Meine Damen und Herren! Wer der Frage Berlins mit der unbedingt notwendigen Sachlichkeit gegenübertreten will, muß sich meines Erachtens von den Affekten freimachen, die wir bei einer politischen Rückschau in die Vergangenheit — zum Teil wenigstens — im Süden, im Westen und auch in Norddeutschland noch feststellen können. Diese Affekte verbinden sich mit dem Charakter Berlins als der Hauptstadt Preußens und der ehemaligen Monarchie der Hohenzollern. Wenn wir auch dem Bürgertum der mittelalterlichen Fischerstadt auf keinen Fall absprechen können, daß es Initiative entfaltet und Wagemut gezeigt hat, so ist doch die Stadt Berlin das, was sie vor ihrer Zerstörung war und im Laufe der Jahrhunderte geworden ist, nur dadurch geworden, daß sie Fürstenresidenz und Residenz der Hohenzollern war.
Es würde gut sein, wenn wir uns von diesen aus einer Rückschau herrührenden Affekten freimachen würden, damit wir dem gegenwärtigen Berlin mit der größten Sachlichkeit und Unbefangenheit gegenübertreten. Wir sollten uns im Hinblick auf die zu erwartende Entwicklung der Stadt Berlin, im Hinblick auf ihre Bedeutung für Deutschland und Europa von solchen Affekten freihalten und uns auf das Thema beschränken, über das Frau Louise Schroeder hier in solcher Meisterschaft vorgetragen hat, daß ich wohl sagen darf: einen besseren Anwalt als Frau Louise Schroeder konnte die Stadt Berlin wohl nicht hierher schicken.
Denn sie hat es verstanden, uns das, was Berlin in den letzten Jahren erduldet und geleistet hat, so lebendig vor Augen zu führen, daß man wohl nicht zu weit geht, wenn man sagt, daß das ein Heldenepos der Stadt Berlin der letzten Jahre genannt werden kann.
Um dieses Heldenepos nicht in seiner Auswirkung zu beeinträchtigen, möchte ich auf längere Ausführungen verzichten und mich darauf beschränken, drei Gesichtspunkte hervorzuheben. Wir sollten Berlin sehen erstens als eigenständigen Organismus, zweitens als Vorort des deutschen Ostens und drittens als neuralgischen Punkt Deutschlands und der Europapolitik. Gerade um das, was an der Betonung dieses dritten, aber auch des zweiten Punktes wichtig ist, nicht zu gefährden, möchte ich auf die Ausführungen hinweisen, die Frau Louise Schroeder über die letzten drei Jahre gemacht hat, und auch auf die Forderungen, die sie aufgestellt hat.
Diese Forderungen sind so klar umrissen und herausgestellt worden, daß es überflüssig ist, zu diesen Fragen noch weiteres zu sagen. Gelingt es uns, den eigenständigen Organismus der Stadt Berlin weiter zu beleben, erstens aus der eigenen Kraft der Stadt Berlin, zweitens aus der Unterstützung heraus, die Frau Louise Schroeder gefordert hat, und zwar nicht in der Form des Almosens, sondern in der Form wirtschaftlicher Hilfe, wirtschaftlicher Zusammenarbeit, dann werden wir auch die Erfüllung der zweiten Aufgabe vorbereiten können, daß nämlich Berlin, ähnlich wie vor etwa tausend Jahren Magdeburg der Vorort des deutschen Aufbaus im Osten war, jetzt wiederum Vorort des deutschen Ostens wird, wie diese Stadt es in den vergangenen Jahrhunderten, vor allen Dingen aber in den letzten Jahrzehnten gewesen ist.
Wer Gelegenheit hatte, Berlin vor seiner Zerstörung, in den Jahren zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, näher kennenzulernen, der wird mir zustimmen, wenn ich sage, daß diese Stadt Berlin mehr oder minder die Hauptstadt von Schlesien, von Ostpreußen, von Pommern und von Brandenburg gewesen ist und daß von dieser Stadt nicht nur sehr viele Verkehrslinien ausgingen, sondern auch ein wirtschaftlicher, ja auch ein geistiger Impuls nach dem Osten ausstrahlte und daß ohne Berlin dieser Osten und sein Wiederaufbau nicht zu denken ist.
Was nun die dritte Frage, Berlin als neuralgischer Punkt angeht, so möchte ich darum bitten und vor allen Dingen an die Antragstellerin die Bitte richten, daß mit Rücksicht auf diese außerordentliche Gefährdung des außenpolitischen Aspekts der Zusatzantrag, Berlin schon jetzt als Hauptstadt in Aussicht zu nehmen, zurückgezogen, zumindest aber dem Ausschuß überwiesen wird. Denn diese Frage bedarf einer sehr sorgfältigen Erörterung,
so daß wir von hier aus und aus dem Augenblick heraus diese Frage nicht entscheiden können.
— Wenn ich die Zwischenrufer richtig verstanden habe, darf ich wohl annehmen, daß dem entsprochen wird.
— Darf ich dann bitten, mir diesen Antrag von Frau Schroeder nochmals zu nennen?