Meine sehr verehrten ,Damen und Herren! Im Namen der Zertrumsfraktion habt ich folgende Erklärung abzugeben.
Wir alle im Hause haben gehofft, daß im Besatzungstatut nicht bloß eine neue Rechts-, sondern auch eine Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit mit der Oberkommission gegeben würde.
In diese Frühlingsnacht der Hoffnung fiel ein Reif. Die erste Praxis des Besatzungsstatuts zeigt drastisch die schwache unserer internationalen Position zwischen Krieg und Frieden und unterstreicht aufs neue die Forderung, die wir in unserer Stellungnahme zur Regierungserklärung erhoben haben, auf endgültigen Abschluß eines Friedensvertrages. Dieses Diktat ist kein guter Start und erst recht auch kein Zeichen für eine großzügige Handhabung des Besatzungsstatuts, auf welche das deutsche Volk gehofft und gerechnet hatte.
Die Zentrumsfraktion des Bundestags hat schon gestern zum Ausdruck gebracht, daß es höchst bedauerlich ist, daß die bisherigen deutschen Schritte anläßlich der Pfundabwertung ohne jede Orientierung des Bundestags vor sich gegangen sind. Es ist schon die Frage offen, die soeben vom Herrn Kollegen Loritz aufgeworfen wurde: liegt hier eigentlich ein Zwang zur Abwertung vor, oder hat hier die Bundesregierung auf eigene Veranlassung gehandelt? Jetzt wird der Bundestag vom Herrn Bundeskanzler zu einer Stellungnahme in einer Frage aufgefordert, über die er es unterlassen hat das Parlament auf dem laufenden zu halten. ba noch keine Ausschüsse vorhanden sind, so Wäre es immerhin möglich gewesen, den Ältestenrat in Vorbesprechungen zu orientieren, der dafür das zuständige Gremium gewesen wäre. Und es erhebt sich die Frage, warum nicht eher als jetzt die Bundesregierung von ihrem Schritt und ihren Überlegungen der Parlamentsvertretung indirekt Kenntnis gegeben hat und warum sie nicht vorher Rat gegeben und die Volksvertretung informiert hat. Wir können es nicht als einen nuten Start der Bundesregierung betrachten, daß die Bundesregierung auf diese Weise das Bestreben deutlich werden läßt, Autorität zu zeigen. Wiederholungen solcher Art müssen zu einer Schmälerung des Einflusses des Bundestags und zu einer Schmälerung seines Ansehens führen. Wir erheben nachdrücklichst Protest gegen diese Verfahrensart und sind der Ansicht, daß das, zumindest optisch betrachtet, außerordentlich unvorsichtig ist.
Im gegenwärtigen Stadium, da die Dinge schon so weit bzw. zu weit vorangetrieben sind, wendet sich jetzt der Herr Bundeskanzler an das Parlament. Er scheint sich erst jetzt daran zu erinnern, daß es für seine Verhandlungen mit den Oberkommissaren doch mindestens zweckmäßig, in Wirklichkeit von größter Bedeutung gewesen wäre, auf eine möglichst einheitliche Stellungnahme der Volksvertretung hinweisen zu können, und daß dies seiner Stellungnahme — gleichviel wie sie ausgefallen wäre, sie wäre vielleicht ganz
anders ausgefallen — ein ganz anderes Relief und eine ganz andere Plattform gegeben hätte als jetzt, da er für sich und seine Regierung allein verhandelt hat, deren Mehrheit nicht allzugroß ist. Es wäre so gesehen besser gewesen, wenn er von vornherein die Volksvertretung eingeschaltet hätte, und außerdem wäre er dann nicht in die Verlegenheit gekommen, zunächst die Presse und dann erst den Bundestag zu unterrichten. Wir empfinden es als einen zumindest unerfreulichen, wenn nicht, um mich noch schärfer auszudrücken unwürdigen Zustand, daß die im Hause versamtmelten Abgeordneten des deutschen Volkes erst durch Pressevertreter erfahren, was in dieser für das Leben des ganzen Volkes lebenswichtigen Frage von äußerst einschneidender Bedeutung von seiten der Bundesregierung vor sich gegangen ist. Bei rechtzeitiger Orientierung und Stellungnahme hätte übrigens Möglicherweise - jeden- falls hätte die .Möglichkeit nahegelegen — sich eine weitgehende Übereinstimmung der Auffassungen innerhalb der Volksvertretung herbeiführen lassen, denn diese Frage wird offensichtlich von den Abgeordneten aller Parteien des Bundestags nur nach nationalen, nicht nach parteipolitischen Gesichtspunkten gesehen und beurteilt.
Zusammenfassend ist also zu diesem Vorgang, zu der Art des Prozedierens festzustellen, daß die Regierung, daß dieses Kabinett in der ersten, sehr wichtigen und entscheidenden Maßnahme mit einer Kette von verpaßten Gelegenheiten beginnt, und zwar von Gelegenheiten, die auch in der Sache selbst von entscheidender Bedeutung gewesen sein könnten, die zumindest dieser Demokratie ein besseres Ansehen verleihen würden.
Eine Folge davon ist nun, daß die Bundesregierung jetzt in eine gewisse Zwangslage hineinoperiert worden ist, oder besser gesagt, daß sie sich selbst hineinoperiert hat. Und nun wird das Parlament zu einer Stellungnahme aufgerufen, zu welcher die notwendigen Voraussetzungen noch nicht mitgeteilt sind. Es ergibt sich aus der Verlesung der Erklärung, daß, wenn entgegen den Versprechungen der Regierung abgewertet wird, die Lebenshaltungskosten um den abgewerteten Betrag auf dem Weg über die Import- und die Kohlenpreissteigerung ansteigen werden; oder aber, daß bei der anderen Möglichkeit, der Beibehaltung des alten Kohlenpreises, der Erfolg der Abwertung von vornherein in Frage gestellt ist, nein, sogar daß er fast sicher fällt, so daß man danach überhaupt besser bei der alten Währungsrelation bleibt. Mangels Orientierung kann man jetzt nicht sagen, ob dieser Vorschlag der Oberkommissare vermeidbar oder unvermeidbar war. Angesichts der im Bundestag laut gewordenen Stimmen, daß die Abwertung keinesfalls höher sein dürfe als das unbedingt notwendige Maß, wäre es vielleicht möglich gewesen, bei größerer Selbstbeschränkung diese Auflagen der Oberkommissare zu vermeiden. Wenn der Herr Bundeskanzler mir darauf erwidert: das ist nicht der Fall, so muß ich ihn darauf hinweisen, daß es unmöglich ist, anders zu dieser Frage Stellung zu nehmen, solange der Bundestag über sein Vorgehen, über Einzelheiten und Gründe überhaupt nicht unterrichtet wird.
Im übrigen muß ich, und zwar im Anschluß an die Worte unserer Erklärung zur Regierungserklärung ausdrücklich nochmals darauf hinweisen und darauf aufmerksam machen, daß es nicht bloß gilt, exportfähig zu bleiben, sondern daß wir auch an die Importe denken müssen, die zum größten Teil aus den Hartwährungsländern kommen. Der
Herr Bundeskanzler hat zwar erklärt, die bewirtschafteten Lebensmittel würden im Preise nicht steigen. Man muß aber in Verbindung damit seine weitere Erklärung berücksichtigen, daß die Bewirtschaftung Schritt für Schritt weiter abgebaut werden soll. Und außerdem gibt es neben bewirtschafteten Lebensmitteln auch noch freie Lebensmittel und daneben noch den übrigen Lebensunterhalt und seine Kosten, die Kosten für Kleidung, Hausrat und vor allen Dingen die Kosten für die Produktionsmittel, die auf die Dauer in weit größerem Maß als die verhältnismäßig wenigen bewirtschafteten Lebensmittel das Preisgefüge bestimmen und das Preisniveau erhöhen werden. Jedenfalls wird jetzt vermutlich das Absinken der Preise ein Ende haben, das eingeleitet war und vielerorts Befriedigung ausgelöst hatte. Es erhebt sich jetzt die Frage, ob bei den weitgehenden Abwertungsanregungen dieser Wunsch, die Preissenkungen mögen ein Ende haben, nicht vielleicht der Vater des Vorschlags gewesen ist.
Unsere Gedanken wenden sich bei dieser Überlegung zu den Millionenmassen der Sozialrentner, der Kurzarbeiter, der Arbeitslosen, der Kriegsopfer, der Ostvertriebenen, dei Bombengeschädigten, der Währungsgeschädigten, der Kinderreichen und auch der Sparer, der neuen Sparer in D-Mark, überhaupt aller wirtschaftlich schwachen Kreise, deren bescheidene Lebensführung nicht mehr die geringste Verteuerung verträgt. Die Folge der jetzigen Vorgänge wird natürlich nicht nur eine Beunruhigung des Preisgefüges, sondern auch eine Erschütterung des Lohngefüges sein, ganz abgesehen davon, daß infolgedessen auch das Vertrauen in die D-Mark, das sich gerade erst gebildet hatte, eine Erschütterung erfährt, die man durch schöne Worte über die Förderung des Sparwillens allein nicht wieder gutmachen kann. Die Bevölkerung wartet auf die Taten zur Erfüllung dieser Versprechungen; sie ist hellhörig geworden durch die Äußerung der besonders interessierten Wirtschaftskreise, die die Abwertung schon so vorlaut propagieren und die erklären, man müsse sie jetzt ganz gründlich machen, weil man sie nicht am laufenden Band machen könne. Mit der Senkung des Realeinkommens sinkt natürlich auch die Kaufkraft der Bevölkerung, und die weitere Folge davon wird sein, daß unsere Wirtschaft nicht bloß durch den steigenden Export im Falle einer Abwertung vielleicht einen vorübergehenden Auftrieb erlebt, sondern daß sie daneben auch wegen des absinkenden inneren Umsatzes einen Rückschlag erfährt, ganz abgesehen davon, daß sie einen Rückschlag erfährt durch die Verteuerung der Importe.
Endlich erhebt sich die Frage, aus welchen Mitteln die Subventionen kommen sollen. die die Stützung der zu garantierenden Lebensmittel-Festpreise erfordert. Man spricht davon, daß gewisse Lebensmittelpreise festgehalten werden sollen; aber es ist schon die Ansicht ganz allgemein - und das soll auf eine Äußerung aus dem Kreise des früheren Verwaltungsamtes für Ernährung zurückzuführen sein —, daß etwa in Zukunft eine Milliarde D-Mark an Subventionen für die bewirtschafteten Lebensmittel notwendig seien, während es sich bisher um Summen von gut 300 Millionen gehandelt haben soll. Wir sind nicht in der Lage, diese Zahlen zu kontrollieren. Es wäre Aufgabe der Regierung gewesen, auch hierüber das Parlament in etwa zu unterrichten und Gelegenheit zu einer solchen Fragestellung zu geben, wie groß im einzelnen das auch sei. Es ist jedenfalls eine Tatsache, daß indirekt das wieder in eine Belastung der Konsumenten umschlagen und in einer Belastung der Verbraucher in Erscheinung treten muß; oder aber man muß den von der Regierung als besonders vordringlich bezeichneten Wohnungsbau oder andere wichtige soziale Aufgaben um die Beträge kürzen, die man an Subventionen jetzt zusätzlich ausgeben muß.
Nach alledem erscheint uns das Verfahren, nach dem man hier prozediert hat, sowohl wie der Erfolg, kurz die ganze Abwertungsangelegenheit sehr problematisch.