Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hatte den Wunsch, daß dieser Antrag im Bundestag zum frühestmöglichen Termin behandelt wird. Sie glaubte diesen Wunsch äußern zu können, weil es der aktuellen. Situation wie auch der Bedeutung des Problems an sich entspricht. Wir sind auch der Meinung, daß sehr früh der vielfach im Ausland geäußerte Eindruck zerstört werden muß, als ob die Hervorhebung der Demontage bisher nur mehr oder weniger auf wahlpropagandistischen Motiven beruhe.
Wir sehen in dem Demontageproblem eine Frage von schicksalhafter Bedeutung,
insbesondere für die künftige wirtschaftliche Entwicklung. Wir wehren uns dagegen, daß man es irgendwie in seiner Bedeutung herabzusetzen versucht. Wir sehen auch einen solchen Versuch der Abschwächung und der Ablenkung in Äußerungen, die kürzlich von einer hohen englischen Persönlichkeit gemacht Wurden: 1. daß die Demontage ' außer in einem örtlich und zeitlich begrenzten Raume nicht die Ursache für die Arbeitslosigkeit sei, 2. daß das Motiv zur Demontage kein Motiv der Konkurrenzbehinderung sei, und 3. daß diese Proteste nur den Verdacht erweckten, daß der Nationalismus wiederauflebe. Wir müssen in solchen an sich zum Teil sehr anfechtbaren Feststellungen den Versuch einer Bagatellisierung erblicken, dem wir widersprechen müssen. Ehe ich aber darüber Ausführungen mache, will ich einige kurze Bemerkungen zu diesen Feststellungen selbst machen.
Es kann in der Tat unbestritten bleiben, daß man, örtliche Erscheinungen ausgenommen, die gegenwärtige Arbeitslosigkeit nicht der Demontagepolitik zur Last legen kann. Aber auch die örtlichen Einzelfälle schaffen harte soziale Notstände. Und ganz fehl geht die Vertröstung, daß diese Notstände zeitlich begrenzt sein werden. Nichts spricht für die Richtigkeit dieser Voraussage; aber alle Erfahrung spricht dafür, daß selbst im günstigsten Falle viele aus den betroffenen Belegschaften auf der Strecke bleiben werden.
Es werden in erster Linie die älteren Arbeitskräfte sein, und es werden diejenigen sein, die für andere Arbeiten nicht mehr voll einsatzfähig sind. Die anderweitige Arbeitsbeschaffung wird gegenwärtig durch die Beschränkung der Freizügigkeit, die eine Folge des Trümmerzustandes und der dadurch hervorgerufenen Wohnungsnot ist, außerordentlich erschwert. Aber selbst dort, wo eine solche Demontage in einem Bezirk erfolgt, in dem innerhalb eines engeren Gebietes andere, zum Teil gleichartige Industrien gewisse Ausgleichsmöglichkeiten geben, läßt sich keine vollständige
Lösung der anderweitigen Vorsorge für die betroffenen Belegschaften finden.
Dagegen können die Auswirkungen dort geradezu katastrophal werden, wo das der Demontage ausgelieferte Werk eine zentrale Bedeutung als Arbeitsstätte hatte. Ich will nur einige Beispiele angeben. Der Stadtteil Hamborn ist mit der Thyssen-Hütte in seiner wirtschaftlichen Entwicklung auf Gedeih und Verderb verbunden.
Ich verweise auf Hattingen und Bergkamen, relativ kleine Orte, in denen das zur Demontage stehende Werk d i e Beschäftigungsstätte für einen großen Teil der Bevölkerung war. Ebenso ist es in Niederscheiden der Fall und in ganz besonderem Maße in Watenstedt-Salzgitter.
Da gibt es für die betroffene Belegschaft keine andere Arbeitsmöglichkeit, nicht einmal in berufsfremden Industrien.
In diesem Zusammenhang möchte ich besonders die sozialwirtschaftliche Bedeutung der FischerTropsch- und Bergius-Anlagen erwähnen, weil diese Unternehmen in großem Umfange nicht mehr voll erwerbsfähige Arbeitskräfte und Frauen beschäftigen konnten. Diese Betriebe sind nicht nur deshalb von großer Bedeutung, weil sie durch Verwendung qualitätsschwacher Kohlen die Wirtschaftlichkeit des Bergbaues erleichtern und weil sie durch ihre Produktion in der Einfuhr eine Entlastung bringen und damit eine devisensparende Produktion darstellen; sie sind auch, vom Arbeitsmarktstandpunkt aus gesehen, für das schwerindustrielle Gebiet mit seinem hohen Verschleiß an Arbeitskraft wegen der Aufnahme solcher Arbeitskräfte, die im Bergbau und in den Hüttenwerken nicht mehr oder überhaupt nicht verwendungsfähig sind, ein dringend notwendiger Ausgleich. Die Stilllegung dieser Betriebe bringt außerordentliche soziale Härten mit sich, die noch durch den Umstand gesteigert werden, daß die Gemeinden, denen ein großer Teil der Betreuung der Opfer der Demontagen zufällt, selbst durch den Ausfall an Steuerkraft geschwächt werden.
Meine Damen und Herren, ich will zur Veranschaulichung nur zwei kleine Beispiele geben. Mir ist mitgeteilt worden. daß von der 3000 Mann starken Belegschaft der Gelsenberg-Anlage rund 500 solche Arbeitskräfte sind, die als nicht mehr voll einsatzfähig betrachtet werden müssen. Besonders tragisch liegt der Fall bei der ca. 7000 Einwohner zählenden Industriegemeinde Bergkamen, die ebenfalls Sitz eines solchen Hydrierwerks ist. Diese Gemeinde ist in außerordentlichem Maße von Schicksalsschlägen heimgesucht worden. Zu den Opfern des Krieges kamen die zahlreichen Opfer bei der Bombardierung des Werkes, und dazu kamen noch 500 Todesopfer, die zwei Grubenkatastrophen gefordert haben. In dieser Gemeinde gibt es fast kein Haus, in dem nicht eine Familie wohnt, in der die Frau der Ernährer sein muß. In diesem Werk, das mit Einverständnis oder jedenfalls mit Duldung der Engländer wieder aufgebaut wurde, konnten jetzt bereits ungefähr 300 Frauen Arbeit finden. Diese Zahl ließe sich noch steigern.
Diese Tatsachen gestatten bestimmt nicht eine Bagatellisierung der sozialen Nöte als Folgen der Demontagen, weil es sich „nur" um örtliche Erscheinungen handelt.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole. aber: die Betrachtung der Demontagen nur unter den eben erwähnten sozialen Gesichtspunkten wird der vollen Bedeutung der Demontagen überhaupt nicht gerecht. Es geht bei diesen Demontagen im Kern um die Frage, ob dem deutschen Volk eine ausreichende Wirtschaftsbasis bleibt.
Es geht darum, daß in der angestrebten europäischen Neuordnung das deutsche Volk als gleichberechtigter Partner seinen Platz finden muß.
Die Demontagen haben aber die Bedeutung und den Zweck, eine dauernde ausnahmerechtliche Behandlung des deutschen Volkes festzulegen.
Und es geht darum, auch für das deutsche Volk die produktionstechnischen Voraussetzungen zu erhalten bzw. zu schaffen, damit es mit dem Auslauf des Marshallplans im Jahre 1952 die Möglichkeit besitzt, sich aus eigener Kraft zu erhalten und sein Einfuhrbedürfnis zu befriedigen. Heute sind wir von diesem Ziel noch weit, sehr weit entfernt. Ich habe den Eindruck, daß das auch Deutschen noch gesagt werden muß, selbst Mitgliedern dieses Hauses.
Wir haben in der Debatte zur Regierungserklärung eine Stimme gehört, die unter absoluter Entstellung der englischen Situation prahlend erklärte: Wir haben geschafft, wir haben gearbeitet und haben für uns selbst gesorgt. Ich habe den Eindruck, daß dieses Mitglied der CDU nicht einmal die Düsseldorfer Leitsätze der CDU bis zum Ende gelesen hat;
denn sonst würde es am Ende der Düsseldorfer Leitsätze gefunden haben, daß davon 'gesprochen wird, daß der Einfuhrbedarf des deutschen Volkes rund 9 Millarden D-Mark ausmacht. Wenn es diese Zahl mit der am Anfang genannten Zahl, daß man in diesem Jahr auf eine Ausfuhr von 1,2 Milliarden Dollar rechnen kann, vergleicht, dann könnte es sich leicht ausrechnen, daß wir durch eigene Kraft heute noch nicht die Hälfte der Einfuhr erarbeiten, die wir notwendig brauchen.
Wenn wir einen Blick in die frühere Statistik unseres Außenhandels werfen, dann finden wir eine überragende Bedeutung unserer Eisen- und Stahlindustrie in Verbindung mit der diesbezüglichen verarbeitenden Industrie. Es bleibt einem rätselhaft, wie wir einen Ausgleich der Handelsbilanz bei der Drosselung, die die Demontagen auf dieser Industrieebene herbeiführen, finden sollen. Deshalb, meine Damen und Herren, sehen wir in diesen Demontagen auch eine Verletzung des selbst in dem Potsdamer Abkommen feierlich gegebenen Versprechens, dem deutschen Volk soviele industrielle Arbeitsmöglichkeiten zu belassen, daß es ohne Hilfe von außen leben kann.
Besonders hervorzuheben ist, daß, soweit die Einbeziehung der synthetischen Industrie in die jetzige Demontage in Frage kommt, die Siegermächte noch hinter den ersten Industrieplan zurückgehen,
von dem sie selbst erklärten, daß er durch die Entwicklung völlig überholt ist. Dort war festgelegt, daß diese Betriebe solange in Arbeit gehalten werden sollen, bis Deutschland imstande ist, diese Produkte einzuführen und zu bezahlen.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, ein Wort zum Thema Konkurrenzbehinderung! Das Abstreiten dieses Gedankens ist keine Widerlegung, daß nicht doch starke Kräfte, die bei der Demontage bestimmend mitwirken, sich von solchen Absichten leiten lassen.
Ich glaube aber, daß wir es uns ersparen können, über Motive zu sprechen. Die Tatsache n sprechen eine eindeutige Sprache, daß Konkurrenzbehinderung vorliegt. Es gibt Fälle, in denen die angeordneten Teildemontagen wahrlich nicht anders zu sein brauchten, als sie angeordnet wurden, wenn dabei die geradezu satanische Absicht der Konkurrenzerschwerung mitgesprochen hätte.
Der organische Produktionsvorgang wird gestört, indem wichtige Glieder einer Produktionskette einfach herausgerissen werden. Die Folge davon ist, daß erhöhte Transportleistungen erforderlich sind, daß wesentlich höhere Brennstoffmengen notwendig sind und daß dementsprechend auch ein größerer Arbeitsaufwand entsteht. Diese Teildemontagen haben eine Wirkung, daß man davon sprechen könnte, das Verbliebene bleibt, wirtschaftlich gesehen, fast ohne jeden Effekt.
Bei der Verkündung des Demontageplans war damals der Reparationsgedanke in den Vordergrund gestellt worden. Damit versuchte man auch eine Uebereinstimmung mit dem Marshallplan durch die Feststellung herbeizuführen, daß die für Deutschland überflüssig gewordenen Industriekapazitäten anderen Ländern gegeben werden sollen, um sie im Sinne des Marshallplans früher zur Nutzung kommen zu lassen, als wenn diese Kapazität in Deutschland verbliebe. Ich will unerörtert lassen, ob und in wie vielen Fällen die Demontage diese Voraussetzungen erfüllte. Sicher sind es Seltenheitsfälle. Auf die zur Zeit strittigen Demontagefälle trifft diese Argumentation jedenfalls nicht zu.
Die jetzigen Demontagen stehen in hartem Widerspruch zu den Prinzipien des Marshallplan. Der Marshallplan fordert Aufbauförderung unter voller Auswertung der industriellen Kapazität auch Westdeutschlands. Insbesondere fordert er auch eine Steigerung der Rohstahlerzeugung, und im Sinne dieses Plans hätte das modernste Hüttenwerk, zugleich mit dem günstigsten Standort, so früh wie möglich in Betrieb genommen werden müssen: die Thyssen-Hütte. Dieses Werk aber ist auf die Demontageliste gesetzt worden. Unser Eindruck ist, es ist deshalb auf die Demontageliste gesetzt worden, weil es so günstige Produktionsmöglichkeiten bietet. Dafür baut man in anderen Ländern neue Hüttenwerke auf. Die europäische Konzeption des Marshallplans wird preisgegeben zugunsten egoistischer nationaler Interessen.
Ich kann ein anderes Beispiel erwähnen, das Beispiel der 5-Meter-Straße im Dortmund-HarderHüttenwerk. Von amerikanischen Sachverständigen war ausdrücklich anerkannt worden, daß dieses Werk im Rahmen der europäischen wirtschaftlichen Neuordnung voll ausgelastet sein könnte. Trotzdem ist es mit der Begründung auf die Demontageliste gesetzt worden, es sei für den inneren deutschen Bedarf nicht notwendig. Es gibt eine neue 5-Meter-Straße, die noch nirgends eingebaut ist; sie wurde angeboten, und dieses Angebot ist abgelehnt worden. Man hat aber gleichzeitig dem Dortmund-Hörder-Hüttenwerk verweigert, für die demontierte 5-Meter-Straße einen Ersatz zu schaffen, obwohl für dieses Werk nun das Problem auftritt, wie es die erzeugte Menge von
Roheisen und Stahl im Werk sinnvoll weiterverarbeiten kann.
Eine weitere Erschwerung liegt darin, daß durch die Demontage nicht nur schlechtweg die Eisen-und Stahlkapazität verringert, sondern damit zum Teil gleichzeitig die Herstellung gewisser Spezialprodukte verhindert wird, auf die die verbleibenden Industrien sich erst allmählich umstellen können. Hüttenwerk war nicht immer gleich Hüttenwerk. Jedes einzelne Werk hatte eine gewisse Spezialität. Ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zwei Sätze aus einer Denkschrift der Gewerkschaft zitieren:
Nach dem Marshallplan ist die Wiederherstellung einer leistungsfähigen deutschen Energiewirtschaft vordringlich. Trotzdem soll die Thyssen-Hütte restlos demontiert werden, die 80 Prozent der deutschen Produktionskapazität für hochwertige Transformatorenbleche darstellt! Trotzdem sollen die beiden 15 000-Tonnen bzw. 10 000 -Tonnen- Schmiedepressen in Essen und Dortmund demontiert werden, ohne die die dringend benötigten 200 Turbosätze und 300 Wellen in Deutschland überhaupt nicht mehr hergestellt werden können.
Meine Damen und Herren! Unser Eindruck ist und muß sein, daß die Reparationsfrage gegenüber der absoluten Produktionsbeschränkung als sekundär betrachtet wird. Auch das muß von uns als Beweis dafür angesehen werden, daß eben doch Konkurrenzmotive vorliegen, und wir sehen diesen Eindruck erneut bestätigt, weil man dem Angebot, die Thyssen-Hütte in Betrieb zu nehmen und ihre Leistungen restlos für Reparationszwecke zu verwenden, nicht nähergetreten ist.
Die Erregung über die Demontage wird aber besonders durch die Form der Demontage gesteigert. Nur zum geringen Teil liegt heute noch echte Demontage mit dem Ziel vor, das Demontierte anderswo wieder produktionstechnisch zu verwenden. In erster Linie wird zerstört und nicht demontiert.
Ich hatte Gelegenheit, einen kurzen Spaziergang durch die Thyssen-Hütte zu machen. Der Eindruck ist, daß sinnlose Kräfte der Zerstörung walten. Selbst nach dem jetzigen Plan soll nur noch ungefähr zu einem Viertel wirklich demontiert werden, zu drei Vierteln wird mit dem Schweißbrenner gearbeitet, um Schrott zu erzeugen.
Ich empfehle besonders d e r englischen Stelle, einen solchen Besuch zu machen, die angeordnet hat, daß die Demontageabteilung im Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen in „Reparationsabteilung" umgetauft werden muß. Auch all denen, die unsere Demontageproteste als Nationalismus diffamieren, sei empfohlen, solche Stätten sinnlos zerstörender Tätigkeit aufzusuchen und sich dann die Frage zu stellen und zu beantworten, wer den Ungeist des Nationalismus fördert.
Meine Damen und Herren, außerdem ist darauf hinzuweisen, daß die Reparationen durch Demontage wohl die kostspieligste Form der Wiedergutmachung sind.
Es geht noch gut, wenn nach Abzug der Demontagekosten ein Reparationswert von 10 Prozent der ursprünglichen Investitionskosten bleibt.
Nun kommt man heute besonders mit dem Argument, für die Demontage sei ausschließlich das Sicherheitsbedürfnis maßgebend. Wir konnten aus der Rede eines der führenden Männer in dieser Frage lesen, daß jede überflüssige Kapazität an Friedensindustrie ein Kriegspotential darstellt. Wir müssen uns darüber klar sein, daß die Hitlersche Ausplünderungs- und Ausraubungs-Politik die Sicherheitsargumentation schwergewichtig macht. Es wäre gut, wenn man sich überall in Deutschland, wenn man darüber redet, daran erinnerte, daß eigentlich dieses Kapitel auch mit der Ueberschrift versehen sein könnte: „Das danke ich dir, mein Führer!"
Aber ich bin mir nicht im Zweifel, daß dieses Argument vielfach -von selbstsüchtigen Menschen zur Tarnung des wirklichen Motivs benutzt wird.
Wir sollten daraus den Schluß ziehen, da, wo wir
uns öffentlich äußern, es so zu tun daß wir den
gutgewillten Kräften im Ausland die Grundlage
bieten, für uns auf diesem Gebiete tätig zu sein.
Es sind in diesem Hause Reden gehalten worden, die dieser Anforderung wahrlich nicht Rechnung tragen.
Ich brauche dazu nichts mehr zu sagen, insbesondere nachdem mein Parteifreund Schmid gestern in wirklich eindrucksvoller Weise dieses Kapitel beleuchtet hat.
Aber ich möchte bei dieser Gelegenheit auch ein Wort an Sie, meine Herren von der KPD, richten. Was da gesagt wird, gilt auch für die neuerliche Weisung für Ihre Politik der nationalen Einheitsfront. Ich will in diesem Zusammenhange nicht im einzelnen darlegen, daß Ihr Protest außerordentlich abgeschwächt ist durch die Tatsache, daß Sie vorbehaltlos Ja sagen zu dem, was in einem anderen Teil, der zu Deutschland gehört, geschieht.
Ich will Sie nur daran erinnern, daß Ihre neuerliche Einstellung selbst in Widerspruch zu dem steht, was Sie hier im Westen vor noch nicht allzu langer Zeit vertreten haben.
Ich darf daran erinnern, daß es Ihr Kollege Led-wohn war — wirklich kein x-beliebiger Mann —, der am 5. Februar 1948 im Nordrhein-Westfälischen Landtag ausführte:
Nehmen wir einmal die Tatsache: Herr Molotow hat in London vorgeschlagen, daß das Industrieniveau in Westdeutschland auf 70 Prozent des Niveaus von 1938 erhöht werden soll und daß dann von diesem Niveau 10 Prozent für Reparationen aus der laufenden Produktion entnommen werden sollen. Wenn Sie mich fragen, meine Damen und Herren, ob ich als Deutscher mit einem solchen Vorschlag Molotows einverstanden bin, dann antworte ich mit einem klaren Ja.
Meine Damen und Herren, wenn ich Ihre gegenwärtige Agitation auf diesem Gebiete mit dem vergleiche, was Ihr Kollege Kaiser im Landtag von Nordrhein-Westfalen am 29. Oktober 1947 ausgeführt hat, dann finde ich auch da einen großen Widerspruch. Ich habe die Bitte an Sie, zu über-
Henßler
legen, ob es nicht klug wäre — im Interesse der betroffenen Arbeiter wie im Interesse der Wirkung unseres Protestes —, wenn Sie sich jene Ausführungen doch etwas ins Gedächtnis rufen würden. Ihr Herr Kollege Kaiser führte damals im Landtag aus:
Die Kommunistische Partei bedauert außerordentlich, daß die schwere Lage, in die durch die Demontage die werktätige Bevölkerung gebracht wird, von Unverantwortlichen dazu benutzt worden ist, die Werktätigen nationalistisch und chauvinistisch zu verhetzen. Die auch von einzelnen Zeitungen angedeutete Aufforderung zu Streiks und Demonstrationen und zum tätlichen Widersetzen kann nicht anders denn als Provokation bezeichnet werden.
Ich will ja von Ihnen gar nicht, daß Sie das noch hundertprozentig respektieren, aber wenigstens einen guten Teil davon — das täte not —, um auch den Kundgebungen draußen einen geschlosseneren Eindruck zu geben, als es jetzt der Fall ist.
Meine Damen und Herren! An die Adresse der Siegermächte gerichtet aber müssen wir sagen — nicht nur weil es in unserem Interesse liegt, sondern auch weil es ein Erfordernis einer demokratischen Neuordnung ist —: Die Friedenssicherheit erfordert, daß man es mit der demokratischen Neuordnung wirklich ernst meint. Nicht Beschränkung einer Volkswirtschaft, die restlos dem Friedensbedürfnis dienlich gemacht werden kann! Wohl aber Vorsorge, daß diese Produktionseinrichtungen nicht mißbraucht werden können für friedensstörende Zwecke! Deshalb fordern wir die Ueberführung dieser Monopolindustrien in Gemeineigentum, um damit die Möglichkeit auszuschalten, daß sogenannte freie Initiative kraft dieses Besitzes friedensstörende Umtriebe ins Werk setzen kann.
Deshalb sind wir, meine Damen und Herren, für eine gemeinsame europäische Neuordnung, die uns aus dem bloßen Reden über eine europäische Gemeinschaft herausbringen soll zum Beginn des Praktizierens einer solchen Gemeinschaft. Aber dazu muß auch ausgesprochen werden: eine echte Gemeinschaft muß auf gleicher Berechtigung und gleicher Verpflichtung der einzelnen Partner beruhen.
Wenn man aber davon ausgehen will, für Deutschland nun wirklich die notwendige Friedenskapazität auszurechnen, dann müssen wir feststellen, daß sich der Industrie- und Demontageplan nicht als Patentlösung dafür erwiesen hat. Dann soll man vom Menschen ausgehen. Dann müßte am Anfang der Überlegungen stehen, daß wir für alle Arbeitsfähigen in Deutschland die Möglichkeit sinnvollen Arbeitseinsatzes haben müssen. Dann muß man berücksichtigen, daß sich, wie ein Vergleich ergibt, gegenüber 1936 doch wirklich allerhand geändert hat: der Verlust östlicher Gebiete, mit dem wir im Augenblick rechnen müssen, die Vergrößerung der Bevölkerungszahl durch die Vertriebenen, die Zerstörung von Produktionskapazitäten, der Instandhaltungsrückstand und Reparaturbedarf bei der noch vorhandenen Produktionskapazität. Ich will hier nur darauf hinweisen, daß von den Sachverständigen des Marshallplanes beim Ruhrbergbau allein ein Rückstand festgestellt worden ist, der einen Aufwand von rund 5 Milliarden DM erfordern würde. Berücksichtigt werden müßten auch die schon erfolgten Demontagen, insbesondere die sehr weitgehende industrielle und verkehrliche Ausräumung der Ostzone, aber auch die sehr große Schwächung der gewerblichen und industriellen Wirtschaft in der französischen Zone.
Angesichts dieser Tatsachen bleibt rätselhaft, wie man überhaupt von Überfluß in der Produktionskapazität in diesem zerschlagenen Deutschland reden kann.
Wir haben insgesamt nicht zuviel Produktionskapazität, sondern wir müssen in großem Umfange neue Arbeitsmöglichkeiten schaffen, um alle in Arbeit bringen zu können. Ich brauche nur auf die besondere Erwerbslosennot unter den Vertriebenen hinzuweisen: fast jeder zweite Vertriebene heute ein Arbeitsloser! Meine Damen und Herren, das ist ein Menetekel, das nicht nur ernstere Beachtung in der deutschen Wirtschaftspolitik verdient, sondern das nicht minder ernst auch von den Siegermächten gewertet werden müßte.
In diesem Zusammenhang ein kleiner Hinweis auf den früheren Eckernförder Demontagestreik. Es gibt niemanden in Deutschland, der dagegen war, daß die kriegsmäßigen Einrichtungen zerstört wurden; aber die englische Siegermacht hätte dem Bedürfnis nach Sicherheit einen sehr großen Dienst geleistet, wenn sie damit einverstanden gewesen wäre, daß die brauchbaren Hallen benutzt werden, um Zehntausenden jetzt arbeitsloser Menschen Arbeitsmöglichkeiten in friedlicher Industrie geben zu können.
Müssen wir die Demontage schon vom wirtschaftlichen und sozialen Standpunkt aus ablehnen, weil diese Demontage hart und widersinnig und auf die Dauer unhaltbar ist, so müssen wir noch mehr betonen, daß der politische Schaden unseres Erachtens noch viel größer ist.
Das dient sicher nicht, der ersten Anforderung in bezug auf Sicherheit: friedensgewillte Menschen zu schaffen. Das bedeutet Förderung aller destruktiven Elemente und Bestrebungen bei uns.
Meine Damen und Herren! Ich habe eingangs schon erwähnt, daß erklärt worden ist, es handle sich ja nur um örtliche und zeitlich begrenzte Erscheinungen. Ich möchte darauf hinweisen, daß es sich hier wirklich nicht um eine Angelegenheit von nur vorübergehender Bedeutung handelt, nicht um eine Angelegenheit eines zwar schmerzhaften, aber eben nur einmaligen operativen Eingriffs. Die Wunden, die da geschlagen werden, vernarben nicht. Sie werden, mindestens auf lange Zeit hinaus, einen Eiterherd bilden und damit nicht bloß dem deutschen Wirtschaftsleben abträglich sein, sondern auch den Bestrebungen, im europäischen Maßstab eine wirtschaftliche Neuordnung herbeizuführen.
Ich verweise deshalb so deutlich darauf, weil in diesen Tagen die Mitteilung gekommen ist, daß die Außenminister zwar die Demontagen erneut überprüfen wollen, aber erst in einem Vierteljahr. Ich habe hier eine Presseäußerung, in der es heißt, daß diese Frage Ende des Jahres noch einmal überprüft wird, „da man sich dann darüber klar sein werde, in welchem Maße die westdeutschen Behörden in gewissen Dingen mitgehen und wie sich die Dinge bei ihnen entwickelt hätten." — Das ist in seiner Auslegung sehr dehnungsfähig, aber ich Will dazu nur eine Bemerkung machen: Darauf,
Henßler
wie die Dinge sich in Deutschland entwickeln, könnten die Siegermächte durch eine verständigere Haltung bei der Demontage einen sehr starken Einfluß ausüben.
Ich hoffe,, daß man diese Notiz nicht mit einer anderen Mitteilung in Verbindung bringen muß, nach der man bestrebt ist, die sogenannten Demontagen bis zum 1. Januar, also bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Außenminister das Problem neu überprüfen wollen, erledigt zu haben. Dann muß die Zerstörungsarbeit noch grandioser durchgeführt werden, und dann treffen die Bedenken, die wir dazu geäußert haben, auch in entsprechend stärkerem Maße zu.
Ich will zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, als seinerzeit der Demontageplan verkündet wurde, hat der damalige Beauftragte der englischep Regierung für die englische Zone, Lord Pakenham, uns in Düsseldorf einen Vortrag gehalten, an dessen Ende er an die Deutschen die Mahnung richtete, sich so zu verhalten, daß man der Welt gerade in die Augen schauen könne.
Wir wollen diese Mahnung für uns gelten lassen, aber sie muß ja schließlich für jeden und für alle gelten.
Und wenn man sie ernst nimmt, erfordert sie dann nicht, darauf bedacht zu sein, daß man — geschichtlich gesehen -- auch morgen und übermorgen die Augen nicht niederzuschlagen braucht, wenn man an das erinnert wird, was man heute getan hat?
Vergesse man nicht: am Ende des Krieges lautete die Parole für die nächste Aufgabe: Wir wollen den Frieden gewinnen! Und er soll im Zeichen einer demokratischen Neuordnung stehen, im Zeichen der Abkehr von den verhängnisvollen Methoden nationalistischer Gewaltpolitik.
Auch aus dieser Zielsetzung heraus wünschen wir, daß das Reparationsproblem als eine Frage zweckmäßiger Lösung, als eine Frage verständiger Zusammenarbeit und als eine Frage willensmäßiger und gesinnungsmäßiger Bildung und Festigung eines Friedensbundes betrachtet wird und nicht als eine Kampffrage zwischen Deutschland und den Siegermächten, wobei nur zu leicht Prestigegründe den Vorrang erhalten vor rein sachlichen Erwägungen.
Meine Damen und Herren, weil wir heißen Herzens echten Frieden ersehnen, weil wir Verständigung zwischen den Völkern und Zusammenarbeit im Willen zur Völkergemeinschaft wünschen, deshalb unser Appell: Stop den Demontagen von Arbeitsstätten, die der Arbeit für friedliche Zwecke dienen! Das Gebot ist: Aufbau, nicht Zerstörung!