Meine Damen und Herren! Ich möchte namens der Zentrumsfraktion, nachdem das- Demontageproblem von meinen Vorrednern bezüglich der Sachverhältnisse so ausführlich behandelt worden ist, nur noch einige Punkte hervorheben, die meiner Fraktion hinsichtlich der politischen Stellungnahme doch wichtig erscheinen. Ich möchte vor allem betonen: auch wir sind der Auffassung, daß unser Protest, der so allgemein in diesem Hohen Hause zutage getreten ist, nicht das mindeste mit nationalistischen Tendenzen zu tun hat, sondern daß hier zwingende wirtschaftliche und politische Überlegungen zu berücksichtigen sind. Wenn im Ausland der Eindruck erweckt würde, die deutsche Stellungnahme gegen die Demontage bezwecke nur, irgendwie nationalistische Meinungen zu äußern, dann sieht man die deutsche Situation völlig falsch. Es geht mit der Demontage ähnlich wie mit dem Versailler Friedensvertrag. Schon wenige Jahre nach Versailles dämmerte in alliierten Kreisen die Erkenntnis, daß durch diesen Vertrag nicht der echte und dauerhafte Friede geschaffen worden war. Innerdeutsch brachte er dem Rechtsdikalismus einen für die Welt verhängnisvollen Auftrieb. Einer der Väter dieses Vertrages, nämlich Lloyd George, war einer der ersten, der für seine Revision eintrat. Ich glaube deswegen, wir müßten aus diesen Erfahrungen in Deutschland — aber nicht nur wir, sondern vor allem die ausländischen Staaten — erkennen, daß heute das größte Hindernis für die europäische Verständigung die erneut vorgenommenen Demontagen sind. Wir wollen uns auch darüber klar sein, daß die Demontagen in weitestem Maße ebenfalls dazu beitragen, dem Rechtsradikalismus in Deutschland wiederum einen verhängnisvollen Auftrieb zu geben; denn es stellt sich immer mehr heraus, daß nichts verhängnisvoller ist, als wenn staatsmännische Unvernunft den radikalen Elementen die Möglichkeit einer Agitation mit durchaus berechtigten und vernünftigen Folgerungen gibt.
In diesem Hohen Hause ist heute mit durchschlagenden Argumenten die wirtschaftliche Unvernunft der Demontage dargelegt worden. Ich meine, man könnte es nicht genug herausstellen, daß die Demontage im Widerspruch zur Montage des Marshallplans steht. Wenn ich einmal darauf hinweisen darf, was von meinem Vorredner, dem Herrn Kollegen Dr. Lehr, hinsichtlich der AugustThyssen-Hütte gesagt worden ist, wenn wir daran denken, daß der Abbau der Thyssen-Hütte 65 Millionen D-Mark und der Wiederaufbau. der vorgesehen ist, rund 300 Millionen D-Mark kostet, dann betragen die Umsetzungskosten für dieses Werk allein 365 Millionen D-Mark, ganz abgesehen davon wie von Herrn Dr. Lehr dargelegt worden ist, in welchem Maße gerade dieses Werk für die Existenz der deutschen Industrie bedeutungsvoll ist. Ich darf zu dem Vorschlag, den er gemacht hat, auch noch darauf hinweisen, daß von dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen der ausgezeichnete Vorschlag gemacht worden ist, aus der August-Thyssen-Hütte ein Gemeinschaftswerk für die europäische Jugend zu gestalten. Es' kann doch im Hinblick auf die europäische Notwendigkeit nur als eine politische Torheit bezeichnet werden, daß 7000 Arbeiter der AugustThyssen-Hütte durch die Demontage brotlos werden.
Wenn ich am Abschluß unserer heutigen Beratung zu dieser Frage Stellung nehme, sei es mir gestattet, die politische Auswirkung der Demontage noch einmal herauszuheben; denn man hat nicht umsonst gesagt, daß die Demontage deutscher Fabriken, die keine Rüstungswerke sind, eine Demontage der Demokratie bedeutet. Wer als deutscher Demokrat 1945 in dem von Hitler hinterlassenen Chaos bereit gewesen ist, in absoluter Loyalität gegenüber den Besatzungsmächten an den Wiederaufbau unseres Vaterlandes heranzugehen, der hat einen Anspruch darauf, von den Besatzungsmächten gehört zu werden, wenn er in dieser Frage seine Stimme erhebt, um nämlich auf einen schwerwiegenden politischen Fehler aufmerksam zu machen. Ich glaube, wir sollen die Sorgen, die wir hier haben, leidenschaftslos darstellen, es aber auch mit unbedingter Offenheit aussprechen: wenn uns die Westmächte weiterhin die Demontage aufzwingen, dann zwingen sie uns am Ende den Nationalismus auf. Wenn sie von uns verlangen, daß wir Fabriken, die wir brauchen, damit unser Volk ein menschenwürdiges Dasein findet, abbauen, obgleich es sich bei diesen Fabriken nicht um ausgesprochene Rüstungsbetriebe handelt, dann provozieren sie im deutschen Volke eine Reaktion, mit der wir Demokraten trotz unseres inständigen Bemühens um Frieden und Verständigung auf die Dauer nicht fertigwerden können.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, im allgemeinen haben wir Deutsche nicht den Eindruck, daß die Besatzungsmächte über die Stimmung der deutschen Bevölkerung schlecht unterrichtet wären. Es wäre ja auch traurig, wenn der so kostspielige Apparat, den die Besatzungsmächte bisher in Deutschland unterhalten haben, nicht einmal einer ausreichenden Orientierung dienen würde. Ich nehme deshalb an, daß man in Paris und London weiß, wie der Durchschnittsdeutsche über die Demontage denkt. Trotzdem dürfte es nicht überflüssig sein, auch hier einmal auszuführen, daß der Durchschnittsdeutsche bei der Demontage, wie sie durchgeführt wird, das Gefühl hat, daß die Westmächte es mit Deutschland darin nicht ehrlich meinen. Er hält nämlich die Demontage für ein Mittel, um die lästige deutsche Konkurrenz vom Weltmarkt fernzuhalten. Er ist der festen Überzeugung, daß die Siegermächte das Demontieren aufgeben würden, wenn es ihnen nur auf Frieden und Wohlstand ankäme. Man kann von uns deutschen Demokraten nicht erwarten, daß wir gegen diese öffentliche Meinung anrennen. Wir haben in ungezählten anderen Fällen den Mut gehabt, unserem Volke klarzumachen, daß die Folgen des Hitlerwahnsinns nicht von heute
auf morgen überwunden werden können. Wir können auch mit Genugtuung feststellen, daß das deutsche Volk in den ersten Nachkriegsjahren eine bewunderungswürdige Fähigkeit bewiesen hat, Leid und Entbehrungen, Demütigungen und Enttäuschungen zu ertragen. Was in unseren Kräften gestanden hat, um es mit Vernunft und Besonnenheit durch die ersten schweren Jahre nach 1945 hindurchzuführen, das haben wir getan. Alle demokratischen Parteien haben in dieser Hinsicht in hervorragender Weise zusammengearbeitet. Sogar das Zusammenleben mit den Besatzungsmächten hat sich trotz der Opfer, die es dem deutschen Volke auferlegt, erträglich gestaltet. Man kann uns nicht nachsagen, daß wir etwa böswillig wären und keinerlei Einsicht für unsere Lage aufbrächten. Wenn wir aber von unserem Volke wegen der Fortsetzung der Demontage befragt werden, dann sind wir nicht in der Lage, diese Politik zu beschönigen.
Was wollen wir zum Beispiel erwidern, wenn wir wegen der Demontage des Werkes HochfrequenzTiegelstahl in Bochum, das zu den Deutschen Edelstahlwerken gehört, angesprochen werden? Als der einzige Hersteller von Spezialerzeugnissen für die Elektrowirtschaft hätte das Bochumer Werk für den Wiederaufbau der Berliner Elektroindustrie wichtigste Lieferungen durchzuführen. Nicht nur der Bundestag und die Bundesregierung, sondern die gesamte westliche Welt anerkennen die Verpflichtung, für eine Wiederbelebung der Berliner Wirtschaft Sorge zu tragen. Wir werden uns ja im Anschluß an diese Frage noch heute in diesem Hohen Hause darüber unterhalten. In Bochum wird ein Werk demontiert, auf das die Berliner Wirtschaft überhaupt nicht verzichten kann. Eine derartige Demontage läßt sich nicht rechtfertigen oder entschuldigen. Sie ist eine ebenso große politische wie wirtschaftliche Torheit. Wir bedauern es sehr, daß sich ein Teil ddr Weltöffentlichkeit dieser Einsicht verschließt, müssen aber feststellen, daß die deutsche Öffentlichkeit diese Zusammenhänge kennt und deshalb über den Ernst des Demontageproblems keineswegs hinweggetäuscht werden kann.
Ich glaube, auch die Ausführungen, die insbesondere der Sprecher der Kommunistischen Partei gemacht hat, zeigen, was er in seinem Sinn aus der Demontage als politischem Problem zu machen versuchte. Man könnte jedes seiner Worte durch die kommunistische Agitation in den von der Demontage bedrohten Gemeinden illustrieren. Ich selber komme aus dem westfälischen Industriegebiet. Ich habe Gelegenheit genug gehabt, die politischen Auswirkungen der Demontage kennenzulernen. Ich kann mir nicht denken, daß man sich in London und Paris dieserhalb keine Gedanken macht. Vielleicht ist man der Meinung, die Auswirkungen der Demontage würden durch die Methoden der sowjetischen Besatzungspolitik reichlich zugedeckt. Aber es ist nun einmal ein großer Unterschied, ob man die Folgen einer falschen Politik am eigenen Leibe zu spüren bekommt und als solche beklagt, oder ,ob sie von anderen getragen werden müssen. Die Menschen, die sich jetzt in Moers, in Oberhausen, in Wanne-Eickel, in Dortmund, in Berg-kamen die Demontage der Fischer-Tropsch-Werke, in denen sie ihren Lebensunterhalt gefunden haben, vor Augen halten, interessiert es bei dieser Frage absolut nicht, was in der Sowjetzone vor sich geht. Aber sie treffen die Feststellung, daß von den westlichen Demokratien das Heil auch nicht zu erwarten sei. Ich bin gewiß nicht der Meinung, daß man sich mit dieser Auffassung ohne weiteres identifizieren kann. Wohl aber bin ich der Meinung, daß es jedem demokratischen Staatsmann zu denken geben müßte, wenn seine Politik in der Demontagefrage in ausgezeichneter Weise in das kommunistische Agitationsprogramm hineinpaßt. Uns ist es unbegreiflich, wieso die Westmächte die politischen Auswirkungen der Demontage dauernd unterschätzen.
Dabei haben wir es hier in Deutschland nicht einmal nur mit einer Art von Radikalismus zu tun. Ich verweise darauf, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung auch auf die von rechts drohende Gefahr hingewiesen und von der Besorgnis der Westmächte in dieser Beziehung zu uns gesprochen hat. Wenn die Westmächte aber diese Besorgnis nicht bloß als Vorwand benutzen, um eine Politik des Mißtrauens gegenüber dem deutschen Volke fortzusetzen, dann können sie auf eine Revision ihres Standpunktes in der Demontagefrage nicht verzichten. Wir dürfen heute die Empfindung haben — es ist auch schon von einem Vorredner darauf hingewiesen worden —, daß sich in den Vereinigten Staaten die für jene Weltmacht so charakteristische wirtschaftliche Vernunft auch in der Demontagefrage durchzusetzten scheint. Der amerikanische Steuerzahler weiß genau, daß die gesamte Demontage letzten Endes auf seine Kosten geht, und die amerikanische Regierung wird klug genug sein, ihren Bürgern keine überflüssigen und sinnlosen Opfer zuzumuten. Es ist nur jammerschade, daß nicht auch der französische und der britische Steuerzahler die wirtschaftlichen Auswirkungen der Demontage mit tragen muß. Wäre es der Fall, so würden wir uns — dessen bin ich gewiß — in diesem Hohen Hause über das Demontageproblem nicht mehr zu unterhalten brauchen. Aber die politischen Auswirkungen der Demontage sind nicht weniger ernst zu nehmen als die wirtschaftlichen, und von ihnen werden Frankreich und Großbritannien als erste mit betroffen. Nur die deutsche Demokratie wird darunter noch vor diesen beiden Großmächten zu leiden haben.
Wir sind dabei, meine Damen und Herren, um damit zum Schluß zu kommen, der Überzeugung, daß unsere politischen Zielsetzungen durchaus nicht im Gegensatz zum französischen Sicherheitsbedürfnis zu stehen brauchen. Uns Deutschen ist nicht weniger als dem französischen Volk daran gelegen, daß Deutschland nicht noch einmal in das chaotische Abenteuer eines Weltkrieges hineinmanövriert werden kann. Kein Franzose kann ernsthafter als wir bestrebt sein, die Kräfte an der Entfaltung zu hindern, denen unsere Generation die grauenhaftesten Tragödien der deutschen Geschichte verdankt. Ich sehe wirklich keinen Grund, weshalb es nicht möglich sein könnte, mit Frankreich und Großbritannien über eine echte und wirkliche Sicherheit des Friedens in Europa ohne Demontage zu einer Verständigung zu kommen. Was der Artikel 24 des Grundgesetzes unseren Nachbarländern bietet, das ist weit mehr, als durch , Demontage bewirkt werden kann, und trägt zur echten Sicherheit Europas bei. Hier zeigt sich am deutlichsten, daß endlich die entscheidenden Anstrengungen zur Überwindung des Krieges und zur Verständigung der Völker unternommen werden müssen. Die Welt bedarf nicht der Demontage von Fabriken, die dem allgemeinen Wohlstand dienen, sondern der Montage eines echten und gerechten Friedens.