Wenn ich dann noch das Lager Poggenhagen erwähne, in dem Jugendliche unter 18 Jahren, die die 600 Kilometer lange Grenze Niedersachsens aus der Ostzone überschreiten, aufgenommen werden, die nicht überprüft werden, so können Sie ermessen, wie ungeheuer groß die Not ist, die zu einem Ausgleich der Vertriebenen und einer gerechten Verteilung auf alle Länder drängt.
Diese gerechte Verteilung ist aber noch aus einem anderen Grunde äußerst dringend und notwendig. Die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben heute einen Vertriebenenanteil an der Gesamtbevölkerung, der im Landesdurchschnitt zwischen 38 Prozent - bei Schleswig-Holstein — und 33 Prozent — bei Niedersachsen — liegt. Die nördlich gelegenen Landkreise Niedersachsens sind aber zu 45 bis 50 und teilweise sogar über 50 Prozent mit Flüchtlingen belegt. Diese Gebiete waren in normalen Zeiten rein landwirtschaftliche Gebiete, wo 70 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebten und nur 30 Prozent in der gewerblichen und industriellen Wirtschaft beschäftigt waren. Die Industrie dieser Landstriche in Schleswig-Holstein und an der Wasserkante, also das Gebiet an der Küste von Emden über Wilhelmshaven, Cuxhaven bis Kiel, war zum großen Teil die Industrie des Schiffsbaus für die Kriegsmarine und Handelsschiffahrt, oder es waren Zubringer-Industrien für die Werften. Diese industriellen Bezirke sind heute zerstört, gesprengt, sie existieren nicht mehr. Was an Ersatzindustrien hingebracht wurde, reicht bei weitem nicht aus, um die Menschen, die in dieses Gebiet hineingepreßt wurden, auch nur zum Bruchteil zu beschäftigen. Es gibt nur die eine Möglichkeit: Umsiedlung, um die Not und die Verbitterung, die in diesen Gebieten herrschen, zu mildern.
Lassen Sie mich zum Schluß als Begründung unseres Antrags noch eines kurz berühren. Wir bemühen uns als Deutsche um die Lösung dieses Problems. In der Aussprache zur Regierungserklärung wurde von fast allen Rednern aller Parteien das Flüchtlingsproblem aufgegriffen, und bei-
nahe alle haben erklärt, daß dieses Problem nicht zur Gänze aus deutscher Kraft allein gelöst werden kann, sondern daß wir die Hilfe der Welt in Anspruch nehmen müssen. Tatsächlich haben Menschenfreunde aus allen Nationen dieses Problem auf der Weltbühne zur Sprache gebracht. Das Gespräch über diese Schicksalsfrage wird nicht mehr verstummen. Kirchliche Organisationen, Kirchenfürsten und Staatsmänner haben Großes getan, damit diese Frage in der westlichen Welt in ihrem vollen Ausmaß bekannt wird. Menschen, die zu den Stämmen der Vertriebenen gehören, haben draußen in der Welt von unserem Schicksal und dem bitteren Unrecht, das an uns begangen wurde, Kunde gegeben, und sie haben Gehör gefunden. Wir hoffen, daß diese Hilferufe nicht vergebens sind.
Aber haben oder hätten wir als Deutsche ein Recht,' die Hilfe der Welt in diesem Maße in Anspruch zu nehmen, wenn wir nicht aus eigener Kraft alles unternehmen, um die Not zu mildern? Wie können wir von den anderen Verständnis für unsere Sorgen fordern, wenn wir nicht in der Lage wären, die Solidarität aller deutschen Länder bei der Ordnung dieser brennenden Aufgabe zu schaffen? Ist wirklich der gute Wille, eine gleichmäßige Verteilung der Lasten unter den Ländern herbeizuführen, vorhanden, dann wollen wir nicht nur reden, sondern wir sollten so schnell wie möglich handeln. Dieses schnelle Handeln muß sich bei allen bezughabenden Instanzen durchsetzen.
Wie Sie aus unserem Antrag ersehen, stellen wir uns den Ausgleich auf der Grundlage der Freiwilligkeit vor, das heißt ohne Zwang. Wir sind hier mit einem ähnlichen Ausgleichsantrag, der von der Bayernpartei kommt, Drucksache Nr. 23, nicht einverstanden. Dieser Antrag möchte wieder eine Kategorisierung der umzusiedelnden Menschen einführen. Der BP-Antrag fordert: die Heimatvertriebenen, die aus dem Gebiet ostwärts der OderNeiße-Linie stammen, sollen nach Norddeutschland, diejenigen, die aus dem Sudetenland oder aus Südosteuropa kommen, sollen in die süddeutschen Länder eingewiesen und umgesiedelt werden. Ich brauche gar nicht darauf hinzuweisen, daß die Durchführung dieser Idee unmöglich ist; denn es wäre ja ein Wahnsinn, heute 1 Million Schlesier, Pommern oder Ostpreußen, die in Süddeutschland leben, nach Norddeutschland umzusetzen.
Dieser Antrag riecht mir etwas nach den einstigen
Rassegesetzen, die wir von Nürnberg kennen, steht
auch im Widerspruch mit den Bestimmungen des
Grundgesetzes über die Freiheit der Menschen,
und von diesen Dingen distanzieren wir uns, das
sei hier ganz offen ausgesprochen, denn wir sind
Deutsche unter Deutschen und wollen es bleiben!
Wir lehnen diese Kategorisierung absolut ab, dieses Auseinanderreissen der deutschen Stämme oder dieses Ausspielen der Stämme gegeneinander.
Wir wollen unter keinen Umständen, daß irgendwie noch einmal eine Verfemung gewisser deutscher Volksgenossen eintritt.
In diesem Sinne nehmen wir entschieden gegen den Antrag der Bayernpartei in dieser Fassung Stellung, der auch bei der Umsiedlung staatliche Zwangsmaßnahmen in Anwendung bringen möchte.
Er ist ja auch im einzelnen gar nicht durchführbar; aber er zeigt so recht, welche Schranken und Hürden man aufrichten möchte, um unser gemeinsam leidendes Volk auseinanderzumanöverieren.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen. Ich ersuche Sie weiter, alles daranzusetzen, daß diese Schicksalsfrage unseres Volkes einer wirklichen Lösung zugeführt wird. Im besondern richtet sich aber meine Bitte an die Vertreter jener Länder, die als Aufnahmeländer in Betracht kommen, nicht nur hier im Hause für den Antrag zu stimmen, sondern auch in ihren Heimatländern ihren Einfluß geltend zu machen, damit die Durchführung dieser zu schaffenden gesetzlichen Regelung so schnell wie möglich erfolgen kann.