Meine Damen und Herren! Dieses Parlament müßte es zu seiner vornehmsten Aufgabe machen, Auseinandersetzungen zwischen den Parteien auch in vornehmer Weise durchzuführen. Wenn am letzten Freitag am Ende dieser Debatte von dem Herrn Abgeordneten Götzendorff ein Artikel der „Bayerischen Landeszeitung" zitiert worden ist — das ist sein Recht — mit dem Zusatz, daß die Bayernpartei damit eine neue Art des Rassenhasses pflege, so ist das eine Beleidigung einer Partei, die vom Präsidenten hätte gerügt werden müssen. Wir bedauern dies.
Meine Damen und Herren! Auch die Bayernpartei hat sich rückhaltlos dafür erklärt, daß auf Bundesebene das Flüchtlingsministerium errichtet wird, obwohl Flüchtlingsangelegenheiten nach der konkurrierenden Gesetzgebung zunächst noch Sachen der Länder sind. Wir haben es deshalb getan, weil wir die große Not der Flüchtlinge kennen. Wir
haben uns auch für einen Flüchtlingsausgleich nicht bloß im Interesse der einzelnen Länder, sondern auch im Interesse der Flüchtlinge eingesetzt. Auch andere Länder haben das getan. Wir haben das Flüchtlingsministerium auch deshalb betont, weil wir wissen, daß wir nicht allein in der Lage sind, diese Frage zu lösen, sondern daß hier auch die ausländische Hilfe notwendig ist, die auf der Bundesebene leichter erreicht werden kann. Es ist richtig, gegen eine Art von Flüchtlingen haben wir uns gewandt, die aber keine Flüchtlinge sind. Wir wissen, daß gerade in den letzten Monaten und vielleicht auch vor längerer Zeit — das möchte ich hier betonen — unter diesem Deckmantel und unter Ausnützung der Armut und der Not dieser Flüchtlinge aus dem Osten Leute hereingekommen sind, die nicht vertrieben worden sind, sondern ihr Dasein auf diese Weise zur politischen Wühlarbeit benützen, und dagegen wenden wir uns.
Lassen Sie mich nun noch einige Worte zur Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers sagen! Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß der Wahlkampf von der Parole beherrscht war „hie soziale Marktwirtschaft — dort Planwirtschaft". Sicherlich haben die Bundesregierung und der Herr Bundeskanzler einen großen Auftrag der Wähler erkannt, und sicherlich ist die Bundesregierung auch gewillt, auf wirtschaftlichem Gebiet gemäß dem Auftrag ihrer Wähler eine Lösung anzustreben und zu finden. Darüber hinaus ist aber eine weit größere und vielleicht entscheidungsschwerere Frage mit nur wenigen Sätzen in der Regierungserklärung betont worden: es ist die Frage des föderalistischen oder zentralistischen Staatsaufbaus.
Wenn der Herr Bundeskanzler erklärt hat, daß der Wiederaufbau unserer Wirtschaft die vornehmste, ja die einzige Grundlage für jede Sozialpolitik und für die Eingliederung der Ausgewiesenen ist, so können wir diesen Standpunkt nicht teilen. Wohl ist die Lösung der wirtschaftlichen und der sozialen Fragen vordringlich, weil sie auch die spürbarsten Aufgaben in sich schließen; aber nicht immer sind die spürbarsten Dinge die entscheidenden.
Wenn der Herr Bundeskanzler in seiner 19 Seiten langen Regierungserklärung nur mit zwei Sätzen das Problem „Föderalismus oder Zentralismus" berührt hat, so entspricht dies nicht der Bedeutung dieser Frage. Wenn unsere Generation nicht erkannt hat, daß es das ewig deutsche, ja vielleicht europäische Leid und das Leid der Welt ist, daß der Anfang der Blüte einer Wirtschaft immer wieder durch zentralistische Machtkonzentrationen zerstört worden ist, dann kann es kaum eine andere Generation verstehen.
— Sie lachen! Sie kennen vielleicht die Geschichte nicht. Auch verstehe ich nicht, warum gerade die Linke lacht.
Sprechen Sie nicht ein Jahrhundert vom Sozialismus und predigen Sie ihn nicht? Sie haben auch auf dem Gebiet der sozialen Lohnwirtschaft Erfolge erzielt. War es aber nicht so, daß in einer Generation zweimal zentralistische Machtkonzentrationen Ihre Arbeiter die eigenen Mordwerkzeuge haben konstruieren lassen? Und war es nicht so, daß damit nicht nur die Existenz des deutschen
Volkes, sondern auch der einzelnen Stände zerstört worden ist?
Wir sagen, daß es sich hier um eine historische Feststellung handelt, um eine historische Feststellung, an der man in der Geburtsstunde eines neuen Bundes, eines neuen Deutschland nicht vorübergehen kann. Man kann diese Dinge auch nicht nur mit zwei Sätzen streifen, weil es sich um elementare, lebenserhaltende oder lebensverneinende Entscheidungen für einen Bund handelt. Wir wissen doch selbst aus unserer Geschichte folgendes. Das Reich von 1871 war zunächst föderalistisch. Je mehr den einzelnen Ländern ihre Rechte genommen, je mehr die einzelnen Länder auf wirtschaftlichem und auf staatspolitischem Gebiet ausgehöhlt und in ihren Rechten zurückgesetzt worden sind, je mehr sich eine zentralistische Staatsausweitung geltend gemacht hat, um so sicherer sind wir in internationale Konflikte gekommen. Zum erstenmal geschah das 1914. Der Krieg wurde verloren. Es kam eine Revolution. Aber, meine Damen und Herren, das war keine Revolution!
Das Kernübel, nämlich die zentralistische Ausrichtung, wurde nicht beseitigt. Man hat am Alten wieder neu begonnen. In der Weimarer Verfassung hat man das, was zunächst föderalistisch gedacht war, nunmehr zentralistisch niedergelegt und so die Brücke zum exzentrischsten Zentralismus, nämlich zum Nationalsozialismus, geschlagen.
Nicht daß es die Parteien zuvörderst gewesen sind, meine Damen und Herren, sondern es ist die staatspolitische Auffassung des 19. und 20. Jahrhunderts, die Europa vernichtet hat. An dieser Feststellung dürfen wir am Beginn eines neuen Deutschland nicht vorübergehen.
Wenn man immer wieder hört, daß wir in der Bayernpartei sagen, das sei eine bayerische Sache, dann muß ich sagen: freilich ist es eine bayerische Sache, weil diese föderalistische Auffassung bei uns am meisten verkörpert ist,
aber es ist nicht nur eine bayerische, sondern es ist eine deutsche, ja eine europäische Angelegenheit.
Ich glaube, daß sich gerade in dieser Stunde eine Auseinandersetzung über diese Frage lohnen muß, weil auch eine blühende Wirtschaft, die der Herr Bundeskanzler in Aussicht gestellt hat, nur dann auf längere Zeit friedensmäßig gesichert ist, wenn endlich mit diesen Machtkonzentrationen in den zentralistischen Staaten Schluß gemacht wird.
Wenn auch am nächsten Tag der Abgeordnete Blank noch einmal eine Erklärung in föderalistischer Hinsicht geben wollte und dabei gesagt hat: wir wollen keinen Einheitsstaat, wir wünschen, daß dem Menschen seine persönliche Freiheit erhalten bleibt und er nicht zum Sklaven eines totalitären Staates gemacht wird, so habe ich dazu zu sagen, daß hierin keinerlei Sicherung für eine föderalistische Entwicklung enthalten ist; denn es geht nicht nur darum — selbstverständlich geht es auch darum —,
daß den Menschen ihre persönliche Freiheit gesichert ist, sondern daß auch den einzelnen Ländern
die Freiheit gesichert wird und daß wir nicht Sklaven nur eines totalitären, sondern eines zentralistisch ausgerichteten Staates werden.
Meine Damen und Herren, es kommt mir fast so vor, als ob Sie über Ihr Unglück selbst lachen würden,
als ob Sie mit verschlossenen Augen an der Vergangenheit und an dem letzten Jahrhundert vorübergeben würden und als ob Sie aus Bosheit nicht erkennen möchten, wo der richtige Weg ist.
Wir wissen, daß in diesem Hause wenig Verständnis für eine föderalistische Staatsrichtung ist.
Wir wissen es, und wenn auch hier wenig Abgeordnete sind, die sich dazu bekennen, so vergessen Sie nicht, daß sich ein großes Land dazu bekennt, und zwar deshalb, weil seine ganze jahrhundertlange Entwicklung darauf hinzielt.
Man soll nicht über etwas lachen, was man in der Geschichte vielleicht nicht selbst erlebt hat!
Glauben Sie es: das ist eine Staatsauffassung, die in diesem Lande auf Grund seiner Fähigkeiten, auf Grund seiner Geschichte verankert und verwurzelt ist. Das bayerische Volk ist zum größten Teil ein kulturschöpferisch ausgerichtetes Volk, und das hat es in seiner Kulturgeschichte gezeigt. Ein Volk, das kulturschöpferisch ausgerichtet ist, braucht auch im staatspolitischen Aufbau seine Freiheit und seine Rechte, und darum — nicht aus Eigenbrötelei, meine Damen und Herren -- hat das bayerische Volk auch in früheren Verfassungen schon immer Vorrechte gehabt.
Ich sage Ihnen, Sie werden an dem bayerischen Volk und Land den treuesten Partner in einem neuen Deutschland haben,
wenn Sie diese kulturpolitische Bedingtheit und diese staatspolitisch ausgerichtete Sinnesart im Aufbau des neuen Deutschland berücksichtigen.
Wenn der Herr Bundeskanzler in dieser Stunde der Entstehung eines neuen Deutschland das Primat der Wirtschaft wieder in den Vordergrund gerückt hat, so mit Recht. Aber daß er neben der sozialen Einstellung der Regierung nichts von dieser ideellen Ausrichtung gesagt hat, das hat uns ebenso verwundert. Wir wissen es, und Sie alle wissen es, daß der beste Staatsmann und das beste Wirtschaftsprogramm nicht zu einer glücklichen Zukunft führen kann, wenn nicht zugleich auch eine geistige und sittliche Erneuerung des Volkes angestrebt wird. Und gerade von dieser Regierung hätten wir diesbezüglich eine Erklärung erwartet. In diesem Hause ist schon von verschiedenen Rednern der Mißbrauch des Rechts betont worden.
Das ist kein Eingriff in die Rechte der Länder, wenn zum Neubeginn eines neuen Deutschland auch eine geistige Ausrichtung gegeben wird!
Wir erwarten sie ja von der Regierung, aber wir wissen auch, daß das Fehlen verschiedener Grundsätze in der vergangenen und auch in der allerjüngsten Zeit alle Versprechungen, die bisher gemacht worden sind, immer wieder zu Tode geritten hat.
Die Wahrheit ist nicht nur aus dem gesellschaftlichen, sie ist auch aus dem politischen Leben verschwunden. Erinnern wir uns zurück: Hat man nicht gerade in der jüngsten Zeit, in den letzten zehn, zwanzig Jahren von Sozialität und Sozialismus gesprochen, und ist in Wirklichkeit nicht in Ausrichtung der zentralistischen Staaten der Stacheldraht geschaffen worden? Aber auch nach 1945, als uns versprochen worden ist, daß die Demokratie geboren wird! Hat man nicht von Volksgemeinschaft gesprochen? Und in Wirklichkeit hat man Haß, Neid, Zwietracht und Denunziation hochgezüchtet. Und dieses süße Mittel der Denunziation ist auch bei der Rechtsgestaltung nach 1945 sogar gefördert worden, und man hat wieder davon Gebrauch gemacht. Man hatte uns versprochen, daß eine neue Demokratie gegründet wird. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen -- das wissen Sie ja —, daß die Demokratie aus dem wirklichen Willen des Volkes heraus geboren wird. Hat man nicht im gleichen Atemzug in diesem Grundgesetz, in dieser neuen Demokratie verankert, daß dieses Grundgesetz nicht der freien Entscheidung des Volkes entspringt? Ich sage: die Wahrheit muß auch im politischen Leben zurückkehren; denn sonst kommt kein Vertrauen zustande. Wo die Wahrheit nicht ist, gibt es auch keine Gerechtigkeit. Man hat den Mißbrauch des Rechts in der nationalsozialistischen Zeit angeprangert. Haben wir nicht nach 1945 zu gleicher Stunde erlebt, daß wieder Mißbrauch mit dem Recht getrieben worden ist in der Lenkung des Rechts im politischen Sinne? Ich spreche nicht für .und nicht gegen die Nazis,
ich spreche allein vom Standpunkt des Rechts aus und möchte dabei herauskehren, daß auch unter der Führung der Demokratie das Recht mißbraucht werden kann, wenn nicht sittliche Grundsätze in den Vordergrund gestellt werden. Denn wo die Wahrheit nicht ist, finden Sie auch nicht die Gerechtigkeit und die Liebe, die Menschenachtung und die Menschenwürde. Daß dieses Jahrhundert sich an der Menschenachtung und -würde versündigt hat, dafür haben Sie erst in den letzten Tagen noch ein Zeugnis erhalten, als ein Mann aus den östlichen Gebieten hier aufgetreten ist. Die Menschenachtung und die Menschenwürde müssen oberstes Gesetz sein. Man sage nicht, daß die Verletzung des Menschenrechtes, der Menschenachtung und der Menschenwürde eine deutsche Angelegenheit ist! Sie ist eine Angelegenheit der zentralistischen Staatsausrichtung, die immer zum Mißbrauch des Rechts geführt hat,
zum Mißbrauch des Rechts im exzentrischsten Zentralismus des Nationalsozialismus, zum Mißbrauch des Rechts in diesen totalitären Staatsgebilden, wie wir sie drüben im Osten sehen. Aber ob es sich um Vergasung oder Hungerlager handelt, man hat diese Erscheinungsformen in der Geschichte immer und immer wieder in zentra-
listischen Machtzusammenballungen und ihrem Mißbrauch gefunden.
Deshalb — und nicht aus rein bayerischen Interessen — bekennen wir uns zu einer konsequenten föderalistischen Staatsauffassung. Wir hätten in der Regierungserklärung gerne gehört, inwieweit die Bundesregierung gesonnen ist — anscheinend will sie von der konkurrierenden Gesetzgebung des Artikels 74 sehr weitgehenden Gebrauch machen —, in strengster föderalistischer Auffassung oder zum Zentralismus hinneigend die Voraussetzungen des Artikels 72 zu prüfen.
Meine Damen und Herren, mögen Sie darüber lachen,
daß sich dieses Haus mit diesen Fragen auseinandersetzt. Die Vergangenheit hätte Sie zu ernsteren Mienen veranlassen müssen.
Ich möchte Ihnen zum Schluß meiner Ausführungen nur zurufen: Meine Damen und Herren, deutsche Männer und deutsche Frauen, rettet Deutschland und Europa durch eine echte und wahre föderalistische Staaten- und Völkergemeinschaft!