Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat uns in seiner Regierungserklärung kundgetan, daß er auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik die in Frankfurt „so erfolgreich eingeschlagene Richtung" weiterverfolgen werde. Wir haben das zur Kenntnis genommen, obwohl es angesichts erstens des Marshallplans, zweitens des Ruhr- und Besatzungsstatuts und drittens der Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler Adenauer und der Herr Wirtschaftsminister Professor Erhard hießen, für uns eine Selbstverständlichkeit war. Aber wenn der Herr Bundeskanzler erklärt, diese Wirtschaftspolitik sei so erfolgreich gewesen, so muß das, meine ich, doch den Widerspruch weiter Teile unseres Volkes herausfordern. Wir sind der Meinung, daß vor allem das schaffende Volk, daß die Arbeiter und Angestellten darüber anderer Auffassung sind als der Herr Bundeskanzler.
Was sind denn das für „Erfolge"? Würde der Herr Bundeskanzler nach dem, was jetzt mit
unserer D-Mark passiert ist, und nach den hier geführten Diskussionen auch noch von „Erfolgen"
sprechen? Ich finde, wir sollten klar sehen. Worauf waren denn diese Erfolge zurückzuführen? Auf unsere deutsche Kraft? Nein! Sind nicht die Schaufenster da draußen mit gepumpten Milliarden gefüllt worden?
Das ist doch nicht zu bestreiten. Wir sollten uns nicht mit fremden Federn schmücken. Solange das deutsche Volk nicht aus eigenem Vermögen, aus eigener Kraft sich einen festen Boden unter die Füße schafft, so lange sollte man mit dem Wort ,,Erfolg" sehr vorsichtig sein. Nach unserer Auffassung ist unserem Volke mit dieser Frankfurter Wirtschaftspolitik eine sehr böse Mahlzeit serviert worden. Nach dem, was wir vorhin gehört haben, können wir getrost sagen, daß diese Mahlzeit mit sehr gefährlichen Keimen infiziert ist, mit den Keimen des niederbrechenden, verfaulenden Kapitalismus. Unser Volk wird sehr aufpassen müssen, daß es dabei überhaupt noch erhalten bleibt.
Ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen, wieso er von „Erfolgen" reden kann, wo es doch eine weitbekannte Tatsache ist, daß 50, ja 60 Prozent unseres Volkes unter dem Existenzminimum leben.
Ich möchte ihn fragen, wie man von „Erfolgen" reden kann, wenn man 1,3 Millionen Arbeitslose, ebenso viele Kurzarbeiter hat und wenn diese Arbeitslosenzahlen wachsen, wenn jetzt zum Beispiel wieder 20 000 Eisenbahner entlassen werden müssen. Geht denn diese Arbeitslosigkeit auf konjunkturelle oder auf strukturelle Ursachen zurück? Alle Sachkenner wissen: es liegt an der Wirtschaftsstruktur, es liegt an der Frankfurter Wirtschaftspolitik, eben an dieser, wie der Herr Bundeskanzler sagte, „so erfolgreich eingeschlagenen Richtung".
Was sollen unsere Millionen Alten, die zu versorgenden Kranken, unsere Kriegsbeschädigten sagen? Es ist immer wieder festgestellt worden, in welch großer Not sie leben. Wie kann man da von „Erfolgen" reden? Und was sollen die Flüchtlinge sagen? Hier wurde wiederum mit den Flüchtlingen gespielt. Wir sind der Meinung, daß den Flüchtlingen hier bei uns geholfen werden
muß, daß es Pflicht eines jeden Deutschen ist, dafür zu sorgen, daß den Flüchtlingen geholfen wird und daß die Regierung sich dieses Problems annehmen und es einer gerechten Lösung zuführen muß. Die deutsche Kraft muß ausreichen, um diese Not zu beseitigen.
Was sollen die Millionen Arbeiter und Angestellten sagen, deren Löhne und Gehälter durch die Frankfurter Wirtschaftspolitik gestoppt wurden, während gleichzeitig die Preise in Bewegung gesetzt wurden?
Und jetzt möchte ich einmal als Bergarbeiter sprechen. Was sollen die Bergarbeiter zu dieser „erfolgreichen" Wirtschaftspolitik sagen? Ist sich die Regierung, sind sich die Herren Abgeordneten darüber im klaren, daß mit der Arbeitskraft der Bergarbeiter jetzt schon wieder schmählich Mißbrauch getrieben wird, daß dieses wertvollste Gut unseres Volkes jetzt schon wieder über alle Maßen ausgenutzt und ausgebeutet wird, daß unsere Bergarbeiter an der geforderten Leistung und der gewährten Entlohnung krank werden müssen und krank werden? Was sollen sie denn dazu sagen, wenn hier von „Erfolgen" gesprochen wird? Sie sollten mit ihren Löhnen und mit ihrem sozialen Schutz an der Spitze aller übrigen Industriearbeiter stehen. Aber was haben sie, an welcher Stelle liegen sie? Weit, weit darunter! Und das zu einer Zeit, in der Unternehmer große Gewinne einstecken konnten. Diese Herren konnten von „Erfolg" reden. Der Herr Bundeskanzler mag die Frage beantworten, ab 'er sich mit seinem Ausspruch zu dieser Seite unseres Volkes bekennen wollte.
Nach unwidersprochenen Meldungen hat zum Beispiel die Firma Opel in drei Monaten einen Reingewinn von 11 Millionen DM erzielt. Wir könnten Beispiele über Beispiele dafür bringen, wie hoch die Gewinne der Unternehmer infolge der Frankfurter Wirtschaftspolitik waren.
— Hinzu kommt selbstverständlich das, was die amerikanischen und anderen Unternehmer dabei verdient haben.
Der Vorsitzende des DGB, Herr Kollege Böckler, erklärte auf einer Gewerkschaftsveranstaltung, daß in der Wirtschaft nach der Währungsreform mindestens 2,5 Milliarden D-Mark investiert worden seien, die zu Unrecht entzogenen Lohn darstellten. Das ist der Erfolg. Die Arbeiter, die Angestellten haben dafür bluten müssen, daß aufs neue eine kapitalistische Wirtschaft hier restauriert werden konnte, daß aufs neue der schnöde Eigennutz der Menschen, die Profitgier zur Triebfeder des Wirtschaftens gemacht ,werden konnte. Die Werktätigen messen Erfolg oder Mißerfolg mit den Maßstäben ihrer eigenen Not. Aus dieser Not wurden große Forderungen geboren. Wir als Gewerkschaftler haben uns für die Sozialisierung eingesetzt. Wir können heute erklären: auf Grund der Frankfurter Wirtschaftspolitik ist die Sozialisierung hintertrieben worden; wir können heute sagen, daß damit das beste, was unsere Menschen wollten, unter den Stiefel getreten worden ist.
Da ist die Frage des Mitbestimmungsrechts. Wir haben darüber sehr viel gehört. Wir haben zum Beispiel erfahren müssen, daß die katholischen Arbeiter auf dem Katholikentag dieses Mitbestim-
mungsrecht in einer Entschließung forderten, die ziemliches Aufsehen erregt hat. Wir sind der Meinung, daß sich in dieser Bekundung der katholischen Arbeiter eine tiefe Sehnsucht nach wirtschaftlicher Sicherheit und nach sozialem Fortschritt offenbarte. Wir müssen allerdings feststellen, daß diese dort gemachten Bekundungen zum Mitbestimmungsrecht mächtigen Kreisen in Westdeutschland offenbar arg mißfallen haben. Denn in den letzten Tagen erst hat es der Herr Kardinal Frings für richtig gehalten, Essig in den Wein zu gießen, indem er darauf hingewiesen hat, daß die Betriebsleitung weiterhin unabhängig sein und die Befehlsgewalt im Betriebe haben müsse, daß noch sehr viel Zeit notwendig sei, um das Prinzip des Mitbestimmungsrechts einem Ende zuzuführen, daß es also nicht eine Sache von heute auf morgen sei, dieses Mitbestimmungsrecht zu realisieren; das heißt also, daß die Politik der Regierung, wie vom Herrn Bundeskanzler ausgeführt worden ist, auf die Wiederherstellung des freien Spiels der Kräfte, also auf die Wiederherstellung der alleinigen Macht der Unternehmer in ihren Betrieben hinstrebt.
Der Herr Bundeskanzler sagt, er wolle eine Politik machen, die so sozial wie möglich sein sollte. Ich muß schon sagen, was heißt „so sozial wie möglich"? Nach dem, was wir sonst in dieser Regierungserklärung finden, scheinen die Möglichkeiten zu einer Sozialpolitik der Regierung sehr, sehr eng zu sein. Wir meinen, daß die sozialpolitik einer Regierung so sozial wie notwendig sein müsse; und was notwendig ist, meine Damen und Herren, das haben vor allen Dingen die Gewerkschaften erklärt.
Ich werde mir gestatten, hier zu den Forderungen der Gewerkschaften, die zur Wahl dieses Bundestags erhoben worden sind, einige Bemerkungen zu machen. Die Gewerkschaften fordern erstens eine Politik der Vollbeschäftigung; sie sagen, die Erfahrungen seit der Währungsreform beweisen deutlich, daß auf den von der amtlichen Wirtschaftspolitik eingeschlagenen Wegen dieses Ziel nicht erreicht werden kann; sie sagen, daß die unausgesetzte Nichtausnutzung der produktiven Kräfte in einem aufreizenden Gegensatz zur Unterversorgung des deutschen Volkes stehe. Was sagt die Regierung zu dieser Forderung? Sie sagt lediglich, daß sie die „erfolgreiche" Politik der sozialen Marktwirtschaft fortzusetzen gedenke. Für sie gibt es anscheinend keine Arbeitslosen, für sie gibt es das Problem der Vollbeschäftigung nicht, für sie gibt es diese Schande nicht, daß dort Millionen Hände ruhen müssen zu einer Zeit, wo unser Volk größte Not an Bedarfsgütern, an Wohnungen in seinem Leben leidet.
Es kommt zweitens die Frage eines umfassenden Wohnungsbauprogramms, welches die Gewerkschaften gefordert haben. Der Herr Bundeskanzler erklärt: „Wir werden durch Lockerungsvorschriften der Raumbewirtschaftung und der Mietfestsetzung das Privatkapital für den Bau von Wohnungen interessieren". Also Wohnungen sollen nur dann gebaut werden, darf ich wohl feststellen, wenn sich der Bau von Wohnungen profitabel macht. Der Wohnungsbau soll also zur Sache der Geldmänner gemacht werden, die an der Wohnungsnot unseres Volkes zu verdienen gedenken. Das ist das Ende des so viel beredeten sozialen Wohnungsbaus. Wie sollen denn Wohnungen errichtet werden, wenn nicht gewaltige öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden,
die dann zu Mieten führen, die auch für den kleinen Mann tragbar sind?
Es heißt in den Gewerkschaftsforderungen, daß die Vollbeschäftigung dauernd gesichert werden müsse. Die Politik der Vollbeschäftigung muß als oberster Grundsatz der Staatspolitik anerkannt werden, fordern die Gewerkschaften. Wir haben auch davon in der Regierungserklärung nichts gehört. Wir haben überhaupt den Eindruck, daß die Tatsache der Erwerbslosigkeit sehr, sehr leicht genommen wird. Wir haben erfahren können, daß der Herr Professor Erhard gelegentlich sogar erklärt hat: „Erwerbslose, echte Erwerbslose, nun, die haben wir nur sehr wenig; das sind meistens Schwarzhändler oder sonstige lichtscheue Gesellen, die da arbeitslos sind, die da irgendwie aufgetaucht sind und ihre Ansprüche stellen".
Ich möchte sagen: Gerade die Politik der Vollbeschäftigung ist das entscheidende Kriterium für den wirtschafts- und sozialpolitischen Kurs der Regierung Adenauer. Aber eine solche Politik hat zur Voraussetzung, daß vom Prinzip der sozialen Marktwirtschaft abgegangen wird. Das wird die Regierung nicht tun; darum wird notwendigerweise die Zahl der Erwerbslosen ansteigen, notwendigerweise werden sich damit auch die sozialen Spannungen verschärfen, und notwendigerweise wird daraus Widerstand erwachsen, der der Regierung Adenauer eines Tages zeigen wird, was die Gewerkschaften wollen.
In den gewerkschaftlichen Forderungen steht vor allem die Demokratisierung der Wirtschaft. Dabei heißt es sehr richtig, daß die Erfahrungen der Jahre 1918 bis 1933 gezeigt haben, daß die formale politische Demokratie nicht ausreicht, eine echte demokratische Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Die Demokratisierung des politischen Lebens muß deshalb durch die Demokratisierung der Wirtschaft ergänzt werden.
Was aber erleben wir heute? Die Unternehmer fühlen sich jetzt schon wieder stark. In allen Betrieben versuchen sie jetzt schon wieder die Mitbestimmungsposition der Arbeitnehmer einzuschränken. Sie versuchen jetzt schon wieder systematisch und hartnäckig, den alten Herr-imHause-Standpunkt durchzusetzen. Nach der Regierungserklärung werden sie nicht geneigt sein, von diesem ihrem Kurs auch nur das mindeste abzulassen.
Weiter wird gefordert, daß entscheidende Wirtschaftszweige in Gemeinwirtschaft übergeführt werden müssen. Damit kommen wir zu der Frage der Entmachtung des Monopolkapitals. Seien wir uns doch darüber klar, daß diese Forderung, die in der Sozialisierungsforderung der Gewerkschaften und der Werktätigen ihren Ausdruck fand, eine geschichtlich notwendige Maßnahme darstellt. An dieser Forderung gibt es kein Vorbeikommen. Es kann nicht zum Segen des deutschen Volkes gereichen, wenn hier in Westdeutschland der Versuch gemacht wird, eine neue Unternehmerwirtschaft, einen neuen Monopolkapitalismus zu installieren. Das muß im Widerspruch zu den entscheidenden Lebensfragen unseres gesamten Volkes stehen, und daher kommt dieser Forderung erhöhtes Gewicht zu.
Die Regierung spricht in ihrer Regierungserklärung davon, daß die Besitzverhältnisse geändert werden müßten; sie sagt aber gleichzeitig, daß man das Vertrauen des ausländischen Kapitals wieder-
gewinnen müßte. Ich mache darauf aufmerksam, daß jetzt bei der auf Grund der von der Besatzungsmacht aufdiktierten Neuordnung nach dem Gesetz Nr. 75 zum Beispiel die Unternehmungen in unserem Bergbau, die in ausländischem Besitz sind, herausgenommen wurden, bei dieser Neuordnung also eine Vorzugsbehandlung genossen. Daß ihnen nicht nur dieser eine Vorteil zuteil werden wird, dessen dürfen wir ganz gewiß sein. Hinzu kommt, daß jetzt viel davon die Rede ist, ausländisches Kapital müsse auch in den Bergbau hinein.
Ich frage: will die Regierung ihre Hand mit dazu hergeben, daß unser Bergbau in ausländischen Besitz übergeht? Gerade weil die Fragen so ernst sind, muß die Forderung der Gewerkschaften auf Überführung entscheidender Wirtschaftszweige in Gemeinwirtschaft energischer gestellt und auch erfüllt werden.
Unter Punkt 7 der gewerkschaftlichen Forderungen heißt es, daß ein einheitliches Arbeitsrecht und eine fortschrittliche Sozialpolitik gefordert werden müßten. Damit kommen wir in einem sehr interessanten Punkt der Regierungserklärung. Die Gewerkschaften fordern ein einheitliches Arbeitsrecht. Der Herr Bundeskanzler sagt: ,,Die
Rechtsbeziehungen .zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern müssen zeitgemäßer geordnet werden. Die Selbstverwaltung der Sozialpartner muß an die Stelle der staatlichen Bevormundung treten". Was meint der Herr Bundeskanzler mit diesem Ausdruck „staatliche Bevormundung" im Arbeitsrecht? Wer hat sich bevormundet gefühlt? Der Herr Bundeskanzler will auch hier dem freien Spiel der Kräfte Geltung verschaffen. Denn die Unternehmer als die wirtschaftlich Stärkeren konnten sich bevormundet nur dann fühlen, wenn sie durch die staatliche Einwirkung gezwungen wurden, die Arbeitsgesetzgebung zu beachten, wenn sie gezwungen wurden, die Tariflöhne, die der Tarifvertrag vorsah, zu zahlen, wenn sie gezwungen wurden, den Urlaub zu gewähren und den Arbeitern jenen Schutz zuzugestehen, der im Interesse der Arbeiter auf dem Gesetzeswege geschaffen worden ist, der freilich den Unternehmern unliebsam war und gegen den sie aufbegehrt haben. Weil der Staat zugunsten der Arbeiter eingriff, haben sie sich bevormundet gefühlt. Und nun soll diese Bevormundung, dieser staatliche Schutz des wirtschaftlich Schwächeren aufgehoben werden. Wir meinen, daß damit sehr deutliche Worte gesagt worden sind und daß es für die Arbeiter und Angestellten Zeit ist aufzuhorchen, um das Programm dieser Regierung früh genug erkennen und entsprechende Abwehrmaßnahmen durchführen zu können.