Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus nicht durch lange Ausführungen bemühen; aber es handelt sich hier um eine Frage von solcher Bedeutung, daß ich namens meiner Fraktion unsere grundsätzliche Auffassung zum Ausdruck bringen muß. Die Deutsche Partei legt besonderen Wert darauf, daß in der Frage Berlin in besonderer Weise verfahren wird. Sie möchte jede erregte Erörterung über dieses Problem vermeiden und in ruhiger Abwägung aller Umstände
ein Ergebnis suchen, das Berlin für dauernd und mit höchstmöglicher Wirksamkeit hilft. Es genügt nicht eine Demonstration des guten Willens, notwendig ist hier die Verwirklichung, die Tat.
Der Herr Abgeordnete Professor Schmid hat gestern ausgeführt, daß wir uns über die uns gegebenen Mittel der Politik klarwerden müßten. Die dauernde wirksame Hilfe für Berlin ist ein solches Mittel, um die Wiedervereinigung Deutschlands Schritt für Schritt herbeizuführen. Es wäre der hohen Bedeutung des Freiheitskampfes der Berliner Bevölkerung nicht angemessen, wenn ich versuchen wollte, die Charakterfestigkeit, den Mut, die Tatkraft, die Nervenbelastung, die Leistungen jedes einzelnen Berliners für uns alle in Deutschland mit schmückenden Worten zu versehen. Berlin, diese zähe und tatkräftige Stadt, die aus unserem deutschen Leben nicht fortzudenken ist, hat für ganz Deutschland gelitten und gehandelt. Der Freiheitskampf Berlins wird stellvertretend für alle in West und Ost geführt. So ist Berlin die Hauptstadt des Deutschen Reiches, weil sich in dem Dasein in dieser Stadt das deutsche Leben integriert und der Pulsschlag unseres gemeinsamen Schicksals spürbar ist. Dazu müssen wir uns bekennen und ganz dahinterstehen. Darin manifestiert sich unsere Gemeinsamkeit, unser eigentlicher gesamtstaatlicher Zusammenhang vor uns selbst und vor der Welt. Deshalb sind wir der Auffassung, daß alles, was für Berlin geschieht, zugleich für die Mittel- und Ostzone geschieht. Ich gebrauche hier mit aller Absicht den Ausdruck Mittelzone, denn die sowjetisch besetzte Zone umfaßt Mitteldeutschland. Ostdeutschland beginnt erst ostwärts der Oder.
Berlin ist für uns nicht nur Westberlin, sondern ganz Berlin. Diese isolierte, zertrümmerte und zerrissene Stadt, die so oft im vergangenen Krieg eine riesige rauchende Ruine war, ist ein Sinnbild für Deutschlands Situation, nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas und der ganzen Welt, die in ihrer Zerrissenheit und Hilflosigkeit mit den internationalen Spannungen und Ungereimtheiten nicht fertigzuwerden vermag. Das Ringen um Berlin ist ein Ringen um den Frieden. Darum ist es eine der wichtigsten Aufgaben, daß wir diese Stadt wieder lebensfähig machen. Wir haben nicht das Recht auf einen höheren Lebenszuschnitt, solange eine Stadt wie Berlin notleidend ist.
Und nun noch eines. Die Berliner Frage darf unter gar keinen Umständen dazu benutzt werden, um uns in Form irgendeiner Parteigängerschaft in das Spannungsfeld zwischen Os? und West hineinzuschalten. Solange wir nicht ein wirklicher Staat sind, das heißt ein Staat, der das Gewicht hat, sich nach innen und außen zu verwirklichen, um sein Dasein zu erhalten, solange wir Objekt der Politik sind und mühsam darum ringen, wieder Subjekt zu werden, ist solche Parteigängerschaft absolut unangemessen. Darum haben wir die Berliner Frage in erster Linie als eine innerdeutsche Angelegenheit zu sehen.
Die Deutsche Partei warnt vor allen Überhitzungen, die als Provokation gegenüber der Sowjetunion verstanden werden könnten. Herr Professor Schmid sprach vom Rotkäppchen und vom Wolf. Ich meine, wir sollten nicht den Versuch machen, uns als die Bremer Stadtmusikanten aufzuführen. Wir haben den Frieden zu stärken und nicht den Krieg. Wir wünschen Vermeidung aller außenpolitischen Provokationen in Wort und Schrift. Wir wünschen aber auch Vermeidung alles dessen, was die Berliner Angelegenheit zur Domäne einer bestimmten Partei machen könnte.
In Berlin haben alle mitgewirkt, und alle Kräfte in Deutschland wollen nun diese Stadt festigen und ihrer Bevölkerung die Lasten und Entbehrungen erleichtern. Darum legen wir großen Wert auf eine etwas stillere, aber um so tatbereitere Methode in dieser ganzen Angelegenheit.
Professor Schmid sprach gestern von der Notwendigkeit einer aktiven Staatspolitik im Hinblick auf Berlin. Realistisch gesehen ist West-Berlin noch nicht Berlin, und die staatspolitische Aktivität müßte auf die Wiedervereinigung der ganzen Stadt, die Gewährleistung der persönlichen Freiheit und der demokratischen Willensbildung vorausgesetzt, gerichtet sein. Erst dann haben wir die Voraussetzung für eine Verwirklichung des Artikels 23 des Grundgesetzes, auf die wir hinzuarbeiten haben.
Unter diesen Gesichtspunkten billigt die Deutsche Partei die gestellten Anträge. Sie stellt aber mit Rücksicht auf die große außenpolitische Tragweite der Drucksache Nr. 3 den Antrag, diese Angelegenheit an den Ausschuß für auswärtige An-
gelegenheiten und an den Ausschuß für Berlin zu überweisen.
— Ich möchte das präzisieren, was ich gesagt habe, damit nicht ein falscher Eindruck entsteht. Nach dem, was ich vorhin ausgeführt habe, daß nämlich Berlin eine innerdeutsche Frage sei, wäre es doch eine völlig unfaire Unterstellung, mir in den Mund zu legen, ich sehe die Berliner Angelegenheit als eine auswärtige Angelegenheit an. Die Wahrheit ist doch die folgende. Es werden dadurch Fragen von größter Tragweite berührt, und es gehört zu den Gepflogenheiten eines vernünftig arbeitenden Parlaments, daß diese Dinge gründlich untersucht und erwogen werden. Wir können doch solche Fragen, an denen praktisch das gesamte Schicksal Deutschlands und Europas hängt, nicht aus irgendeiner emotionalen Übersteigerung heraus nun plötzlich — —
— Wir können doch eine solche Frage nicht so überstürzt formulieren. Wir haben sie sorgfältig zu prüfen. Das ist unsere Pflicht als Deutsche. Wer mir hier unterstellen will, daß ich in der Frage Berlin — —
— Mehrere Generationen meiner Familie haben dort gelebt, und ich selbst stamme aus dieser Stadt.
Wer mir unterstellen will, daß ich hier in meinen Worten nicht den deutschen Interessen dienen will, der übersieht bewußt, was ich gesagt habe.