Rede:
ID0100901900

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Metadaten
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1940 157 9. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949. Geschäftliche Mitteilungen 157E, 173D Erklärung der Bundesregierung zur Auswirkung der Pfundabwertung: Dr. Adenauer, Bundeskanzler 157C, 168B Unterbrechung der Sitzung . . . 158B Dr. Schumacher (SPD) 158C Dr. Bucerius (CDU) 159A Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . . . 159C Dr. von Merkatz (DP) 160D Dr. Seelos (BP) . . . . . . . . 161C Rische (KPD) 162B Loritz (WAV) 164B Dr. Reismann (Z) 166A von Thadden (NR) 167C Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 168D Agatz (KPD) 169A Dr. Reismann (Z) 172B Nächste Sitzung 173D Die Sitzung wird um 14 Uhr 46 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Alfred Loritz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (WAV)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle in diesem Hause ohne Rücksicht auf Parteischattierung stehen unter dem erschütternden Eindruck der Ereignisse der letzten 48 Stunden. Das Ganze ist eine Katastrophe für unsere deutsche Wirtschaft. Lassen Sie mich das bitte mit aller Deutlichkeit sagen. Jedes andere Wort wäre eine Verschleierung der wahren Tatsachen. Es i s t eine Katastrophe für unsere ganze Wirtschaft. Denn kein Mensch glaubt es, wenn es, sei es von der Regierungsbank her, sei es von irgendwelchen Sprechern dieses Hauses, so hingestellt wird, als sei es möglich, durch Manipulationen irgendwelcher Art, durch Preisstützungen oder durch sonstige Dinge zu verhindern, das alle Waren- und alle Lebensmittelpreise ins Rutschen kommen und sich in kürzester Zeit auf den abgewerteten Wert unseres Geldes einstellen und einspielen werden.

    (Zuruf von der CDU: Das muß man oft genug sagen!)

    Alles andere ist Unsinn, sehr verehrte Herren Kollegen, vollkommen barer volkswirtschaftlicher Nonsens.
    Übrigens fragt niemand danach, woher die Regierung diese Mittel, diese Millionen- und Milliardenbeträge nehmen sollte, um solche Stützungen auch nur in einem nennenswerten Umfange durchführen zu können. Wir hören von Stützungen für Getreide und Fett. Wir haben gehört, daß die Preise für die Inlandskohle nicht höher Sein dürften. Wir werden demnächst weitere solche Erklärungen hören und hören müssen. Wer glaubt denn von uns noch, daß so etwas möglich ist? Diese Gelder müssen ja irgendwoher kommen. Aus den Steuereinnahmen vielleicht? Die werden sowieso schon für ganz andere Dinge absorbiert, für Staatsausgaben aller Art. So bliebe nur noch eines: die Steuern wahnsinnig zu erhöhen, und das wird nicht mehr gehen.
    Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, eines: Sie werden erleben, daß in kürzester Zeit das gesamte Preisgefüge ins Rutschen gekommen ist, genau so wie wir es vor wenigen Tagen in der Erklärung der WAV zur Regierungsdeklaration gesagt haben. Ganz egal, ob die alliierten Kommissare uns die Weisung gegeben haben, den Kohlenpreis zu erhöhen oder nicht, die Wirkung wäre die gleiche gewesen. Der Unterschied ist nur, daß der Patient jetzt durch eine solche Maßnahme, auf Grund deren der Kohlenpreis sofort angeglichen werden muß, einen Blutsturz bekommen hat, während sonst, wenn diese Maßnahme nicht erfolgt wäre, der Patient in einigen Monaten an Lungenschwindsucht gestorben wäre.

    (Zustimmung bei der WAV.)

    Die Auspendelung der Preise hätte im letzteren Fall einige Monate länger gedauert, bis sich alles an die veränderte Basis nach oben angeglichen hätte. So aber wird nun der Todesprozeß noch viel kürzer sein, und so werden Sie sehen, daß sich schon in wenigen Tagen die Preise für die wichtigsten Güter an die Abwertung angleichen.
    Meine Damen und Herren, wohin wird das führen? Denken Sie daran, daß unser Volk vor dem Winter steht und Kohle einkaufen soll. Können das aber vielleicht die Unterstützungsempfänger mit ihren 19 Mark — soviel haben sie bei uns in Bayern pro Kopf und Monat —, oder können es vielleicht die kleinen Mittelständler und die Arbeiter? Und wie wird es mit dem ganzen Preisgefüge der Industrie sein? Die Bundesbahnen werden ihre Preise heraufsetzen, und so wird es weitergehen.
    Das Grundübel war, daß überhaupt mit dem Gedanken an eine Abwertung gespielt wurde.

    (Sehr richtig! bei der WAV.)

    Man könnte fast das Dichterwort zitieren: „Beim ersten sind wir frei, beim zweiten sind wir Knechte!" Meine Damen und Herren, jeder, der die Dinge überblickt, mußte damit rechnen, daß auf eine Abwertung der D-Mark hin mit Sicherheit solche Maßnahmen von seiten der Alliierten einsetzen würden. Wir bedauern weiß Gott diese Maßnahmen, mit denen die alliierten Kommissare in das innerdeutsche Preisgefüge eingegriffen haben oder eingreifen wollen, aufs tiefste und fühlen uns da mit sämtlichen Fraktionen dieses Hauses einig. Wir mußten aber leider damit rechnen, und es mußte Aufgabe der deutschen Staatslenkung sein, diese Reaktion, die mit größter Sicherheit von seiten der alliierten Kommissare zu erwarten war, im voraus schon einzukalkulieren.


    (Loritz)

    In dem Schreiben der alliierten Kommissare, das der Herr Bundeskanzler uns heute vorgelesen hat, heißt es, daß die Hohen Kommissare gegen die Neufestsetzung des D-Mark-Kurses keinerlei Einwände erheben. Eine merkwürdige Formulierung! Ich bitte namens der Fraktion der WAV den Herrn Bundeskanzler und die Bundesregierung, vor aller Öffentlichkeit, vor dem gesamten deutschen Volke klipp und klar zu sagen, inwieweit die Anregung zur Abwertung von deutscher Seite oder inwieweit sie von alliierter Seite gekommen ist. Das wird notwendig sein, damit die Verantwortlichkeiten vor der deutschen Geschichte nicht bloß heute, sondern auch auf längere Zeit hinaus festgestellt werden können. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht ganz — aber ich lasse mich von Regierungsseite gern darüber belehren, wenn es anders sein sollte —, ob es nur so war, daß der Gedanke zur Abwertung von alliierter Seite ausgegangen ist. Ich weiß es nicht! Wir wünschen darüber Aufklärung. Wir wissen nur eines: daß einige Hunderttausend in diesem Lande, namentlich Leute in der Großindustrie und auch sonstwo, die zur Zeit Riesenwarenlager haben und mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen haben, weil sie
    nämlich nicht gewillt waren, die Preise rechtzeitig
    so herabzusetzen, daß die Verdienstspannen auf ein vernünftiges Maß reduziert wurden, heute - und ich habe solche Stimmen mit eigenen Ohren gehört — hinsichtlich der D-Mark-Abwertung mit Begeisterung erfüllt sind, weil sie nämlich wissen, daß sie jetzt ihre Warenlager loswerden können. Die Preise werden nicht nur um 25 Prozent, sondern vielleicht noch mehr heraufrutschen; denn wenn sie einmal im Rutschen sind, rutschen sie immer weiter herauf, als man es ursprünglich meint, und kein Kuckuck wird sich mehr darum kümmern, ob die Verdienstspannen hier übersetzt sind oder nicht, sondern alles wird nach diesen Waren schnappen, und die Herren werden dabei Riesengewinne erzielen; denn die geförderte Kohle oder die Industrieprodukte, die sie jetzt viel teurer verkaufen, sind in Arbeitslöhnen in der alten D-Mark-Währung bezahlt worden, so daß die Gewinne um 25 oder vielleicht sogar 30 Prozent und noch mehr steigen werden.
    Ich kann mir sehr wohl denken, daß von dieser interessierten deutschen Seite her alles getan worden ist, um eine Abwertung in Gang zu bringen und damit die Entscheidung hinauszuzögern, vor der sich diese Herren angeblichen Volkswirtschaftler sehen, nämlich endlich einmal von dem übersetzten Preisniveau herunterzugehen und nicht etwa schon an einigen tausend Tonnen Stahl oder sonstigen Industrieerzeugnissen auf Kosten unserer deutschen Bevölkerung zu Millionären werden zu wollen. Diese Entscheidung ist durch die D-Mark-Abwertung hinausgezögert worden. und das ist schlecht genug für unser gesamtdeutsches Interesse.
    War es wirklich notwendig, daß den alliierten Kommissaren vorgeschlagen wurde — falls, wie ich eigens betone, dieser Vorschlg erfolgte —, zu einer Abwertung zu schreiten? In meiner letzten Rede habe ich schon dazu Stellung genommen. Ich möchte mich nicht wiederholen. Wir von der WAV glauben, daß das nicht notwendig war, sondern daß hier von seiten des Staates mit anderen Maßnahmen eingeschritten werden mußte, daß man durch Senkungen der Steuern und durch verschiedene andere Maßnahmen, auf die ich hier, weil die Redezeit nur 15 Minuten beträgt, nicht im einzelnen eingehen kann, eine Senkung des
    Preisniveaus erreicht hätte, durch die unsere Industrie im Zusammenhang mit der Abwertung des Pfundkurses nicht so stark geschädigt worden wäre, ganz abgesehen davon, daß noch zur Zeit und auf lange Sicht hinaus unsere Importe bedeutend höhere Summen ausmachen als die Exporte. England hat durch die Abwertung sehr viel verdient. England hat nämlich seine gesamten Staatsschulden und Schulden der öffentlichen Hand letztlich um 30 Prozent verringert. W i r haben an dieser Abwertung gar nichts zu verdienen; denn es gibt praktisch keine Staatsschulden mehr, wenigstens nicht in nennenswertem Umfange. weil ja anläßlich des Währungsschnitts die Schulden der öffentlichen Hand liquidiert und gestrichen worden sind. Wir haben durch diese Abwertung nur zu verlieren.
    Was wird die Folge der Abwertung sein, und zwar auf die Maßnahme der Hohen Kommissare hin doppelt so rasch die Folge sein? Die Folge wird sein, daß in kürzester Zeit die Preise auf die Goldmarkbasis, umgerechnet auf Dollarwertbasis, hinaufspringen, und unser ganzes Volk mit Ausnahme von hunderttausend Großindustriellen und Warenbesitzern wird der leidtragende Teil sein. Das konnen wir nicht verantworten. Ich bitte, an Sie alle appellieren zu dürfen, daß wir dieses Problem hier rechtzeitig erkennen und rechtzeitig dazu Stellung nehmen. Vielleicht wird es heute schon zu spät sein; aber immerhin, es ist noch nicht ganz so weit, denn heute abend findet ja noch eine Besprechung der Bundesregierung mit den alliierten Kommissaren statt. Wir von der WAV rufen der Bundesregierung zu: „Landgraf, werde hart!", tut hier nicht das, was zwar auswärtigen und auch manchen inländischen Kreisen angenehm sein kann, sondern denkt an die Interessen der breiten Massen unseres Volkes und widersetzt euch jeder Abwertung, noch dazu, nachdem ihr, meine Herren von der Bundesregierung. jetzt seht, daß diese Abwertung durch die Fixierung des Kohlenpreises und andere Maßnahmen gar keinen Gewinn für unsere gesamte Volkswirtschaft bedeutet, sondern nur noch eine Katastrophe bringt.
    Noch eine Bitte — nur so am Rande — hätten wir an die Bundesregierung. Wir sind froh darüber, wenn die Presse sehr rasch über alle Maßnahmen der Bundesregierung informiert wird; aber wir bitten darum, daß gleichzeitig mit der Informierung der Presse eine Informierung der einzelnen Fraktionen dieses Hauses erfolgt. Und wenn das Plenum nicht beisammen ist, dann bitten wir die Regierung, in Zukunft wenigstens durch einen Telephonanruf bei den Sekretariaten der einzelnen Fraktionen den Abgeordneten, die dort versammelt sind, die Nachricht davon, was die Bundesregierung beabsichtigt und tut, ebenso rasch mitteilen zu lassen, wie das gegenüber der Presse geschehen ist. Wir wissen genau. Herr Bundeskanzler, daß Sie dadurch, daß die Nachricht in Paris schon verbreitet wurde, in eine gewisse Zwangslage versetzt worden sind. Wir bitten Sie also, in Zukunft gleichzeitig mit dem Telephonanruf an die Presse auch einen Telephonanruf an die Fraktionssekretariate gehen zu lassen, damit wenigstens diejenigen Volksvertreter, die gerade anwesend sind, unterrichtet sind und nicht erst auf dem Umweg über die Presse darüber informiert werden, was die Bundesregierung beabsichtigt.
    Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß, indem ich die Bundesregierung bitte,


    (Loritz)

    keine Abwertung vorzunehmen, wenn es nur irgendwie noch möglich ist, weil diese Abwertung ein Schlag ins Wasser und lediglich ein Schlag gegen die Interessen des größten Teils unserer deutschen Bevölkerung sein wird.

    (Beifall bei der WAV.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Bernhard Reismann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)

    Meine sehr verehrten ,Damen und Herren! Im Namen der Zertrumsfraktion habt ich folgende Erklärung abzugeben.
    Wir alle im Hause haben gehofft, daß im Besatzungstatut nicht bloß eine neue Rechts-, sondern auch eine Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit mit der Oberkommission gegeben würde.
    In diese Frühlingsnacht der Hoffnung fiel ein Reif. Die erste Praxis des Besatzungsstatuts zeigt drastisch die schwache unserer internationalen Position zwischen Krieg und Frieden und unterstreicht aufs neue die Forderung, die wir in unserer Stellungnahme zur Regierungserklärung erhoben haben, auf endgültigen Abschluß eines Friedensvertrages. Dieses Diktat ist kein guter Start und erst recht auch kein Zeichen für eine großzügige Handhabung des Besatzungsstatuts, auf welche das deutsche Volk gehofft und gerechnet hatte.
    Die Zentrumsfraktion des Bundestags hat schon gestern zum Ausdruck gebracht, daß es höchst bedauerlich ist, daß die bisherigen deutschen Schritte anläßlich der Pfundabwertung ohne jede Orientierung des Bundestags vor sich gegangen sind. Es ist schon die Frage offen, die soeben vom Herrn Kollegen Loritz aufgeworfen wurde: liegt hier eigentlich ein Zwang zur Abwertung vor, oder hat hier die Bundesregierung auf eigene Veranlassung gehandelt? Jetzt wird der Bundestag vom Herrn Bundeskanzler zu einer Stellungnahme in einer Frage aufgefordert, über die er es unterlassen hat das Parlament auf dem laufenden zu halten. ba noch keine Ausschüsse vorhanden sind, so Wäre es immerhin möglich gewesen, den Ältestenrat in Vorbesprechungen zu orientieren, der dafür das zuständige Gremium gewesen wäre. Und es erhebt sich die Frage, warum nicht eher als jetzt die Bundesregierung von ihrem Schritt und ihren Überlegungen der Parlamentsvertretung indirekt Kenntnis gegeben hat und warum sie nicht vorher Rat gegeben und die Volksvertretung informiert hat. Wir können es nicht als einen nuten Start der Bundesregierung betrachten, daß die Bundesregierung auf diese Weise das Bestreben deutlich werden läßt, Autorität zu zeigen. Wiederholungen solcher Art müssen zu einer Schmälerung des Einflusses des Bundestags und zu einer Schmälerung seines Ansehens führen. Wir erheben nachdrücklichst Protest gegen diese Verfahrensart und sind der Ansicht, daß das, zumindest optisch betrachtet, außerordentlich unvorsichtig ist.
    Im gegenwärtigen Stadium, da die Dinge schon so weit bzw. zu weit vorangetrieben sind, wendet sich jetzt der Herr Bundeskanzler an das Parlament. Er scheint sich erst jetzt daran zu erinnern, daß es für seine Verhandlungen mit den Oberkommissaren doch mindestens zweckmäßig, in Wirklichkeit von größter Bedeutung gewesen wäre, auf eine möglichst einheitliche Stellungnahme der Volksvertretung hinweisen zu können, und daß dies seiner Stellungnahme — gleichviel wie sie ausgefallen wäre, sie wäre vielleicht ganz
    anders ausgefallen — ein ganz anderes Relief und eine ganz andere Plattform gegeben hätte als jetzt, da er für sich und seine Regierung allein verhandelt hat, deren Mehrheit nicht allzugroß ist. Es wäre so gesehen besser gewesen, wenn er von vornherein die Volksvertretung eingeschaltet hätte, und außerdem wäre er dann nicht in die Verlegenheit gekommen, zunächst die Presse und dann erst den Bundestag zu unterrichten. Wir empfinden es als einen zumindest unerfreulichen, wenn nicht, um mich noch schärfer auszudrücken unwürdigen Zustand, daß die im Hause versamtmelten Abgeordneten des deutschen Volkes erst durch Pressevertreter erfahren, was in dieser für das Leben des ganzen Volkes lebenswichtigen Frage von äußerst einschneidender Bedeutung von seiten der Bundesregierung vor sich gegangen ist. Bei rechtzeitiger Orientierung und Stellungnahme hätte übrigens Möglicherweise - jeden- falls hätte die .Möglichkeit nahegelegen — sich eine weitgehende Übereinstimmung der Auffassungen innerhalb der Volksvertretung herbeiführen lassen, denn diese Frage wird offensichtlich von den Abgeordneten aller Parteien des Bundestags nur nach nationalen, nicht nach parteipolitischen Gesichtspunkten gesehen und beurteilt.
    Zusammenfassend ist also zu diesem Vorgang, zu der Art des Prozedierens festzustellen, daß die Regierung, daß dieses Kabinett in der ersten, sehr wichtigen und entscheidenden Maßnahme mit einer Kette von verpaßten Gelegenheiten beginnt, und zwar von Gelegenheiten, die auch in der Sache selbst von entscheidender Bedeutung gewesen sein könnten, die zumindest dieser Demokratie ein besseres Ansehen verleihen würden.
    Eine Folge davon ist nun, daß die Bundesregierung jetzt in eine gewisse Zwangslage hineinoperiert worden ist, oder besser gesagt, daß sie sich selbst hineinoperiert hat. Und nun wird das Parlament zu einer Stellungnahme aufgerufen, zu welcher die notwendigen Voraussetzungen noch nicht mitgeteilt sind. Es ergibt sich aus der Verlesung der Erklärung, daß, wenn entgegen den Versprechungen der Regierung abgewertet wird, die Lebenshaltungskosten um den abgewerteten Betrag auf dem Weg über die Import- und die Kohlenpreissteigerung ansteigen werden; oder aber, daß bei der anderen Möglichkeit, der Beibehaltung des alten Kohlenpreises, der Erfolg der Abwertung von vornherein in Frage gestellt ist, nein, sogar daß er fast sicher fällt, so daß man danach überhaupt besser bei der alten Währungsrelation bleibt. Mangels Orientierung kann man jetzt nicht sagen, ob dieser Vorschlag der Oberkommissare vermeidbar oder unvermeidbar war. Angesichts der im Bundestag laut gewordenen Stimmen, daß die Abwertung keinesfalls höher sein dürfe als das unbedingt notwendige Maß, wäre es vielleicht möglich gewesen, bei größerer Selbstbeschränkung diese Auflagen der Oberkommissare zu vermeiden. Wenn der Herr Bundeskanzler mir darauf erwidert: das ist nicht der Fall, so muß ich ihn darauf hinweisen, daß es unmöglich ist, anders zu dieser Frage Stellung zu nehmen, solange der Bundestag über sein Vorgehen, über Einzelheiten und Gründe überhaupt nicht unterrichtet wird.
    Im übrigen muß ich, und zwar im Anschluß an die Worte unserer Erklärung zur Regierungserklärung ausdrücklich nochmals darauf hinweisen und darauf aufmerksam machen, daß es nicht bloß gilt, exportfähig zu bleiben, sondern daß wir auch an die Importe denken müssen, die zum größten Teil aus den Hartwährungsländern kommen. Der


    (Dr. Reibmann)

    Herr Bundeskanzler hat zwar erklärt, die bewirtschafteten Lebensmittel würden im Preise nicht steigen. Man muß aber in Verbindung damit seine weitere Erklärung berücksichtigen, daß die Bewirtschaftung Schritt für Schritt weiter abgebaut werden soll. Und außerdem gibt es neben bewirtschafteten Lebensmitteln auch noch freie Lebensmittel und daneben noch den übrigen Lebensunterhalt und seine Kosten, die Kosten für Kleidung, Hausrat und vor allen Dingen die Kosten für die Produktionsmittel, die auf die Dauer in weit größerem Maß als die verhältnismäßig wenigen bewirtschafteten Lebensmittel das Preisgefüge bestimmen und das Preisniveau erhöhen werden. Jedenfalls wird jetzt vermutlich das Absinken der Preise ein Ende haben, das eingeleitet war und vielerorts Befriedigung ausgelöst hatte. Es erhebt sich jetzt die Frage, ob bei den weitgehenden Abwertungsanregungen dieser Wunsch, die Preissenkungen mögen ein Ende haben, nicht vielleicht der Vater des Vorschlags gewesen ist.
    Unsere Gedanken wenden sich bei dieser Überlegung zu den Millionenmassen der Sozialrentner, der Kurzarbeiter, der Arbeitslosen, der Kriegsopfer, der Ostvertriebenen, dei Bombengeschädigten, der Währungsgeschädigten, der Kinderreichen und auch der Sparer, der neuen Sparer in D-Mark, überhaupt aller wirtschaftlich schwachen Kreise, deren bescheidene Lebensführung nicht mehr die geringste Verteuerung verträgt. Die Folge der jetzigen Vorgänge wird natürlich nicht nur eine Beunruhigung des Preisgefüges, sondern auch eine Erschütterung des Lohngefüges sein, ganz abgesehen davon, daß infolgedessen auch das Vertrauen in die D-Mark, das sich gerade erst gebildet hatte, eine Erschütterung erfährt, die man durch schöne Worte über die Förderung des Sparwillens allein nicht wieder gutmachen kann. Die Bevölkerung wartet auf die Taten zur Erfüllung dieser Versprechungen; sie ist hellhörig geworden durch die Äußerung der besonders interessierten Wirtschaftskreise, die die Abwertung schon so vorlaut propagieren und die erklären, man müsse sie jetzt ganz gründlich machen, weil man sie nicht am laufenden Band machen könne. Mit der Senkung des Realeinkommens sinkt natürlich auch die Kaufkraft der Bevölkerung, und die weitere Folge davon wird sein, daß unsere Wirtschaft nicht bloß durch den steigenden Export im Falle einer Abwertung vielleicht einen vorübergehenden Auftrieb erlebt, sondern daß sie daneben auch wegen des absinkenden inneren Umsatzes einen Rückschlag erfährt, ganz abgesehen davon, daß sie einen Rückschlag erfährt durch die Verteuerung der Importe.
    Endlich erhebt sich die Frage, aus welchen Mitteln die Subventionen kommen sollen. die die Stützung der zu garantierenden Lebensmittel-Festpreise erfordert. Man spricht davon, daß gewisse Lebensmittelpreise festgehalten werden sollen; aber es ist schon die Ansicht ganz allgemein - und das soll auf eine Äußerung aus dem Kreise des früheren Verwaltungsamtes für Ernährung zurückzuführen sein —, daß etwa in Zukunft eine Milliarde D-Mark an Subventionen für die bewirtschafteten Lebensmittel notwendig seien, während es sich bisher um Summen von gut 300 Millionen gehandelt haben soll. Wir sind nicht in der Lage, diese Zahlen zu kontrollieren. Es wäre Aufgabe der Regierung gewesen, auch hierüber das Parlament in etwa zu unterrichten und Gelegenheit zu einer solchen Fragestellung zu geben, wie groß im einzelnen das auch sei. Es ist jedenfalls eine Tatsache, daß indirekt das wieder in eine Belastung der Konsumenten umschlagen und in einer Belastung der Verbraucher in Erscheinung treten muß; oder aber man muß den von der Regierung als besonders vordringlich bezeichneten Wohnungsbau oder andere wichtige soziale Aufgaben um die Beträge kürzen, die man an Subventionen jetzt zusätzlich ausgeben muß.
    Nach alledem erscheint uns das Verfahren, nach dem man hier prozediert hat, sowohl wie der Erfolg, kurz die ganze Abwertungsangelegenheit sehr problematisch.

    (Beifall beim Zentrum.)