Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich gebe Ihien Kenntnis von einem Beschwerdeschreiben des Herrn Abgeordneten Max Reimann vom 30. September, das lautet:
Ich lege hiermit Beschwerde ein gegen den mir in der 7. Sitzung des Deutschen Bundestages am 22. September 1949 erteilten Ordnungsruf. Ich halte denselben für ungerechtfertigt und beantrage seine Zurücknahme.
Die einschlägige Bestimmung der Geschäftsordnung in § 92 hat folgende Fassung:
Das Mitglied kann gegen den Ordnungsruf bis
zum nächsten Sitzungstage schriftlich Einspruch
erheben. Der Einspruch ist frühestens auf die
Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen.
Der Bundestag entscheidet ohne Besprechung. Über diese Beschwerde kann also keine Aussprache stattfinden.
Ich verlese nunmehr den Teil der stenographischen Niederschrift der 7. Sitzung, auf die sich die Beschwerde bezieht. Es heißt dort:
— Ich trete hier nicht ab, bis ich nicht alles gesagt habe!
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Reimann, ich habe seit gestern — —(Andauernde große Unruhe und Rufe: Pfui!
Raus! — Abg. Strauß: Schickt ihn nach Moskau!
Ziehen Sie die Uniform an! — Abg. Reimann:
Ich werde hier nicht gehen!)
— Meine Damen und Herren!'
(Zuruf von der KPD: Wegen des Zurufs „Agenten"
hat der Präsident keinen Ordnungsruf erteilt!)
— Herr Abgeordneter Reimann, Sie haben eben ausgesprochen, daß die Oder-Neiße-Linie die Friedenslinie ist.
Seitdem gestern hier sämtliche Parteien gesprochen haben, haben sie übereinstimmend die Oder-Neiße-Linie als die deutsche Grenzlinie abgelehnt. Das möchte ich hier einmal feststellen.
Es ist eine Provokation der überwältigenden Mehrheit dieses Hauses, wenn Sie derartige Ausführungen machen. Ich rufe Sie deshalb zur Ordnung!
Das ist der Vorgang gewesen. Wie gesagt, eine
Aussprache kann darüber nicht stattfinden.
Die Frage ist, wie abgestimmt werden soll.
— Ich bitte Sie, sich einiger Absprachen im Ältestenrat zu erinnern, Herr Abgeordneter Bausch.
Die Frage ist also, wie abgestimmt werden soll. Es ist beantragt: Zurücknahme des Ordnungsrufes. Meines Erachtens kann so nicht beantragt werden, sondern es muß darüber abgestimmt werden, ob der Ordnungsruf gerechtfertigt war oder nicht. So ist meine Meinung.
Ich darf also die Frage so stellen: Wer den in der 7. Sitzung am 22. September dem Abgeordneten Reimann wegen der angeführten Vorgänge erteilten Ordnungsruf für gerechtfertigt hält, der möge die Hand erheben..—
Gegenprobe! — Wir werden auszählen müssen. Ich bitte die Damen und Herren, die dafür sind, noch einmal die Hand zu erheben, und die Herren Schriftführer bitte ich, die Auszahlung vorzunehmen. — Es ist ganz offensichtlich die Mehrheit, die den Ordnungsruf für gerechtfertigt hält.
Es ist so beschlossen.
Ich habe weiter Kenntnis zu geben von einem zweite n Antrag, einem Antrag der kommunistischen Fraktion vom 28. September. Er lautet:
Der Bundestag möge beschließen:
Der Bundestag spricht dem Bundestagspräsidenten Dr. Erich Köhler das Mißtrauen aus.
Die einschlägigen Bestimmungen der Geschäftsordnung sind in den §§ 119 und 120 enthalten, in denen bestimmt ist, daß Fragen, bei denen es sich um die Handhabung der Geschäftsordnung handelt, vom Geschäftsordnungsausschuß zu prüfen sind und daß dieser entsprechende Anträge zu stellen hat.
Ich glaube, daß ,sich eine Aussprache erübrigt. Das Haus ist offenbar derselben Auffassung. Ich lasse daher abstimmen.
Wer dafür ist, daß dieser Antrag dem Geschäftsordnungsausschuß überwiesen wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen. Der Antrag ist dem Geschäftsordnungsausschuß überwiesen.