Rede von
Dr.
Robert
Tillmanns
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Der Antrag Nr. 3, zu dessen Begründung die Frau Abgeordnete Schroeder gesprochen hat, enthält in seinem Kern die Bestätigung des Artikels 23 des Grundgesetzes. Dieser Artikel spricht aus, daß zu den Ländern, für die dieses Grundgesetz gilt, auch Groß-Berlin gehört. Diese Hinzufügung Groß-Berlins zu den Ländern der Bundesrepublik Deutschland ist seinerzeit im Parlamentarischen Rat von der Christlich-Demokratischen Union beantragt und mit überwältigender Mehrheit angenbmmen worden, und wir betrachten es als eine Selbstverständlichkeit, daß dies nach wie vor der Wunsch und der Wille des deutschen Volkes ist. Daß dieser Artikel bezüglich der Zugehörigkeit Berlins noch nicht verwirklicht werden konnte, lag nicht in unserer Hand, sondern an dem Votum der Militärkommandanten,
und wir sind uns auch darüber klar, daß seine endliche Verwirklichung eine Angelegenheit der großen politischen Auseinandersetzungen ist, die nun einmal noch über unserem Volke stehen. Aber das sollte uns nicht abhalten, diesen im Grundgesetz bekundeten Willen der Zugehörigkeit GroßBerlins zur Bundesrepublik Deutschland jetzt, wo dieser Bundestag an seine Arbeit geht, von neuem zu bekunden. Art und Tempo der Verwirklichung werden, wie ich schon sagte, von Umständen und Dingen abhängen, die nicht in unserer Hand liegen; aber dem Kerngehalt dessen, was hiermit zum Ausdruck gebracht ist, stimmt auch die Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union zu.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Art und Tempo der Verwirklichung liegen nicht in unserer Hand. Damit soll nicht gesagt sein, daß wir DeUtschen uns etwa in dieser wie in anderen grundlegenden Fragen unseres nationalen Lebens passive Beschränkungen auferlegen sollten; denn trotz aller Beschränkungen, unter denen wir stehen, fällt das, was das deutsche Volk in der Bekundung seines gemeinsamen politischen Willens denkt und fühlt, ins Gewicht.
Wir haben das in Berlin im letzten Jahre in der Zeit der Blockade erlebt. Gewiß, daß überhaupt Berlin durch diese Zeit hindurch gerettet werden konnte, haben wir in erster Linie der Luftbrücke und all der Hilfe zu verdanken, die hier aus dem Westen gekommen ist und für die der Dank schon ausgesprochen worden ist, dem wir uns herzlich anschließen. Aber alles das wäre nicht möglich gewesen ohne das spontane Bekenntnis der gesamten Berliner Bevölkerung und ohne den zähen Willen auch der großen Masse der Berliner Arbeiterschaft, Nein zu sagen zu dem totalen Zwang des Kornmunismus und sich zu dem Kampf um die Freiheit und Selbständigkeit unseres eigenen politischen Wollens und für die Zugehörigkeit Berlins zu Gesamtdeutschland zu bekennen.
Diese selbe Aktivität ist auch unsere Aufgabe und unsere Pflicht. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung schon gesagt, daß Berlin unter keinen Umständen — ich wiederhole: unter keinen Umständen! — im Stich gelassen werden kann.
Es kommt also darauf an, schnell und entschieden zu handeln. Dem sollte unser Antrag Nr. 12 dienen, in dem wir beantragt haben, sofort den Ausschuß Berlin zu bilden. Das ist gestern bereits geschehen. Damit ist dieser Antrag materiell erledigt. Ich darf mir aber erlauben, darauf hinzuweisen, daß wir in diesem Antrag zum Ausdruck gebracht haben, daß die bedrängte Lage Berlins und die Bedeutung Berlins für das gesamtdeutsche Schicksal die Sicherung des politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens dieser Stadt fordern und zu einer Aufgabe dieses Bundestages machen. Wir haben in diesem Antrag dargelegt — ich befinde mich da in weitgehender L bereinstimmung mii. der Frau Abgeordneten Schroeder —, daß es die wichtigste und vordringlichste Aufgabe dieses Ausschusses sein muß, abgesehen von der finanziellen Hilfe, die für die Verwaltung Berlin weiterhin notwendig sein wird, mit positiven und konstruktiven Maßnahmen dafür zu sorgen, daß das wirtschaftliche Leben Berlins wieder so in Gang gebracht wird, daß die Berliner Bevölkerung von dem Ertrag ihrer eigenen Arbeit ohne Hilfe leben kann. Die furchtbareArbeitslosigkeit führt ja nicht nur zu einer wirtschaftlichen Notlage, sondern bedeutet auch eine schwere seelische Bedrückung dieser Bevölkerung. In dem Zustand einer seelischen Bedrückung kann aber Berlin die Aufgabe, die ihm vom Schicksal zugewiesen ist, nicht erfüllen. Es kommt in erster Linie darauf an, daß die Arbeitslosigkeit durch Lieferung von Rohstoffen, durch Investitions- und Betriebskredite und alle weiteren Maßnahmen, die wir in unserem Antrag dargelegt haben, überwunden wird. Wir hoffen und wünschen, daß in Fortsetzung dessen, was bereits bisher von der Verwaltung für Wirtschaft unter der Leitung von Professor Erhard geschehen ist, auch weiter gehandelt wird. Wir richten den dringenden Appell an den Herrn Bundeswirtschaftsminister, alles in seiner Kraft Stehende zu tun, daß diese Aufgabe in positiver Weise bald erfüllt wird. Und wir hoffen, daß sich die Bundesregierung bald dazu entschließt, auch solche Bundeseinrichtungen und -behörden, bei denen es sachlich möglich und geboten ist, nach Berlin zu legen.
Meine Damen und Herren, der Antrag Drucksache Nr. 16, der vorhin von seiten der Fraktion der SPD begründet wurde, sagt inhaltlich im großen und ganzen dasselbe. Wir hoffen und wünschen, daß im Ausschuß Berlin Gelegenheit sein wird, über die Einzelheiten dieser Dinge zu sprechen, und beantragen daher die Überweisung dieses Antrags an den Ausschuß.
Die praktische Hilfe, die für Berlin notwendig ist, verlangt eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bund und seinen Behörden einerseits und dem Magistrat Berlins andererseits. Es ist vorhin schon in den Worten meines Herrn Vorredners zum Ausdruck gekommen, daß dieser engen Zusammenarbeit gewisse Hindernisse und vielleicht auch gewisse unterschiedliche Auffassungen im Wege
stehen. Es kann nicht geleugnet werden, daß die Art und Weise, in der bisher der Magistrat Berlins gewisse Fragen — auch der Wirtschaitspontikbehandelt hat, nicht immer von parteipolitischen Erwägungen und Einengungen frei war. Es muß auch gesagt werden, daß nicht an allen Stellen der Verwaltung ein Höchstmaß an Sachkenntnis und Fähigkeit gewaltet hat. Wir können nur dringend die Erwartung aussprechen, daß es sich der Magistrat Berlins von sich aus angelegen sein läßt, hier Wandel zu schaffen und dafür zu sorgen, daß das, was für Berlin notwendig ist, nicht dadurch leidet, daß drüben ein politisch anders fundierter Magistrat besteht, als es hier in der Bundesregierung der Fall ist. Es kommt darauf an, wirklich eine Koordinierung und eine enge vertrauensvolle Zusammenarbeit herbeizuführen, und zwar auch dadurch, daß sich Berlin von sich aus bemüht, möglichst in allen Punkten, wo es angängig ist, der Gesetzgebung dieses Bundestags dadurch Rechnung zu tragen, daß die Stadtverordnetenversammlung von Berlin ähnliche Rechtsverhältnisse schafft. Nur dann wird es möglich sein, daß eine wirklich enge Zusâmmenarbeit zwischen der Bundesrepublik und dem Magistrat Berlins zustandekommt. Wenn das geschieht, dann wird es — diese Hoffnung möchte ich aussprechen — überflüssig werden, in dem Sinn, wie es in dem Antrag der DP gedacht ist, von Kontrollen und Kommissaren zu sprechen. Ich möchte hoffen, daß diese enge Zusammenarbeit zustandekommt, bei der, wie ich glaube, insbesondere auch der Christlich-Demokratischen Union, wenn sie auch in Berlin eine Minderheitspartei ist, ein wichtiger Anteil zufällt. Auf diese Art wird es möglich sein, in anderer Weise sicherzustellen, daß eine Wirklich sachgemäße und äußerst sparsame Verwendung derjenigen Mittel, die nach Berlin kommen, gewährleistet wird.
Meine Damen und Herren, es ist erforderlich, die Frage Berlin — und ich sage sofort dazu: die Frage Gesamtdeutschland; denn die beiden Fragen gehören aufs allerengste zusammen — auf möglichst breiter Basis hier in diesem Hause zu behandeln, das heißt auf einer Basis, auf der möglichst alle Parteien dieses Hauses zusammenstehen. Ich begrüße daher die Ausführungen, die gestern von Herrn Professor Schmid in diesem Sinn gemacht worden, sind. Es ist aber bedauerlich, daß Herr Dr. Schumacher in seinen Ausführungen am Mittwoch voriger Woche geglaubt hat, den Parteien außerhalb der SPD in Berlin und im Osten mangelnde Festigkeit gegenüber dem totalen Machtanspruch des Kommunismus vorwerfen zu können. Das heißt, daß er gleichzeitig für die SPD offenbar in Anspruch nehmen wollte, daß sie allein den Anspruch auf die Festigkeit dieser politischen Haltung erheben kann. Das hat Herrn Dr. von Brentano zu gewissen Richtigstellungen veranlaßt, die notwendig, aber nicht von uns gewünscht waren. Herr Ollenhauer hat sich in seinen Ausführungen dadurch seinerseits veranlassen lassen, nochmals darauf hinzuweisen, daß eben doch die ChristlichDemokratische Union auch heute noch in der Ostzone Verantwortung trage und daß, soweit Trennung erfolgt sei, sie nur durch Zwang der Besatzungsmächte erfolgt sei; weiter daß das, worauf Herr von Brentano hingewiesen hat — nämlich der Akt der vereinigten Hände vom Frühjahr 1948 —, nur unter Zwang und unter Druck erfolgt sei.
Meine Damen und Herren, diese Darstellung kann nicht unwidersprochen bleiben, denn sie ist unrichtig. Es ist nicht richtig, daß die ChristlichDemokratische Union solange in der Ostzone gearbeitet habe, bis sie herausgeworfen worden sei, sondern wir haben in einem klaren politischen Akt, als wir im Dezember 1947 veranlaßt werden sollten, durch das Mittel des Volkskongresses uns mit zum Träger einer verfälschten Einheitsparole zu machen, Nein gesagt.
Wir haben alle Folgen dieses Neins in klarer politischer Erkenntnis unserer Situation und unserer Aufgabe auf uns genommen
Was heute noch in der Ostzone an CDU besteht, ist, soweit es die Führung betrifft, von uns getrennt, und es ist einfach eine Verwischung der Tatsachen, wenn man das nicht sehen will. Die große Menge der Mitglieder und Anhänger der ChristlichDemokratischen Union in der gesamten Sowjetzone Deutschlands steht allerdings fest und ungebrochen zu uns, zu unserer politischen Arbeit und Überzeugung!
Wenn Herr Ollenhauer hier erklärt hat, daß der Zusammenschluß zwischen SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei im Frühjahr 1947-nur unter Zwang und Druck erfolgt sei, so ist dazu zu sagen: dieser Zwang und Druck mag für einen großen Teil der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei in den Ländern der Sowjetzone zugegeben werden, aber er kann nicht zugegeben werden für Berlin.
Für Berlin hat dieser Zwang und Druck nicht bestanden. Ich berufe mich dabei auf die Meinung und Äußerung einer so wichtigen und für die SPD maßgebenden Zeitung, wie es der „Telegraf" in Berlin ist. Der „Telegraf" in Berlin, dessen einer Lizenzträger als Mitglied in unserem Hause sitzt, hat seinerzeit, als diese Frage bei den Wahlkampfen im August eine Rolle gespielt hat, geschrieben — ich bitte um die Erlaubnis, zitieren zu dürfen —:
. . . . daß die meisten Sozialdemokraten nach den Lehren, die sich aus dem Zusammenbruch der Weimarer Republik ergaben, in einer Arbeiterpartei die Voraussetzung für die Konsolidierung der politischen Verhältnisse in einer neuen demokratischen Republik sahen. Dieser ehrlichen Überzeugung sind sie auch dann noch gewesen, als die Verschmelzung in der Ostzone unter Umständen vor sich ging, die einer Überrumpelung gleichkamen. Die meisten von ihnen, bis auf die, die aus Ehrgeiz oder anderen Motiven handelten, haben ihren Irrtum bald eingesehen. Ein politischer Irrtum ist noch keine Schande.
Ich habe diesen Worten nichts hinzuzufügen, aber es bleibt ein Irrtum und, wie ich hinzusetze, ein äußerst verhängnisvoller Irrtum. Es wäre manches, vielleicht sogar sehr viel in der Entwicklung der letzten fünf Jahre nicht nur in der Sowjetzone Deutschlands anders gelaufen, wenn dieser verhängnisvolle Irrtum im Mai 1946 nicht passiert wäre.
Es ist nie ein Verbot ergangen, sondern die Sozialdemokratische Partei hat im Mai 194r durch ihre
damals maßgeblichen Vertreter den Händedruck
vollzogen. Wir hätten diese Frage — das betone ich nochmals — von uns aus nicht angeschnitten, und wir haben auch nicht den Wunsch, sie weiter zu vertiefen, wenn das nicht von Ihrer Seite aus geschehen wäre. Ich kann nur die Hoffnung aussprechen, daß es nicht notwendig ist, weiterhin noch einmal diese Frage zu behandeln, die in der Vergangenheit liegt und die wirklich nun einmal in der Vergangenheit belassen werden sollte.
Wir werden uns immer wieder dagegen wenden, wenn die Sozialdemokratische Partei versucht, mit derartigen Ausführungen einen Monopolanspruch für sich für eine politische Haltung zu erheben, der ihr nicht zukommt.
— Herr Professor Schmid, Sie haben eben erklärt, daß Sie auf diese Angelegenheit noch einmal zurückkommen würden. Wir werden dann Gelegenheit haben, darüber weiter zu sprechen.
Meine Damen und Herren! Die Frage Berlin ist der Angelpunkt unserer Aufgaben und Bemühungen um die staatliche Zusammenfügung aller deutschen Länder, und auch die fünf Länder der Sowjetzone sind deutsche Länder. Sie ist , gleichzeitig auch der Angelpunkt der Bemühungen um Europa. Denn Europa wird so lange nicht möglich sein und so lange unter äußersten Schwierigkeiten stehen, wie seine Grenzen kurz nördlich von Würzburg, kurz östlich von Göttingen oder in den Vorstädten von Lübeck liegen. Es handelt sich darum, die Frage Berlin als die Schicksalsfrage unseres Volkes zu sehen. Deswegen sind wir dem Herrn Bundeskanzler dankbar, daß er erklärt hat: in Europa wird keine Ruhe eintreten, wenn die Teilung Deutschlands nicht verschwindet. Darin ist sich — das hat sich aus den bisherigen Debatten ergeben — dieses Haus wohl in seiner überwältigenden Mehrheit einig. Diese Tatsache bedeutet eine große Ermutigung für die Menschen in Berlin und in der Sowjetzone Deutschlands. Denn Berlin ist das Unterpfand dieser einst kommenden Zusammenfügung. Es ist das Unterpfand eines Deutschland, das in seiner Gesamtheit in Selbständigkeit und Freiheit seine politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung bestimmen wird.
Das bedeutet keine außenpolitische Rückenwendung gegen den Osten. Wir in der Sowjetzone und in Berlin wollen das am allerwenigsten. Wenn die Frau Abgeordnete Wessel davon gesprochen hat, daß unsere politischen Bemühungen sowohl dem Osten wie dem Westen gelten, so stimmen wir dem durchaus zu. Es handelt sich aber darum, daß sich diese Beziehungen nicht so entwickeln, daß wir die Befehlsempfänger gegenüber einem absoluten ideologischen und politischen Machtanspruch sind. Wir. wollen uns demgegenüber bemühen und versuchen, Partner einer friedlichen europäischen Ordnung zu werden. Das — und das allein — ist das Ziel unseres Widerstandes in Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun, wie es im Ausland gelegentlich gesagt wird. Wir verteidigen nichts anderes als die elementaren Gegebenheiten unseres Lebens. Wir verteidigen nichts anderes als die einfachsten
Menschenrechte, die wir allerdings auch für uns als Deutsche des Ostens in Anspruch nehmen.
Der Existenzkampf Berlins hat auch innerpolitisch nichts mit Zentralismus zu tun, wie es hier von dem Sprecher der Bayernpartei vor einigen Tagen angedeutet wurde. Er hat geglaubt, diesen Kampf Berlins in Verbindung bringen zu sollen mit alten preußischen Vormachtsvorstellungen oder mit Vorstellungen eines zentralistischen Staatsaufbaus. Wir wollen doch eine solche Verwechslung nicht vornehmen! Gesamtdeutsches Wollen hat nichts mit Zentralismus zu tun. Gewiß, Berlin ist in der Vergangenheit wohl der Sitz preußischer Politik, und wir setzen hinzu, preußischer Machtpolitik gewesen. Aber vergessen wir doch nicht, daß seitdem eine tiefe Zäsur unseres gesamten politischen und nationalen Lebens eingetreten ist. Das, was Berlin in den letzten Jahren erlebt hat, bedeutet einen so vollständigen Niederbruch und einen so vollständigen Neuanfang, daß wir wirklich nur darum bitten können: Beurteilt Berlin ausschließlich nach den gegenwärtigen neuen Kräften, die sich dort entwickeln! Wir kämpfen dort wahrhaftig nicht u x Zentralismus und neue Machtgeltung. Wir kämpfen dort ganz einfach um unser Leben. Wir kämpfen darum, daß eine demokratische Ordnung auch dort gesichert und gewährleistet bleibt, um weiter gar nichts. Wir bejahen den Grundgedanken des Föderalismus als die politische Konzeption, die die politischen Gewichte möglichst weit nach unten, in die Länder und in die Gemeinden, verlegt und nichts Überflüssiges zentralisieren will. Aber wir möchten wünschen, daß der Begriff Föderalismus bei uns allen auch in seinem positiven Gehalt gesehen wird. In der Geschichte der Vereinigten Staaten von Nordamerika waren im 18. Jahrhundert, als es zum Zusammenschluß der Einzelstaaten kam, die Föderalisten diejenigen, die den Zusammenschluß im Bunde wollten.
Sie nannte man damals Föderalisten, und die anderen, die ihn nicht wollten, waren die Gegner der Föderalisten. Wir im Osten möchten allerdings auch in Deutschland den Begriff Föderalismus in diesem seinem positiven Gehalt bewertet und angesehen wissen. Sie werden verstehen, daß gerade vom Standpunkt des Ostens aus ein allzu lockerer Bund für uns nicht die Stütze und Hilfe ist, die wir wollen. Ein Bund, der letzten Endes den Ländern drüben keine effektive Stütze und Hilfe sein könnte, wäre nicht das, was gerade der Osten braucht. Deswegen unser Verlangen nach einem wirklich lebensfähigen Bundesstaat. Noch einmal: Beurteilen wir die Frage Berlin nicht immer aus der Vergangenheit heraus, vor allem nicht in einer Situation, wo ein bitteres und furchtbares Schicksal diese Vergangenheit endgültig zertrümmert hat, sondern beurteilen wir die Frage Berlin und Osten nur aus den Gegebenheiten des gegenwärtigen Schicksalskampfes, der dort von dem deutschen Volk geführt wird!
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundespräsident hat in der Ansprache, die er nach seiner Wahl hier vor der Bundesversammlung gehalten hat, der Auffassung Ausdruck gegeben, daß die Demokratie in Deutschland nur deswegen zu einer so schwächlichen Entwicklung gekommen ist, weil sie niemals erkämpft wurde, sondern im allgemeinen dem Volke als das Ergebnis einer Niederlage beschert wurde. Das mag im ganzen richtig sein. In Berlin ist ein neues Kapitel der Geschichte der deutschen Demokratie aufgeschlagen. Dort drüben
in Berlin und in der Sowjetzone haben zum ersten Male Deutsche um ihre Demokratie gekämpft,
und bisher haben sie diesen Kampf bestanden.
Wir bitten um nichts anderes, als daß das gesamte deutsche Volk die große politische Schicksalsbedeutung dieses Kampfes sieht. Aus den harten Erfahrungen der letzten Jahre ist dort eine neue politische Gesinnung entstanden. Ich glaube, wenn einmal das deutsche Volk sich wieder in einem gemeinsamen Staate zusammenfindet, dann werden wir feststellen, daß die 21 Millionen Deutschen da drüben die besten Träger einer neuen deutschen Demokratie sein werden, die überzeugtesten Kämpfer dafür, daß wir unser staatliches Leben zusammen ordnen wollen unter Zusammenfassung der beiden wichtigsten tragenden Elemente, der Freiheit einerseits und der sozialen Gerechtigkeit andererseits.
Ich bin weiter der Ueberzeugung — das möchte ich' allen denen sagen, die Sorge um Europa haben, wenn sie die Fragen Gesamtdeutschlands bedenken —, daß diese 20 Millionen da drüben auch die treuesten Anhänger eines vereinten Europas sein werden; denn sie haben da drüben am eigenen Leibe erfahren, welches die tragenden Werte dieses Europa sind; sie wissen aus der Erfahrung, was es heißt, sein Leben führen zu können in einer Ordnung, in der die Achtung vor der Person und die Anerkennung der Menschenrechte tragende Fundamente sind. Es scheint mir alles darauf anzukommen, diese deutsche Bundesrepublik so zu entwickeln, daß sie in diesem Sinne eine starke Anziehungskraft wird für das gesamte deutsche Volk auch jenseits des Eisernen Vorhangs. Das geht nicht in Resignation vor allen möglichen Gefahren, sondern nur mit einem positiven Mut und einem aktiven Vertrauen in die Zukunft unseres Volkes, die uns bald in einen gemeinsamen Staat zusammenführen wird.