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    Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 47 7. Sitzung Erster Tag Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949. Geschäftiche Mitteilungen 47B, 67C, D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 47B Ewers (DP) 47C Dr. Seelos (BP) 53D Reimann (KPD) 58C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 67A Unterbrechung der Sitzung . 67C Loritz (WAV) 67D Frau Wessel (Z) 72B Dr. Richter (DRP) 80A Clausen (SSW) 85C Dr. Edert (Parteilos) 86B Fortsetzung der Sitzung 87C Die Sitzung wird um 10 Uhr 11 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Meine Damen und Herren! Wir stehen mitten in einem großen Ringen, mitten in dem Ringen um die Wiederherstellung Deutschlands, des deutschen Namens und der deutschen Ehre, der deutschen Gestaltung. Wir stehen aber auch mitten in einem gewaltigen welthistorischen Ringen, dem Ringen zwischen dem Individuum und der Staatsmacht. In keiner Zeit sind diese beiden Gegensätze, die immer im Widerstreit des soziologischen Geschehens gestanden haben, so stark aufeinander geplatzt wie in den letzten Jahrzehnten. Wir müssen den Ausgleich dieser Gegensätze, dieses Widerstreites, dieser Polarität, wie man es genannt hat, finden. Wir von der Rechten stehen auf dem Standpunkt des Individuums, und die Linke steht im wesentlichen auf dem Standpunkt der Staatsmacht. Beide Gegensätze können sich so vertiefen und erweitern, daß sie auf der einen Seite zur ungebundenen


    (Dr. Leuchtgens)

    Lebensführung des Individuums führen, und auf der anderen Seite kann sich das Ringen um die Staatsmacht zum Allgewaltstaat steigern, wie wir das in Rußland heute klassisch sehen.
    Diese Gegensätze müssen zunächst soziologisch erfaßt werden. Es will mir scheinen, als ob der Gegensatz zwischen links und rechts heute der Gegensatz zwischen der Vertretung der Staatsmacht, des Allgewaltstaates, und des freien Individuums sei. Das freie Individuum, das wir von der rechten Seite vertreten, hat seine Freiheit nur darin, daß es sittlich handelt, das heißt. daß es nicht die Freiheit wovon, sondern die Freiheit wozu erfüllt. Die Freiheit ist ein terminus ad quem und nicht ein terminus a quo. Das heißt: die Freiheit kann nicht in Willkür ausarten, sondern muß durch das Sittengesetz geboten sein. Nur der sittliche Mensch, der die Gebote der Sittlichkeit in seine Brust aufgenommen hat, ist ein freier Mensch. Um diese Freiheit wird gerungen. Wir von rechts stehen auf dem Standpunkt, daß es vor allem gilt, die sittliche Verantwortung des einzelnen Menschen in seiner ganzen Bedeutung wiederherzustellen. Diese sittliche Verantwortung des einzelnen kann aber nicht der einzelne von sich aus erringen, sondern er kann sie nur dadurch erringen, daß er sich in Verbindung mit der höchsten Macht, mit Gott, setzt. Gott hat in irgendeiner Form die Sittlichkeit offenbart und trägt sie. Die Zehn Gebote Gottes sind noch immer die Grundlage der Sittlichkeit, und die Freiheit des Individuums muß von diesen religiös eingestellten Mächten und von dem Glauben an die Verbindung zwischen Sittlichkeit und Religiosität getragen sein. So offenbart sich uns die wahre Freiheit. Wenn wir heute die Freiheit des Individuums fordern, so können wir sie nur auf der Grundlage dieser sittlich-religiös gebundenen Freiheit fordern.
    Hegel hat einmal den Staat die Objektivation der Sittlichkeit genannt, eine der tiefsten Auffassungen, die der Staat jemals gefunden hat. Diese Objektivation der Sittlichkeit kann aber nur dann gefunden werden, wenn der Staat seine Macht nicht übersteigert. So stehen wir heute in dem gewaltigen Kampf um die wahre Freiheit des Menschen auf der einen Seite und um die Staatsallgewalt auf der andern Seite.
    Ich bekenne mich zu der Staatsauffassung eines Wilhelm von Humboldt, die er vor nahezu 150 Jahren in dem Schriftchen „Über die Grenzen der Staatsgewalt" niedergelegt hat. Die große Gefahr, die uns heute gerade von der linken Seite droht, ist die, daß der Allgewaltstaat in irgendeiner Form über den einzelnen Herr wird. Wenn die Staatsmacht so wie in Rußland etwa in der Verwirklichung des Marxismus gesteigert wird, dann ist eine ungeheure Gefahr für das Individuum, für den freien sittlichen Menschen gegeben; denn der Staat unterdrückt dann die Entwicklung des freien Menschen und untergräbt damit das Fundament seines Bestandes überhaupt.
    Um diese Dinge wird aber nicht nur theoretisch gerungen und nicht nur zwischen Staatsallgewalt, zwischen dem totalitarian state und dem freien demokratischen Staat, sondern in dem gewaltigen Ringen, in dem wir mitten drinstehen und über das wir uns die beiden Tage hier von hüben und drüben unterhalten haben, drängt sich immer wieder der totalitäre Staatsgedanke, die Staatsallgewalt hervor. Ob es jemals gelingen wird, wie es etwa die Labour Party tut und wie es auch die Sozialdemokratie bei uns im Sinne hat, eine Synthese zwischen der Staatsallgewalt und dem freien
    Menschen zu finden, das bezweifle ich sehr. Es ist nicht möglich, wenn man dem Staat die große Macht gibt, den Menschen auf der anderen Seite frei zu halten.
    Deshalb möchte ich, um nach diesen etwas weit ausholenden soziologischen, ethischen oder philosophischen Gedanken wieder zur Praxis zurückkehren, mit der wir uns heute zu beschäftigen haben, fragen: Wie können wir der Entwicklung zum Allgewaltstaat, die stets da ist, entgegentreten? Denn dieser Widerstreit zwischen Individuum und Staatsallgewalt ist ein Ringen, das under irgendwie politisch getan wird, kommt etwas aufhörlich hin und her geht, und in jedem Schritt, von dieser Richtung oder von der andern Richtung zur Geltung. So ist auch die Regierungserklärung unter diesem Gesichtspunkt zu sehen.
    Wir stehen natürlich auf dem Standpunkt, daß wir die Staatsaufgaben vermindern müssen, soweit es geht, damit dieser Allgewaltstaat uns nicht mit der Vernichtung der persönlichen, sittlichen und selbstverantwortlichen Freiheit bedroht. Die Staatsaufgaben zu vermindern, das ist das große Problem. Deshalb stimme ich denen nicht zu, die von der Regierung immer wieder neue Gesetze verlangen. langen. Je mehr Gesetze die Regierung gibt, um so mehr gerät sie in Versuchung, die persönliche und sittliche Freiheit zu gefährden. Sie soll wenige Gesetze geben, aber diese wenigen Gesetze auch mit allem Nachdruck durchführen. Nur so kommen wir dazu, die Staatsaufgaben in der Praxis des Lebens zu vermindern.
    Wenn wir nun etwas näher zusehen, so müssen wir vor allem immer hervorheben, daß der Staat von allen Aufgaben, die nicht unbedingt zum Wesen des Staates gehören — eben zu jener Objektivation der Sittlichkeit —, soweit wie möglich entlastet werden muß. Ich bin der Meinung, daß der Staat nur zwei große Aufgaben hat, nämlich die Aufgaben, Ordnung, Ruhe und Sicherheit in der Staatsgemeinschaft zu gewähren. Eine weitere Aufgabe hat der Staat überhaupt nicht.

    (Abg. Dr. Schmid: Und die Schule?)

    — Die Schule, die Kultursache kann ja anderen Stellen überlassen bleiben.

    (Abg. Dr. Schmid: Die Schule auch?)

    — Die Schule auch! Man kann die Schule ja auch kleineren Selbstverwaltungskörpern übereignen; ich werde nachher darauf noch einmal zu sprechen kommen.

    (Abg. Dr. Schmid: Um Gottes willen! Heiter' — Meine Damen und Herren, täuschen Sie ich nicht darüber, daß gerade in der Bemerkung in dem Ausdruck des Herrn Schmid auch etwas von Sozialismus, Kultursozialismus widerklingt. Vergessen Sie nicht, daß der Kultursozialismus auch ein Stück Sozialismus ist und daß er nur dann verhindert werden kann, wenn andere Kräfte außer der Staatsmacht sich dieser kulturellen Angelegenheit annehmen. Vielleicht begreift man das näher, wenn man den Gedanken einmal durchdenkt. Das Prinzipielle bleibt also, die Staatsmacht soviel wie möglich von ihren Aufgaben zu entlasten. Diese Aufgabenentlastung kann auf verschiedenen Wegen geschehen, in erster Linie dadurch, daß man die Selbstverwaltung wieder einschaltet. Die Selbstverwaltung der Gemeinden, der Kreise, der Berufsstände und anderer Stellen ist ja doch auch ein Stück Staatswirklichkeit. Der Staat ist doch nicht allein da, sondern die Familie und die ver schiedenen Organisationen, die sich auf ihr aufbauen, die Nachbarschaftsgemeinde, alle diese sozialen Beziehungen der Menschen untereinander sind doch auch da, und sie müssen doch nicht alle in den Staat ausmünden. Es ist beinahe eine Blindheit, mit der Menschen von heute geschlagen sind, daß wir immer nur den Staat sehen und die anderen sozialen und gesellschaftlichen Gewalten überhaupt nicht beachten. Es dreht sich darum, die anderen gesellschaftlichen Beziehungen, zum Beispiel die Kirche, die Familie und die Gemeinde, auch in das Getriebe des öffentlichen Lebens einzuschalten. Aus diesem Grunde müssen wir sehen, daß der Staat nicht zuviel Gewalt in seine Hand bekommt. Zunächst dreht es sich weiter darum, daß der Staat natürlich die Pflichten, die er hat, unbedingt erfüllen muß. Diese Pflichten liegen zum Teil auf materiellem, aber auch auf ideellem Gebiet. Der Staat in seiner abstrakten Form ist für den Krieg verantwortlich. Deshalb muß der Staat auch all die Fürsorgemaßnahmen ergreifen. die der Krieg erforderlich gemacht hat, die Fürsorge für die Kriegshinterbliebenen, für die Kriegsversehrten, für die Bombengeschädigten, für die Gefangenen, kurzum: alles das, was der Staat an Leid, Trübsal und Armut verursacht hat, muß er in erster Linie auch wiedergutmachen. Dazu gehört weiterhin die Fürsorge für die Beamten, die man infolge der Entnazifizierung vielfach aus ihren Ämtern herausgeschleudert und auf ganz geringe Bezüge gesetzt hat. Man muß sie entweder wiedereinstellen oder voll pensionieren. Beides ist nicht geschehen, Infolge der Entnazifizierung ist ein ungeheurer Jammer in die Menschheit hineingebracht worden. Die Regierung hat die Pflicht, hier einzugreifen. Die Regierung hat ebenso die Pflicht, für die alten Wehrmachtangehörigen einzutreten. Auch hier ist unendlich viel Not und Elend vorhanden. Viel Selbstmord, viel Leid ist hier verursacht worden. Der Staat muß hier seine Pflicht tun. Wenn der Staat Schuldner ist, muß er sich auch gegenüber seinen Gläubigern seiner Verpflichtungen entledigen. Der Staat kann sich nicht hinter seiner Armut verschanzen, wenn er seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Der Staat ist als Schuldner verpflichtet, seine Schulden vollständig zu zahlen. Dazu gehören die wohlerworbenen Rechte der Beamten und der Wehrmachtangestellten sowie die wohlerworbenen Rechte der Kriegsteilnehmer, der Kriegsversehrten, der Kriegsbeschädigten, der Bombengeschädigten, kurzum all der Leute, die durch den Krieg zu Schaden gekommen sind. Auf der andern Seite aber soll der Staat sich möglichst aus der Wirtschaft fernhalten. Der Staat hat mit der Wirtschaft überhaupt nichts zu tun. Der Staat soll Ruhe und Ordnung schaffen. Er soll die Wirtschaft nur insoweit beeinflussen, als er Gesetze gibt. Er soll keine Subventionen geben. Eine wirklich gute Wirtschaftspolitik rechnet überhaupt nicht mit Subventionen. Sie überläßt es der Wirtschaft, für sich selber zu sorgen. Ich gehöre zu den Leuten, die die unbedingte Selbständigkeit des wirtschaftenden Menschen fordern. Der Einzelmensch ist Wirtschaftler. Bei den Zusammenschlüssen, den Vereinigungen usw., die der Einzelmensch schafft, liegt die Wirtschaft. Der Staat soll die Finger von der Wirtschaft lassen, schon aus dem einfachen Grund, weil er gar keine Möglichkeit hat, die Wirtschaft im wahren Sinne des Wortes wirtschaftlich zu beeinflussen. Er muß sie ja immer wieder durch Beamte und Angestellte beeinflussen lassen. Und wir sind uns doch darüber im klaren, daß ein Beamter, der sein eigenes Vermögen und seine ganze Existenz nicht einzusetzen braucht, sondern gegen Gehalt und Lohn arbeitet, die Wirtschaft nicht lenken und leiten kann. Es ist also mit allem Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, daß der Staat die Finger von der Wirtschaft lassen soll. Die gelenkte und geleitete Wirtschaft ist doch nur ein Ausfluß der Staatsallgewalt. Die gelenkte und geleitete Wirtschaft mag während des Krieges und in den Notlagen durchaus berechtigt sein. Sie ist aber nicht berechtigt, wenn wir wieder in die Bahnen der Friedenswirtschaft eindringen. Denn dort wird jede gelenkte und geleitete Wirtschaft — ich bitte, das nun einmal ganz genau zu nehmen — der Totengräber der selbständigen Unternehmungen sein. Mit der gelenkten und geleiteten Wirtschaft gräbt sich der Staat selber das Grab, indem er den Wagemut, die Unternehmungslust und den Wettbewerb in jeder Weise hemmt und lähmt. Meine Damen und Herren, dazu gehört ein Weiteres. Wir müssen auch auf anderen Gebieten dafür sorgen, daß die Staatsgewalt irgendwie zurückgedrängt wird. Ich denke zunächst daran, daß auf dem Gebiet der Sozialpolitik ein ganz anderer Weg eingeschlagen werden muß. Die Sozialpolitik wird heute als eine Aufgabe des Staates angesehen. Das halte ich grundsätzlich für verkehrt. — Warten Sie nur erst einmal ab, ehe Sie lachen! Warten Sie einmal ab, was ich für Gedanken entwickle! Dieses Entgegenkommen kann ich doch von jedem Hörer billigerweise erwarten. wenn Sie nachher auch nicht damit übereinstimmen. Das ist Ihre Sache. Wir leben im demokratischen Staat, wo jeder seine eigene Ansicht haben kann, und wir sitzen hier im Bundestag, wo sich jeder aussprechen soll. Wir wollen uns nicht belehren. Ich weiß, daß Sie sich von mir nicht belehren lassen wollen. Vielleicht lasse ich mich von Ihnen auch nicht belehren. Aber im übrigen besteht das Wesen jeder Diskussion doch darin, daß man die Gründe des anderen anhört. Wir wissen alle, daß durch die dialektische Methode, durch die Diskutiermethode bei aufmerksamen und ehrlichen Menschen hintennach immer noch etwas herauskommt. Vielleicht sind die Herren, nachdem sie vom Rathaus gekommen sind, doch ein bißchen klüger als vorher. Es gibt natürlich Menschen, denen auch da nicht zu helfen ist. Die glauben an sich wie an den Herrgott und halten sich für unfehlbar. Mit diesen Leuten braucht man nicht zu diskutieren. Ich gehöre jedenfalls nicht zu diesen Menschen. Ich stehe schon jahrzehntelang im öffentlichen Leben, abgesehen von der Zeit, als Hitler das Zepter schwang. Dabei habe ich doch das eine gelernt, daß man in der Diskussion mit anderen über viele Dinge ins klare kommt, in denen man vorher nicht im klaren war. Gestatten Sie mir nun einmal, daß ich die Sozialpolitik mit einem für Sie kühnen Gedanken auf einen anderen Boden stellen will. Die Sozialpolitik sollte nach meiner Auffassung auch auf den Berufsständen aufgebaut werden. Wir haben sieben Berufsstände — gestatten Sie mir als Soziologen auch diese ganz genaue Beschreibung —: den Arbeiter, den Bauern, den Handwerker, den Händler, den Industriellen, den Künstler und Wissenschaftler und den Angestellten und Beamten. Es ist Ihnen vorbehalten, die Einordnung vorzunehmen. Wenn Sie ein kluger Politiker sind, dann gehören Sie zu den Künstlern und Wissenschaftlern, und wenn Sie das nicht sind, überlasse ich es Ihnen, wohin Sie gehören. Es ist vor allem festzuhalten, daß diese sieben Berufsstände in ihrer Geschlossenheit — und sie schließen sich zusammen — auch etwas bedeuten. Und nun schlage ich vor, daß wir diese Berufsstände zu Kammern zusammenordnen: Arbeiterkammern, Bauernkammern, Handwerkerkammern usw., und zwar zunächst über die Landesebene hin und dann auch über die Bundesund Reichsebene hin, und daß diese Kammern die Grundlage der ganzen Sozialpolitik sind. Ich möchte diesen Kammern ein paar große Aufgaben zuweisen. Die erste Aufgabe ist diejenige, daß sie für die Ausbildung und Weiterbildung sowie die Vorbildung ihrer Berufsangehörigen sorgen. Niemand kann besser diese Arbeit erledigen als die Berufsstände selbst. Das zweite, was ihnen zugewiesen werden sollte, ist, daß sie Träger der gesamten Sozialpolitik werden, des gesamten Versicherungswesens, der Unfallversicherung, der Krankenversicherung, der Altersversicherung. Was sie für Versicherungen nun schaffen wollen, das mögen die Berufsstände unter sich machen. Sie müssen natürlich zusammenarbeiten. Und dann gibt es auch keinen Streit mehr zwischen den Gewerkschaften und anderen Stellen; denn die Gewerkschaften sind dann ja die berufsständischen Vertreter entweder der Arbeiter oder der Angestellten und Beamten oder der Bauern usw. Jeder dieser sieben Berufsstände hat dann seine Gewerkschaft, und wenn diese Gewerkschaften zusammenarbeiten, kommt schon etwas Gutes heraus. — Dann werden sie gesetzlich gezwungen, das zu tun. Nun müssen Sie natürlich an irgendeiner Stelle, wenn Sie etwas schaffen wollen, etwas anordnen. Wir vom Bundestag haben ja die Staatsmacht in Minden; wir personifizieren ja die Macht. (Zuruf von der SPD: Aha! Aber dann macht der Staat die Sozialpolitik!)


    (Dr. Leuchtgens)


    (Abg. Dr. von Brentano: Na, ein bißchen!)


    (Lachen links.)


    (Zuruf von der KPD: Und der Politiker?)


    (Dr. Leuchtgens)


    (Heiterkeit)


    (Erneute Heiterkeit.)


    (Abg. Dr. Schmid: Und wenn sie nicht zusammenarbeiten?)


    (Lachen bei der SPD.)

    — Nein, der macht keine Sozialpolitik; der gibt nur die vernünftigen Gesetze und bekämpft die Verbrecher, die sich nicht danach richten. Ja, meine Herren, wenn Sie sich einmal mit diesen Gedanken beschäftigen, dann wird doch nicht bloß ein Lachen, sondern etwas mehr übrigbleiben. Ich kann Ihnen nur eines sagen: dieser Gedanke — das geht gerade die Herren von der CDU und CSU an — ist grundsätzlich seinerzeit von Papst Leo ΧIII. in seinen beiden großen Enzykliken „Quadragesimo anno" und „Novarum rerum"

    (Abg. Dr. von Brentano: „Rerum novarum"!)

    ausdrücklich behandelt worden. Glauben Sie nicht, daß ich diese Gedanken dort geholt habe; aber ich möchte ausdrücklich sagen, daß sie dort auch wurzeln.
    Ich darf dann weiter darauf aufmerksam machen, daß es auch noch andere Dinge gibt, — —(Glocke des Präsidenten.)

    — Herr Präsident, würden Sie mir gestatten, meine Gedanken noch zu Ende zu führen, weil ich jetzt mehr in die Praxis hineinkomme.

    (Heiterkeit.)

    Ich muß leider manches übergehen; ich hätte gern etwas mehr Zeit gehabt.
    Nun komme ich zu dem, was die Regierung im einzelnen angeht. Da möchte ich vor allem einmal als Finanzpolitiker ein paar Worte sagen. Vielleicht ist der Herr Finanzminister da.

    (Zuruf: Ja, er ist da!)

    — Es freut mich, daß er es von mir hören kann. (Heiterkeit.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir in unserer Finanzpolitik wirklich zu Rande kommen wollen und wenn die Regierung Adenauer wirklich eine gute Finanzpolitik machen will, dann muß sie mit einer Aufgabe beginnen, von der sie bis jetzt noch nicht geredet hat, nämlich mit einer Neueinteilung der Länder. Wenn Sie die Länder in ihrer jetzigen Größe und Zerfahrenheit bestehen lassen, dann werden Sie nie eine geordnete Finanzpolitik in dem neuen Deutschen Bund herbeiführen. Wir müssen vor allen Dingen von der Zahl 11 der Länder in Westdeutschland herunter auf die Zahl 5, und wenn ich die Regierung zu bilden gehabt hätte, — —

    (Heiterkeit und lebhafte Zurufe.)

    — Meine Damen und Herren, warten Sie nur erst einmal ab, bis ich das gesagt habe; vielleicht kommen wir zu anderer Zeit auch noch einmal auf diese Dinge zurück. Mit dem Artikel 29, an dem Sie, Herr Kollege Schmid, ja mitgewirkt haben, hat die Regierung die Pflicht auferlegt bekommen, diese Neueinteilung vorzunehmen, und der Herr Bundeskanzler hätte viel klüger getan, mit diesen Dingen anzufangen. Er kann doch unmöglich diese Dinge so lassen, das kleine Schleswig-Holstein und das große Rheinland-Westfalen und wie die Staaten sonst alle heißen. Auch Hessen ist doch zu klein und zu arm, um überhaupt als selbständiger Staat leben zu können.

    (Sehr richtig! bei der NR.)

    Deshalb ist das, was der Herr Bundeskanzler als erstes hätte tun müssen, diese Zahl von elf Staaten auf fünf zu vermindern. Vielleicht kann er es nachholen.

    (Zuruf: Also nachholen! — Heiterkeit.)

    Ich weiß, daß das eine Sisyphusarbeit ist; aber auch diese Sisyphusarbeit muß getan werden.

    (Abg. Dr. Schmid: Wie wäre es mit sechs? — Heiterkeit.)

    — Ich lasse im allgemeinen nicht mit mir handeln;

    (Heiterkeit — Glocke des Präsidenten)

    aber wenn der Herr Kollege Schmid gern handelt,
    wird es ja schließlich auf einen nicht ankommen.

    (Allgemeine Heiterkeit.)

    Das Entscheidende bleibt also, daß wir fünf Bundesstaaten bekommen, die etwa gleich groß sind.

    (Abg. Dr. Schmid: Sechs!)

    — Wenn Sie absolut sechs haben wollen, behalten Sie sechs!

    (Heiterkeit.)

    Es kommt darauf an, daß diese fünf oder, wie Sie glauben, sechs Staaten gleich groß sind, die gleiche Bevölkerung haben und die gleiche Wirtschafts-
    und Steuerkraft besitzen.

    (Glocke des Präsidenten.)




Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, mit Ihren Ausführungen zum Schluß zu kommen.

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    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Ich muß mich ja nun leider ganz kurz fassen, nachdem mir der Herr Präsident nicht gestattet, noch weiter zu reden. Ich möchte nur noch hervorheben, daß die Kräfte, die hinter dem Kabinett Adenauer stehen, bis jetzt noch nicht den Beweis dafür erbracht haben, daß sie eine sparsame Wirtschaft treiben.

    (Zurufe.)

    Meine Damen und Herren, sehen Sie sich doch bitte einmal diesen Parlamentspalast an!

    (Abg. Dr. Schmid: Sehr richtig!)

    Sehen Sie sich draußen die Speisehalle an, und sehen Sie sich überhaupt den ganzen Luxus und den Prunk hier an! Ich schäme mich in der Seele, wenn ich jetzt zu meinen Wählern im Vogelsberg komme, denen es so blutig schlecht geht, daß sie nicht wissen, wie sie durchkommen sollen, die keine Wohnungen haben, die sich mit ihren Ackern herumschlagen müssen, um überhaupt das für den Lebensunterhalt Notwendige zu schaffen. Und so geht es mir, wenn ich an die vielen Flüchtlinge und an die Ausgebombten und an das Elend und den Jammer draußen denke. Und hier stellt man so etwas wie diesen Luxuspalast hin! Ich will nicht sagen, wer dafür verantwortlich ist. Das wissen die Herren ja selber besser. Schließlich haben sie aber die Verantwortung so verschachtelt, daß man niemand mehr herausgreifen kann. Sie sind aber schließlich alle daran schuld, die seither mitgearbeitet haben, ob das . im Parlamentarischen Rat oder bei den Ministerpräsidenten oder sonstwo gewesen ist.

    (Zurufe.)

    Meine Damen und Herren, wenn Sie das dem Volk zeigen, wenn Sie die Wähler hierherführen, dann werden sie mit dem Gefühl wieder fortgehen, daß da Hopfen und Malz verloren ist.

    (Zurufe.)

    Wir wollen uns diese Dinge weiter durch den Kopf gehen lassen. So können wir keine Zukunft gestalten! Ich denke daran, daß zum Beispiel die Engländer einen Parlamentsraum haben, in dem noch nicht einmal Bänke sind, in dem die Abgeordneten sich nicht einmal setzen können, sondern stehen.

    (Zurufe und Lachen.)

    Meine Damen und Herren, wir hätten unsere Sitzung mit derselben Lebhaftigkeit führen können, wenn wir sie in einer Turnhalle oder in einem anderen verschwiegenen Raum abgehalten hätten.

    (Schallende Heiterkeit. — Abg. Dr. von Brentano: Das führt zu weit! — Glocke des Präsidenten.)

    Meine Damen und Herren, das sind doch Dinge, an denen wir nicht vorübergehen können. Das sind nun praktische Forderungen. Es tut mir leid, daß ich nicht weiter reden kann; aber es wird sich ja noch mehr Gelegenheit zum Sprechen bieten. Wir sprechen ja heute nicht zum letztenmal.

    (Heiterkeit und Zurufe.)

    Es wird sich schon noch Gelegenheit bieten, auch über diese Frage sehr eingehend zu reden. Vielleicht ist dann der Herr Kollege Schmid auch wieder so freundlich und sekundiert mir so, wie er mir heute sekundiert hat.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schmid.)

    Im übrigen bin ich der Meinung, daß der Kampf zwischen der Individualauffassung und der Auffassung von der Allgewalt des Staats, der Kampf der Auffassungen zwischen rechts und links — denn etwas anderes kenne ich nicht — —

    (Abg. Dr. Schmid: Der Antisemitismus ist auch noch ein Unterschied!)

    — Oh, Antisemitismus ist für mich nie ein Problem gewesen!

    (Große Heiterkeit.)

    War das jemals ein Problem für Sie?

    (Zurufe: Nein! Nein!)

    Also was wollen Sie denn? Ich habe jedenfalls mit dem Antisemitismus nur das eine zu tun, daß ich sehr vielen Juden in der Zeit von 1933 bis 1939 geholfen habe.

    (Abg. Strauß: Wohin?)

    — Mein Herr, vielleicht sind Sie noch etwas zu jugendlich in Ihren Einwürfen!

    (Abg. Strauß: Gott sei Dank!)

    Ich bin der Gründer einer Bank — —

    (Abg. Strauß: Lebt sie noch?)

    — Die lebt noch; Gott sei Dank! Diese Bank hat in einer Reihe von Jahren den Beinamen „Judenbank" bekommen. Nun können Sie sich im übrigen Ihren Vers darauf machen, wie ich zum Antisemitismus stehe.

    (Abg. Dr. von Brentano: Und früher?)

    — Und früher genau so!

    (Abg. Dr. von Brentano: Ach!)

    -- Dichten Sie mir nicht etwas an, was nicht da ist.

    (Abg. Dr. Schmid: Nein! Nein!)

    — Bleiben Sie bei der Wahrheit! Das ist nämlich
    die Grundkonzeption, die Auffassung der Rechten,

    (Zuruf: Wie weit geht die Rechte?)

    Politik als ethische Handlungsweise durchzuführen. Wir bemühen uns, das zu tun. Bemühen Sie sich, das auch zu tun!

    (Beifall.)